Orientierungssatz
(Verlängerung der Frist des § 99 Abs 3 BetrVG durch Tarifvertrag)
Parallelsache zu BAG Beschluß vom 22.10.1985 1 ABR 42/84.
Verfahrensgang
LAG München (Entscheidung vom 02.08.1983; Aktenzeichen 1 TaBV 6/83) |
ArbG München (Entscheidung vom 20.10.1982; Aktenzeichen 23b BV 3/82 W) |
Gründe
A. Der Arbeitgeber, der Antragsteller des vorliegenden Verfahrens, ist ein Unternehmen der Papierverarbeitung. Auf die Arbeitsverhältnisse der bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer finden die Tarifverträge für die Papier, Pappe und Kunststoff verarbeitende Industrie Anwendung. Für die gewerblichen Arbeitnehmer trat am 1. Februar 1981 ein neuer Lohnrahmentarifvertrag (LRTV) in Kraft, der eine Neueingruppierung aller Arbeitnehmer erforderlich machte.
In § 3 Nr. 4 LRTV heißt es, daß sich das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Ein- und Umgruppierungen nach den gesetzlichen Bestimmungen (§§ 99 ff. BetrVG) richte. In einer Protokollnotiz zum LRTV heißt es:
...
Verweigert der Betriebsrat gemäß § 99 BetrVG sei-
ne Zustimmung, so hat er dies unter Angabe der
Gründe dem Arbeitgeber schriftlich mitzuteilen.
Diese Mitteilung hat - abweichend von der gesetz-
lichen Regelung - spätestens bis zum Ablauf von
vier Wochen seit der Unterichtung durch den Ar-
beitgeber zu erfolgen, andernfalls gilt die Zu-
stimmung als erteilt.
Am 31. März 1981 unterrichtete der Arbeitgeber den Betriebsrat dahin, daß er beabsichtige, den Arbeitnehmer B. in die Lohngruppe VI einzustufen. Mit Schreiben vom 14. April 1981 verweigerte der Betriebsrat seine Zustimmung zu der vorgesehenen Eingruppierung und begründete dies im einzelnen.
Der Arbeitgeber hat daraufhin das vorliegende Verfahren anhängig gemacht und beantragt,
die Zustimmung des Betriebsrats zur Eingrup-
pierung des ... Arbeitnehmers B. in die Lohn-
gruppe VI LRTV zu ersetzen.
Der Betriebsrat hat beantragt, den Antrag abzuweisen. Er ist der Ansicht, der Arbeitnehmer B. sei in die Lohngruppe VII einzugruppieren.
Er hat zusätzlich beantragt
festzustellen, daß die Zustimmung des Betriebs-
rats zur Eingruppierung des Arbeitnehmers B. in
Lohngruppe VI nicht als erteilt gilt.
Das Arbeitsgericht hat den Antrag des Arbeitgebers mangels eines Rechtsschutzinteresses als unzulässig abgewiesen. Die Zustimmung des Betriebsrats gelte als erteilt. Es hat auch den Feststellungsantrag des Betriebsrats als unzulässig abgewiesen, weil auch für diesen ein Feststellungsinteresse nicht gegeben sei. Gegen die Entscheidung des Arbeitsgerichts hat der Betriebsrat Beschwerde eingelegt und beantragt,
den Antrag des Arbeitgebers (auf Ersetzung
der Zustimmung) als unbegründet abzuweisen.
Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde zurückgewiesen und sich der Auffassung des Arbeitsgerichts angeschlossen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde erstrebt der Betriebsrat die Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen und die Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht. Die Antragstellerin hat sich in der Rechtsbeschwerdeinstanz nicht geäußert und auch in der Beschwerdeinstanz lediglich die von ihr beabsichtigte Eingruppierung verteidigt und hilfsweise nochmals die Ersetzung der Zustimmung beantragt.
B. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat dessen Beschwerde zu Unrecht zurückgewiesen.
I. Gegen die Zulässigkeit der Beschwerde des Betriebsrats bestehen keine Bedenken. Das Arbeitsgericht hat den Antrag des Betriebsrats, festzustellen, daß die Zustimmung nicht als erteilt gelte, abgewiesen. Schon dadurch ist der Betriebsrat beschwert.
Diesen Antrag hat der Betriebsrat vor dem Landesarbeitsgericht jedoch nicht wiederholt, sondern nur noch seinen Antrag auf Abweisung des Zustimmungsersetzungsantrages als unbegründet weiterverfolgt. Nur über diesen Antrag ist auch in der Rechtsbeschwerdeinstanz zu entscheiden.
II. Das Landesarbeitsgericht durfte den Antrag des Arbeitgebers nicht mit der Begründung abweisen, die Zustimmung des Betriebsrats gelte bereits als erteilt.
1. Die anläßlich des Inkrafttretens des neuen LRTV notwendig werdenden Umgruppierungen der Arbeitnehmer bedurften nach § 99 Abs. 1 BetrVG der Zustimmung des Betriebsrats. Daß die Tarifvertragsparteien im LRTV darauf noch einmal hingewiesen haben, ist unerheblich. Der Betriebsrat hat seine Zustimmung zur beabsichtigten Eingruppierung des Arbeitnehmers B. in die Lohngruppe VI schriftlich unter ausführlicher Angabe der Gründe verweigert. Diese Verweigerung ist allerdings nicht innerhalb der Wochenfrist des § 99 Abs. 3 BetrVG erfolgt, sondern erst etwa zwei Wochen nach der Unterrichtung durch den Arbeitgeber. Das wäre dann nicht rechtzeitig mit der Folge, daß seine Zustimmung als erteilt gilt, wenn er seine Zustimmung innerhalb einer Woche hätte verweigern müssen, wie dies § 99 Abs. 3 BetrVG vorsieht. Die Tarifvertragsparteien haben jedoch die Frist für eventuelle Verweigerungen der Zustimmung zu den notwendig werdenden Umgruppierungen auf vier Wochen verlängert. Daß dies in einer Protokollnotiz zum Tarifvertrag und nicht im Tarifvertrag selbst bestimmt worden ist, ist unerheblich. Protokollnotizen haben die Wirkung von Tarifnormen, wenn sie - wie hier - schriftlich niedergelegt und von beiden Tarifvertragsparteien unterzeichnet sind (BAG Urteil vom 8. Mai 1968 - 4 AZR 243/67 - AP Nr. 6 zu § 611 BGB Croupier; Wiedemann/Stumpf, TVG, 5. Aufl., § 1 Rz 422).
2. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, diese Verlängerung der Frist durch Tarifvertrag sei unwirksam. Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats könnten durch Tarifvertrag nicht erweitert werden. Eine Änderung des Betriebsverfassungsrechts durch Tarifvertrag gelte gemäß § 3 Abs. 2 TVG auch für nicht tarifgebundene Arbeitnehmer, wenn nur der Arbeitgeber tarifgebunden sei. Diesen Arbeitnehmern werde damit eine von den Tarifvertragsparteien gestaltete Betriebsverfassung als verbindlich zugemutet. Dafür fehle den Tarifvertragsparteien mangels einer gesetzlichen Öffnungsklausel die Normsetzungsbefugnis.
Dem vermag der Senat nicht zu folgen. Gemäß § 1 TVG kann der Tarifvertrag Rechtsnormen enthalten, die betriebsverfassungsrechtliche Fragen ordnen können. Damit ist den Tarifvertragsparteien auch grundsätzlich die Befugnis zur normativen Regelung betriebsverfassungsrechtlicher Fragen eingeräumt worden. Inwieweit diese Befugnis dadurch, daß das Betriebsverfassungsgesetz hinsichtlich der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats eine abschließende Regelung enthält, beschränkt worden ist, ist in der Literatur streitig (vgl. die Nachweise bei Wiedemann/Stumpf, aa0, § 1 Rz 250 ff.). Die Frage braucht im vorliegenden Fall nicht abschließend entschieden zu werden. Bei der Verlängerung der Frist des § 99 Abs. 3 BetrVG handelt es sich nicht um eine Erweiterung oder Beschränkung des gesetzlich eingeräumten Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats bei personellen Einzelmaßnahmen. Geregelt wird vielmehr nur das Verfahren bei der Ausübung dieses Mitbestimmungsrechts.
Der Senat hat schon in seiner Entscheidung vom 17. Mai 1983 (BAG 42, 386 = AP Nr. 18 zu § 99 BetrVG 1972) entschieden, daß die Wochenfrist des § 99 Abs. 3 BetrVG durch Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat verlängert werden könne. Der Senat hat dabei darauf abgestellt, daß die Frist von einer Woche den Belangen des Arbeitgebers diene, dem daran gelegen ist, möglichst bald Klarheit darüber zu haben, ob er die in Aussicht genommene personelle Maßnahme endgültig durchführen kann oder nicht. Notwendige personelle Einzelmaßnahmen des Arbeitgebers sollen im Interesse eines reibungslosen Betriebsablaufs durch das Mitbestimmungsverfahren nach § 99 BetrVG nicht dadurch verzögert werden können, daß der Betriebsrat seine Entscheidung über den Antrag des Arbeitgebers auf Zustimmung zu der beabsichtigten personellen Maßnahme über Gebühr verzögert. Rechte oder Belange des von der personellen Maßnahme betroffenen Arbeitnehmers würden durch eine solche Fristverlängerung nicht berührt. Die Frist diene nicht seinem Interesse an möglichst baldiger Klarstellung seiner künftigen Rechtsbeziehungen. Diese Entscheidung hat in der Literatur Zustimmung gefunden (vgl. Faude in Anm. zu AP Nr. 18 zu § 99 BetrVG 1972).
Kann damit der Arbeitgeber durch Vereinbarung mit dem Betriebsrat auf die Einhaltung der Wochenfrist verzichten und eine längere Frist vereinbaren, so kann dies auch durch Tarifvertrag geschehen. Die tarifliche Fristverlängerung gilt nur für Betriebe, deren Arbeitgeber tarifgebunden ist (§ 3 Abs. 2 TVG). Die Tarifvertragsparteien bestimmen damit auch bei der Regelung betriebsverfassungsrechtlicher Fragen nur über Rechte des tarifgebundenen Arbeitgebers. Ihre Befugnis, bei einer Fristverlängerung zu Lasten des tarifgebundenen Arbeitgebers zu handeln, folgt aus der Mitgliedschaft des Arbeitgebers im Arbeitgeberverband, der sich mit seinem Beitritt der Normsetzungsbefugnis der Tarifvertragsparteien unterworfen hat, auch soweit ein Tarifvertrag Rechtspositionen des Arbeitgebers gegenüber dem Betriebsrat anders als gesetzlich geregelt gestaltet.
Hinzu kommt, daß die Verschlechterung der Rechtsstellung des Arbeitgebers gegenüber dem Betriebsrat nur formaler Natur ist und richtig verstanden auch den Interessen des Arbeitgebers dient. Die Verlängerung der Frist zur Verweigerung der Zustimmung auf vier Wochen ist beschränkt auf die anläßlich des Inkrafttretens des neuen Lohnrahmentarifvertrages notwendig werdenden Umgruppierungen. Gerade in einem solchen Fall werden zu einem bestimmten Zeitpunkt eine Vielzahl von Umgruppierungen notwendig, die - würde der Arbeitgeber den Betriebsrat über alle beabsichtigten Umgruppierungen gleichzeitig unterrichten - vom Betriebsrat nicht innerhalb einer Woche geprüft und beraten werden könnten. Der Betriebsrat müßte daher entweder seine Zustimmung zu geplanten Umgruppierungen ohne gründliche Prüfung und damit ohne bestmögliche Begründung vorsorglich verweigern oder mangels ausreichender Zeit sich verschweigen mit der Folge, daß seine Zustimmung als erteilt gilt. Auf letzteres hat der Arbeitgeber keinen Anspruch. Eine vorsorgliche fristgemäße aber nicht fundiert begründete Zustimmungsverweigerung würde ihn nötigen, das Zustimmungsersetzungsverfahren zu betreiben, was zu einem größeren Zeitverlust führen würde als ein längeres Zuwarten auf die Entscheidung des Betriebsrats. Die von den Betriebspartnern bestimmte Verlängerung der Frist des § 99 Abs. 3 BetrVG allein für den Fall der anläßlich des Inkrafttretens des neuen Lohnrahmentarifvertrages erforderlich werdenden Umgruppierungen stellt daher eine ausgewogene und den Interessen beider Betriebspartner letztlich gerecht werdende Regelung dar. Das wird auch daran deutlich, daß - wie das Arbeitsgericht ausdrücklich festgestellt hat - beide Betriebspartner als selbstverständlich von der Wirksamkeit der Fristverlängerung ausgegangen sind und die Antragstellerin im vorliegenden Verfahren zu keiner Zeit die Unwirksamkeit der Fristverlängerung geltend gemacht und die Entscheidung des Arbeitsgerichts und des Landesarbeitsgerichts insoweit verteidigt hat.
3. Rechte des Betriebsrats werden durch die Fristverlängerung nicht zu seinem Nachteil geschmälert. Der Betriebsrat behält sein Recht, einer Umgruppierung aus Anlaß des Inkrafttretens des neuen Tarifvertrages seine Zustimmung aus den in § 99 Abs. 2 BetrVG genannten Gründen zu verweigern. Ihm wird lediglich für seine Entscheidung eine längere Frist eingeräumt. Er erhält damit Gelegenheit, seine Entscheidung gründlicher zu beraten und seine Zustimmungsverweigerung sorgfältiger zu begründen. Das ist eine Verbesserung seiner Rechtsstellung.
Daß eine Fristverlängerung Interessen des von der Umgruppierung betroffenen Arbeitnehmers nicht berührt, hat der Senat schon in der genannten Entscheidung vom 17. Mai 1983 ausgeführt. Für eine Verlängerung der Frist durch Tarifvertrag kann nichts anderes gelten.
Mit dem dargestellten Inhalt berührt die tarifliche Regelung nicht den durch das Betriebsverfassungsgesetz vorgenommenen Ausgleich der Interessen der Betriebspartner an möglichst weitgehender betrieblicher Mitbestimmung einerseits und möglichst weitgehendem mitbestimmungsfreiem Handeln andererseits. Gegen die Zulässigkeit dieser Regelung bestehen daher keine Bedenken, auch wenn man eine Erweiterung von Mitbestimmungsrechten durch Tarifvertrag für unzulässig hält.
4. Der Betriebsrat hat seine Zustimmung innerhalb der tariflichen Frist formgerecht verweigert. Seine Zustimmung kann daher nicht als erteilt gelten. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts muß daher aufgehoben werden. Die Antragstellerin war gehalten, die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats durch das Arbeitsgericht zu beantragen. Darüber, ob der Betriebsrat seine Zustimmung zu Recht verweigert hat, muß in der Sache entschieden werden.
Der Senat kann diese Sachentscheidung nicht treffen. Das Landesarbeitsgericht hat hinsichtlich der vertraglich auszuübenden Tätigkeit des Arbeitnehmers B. keine Feststellungen getroffen. Der Rechtsstreit muß daher an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen werden.
Dr. Kissel Dr. Heither Matthes
Dr. Hoffmann Breier
Fundstellen