Entscheidungsstichwort (Thema)
Insolvenzanfechtung. Rückforderung unter dem Druck von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen bzw. durch Zwangsvollstreckung erlangter Entgeltzahlung. Verfassungskonformität der §§ 129 ff. InsO. Unanwendbarkeit von Ausschlussfristen in für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen auf den anfechtungsrechtlichen Rückforderungsanspruch
Leitsatz (redaktionell)
Tarifliche Ausschlussfristen können insolvenzrechtliche Rückgewähransprüche nach § 143 Abs. 1 S. 1 InsO nicht erfassen, auch wenn sie allgemeinverbindlich gelten.
Normenkette
GG Art. 9 Abs. 3; InsO § 131 Abs. 1 Nr. 1; TVG § 5
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 4. September 2012 – 3 Sa 661/12 – unter Zurückweisung der weiter gehenden Revision teilweise aufgehoben.
2. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt (Oder) vom 1. März 2012 – 3 Ca 1664/11 – unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert und zur Klarstellung insgesamt neu gefasst:
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 3.150,54 Euro nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 30. August 2011 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Verpflichtung des Beklagten, Arbeitsentgelt, das er unter dem Druck der Zwangsvollstreckung erlangte, im Weg der Insolvenzanfechtung an die Masse zurückzugewähren.
Der Kläger ist Insolvenzverwalter in dem am 29. August 2011 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der A GmbH (Schuldnerin). Der Insolvenzantrag der DAK vom 17. März 2011 war am 21. März 2011 beim Insolvenzgericht eingegangen. Der Beklagte war als Bauwerker bei der Schuldnerin beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis unterfiel dem allgemeinverbindlichen Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe (BRTV) vom 4. Juli 2002 in seiner jeweiligen Fassung.
Die Schuldnerin wurde durch Versäumnisurteil zur Zahlung des Entgelts für November und Dezember 2010 nebst Zinsen verurteilt. Noch vor Rechtskraft dieses Urteils ließ der Beklagte am 2. März 2011 der Schuldnerin und ihrer Bank als Drittschuldnerin eine Pfändungsankündigung und ein vorläufiges Zahlungsverbot vom 25. Februar 2011 zustellen. Die Schuldnerin überwies daraufhin am 3. März 2011 einschließlich Zinsen insgesamt 3.150,54 Euro an die Prozessbevollmächtigte des Beklagten. Der Betrag wurde dem Konto der Prozessbevollmächtigten des Beklagten gutgeschrieben.
Der Kläger focht die Zahlung mit Schreiben vom 28. Oktober 2011 nach §§ 129 ff., 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO an und forderte den geleisteten Betrag nebst Zinsen von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Insolvenzeröffnung zurück.
Der Kläger hat mit seiner dem Beklagten am 22. November 2011 zugestellten Klage die Auffassung vertreten, der Betrag sei nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO zurückzugewähren. Tarifliche Ausschlussfristen seien auf Ansprüche des Insolvenzverwalters aus § 129 Abs. 1, § 131 Abs. 1, § 143 Abs. 1 Satz 1 InsO nicht anzuwenden. Im Übrigen seien die Rückgewähransprüche nicht verfallen.
Der Kläger hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an ihn 3.150,54 Euro nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit 29. August 2011 zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Auffassung vertreten, es habe sich um eine kongruente Zahlung gehandelt. Im Zeitpunkt der Zahlung sei nicht von einer Krise auszugehen gewesen, weil nicht die Schuldnerin, sondern eine Dritte den Insolvenzantrag gestellt habe. Die Schuldnerin habe von dem Antrag keine Kenntnis haben können. Sie habe zudem freiwillig geleistet, bevor das Versäumnisurteil rechtskräftig geworden sei. Es handle sich um ein Bargeschäft. § 15 BRTV sei auf Rückgewähransprüche anwendbar, weil der Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt sei. Bereits die erste Stufe der Ausschlussfrist sei nicht gewahrt.
Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt der Beklagte weiterhin Klageabweisung.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten ist ganz überwiegend unbegründet. Erfolg hat die Revision nur hinsichtlich des Zinsantrags für den Tag der Insolvenzeröffnung, den 29. August 2011.
A. Die Klage ist zulässig, insbesondere hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Es kommt nicht darauf an, wie sich die Rückgewährforderung auf die einzelnen Vergütungsansprüche des Beklagten für November und Dezember 2010 verteilt.
B. Die Klage ist bis auf den Zinsantrag für den 29. August 2011 begründet. Der Beklagte muss den von der Schuldnerin am 3. März 2011 an seine Prozessbevollmächtigte überwiesenen Betrag von 3.150,54 Euro nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 iVm. § 143 Abs. 1 Satz 1 InsO an die Masse zurückgewähren. Der Rückforderungsanspruch begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken und unterfällt nicht den tariflichen Ausschlussfristen des § 15 BRTV.
I. Anfechtungsgegner ist der Beklagte, obwohl die Zahlung nicht an ihn als Gläubiger, sondern an die von ihm bestellte Empfangsbeauftragte erfolgte (vgl. BAG 27. Februar 2014 – 6 AZR 367/13 – Rn. 11; BGH 17. Dezember 2009 – IX ZR 16/09 – Rn. 12).
II. Der Beklagte erlangte im Monat vor Stellung des Insolvenzantrags – durch die Überweisung vom 3. März 2011 an seine Prozessbevollmächtigte und die spätere Gutschrift auf deren Konto – 3.150,54 Euro, die zu seiner inkongruenten Befriedigung führten. Damit ist der Tatbestand des § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO erfüllt.
1. Um eine inkongruente Deckung im Sinn des Anfechtungsrechts handelt es sich bereits dann, wenn der Schuldner während der „kritischen Zeit” der letzten drei Monate vor dem Eröffnungsantrag oder in der Zeit nach Stellung des Insolvenzantrags unter dem Druck unmittelbar drohender Zwangsvollstreckungsmaßnahmen leistet, um sie zu vermeiden (vgl. BAG 8. Mai 2014 – 6 AZR 465/12 – Rn. 21; 8. Mai 2014 – 6 AZR 722/12 – Rn. 13; 27. Februar 2014 – 6 AZR 367/13 – Rn. 14). Der Schuldner gewährt damit eine Befriedigung, die der Gläubiger „nicht in der Art” zu beanspruchen hat. Unerheblich ist, ob die Zwangsvollstreckung im verfahrensrechtlichen Sinn schon begonnen hatte, als die Leistung des Schuldners erfolgte. Die Inkongruenz wird durch den zumindest unmittelbar bevorstehenden hoheitlichen Zwang begründet (vgl. BAG 24. Oktober 2013 – 6 AZR 466/12 – Rn. 24 f.; 19. Mai 2011 – 6 AZR 736/09 – Rn. 12; BGH 18. Dezember 2003 – IX ZR 199/02 – zu I 2 a aa der Gründe, BGHZ 157, 242).
a) Die Schuldnerin erbrachte die angefochtene Zahlung von 3.150,54 Euro aufgrund der ihr am 2. März 2011 zugestellten Vorpfändung und damit unter dem Druck der Zwangsvollstreckung (BAG 27. Februar 2014 – 6 AZR 367/13 – Rn. 16). Entgegen der Ansicht des Beklagten ist unerheblich, dass das Versäumnisurteil noch nicht rechtskräftig war. Es war nach § 62 Abs. 1 Satz 1 ArbGG vorläufig vollstreckbar.
b) Das Bargeschäftsprivileg des § 142 InsO scheidet bereits deshalb aus, weil die Zahlung nicht aufgrund einer Vereinbarung zwischen der Schuldnerin und dem Beklagten, sondern unter dem Druck der Zwangsvollstreckung mit der Folge inkongruenter Befriedigung geleistet wurde (vgl. BAG 8. Mai 2014 – 6 AZR 722/12 – Rn. 16; 24. Oktober 2013 – 6 AZR 466/12 – Rn. 38 f. mwN). Muss der Gläubiger den Schuldner durch die Zwangsvollstreckung oder die Drohung mit ihr zur Leistung zwingen, liegt der Verdacht nahe, dass der Schuldner nicht zahlungsfähig ist. Eine solche Leistung ist nicht insolvenzfest (vgl. BAG 19. Mai 2011 – 6 AZR 736/09 – Rn. 16).
2. Die zeitlichen Voraussetzungen des § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO sind erfüllt.
Das Landesarbeitsgericht hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass der Insolvenzantrag der DAK vom 17. März 2011 am 21. März 2011 beim Insolvenzgericht einging. Die Revision erhebt insoweit keine Rügen und ist schon in zweiter Instanz nicht auf ihr früheres unzulässiges Bestreiten mit Nichtwissen im ersten Rechtszug zurückgekommen. Die Vorinstanzen haben zu Recht angenommen, dass die Tatsache und der Zeitpunkt des Insolvenzantrags zugestanden sind (§ 138 Abs. 3 ZPO). Die Leistungshandlung wurde durch die Überweisung vom 3. März 2011 vorgenommen, der Leistungserfolg wurde durch die spätere Gutschrift bewirkt. Der Leistungserfolg trat im letzten Monat vor dem nach § 139 Abs. 1 Satz 1 InsO maßgeblichen Eingang des Eröffnungsantrags beim Insolvenzgericht am 21. März 2011 ein. Weitere tatbestandliche Voraussetzungen enthält § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO nicht. Es ist deswegen entgegen der Auffassung des Beklagten unerheblich, dass der Insolvenzantrag nicht von der Schuldnerin gestellt wurde und dass die Schuldnerin im Zeitpunkt des Eintritts des Leistungserfolgs nach seiner Behauptung keine Kenntnis von dem Antrag hatte.
III. § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Er verletzt insbesondere nicht die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG oder den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG iVm. dem durch Art. 20 Abs. 1 GG gewährleisteten Sozialstaatsprinzip. Das hat der Senat in mehreren Entscheidungen eingehend begründet (vgl. BAG 8. Mai 2014 – 6 AZR 722/12 – Rn. 23 ff.; 27. Februar 2014 – 6 AZR 367/13 – Rn. 19 ff., 27 ff. mit zustimmender Anm. Froehner NZI 2014, 562; s. auch 8. Mai 2014 – 6 AZR 465/12 – Rn. 24; 29. Januar 2014 – 6 AZR 345/12 – Rn. 17 ff.). Darauf nimmt der Senat Bezug, um Wiederholungen zu vermeiden. Hervorzuheben ist, dass eine verfassungskonforme Auslegung der §§ 129 ff. InsO zum Schutz des Existenzminimums in Fällen der hier gegebenen inkongruenten Deckung durch Erfüllung von Entgeltrückständen unter dem Druck der Zwangsvollstreckung ausscheidet. Bei solchen Vergütungsrückständen können Arbeitnehmer die zur Sicherung des Existenzminimums vorgesehenen und geeigneten staatlichen Hilfen in Anspruch nehmen (vgl. BAG 27. März 2014 – 6 AZR 989/12 – Rn. 43; 27. Februar 2014 – 6 AZR 367/13 – Rn. 34; 29. Januar 2014 – 6 AZR 345/12 – Rn. 43).
IV. Der geltend gemachte Anspruch besteht fort. Dabei kann dahinstehen, ob der Kläger die Frist des § 15 BRTV gewahrt hat, wie das Landesarbeitsgericht angenommen hat. Der insolvenzrechtliche Rückgewähranspruch aus § 143 Abs. 1 Satz 1 InsO unterfällt entgegen der Ansicht des Beklagten auch Ausschlussfristen in Tarifverträgen, die für allgemeinverbindlich erklärt sind, nicht. Zwar ist die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen im Verhältnis zu den ohne sie nicht tarifgebundenen Arbeitgebern und Arbeitnehmern ein Rechtssetzungsakt eigener Art zwischen autonomer Regelung und staatlicher Rechtssetzung, der zur Folge hat, dass der Geltungsbefehl der tariflichen Norm auch vom Gesetzgeber ausgeht, der die von den Koalitionen geschaffene Rechtsordnung in seinen Willen aufgenommen hat. Dieser Rechtssetzungsakt findet jedoch seine eigenständige Rechtsgrundlage in Art. 9 Abs. 3 GG. Die allgemeinverbindliche Tarifnorm ist nicht Ergebnis einer vom Staat selbst bestimmten Rechtssetzung. Den normativen Inhalt des allgemeinverbindlichen Tarifvertrags legen allein die Tarifvertragsparteien fest (BVerfG 24. Mai 1977 – 2 BvL 11/74 – [Allgemeinverbindlicherklärung I] zu B II 1 b und 2 b der Gründe, BVerfGE 44, 322). Die normative Regelungsmacht der Tarifvertragsparteien erstreckt sich aber nicht auf das gesetzliche Schuldverhältnis der §§ 129 ff. InsO. §§ 129 ff. InsO begründen ohne jede Rücksicht auf ein in der Insolvenz fortbestehendes oder ein früheres Arbeitsverhältnis mit dem Insolvenzschuldner ein gesetzliches Schuldverhältnis, das der Regelungsmacht der Tarifvertragsparteien entzogen ist. Mit diesen Vorschriften hat der Gesetzgeber ein mit Ausschlussfristen unvereinbares, in sich geschlossenes Regelungssystem vorgegeben, das den Besonderheiten der Materie Rechnung trägt, wegen des Ziels der abschließenden Gesamtregelung zwingenden Charakter aufweist und tarifliche Ausschlussfristen verdrängt. Der Senat hat das in seiner jüngeren Rechtsprechung ausführlich begründet und nimmt darauf Bezug (vgl. BAG 27. Februar 2014 – 6 AZR 367/13 – Rn. 35 ff.; 24. Oktober 2013 – 6 AZR 466/12 – Rn. 18 ff.; zustimmend Froehner Anm. NZI 2014, 133, 134; Hamann/ Böing jurisPR-ArbR 7/2014 Anm. 1; Knof/Stütze EWiR 2014, 359).
V. Der Beklagte hat den Rückgewähranspruch des Klägers seit 30. August 2011 – dem Folgetag der Insolvenzeröffnung – mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen (§ 143 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 819 Abs. 1, § 291 Satz 1 Halbs. 2, § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB). Die Verzinsungspflicht beginnt nach § 187 Abs. 1 BGB erst mit dem Folgetag der Fälligkeit (vgl. BAG 8. Mai 2014 – 6 AZR 465/12 – Rn. 26; 27. Februar 2014 – 6 AZR 367/13 – Rn. 39 f.).
C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
Unterschriften
Fischermeier, Spelge, Krumbiegel, Lorenz, M. Geyer
Fundstellen
Haufe-Index 7253879 |
AP 2015 |
ZInsO 2014, 2286 |
GWR 2014, 419 |