Entscheidungsstichwort (Thema)
Auskunftsklage des Arbeitgebers gegen Beschäftigungsgesellschaft
Leitsatz (amtlich)
Eine Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft kann eine Sozialeinrichtung eines Arbeitgebers im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b ArbGG sein, wenn sie mit den früheren Beschäftigten befristete Arbeitsverhältnisse eingeht, um ihnen den Bezug von Kurzarbeitergeld zu ermöglichen.
Normenkette
ArbGG §§ 2, 2a
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die weitere sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluß des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 7. Februar 2001 – 9 Ta 351/00 – aufgehoben.
2. Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluß des Arbeitsgerichts Dortmund vom 9. Mai 2000 – 2 Ca 412/00 – wird zurückgewiesen.
3. Die Beklagte hat die Kosten der sofortigen Beschwerde und der weiteren sofortigen Beschwerde zu tragen.
4. Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 198.863,00 DM festgesetzt
Gründe
I. Die Parteien streiten über die Zulässigkeit des Rechtswegs.
Die Klägerin ist eine Holding-Gesellschaft des Filialeinzelhandels im Zustand der Liquidation. Sie tritt zugleich als Rechtsnachfolgerin ihrer ehemaligen Tochtergesellschaft allkon Logistik GmbH auf. Die Beklagte ist eine Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft für ehemalige Mitarbeiter der sie finanzierenden Gesellschaften.
Bis Ende 1997 bildete die Klägerin mit ihren drei Tochtergesellschaften einen einheitlichen Betrieb. Im Zuge einer Umstrukturierung schlossen Arbeitgeber und Betriebsrat am 6. November 1997 eine Rahmenbetriebsvereinbarung für alle vier Gesellschaften. Danach war geplant, den zu entlassenden Mitarbeitern den Eintritt in eine zu gründende Gesellschaft für die Qualifizierung und Beschäftigung anzubieten. Die in diese Gesellschaft eintretenden Arbeitnehmer sollten in Kurzarbeit Null gehen und Kurzarbeitergeld nach § 175 SGB III erhalten.
In Umsetzung der Rahmenbetriebsvereinbarung schlossen die Gesellschaften mit dem Betriebsrat gleichlautende Sozialpläne. Danach war zB im Sozialplan der allkon Logistik GmbH geregelt:
„§ 2
(1) Sämtlichen Mitarbeitern, die auf den Namenslisten bezeichnet sind, wird alternativ angeboten, zu den Bedingungen des Sozialplanes gem. § 6 freiwillig auszuscheiden oder aber in die BAQ Beschäftigungs- und Qualifizierungs GmbH einzutreten, um dort ein befristetes Arbeitsverhältnis einzugehen.
…
(3) Der Eintritt in die BAQ erfolgt aufgrund abgestimmter Verträge zwischen der allkon Logistik GmbH, der BAQ und dem Arbeitnehmer. In diesen Verträgen wird das Arbeitsverhältnis mit der allkon Logistik GmbH betriebsbedingt aufgehoben und ein befristetes Arbeitsverhältnis mit der BAQ zu den im wesentlichen gleichen Bedingungen abgeschlossen. In dem Vertrag mit der BAQ ist zugleich eine Bestimmung über die Auszahlung und Verwendung der Sozialplanabfindung zu treffen.
…
(6) Die BAQ wird für diese Beschäftigten Kurzarbeit Null anordnen und Kurzarbeitergeld beim Arbeitsamt gem. § 175 SGB III beantragen.
(7) Geschäftsgrundlage für alle Ansprüche nach vorstehendem § 2 ist die Gewährung von Strukturkurzarbeitergeld durch das Arbeitsamt.”
Für anfallende Verwaltungs- und Qualifizierungskosten erhielt die Beklagte von der Klägerin und der allkon Logistik GmbH einen Gesamtbetrag von rund 1,3 Mio. DM.
Die Klägerin ist der Ansicht, die Beklagte müsse einen Teil der Finanzmittel zurückzahlen. Sie hat Klage mit folgenden Anträgen erhoben:
1. Die Beklagte wird verurteilt, Rechnung zu legen über die Verwendung der von der Klägerin an die Beklagte insgesamt geleisteten Beträge von 1.275.676,47 DM, insbesondere Auskunft zu erteilen über den Aufwand, der in den Jahren 1998, 1999 und 2000 zur Verwaltung und Qualifizierung derjenigen Mitarbeiter aufgewandt wurde bzw. aufgewandt wird, die die Beklagte von der Klägerin, der Firma coop Supermarkt GmbH, der Firma PRO Verbrauchermarkt GmbH und der Firma allkon Logistik GmbH übernommen hat.
2. Die Beklagte wird verurteilt, den nach Rechnungslegung sich ergebenden Überschuß (Zahlungen abzüglich nachgewiesener Aufwand) an die Klägerin zurückzuzahlen.
Die Beklagte rügt den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen.
Das Arbeitsgericht hat den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für zulässig erklärt. Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht den beschrittenen Rechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Dortmund verwiesen. Mit der zugelassenen weiteren sofortigen Beschwerde erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
II. Die weitere sofortige Beschwerde der Klägerin hat Erfolg. Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist eröffnet. Die bürgerlich-rechtliche Streitigkeit der Parteien gehört zu den abschließend in §§ 2, 2 a ArbGG aufgezählten Streitigkeiten, für die die Gerichte für Arbeitssachen ausschließlich zuständig sind. Die Zuständigkeit folgt aus § 2 Abs. 1 Nr. 6 iVm. § 2 Abs. 1 Nr. 4 b ArbGG. Danach sind die Gerichte für Arbeitssachen ua. zuständig für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Sozialeinrichtungen des privaten Rechts, soweit nicht eine ausschließliche Zuständigkeit eines anderen Gerichts gegeben ist. Die Beklagte ist als Beschäftigungsgesellschaft eine Sozialeinrichtung der sie finanzierenden Klägerin.
1. Eine Sozialeinrichtung iSv. § 2 Abs. 1 Nr. 4 b ArbGG liegt vor, wenn eine soziale Leistung des Arbeitgebers nach allgemeinen Richtlinien aus einer abgesonderten, besonders zu verwaltenden Vermögensmasse erfolgt(vgl. BAG 24. April 1986 – 6 AZR 607/83 – BAGE 52, 1, 11). Der Terminus Sozialeinrichtung ist eine bedeutungsgleiche zeitgemäßere Bezeichnung für die in § 56 BetrVG 1956 bzw. § 2 Abs. 4 ArbGG aF genannte „Wohlfahrtseinrichtung” (BAG 12. Juni 1975 – 3 ABR 13/74 – BAGE 27, 194, 199). Ebenso wie eine solche Einrichtung dient sie der Verbesserung der sozialen Lebensbedingungen der Arbeitnehmer und/oder ihrer Hinterbliebenen. Diese Voraussetzungen sind auch bei der Einrichtung bzw. Dotierung einer Beschäftigungsgesellschaft gegeben. Dies gebietet die am Sinn des Gesetzes orientierte Auslegung der Zuständigkeitsnormen. Ziel des Arbeitsgerichtsgesetzes ist es, alle bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten, die in greifbarer Beziehung zu Arbeitsverhältnissen stehen, auch prozessual im Rahmen der Arbeitssachen zu erfassen(BAG 3. Februar 1965 – 4 AZR 385/63 – BAGE 17, 59, 62 f.).
2. Richtet der Arbeitgeber innerhalb des Unternehmens eine eigenständige betriebsorganisatorische Einheit mit dem Ziel ein, für diese Mitarbeiter Strukturkurzarbeitergeld beantragen zu können, ist diese als Sozialeinrichtung des Arbeitgebers anzusehen. Nichts anderes gilt, wenn der Arbeitgeber im Sozialplan die Einrichtung einer externen Beschäftigungsgesellschaft initiiert hat. Eine externe Beschäftigungsgesellschaft organisiert im Auftrag des Altarbeitgebers betriebsorganisatorisch eigenständige Einheiten, in denen strukturelle Kurzarbeit Null gem. § 175 SGB III durchgeführt wird. Wenngleich die Beschäftigungsgesellschaft die formale Stellung eines neuen Arbeitgebers erhält, und somit die Leistungen an die Arbeitnehmer auf einem eigenständigen neuen Rechtsgrund basieren, kann sie dennoch als Sozialeinrichtung des bisherigen Arbeitgebers angesehen werden.
3. Die Beklagte ist eine Sozialeinrichtung der Klägerin.
a) Die Tätigkeit der Beklagten als externer Beschäftigungsgesellschaft dient der sozialverträglichen Abwicklung der alten Arbeitsverhältnisse. Die Beklagte ist Arbeitsbeziehungen zu den Arbeitnehmern der Klägerin eingegangen, um ihnen den Bezug von Kurzarbeitergeld zu ermöglichen. Die neuen Rechtsbeziehungen zwischen den übergewechselten Arbeitnehmern und der Beklagten sind Ausfluß der in den Sozialplänen der Klägerin und ihrer Tochtergesellschaften geschaffenen Möglichkeit, durch Begründung eines neuen Beschäftigungsverhältnisses die Arbeitslosigkeit unter Bezug von Kurzarbeitergeld hinauszuzögern und die Aussichten auf dem Arbeitsmarkt durch Qualifizierungsmaßnahmen zu verbessern.
b) Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts scheitert das soziale Element der „Wohlfahrtseinrichtung” nicht daran, daß § 112 Abs. 4 und 5 BetrVG den Arbeitgeber zum Abschluß eines Sozialplans unter Berücksichtigung der sozialen Belange und insbesondere der Aussichten der betroffenen Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt verpflichtet. Die konkrete Errichtung einer Beschäftigungsgesellschaft ist gleichwohl freiwillig. Eine Pflicht, den Arbeitnehmern gerade den Erhalt von Kurzarbeitergeld durch die Einschaltung einer Beschäftigungsgesellschaft zu ermöglichen, ist dem Gesetz nicht zu entnehmen.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Müller-Glöge, Kreft, Linck
Fundstellen
Haufe-Index 643087 |
BAGE, 1 |
DB 2001, 2559 |
FA 2002, 23 |
NZA 2002, 230 |
SAE 2002, 201 |
ZIP 2001, 2059 |
AP, 0 |
DZWir 2002, 21 |
EzA |
NZI 2002, 48 |
ZInsO 2001, 975 |