Entscheidungsstichwort (Thema)
Unterlassungsanspruch des Betriebsrats bei mitbestimmungswidrigen Versetzungen
Leitsatz (redaktionell)
Ein Antrag des Betriebsrats auf Unterlassung mitbestimmungswidriger Versetzungen ist jedenfalls dann insgesamt unbegründet, wenn er so global gefaßt ist, daß er Fallgestaltungen umfaßt, in denen der Arbeitgeber nach § 100 Abs 1 BetrVG Personalmaßnahmen vorläufig ohne Zustimmung des Betriebsrats durchführen kann.
Verfahrensgang
LAG Niedersachsen (Entscheidung vom 23.11.1993; Aktenzeichen 16 (6) TaBV 50/93) |
ArbG Braunschweig (Entscheidung vom 15.12.1992; Aktenzeichen 4 BV 67/92) |
Gründe
A. Die Beteiligten streiten darüber, ob der Betriebsrat von der Arbeitgeberin verlangen kann, einen zwischen verschiedenen Verkaufsabteilungen wechselnden Einsatz des Personals zu unterlassen, wenn der Betriebsrat nicht zugestimmt hat.
Die Arbeitgeberin betreibt ein Möbelhaus. Dieses ist in sieben Verkaufsbereiche (Heimtextilien, Lampen, SB-Mitnahmemöbel, Großmöbel, Küchenmöbel, Boutique und Kasse/Information) untergliedert. Jeder Mitarbeiter ist einem dieser Bereiche zugeordnet. Häufig werden Arbeitnehmer allerdings zur Aushilfe in einem anderen als ihrem Stammbereich eingesetzt. Diese Einsätze dauern im Regelfall nicht länger als einen Monat. Der Betriebsrat wird hierbei nicht beteiligt.
Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, bei solchen Einsätzen handele es sich um mitbestimmungspflichtige Versetzungen. Die einzelnen Verkaufsbereiche des Möbelhauses seien schon wegen der Verschiedenartigkeit der in ihnen zu erledigenden Aufgaben jeweils eigene Arbeitsbereiche i.S. des § 95 Abs. 3 BetrVG. Ein Wechsel zwischen diesen Arbeitsbereichen sei auch dann eine nach § 99 BetrVG mitbestimmungspflichtige Versetzung, wenn er einen Monat nicht überschreite. Er sei mit einer erheblichen Änderung der Arbeitsumstände verbunden, weil sich die Anforderungen an die Tätigkeit und die Qualifikation des Verkaufspersonals je nach den einzelnen Verkaufsbereichen deutlich voneinander unterschieden. Gegen eine Mißachtung seines Mitbestimmungsrechts könne der Betriebsrat mit Hilfe eines allgemeinen Unterlassungsanspruchs vorgehen. Er müsse sich nicht auf die Möglichkeit verweisen lassen, eine Verurteilung des Arbeitgebers zur Aufhebung der mitbestimmungswidrigen Versetzungen zu beantragen. Gerade bei kurzzeitigen Versetzungen gehe diese Sanktion ins Leere, da die Personalmaßnahme regelmäßig schon beendet sei, bevor eine Entscheidung des Gerichts vorliege.
Der Betriebsrat hat beantragt,
der Arbeitgeberin aufzugeben, es zu unterlassen,
Personaleinsätze, die einen Wechsel zwischen den
nachstehenden Aufgabenbereichen
a) Verkäufer/innen der Küchenabteilung
b) Verkäufer/innen Großmöbel
c) Verkäufer/innen SB-Bereich, Mitnahmen
d) Verkäufer/innen der Lampenabteilung
e) Verkäufer/innen im Bereich Heimtextilien
f) Verkäufer/innen im Bereich Boutique
g) Mitarbeiter/innen im Bereich Kasse/Information
erfordern, ohne seine Mitbestimmung vorzunehmen.
Die Arbeitgeberin hat beantragt,
den Antrag abzuweisen.
Nach ihrer Meinung handelt es sich bei den streitigen Vorgängen nicht um mitbestimmungspflichtige Versetzungen. Der gesamte Verkauf bilde einen einheitlichen Arbeitsbereich i.S. des § 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG. Jedenfalls sei der Wechsel zwischen den einzelnen Verkaufsbereichen nicht mit einer erheblichen Änderung der Arbeitsumstände verbunden. Die fachlichen Anforderungen seien in allen Verkaufsbereichen gleich. Im übrigen sei der Antrag des Betriebsrats selbst dann unbegründet, wenn mitbestimmungspflichtige Versetzungen vorliegen sollten. Einen Anspruch des Betriebsrats auf Unterlassung mitbestimmungswidriger Personalmaßnahmen gebe es nämlich nur unter den Voraussetzungen des § 23 Abs. 3 BetrVG. Diese seien hier aber nicht erfüllt, weil die Arbeitgeberin, wenn überhaupt, jedenfalls nicht grob gegen ihre betriebsverfassungsrechtlichen Verpflichtungen verstoßen habe.
Das Arbeitsgericht hat den Antrag des Betriebsrats abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihm auf die Beschwerde des Betriebsrats hin stattgegeben. Mit ihrer Rechtsbeschwerde begehrt die Arbeitgeberin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Beschlusses. Der Betriebsrat beantragt, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
B. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Der zulässige Unterlassungsantrag des Betriebsrats ist unbegründet.
I. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht den Antrag des Betriebsrats für zulässig gehalten. Entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin ist der Antrag hinreichend bestimmt. Er umfaßt sämtliche Personaleinsätze, die zum Inhalt haben, daß der betroffene Arbeitnehmer aus einem der sieben Verkaufsbereiche des Möbelhauses in einen anderen wechselt. Ob der Antrag in dieser globalen Form mitbestimmungspflichtige und mitbestimmungsfreie Vorgänge undifferenziert erfaßt, berührt nicht seine Zulässigkeit, sondern ist eine Frage der Begründetheit (vgl. zuletzt Beschluß vom 3. Mai 1994 - 1 ABR 24/93 - zur Veröffentlichung vorgesehen, zu II A der Gründe).
II. Der Antrag ist aber nicht begründet. Dies gilt unabhängig davon, ob ein allgemeiner Anspruch des Betriebsrats gegen den Arbeitgeber auf Unterlassung mitbestimmungswidriger Versetzungen grundsätzlich anzuerkennen ist. Der Antrag erstreckt sich nämlich auch auf Fälle, für die ein allgemeiner Unterlassungsanspruch jedenfalls auszuschließen ist.
1. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Betriebsrat habe einen solchen Unterlassungsanspruch auch in Fällen, in denen das mitbestimmungswidrige Verhalten des Arbeitgebers keinen groben Gesetzesverstoß i.S. des § 23 Abs. 3 BetrVG darstelle. Dies folge aus der Schutzbedürftigkeit des Mitbestimmungsrechts.
Der Senat hat zu dieser Frage bisher noch nicht abschließend Stellung genommen. In dem angeführten Beschluß vom 3. Mai 1994 (aaO, zu II B der Gründe) hat er zwar unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung entschieden, daß dem Betriebsrat bei Verletzung seines Mitbestimmungsrechts aus § 87 BetrVG ein Anspruch auf Unterlassung einer mitbestimmungswidrigen Maßnahme zusteht. Dieser Anspruch, der keine grobe Pflichtverletzung des Arbeitgebers i.S. des § 23 Abs. 3 BetrVG voraussetzt, ergibt sich aus der zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat bestehenden besonderen Rechtsbeziehung. Diese wird durch die Rechte und Pflichten bestimmt, die in den einzelnen Mitwirkungstatbeständen normiert sind oder sich aus dem Gebot des § 2 BetrVG zur vertrauensvollen Zusammenarbeit ergeben. § 23 Abs. 3 BetrVG steht diesem allgemeinen Unterlassungsanspruch nicht entgegen, denn er enthält keine abschließende Regelung von Unterlassungsansprüchen.
In seinem Beschluß hat der Senat die Frage, ob und inwieweit ein solcher Unterlassungsanspruch auch bei personellen Einzelmaßnahmen in Betracht kommt, ausdrücklich offengelassen. Aus den für die Annahme eines Unterlassungsanspruchs des Betriebsrats im Bereich des § 87 BetrVG maßgeblichen Gründen ergibt sich nicht zwingend ein allgemeiner Unterlassungsanspruch, der auch gegen die Verletzung anderer Mitbestimmungsrechte geltend gemacht werden kann. Ein solcher Anspruch ist vielmehr auszuschließen, soweit das Betriebsverfassungsrecht zum Schutz von Mitbestimmungsrechten besondere Verfahren zur Verfügung stellt, die so weitreichend und wirksam sind, daß sie als abschließende Regelung angesehen werden müssen.
Die §§ 100 und 101 BetrVG enthalten spezielle Regelungen für den Fall, daß personelle Einzelmaßnahmen ohne ordnungsmäßige Beteiligung des Betriebsrats durchgeführt werden. In § 100 BetrVG ist bestimmt, unter welchen Voraussetzungen und wie lange der Arbeitgeber eine personelle Maßnahme vorläufig ohne Zustimmung des Betriebsrats durchführen darf, und § 101 BetrVG eröffnet dem Betriebsrat die Möglichkeit, die Aufhebung mitbestimmungswidriger Personalmaßnahmen zu erzwingen. Die Reichweite dieser Regelungen ist allerdings begrenzt. Ein allgemeiner Unterlassungsanspruch würde dem Betriebsrat die weitergehende Möglichkeit bieten, mitbestimmungswidrige Personalmaßnahmen des Arbeitgebers von vornherein zu verhindern, während der Aufhebungsanspruch nach § 101 BetrVG nur im nachhinein wirken kann und daher bei vorübergehenden Maßnahmen, die sich vor Rechtskraft der Gerichtsentscheidung erledigen, ins Leere geht. Dies gilt beispielsweise bei wiederholten kurzzeitigen Versetzungen, wie sie im vorliegenden Fall in Frage stehen. Ob diese Schutzlücke so groß ist, daß die §§ 100 und 101 BetrVG nicht als abschließende Regelung für den Bereich der personellen Maßnahmen nach § 99 BetrVG anzusehen sind, und inwieweit ergänzend ein allgemeiner Unterlassungsanspruch in Betracht kommt, kann hier freilich offenbleiben.
2. Der Unterlassungsantrag des Betriebsrats ist jedenfalls deshalb unbegründet, weil er in globaler Weise auch Personalmaßnahmen umfaßt, bei denen kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats besteht.
Ein Globalantrag, mit dem die Unterlassung einer bestimmten Handlung für viele denkbare Fallgestaltungen begehrt wird, ist nur dann begründet, wenn der Antragsteller die Unterlassung für alle erfaßten Fallgestaltungen verlangen kann. Ist diese Voraussetzung auch nur teilweise nicht erfüllt, so muß der Antrag im ganzen als unbegründet zurückgewiesen werden, wenn nicht der begründete Teil dem Antrag selbst als Teilziel des Verfahrens zu entnehmen ist. Das Gericht darf nicht dahin erkennen, daß der geltend gemachte Anspruch unter einschränkenden Voraussetzungen gegeben ist, obwohl diese nicht als Inhalt des Antrags anzusehen sind. Eine solche Tenorierung würde den Gegenstand des Verfahrens verändern und damit § 308 ZPO verletzen. Es würde nicht weniger als beantragt zugesprochen, sondern etwas anderes (Senatsbeschluß vom 3. Mai 1994, aaO, zu II C 1 der Gründe, m.w.N.). Diese Bedenken können in manchen Fällen durch eine klarstellende Antragsbegründung oder Hilfsanträge ausgeräumt werden. Das ist jedoch ausgeschlossen, wenn sich die Einschränkungen auf situationsgebundene Sachverhalte beziehen, die sich nicht im voraus klar bezeichnen lassen. Hier würde die Abgrenzung dem Vollstreckungsverfahren zugewiesen, was unzulässig ist.
Um einen solchen Globalantrag handelt es sich im vorliegenden Fall. Die Arbeitgeberin soll nämlich jeden Personalwechsel zwischen den Verkaufsbereichen des Möbelhauses unterlassen, dem der Betriebsrat nicht zugestimmt hat. Dies soll ohne Rücksicht darauf gelten, ob im Einzelfall ein dringendes Erfordernis vorliegt, das ihr nach § 100 BetrVG die vorläufige mitbestimmungsfreie Durchführung der Maßnahme erlaubt. Es ist jedoch nicht möglich, die Zurückweisung des Antrags auf die Fälle zu beschränken, in denen die Voraussetzungen des § 100 BetrVG für eine vorläufige mitbestimmungsfreie Personalmaßnahme vorliegen. Eine solche Teilabweisung mag bei einem Feststellungsantrag, der nicht auf einen vollstreckbaren Titel zielt, möglich sein. Im Falle eines Unterlassungsantrags verbietet sie sich jedoch, weil sonst die Prüfung, ob eine Personalmaßnahme wegen dringender Erforderlichkeit vorläufig mitbestimmungsfrei erfolgen kann und daher nicht von dem auf Unterlassung gerichteten Titel umfaßt wird, ins Vollstreckungsverfahren verlagert würde. Die Subsumtion von Einzelfällen unter die unbestimmten Rechtsbegriffe des § 100 BetrVG erfordert aber Wertungen, mit denen die Vollstreckung nicht belastet werden darf.
3. Da dem Betriebsrat der geltend gemachte Anspruch selbst bei Annahme eines allgemeinen Unterlassungsanspruchs nicht zustehen kann, kommt es nicht mehr darauf an, ob in allen denkbaren Fällen des Personalwechsels zwischen den Verkaufsbereichen des Möbelhauses ein Mitbestimmungsrecht nach § 99 BetrVG besteht.
Dieterich Rost Wißmann
Muhr Giese
Fundstellen
Haufe-Index 436826 |
BAGE 00, 00 |
BAGE, 379 |
BetrVG, (42) (LT1) |
NZA 1995, 488 |
NZA 1995, 488-489 (LT1) |
AP § 23 BetrVG 1972 (LT1), Nr 24 |
AR-Blattei, ES 530.14.1 Nr 56 (LT1) |
EzA § 23 BetrVG 1972, Nr 37 (LT1) |