Entscheidungsstichwort (Thema)
Konstitutive oder deklaratorische Regelung in einer Betriebsvereinbarung
Orientierungssatz
Hinweise des Senats:
"Auslegung einer Betriebsvereinbarung, wonach Mitarbeiter eine zusätzliche betriebliche Versorgung erhalten, "wie sie entsprechend den Regelungen in den einzelnen Anstellungsverträgen festgelegt ist"."
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 6. Oktober 1998 - 1 Sa 675/98 - wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darum, ob der Kläger von der Beklagten im Versorgungsfall Leistungen der betrieblichen Altersversorgung beanspruchen kann.
Der Kläger war ursprünglich bei der Deutschen Bundesbahn, Bundesbahndirektion München, als Beamter beschäftigt. Er wurde dort mit Verfügung vom 10. Juli 1990 beurlaubt, um bei der Beklagten, deren Gesellschafterinnen damals die Deutsche Bundesbahn und die Landeshauptstadt München waren, als Angestellter tätig zu werden. Nach dem Anstellungsvertrag vom 30. Juli 1990 erhielt der Kläger ein Gehalt in Höhe der Dienstbezüge eines Beamten der Besoldungsgruppe A 11 des Bundesbesoldungsgesetzes. In § 6 des Vertrages heißt es weiter:
"§ 6
Versorgungsregelung
Gemäß den Beschlüssen des Aufsichtsrates und der Gesellschafterversammlung vom 10. Juli 1986 werden von der Gesellschaft keine Versorgungszusagen mehr gegeben."
Zum Zeitpunkt des Abschlusses des Anstellungsvertrages galt im Betrieb der Beklagten eine "Betriebsvereinbarung zur Regelung der Arbeitsbedingungen ... vom 2. Januar 1973 in der Neufassung vom 2. Januar 1985". In dieser Betriebsvereinbarung heißt es ua.:
"§ 6
Betriebliche Versorgung
(1) Nach mindestens sechsjähriger Tätigkeit beim MVV erhalten die Mitarbeiter von der Gesellschaft eine zusätzliche betriebliche Versorgung, wie sie entsprechend den Regelungen in den einzelnen Anstellungsverträgen festgelegt ist.
(2) Zu der in den Anstellungsverträgen für die einzelnen Mitarbeiter festgelegten Versorgungsregelung hat der Aufsichtsrat für den MVV am 15. Juli 1971 folgenden schriftlichen Beschluß gefaßt: "Der Aufsichtsrat stimmt den Versorgungsregelungen in den Anstellungsverträgen für die Mitarbeiter der Gesellschaft in der vorgelegten Fassung zu unter der Maßgabe, bei der Bemessung des Versorgungsanspruchs nach dem Prinzip zu verfahren, daß eine Besoldungsgruppe höher als die voraussichtliche Pensionserwartung bei der Deutschen Bundesbahn bzw. bei der Landeshauptstadt München als Versorgungsverpflichtung der Gesellschaft in den Anstellungsvertrag eingesetzt wird."
..."
Zum Zeitpunkt des Abschlusses und der Ergänzung der Betriebsvereinbarung wurden im Betrieb der Beklagten für Mitarbeiter, die von Seiten der Deutschen Bundesbahn oder der Landeshauptstadt München für die Dienstleistung bei der Beklagten beurlaubt waren, Arbeitsvertragsformulare zugrunde gelegt, welche der Aufsichtsrat der Beklagten zur Kenntnis genommen hatte.
Aufsichtsrat und Gesellschafterversammlung der Beklagten beschlossen am 10. Juli 1986, daß von Seiten der Beklagten keine Versorgungszusagen mehr erteilt werden. Seit dem Jahre 1986 hat die Beklagte dann auch in den Anstellungsverträgen Versorgungsansprüche ausdrücklich ausgeschlossen. Die Betriebsvereinbarung zur Regelung der Arbeitsbedingungen vom 2. Januar 1973 in der Neufassung vom 2. Januar 1985 wurde von der Beklagten "im Hinblick auf die angestrebte Neufassung der betrieblichen Versorgung" unter Einhaltung der gesetzlichen Frist zum 30. Juni 1995 gekündigt.
Der Kläger hat behauptet, wären in der Zeit nach 1986 Arbeitnehmer, die keine leitenden Angestellten waren, von der Landeshauptstadt München zur Beklagten gewechselt, hätten sie ausweislich des Beschlusses von Aufsichtsrat und Gesellschafterversammlung eine entsprechende Versorgungszusage erhalten, die allerdings von der Landeshauptstadt refinanziert worden wäre. Ihm stehe deshalb im Versorgungsfall eine seiner letzten Vergütung entsprechende betriebliche Altersversorgung zumindest nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz zu. Darauf komme es aber nicht einmal an, weil der Anspruch sich unmittelbar aus der Betriebsvereinbarung und aus betrieblicher Übung ergebe.
Der Kläger hat, soweit in der Revisionsinstanz noch von Interesse, beantragt
festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, ihm bei Eintritt des Versorgungsfalles Ruhegeld aus der Versorgungszusage vom 2. Januar 1973 in der Neufassung vom 2. Januar 1985 aus der Besoldungsgruppe A 12 zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Nach ihrer Auffassung begründet die Betriebsvereinbarung keinen eigenständigen Anspruch auf Versorgung.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten und die Klageerweiterung durch den Kläger im Wege der Anschlußberufung wegen einer etwaigen Höherstufung in die Besoldungsgruppe A 13 hat das Landesarbeitsgericht die Klage insgesamt abgewiesen. Mit seiner Revision strebt der Kläger die Wiederherstellung des Urteils erster Instanz an.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat seine Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Leistung der betrieblichen Altersversorgung.
I. Der Kläger hat keinen arbeitsvertraglichen Anspruch auf Zusatzversorgung. § 6 des Anstellungsvertrages vom 30. Juli 1990 schließt einen solchen Anspruch ausdrücklich aus.
II. Der Kläger hat auch keine Versorgungsanwartschaft auf der Grundlage von § 6 der Betriebsvereinbarung vom 2. Januar 1973/2. Januar 1985 (im Folgenden: BV) erworben. § 6 BV ist keine betriebsverfassungsrechtliche Anspruchsgrundlage, welche die arbeitsvertragliche Festlegung nach § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG verdrängen könnte. Die Bestimmung weist die Arbeitnehmer lediglich darauf hin, daß bei der Beklagten zum Zeitpunkt des Abschlusses der als allgemeine Betriebs- und Arbeitsordnung konzipierten Betriebsvereinbarung nach sechsjähriger Betriebszugehörigkeit auf der Grundlage einzelvertraglicher Festlegungen Versorgungsrechte erworben werden konnten. Sie dokumentiert darüber hinaus die nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 erforderliche Zustimmung des Betriebsrats zu den bei der Beklagten damals praktizierten vertraglichen Versorgungszusagen.
1. § 6 BV enthält weder in Abs. 1 noch in Abs. 2 eine in sich geschlossene Regelung über Leistungen der betrieblichen Altersversorgung. Bestimmungen dazu, für welche Versorgungsfälle Versorgungsleistungen in Aussicht gestellt werden und wie sie zu berechnen sind, enthält die Betriebsvereinbarung nicht.
Die Betriebsvereinbarung macht sich auch entgegen der Auffassung des Klägers nicht ein anderweitig geschaffenes, einheitliches Regelwerk über betriebliche Altersversorgung zu eigen. Sie schafft deshalb auf diese Weise auch keine betriebsverfassungsrechtliche Anspruchsgrundlage. Die Betriebspartner haben in beiden Absätzen des § 6 BV nicht auf einen oder mehrere bestimmte Vertragsformulare und die dort enthaltenen betriebsrentenrechtlichen Regelungen hingewiesen, sondern auf die Festlegungen "in den einzelnen Anstellungsverträgen" und "in den Anstellungsverträgen für die einzelnen Mitarbeiter". Auf diese individuellen Vereinbarungen soll es nach dem Willen der Parteien der Betriebsvereinbarung ankommen. Dafür spricht auch, daß die Betriebspartner die Vertragsmuster nicht in anderer Weise, etwa durch Aufnahme in den zur Betriebsvereinbarung erstellten Anhang, zum Gegenstand ihrer Regelung gemacht haben.
2. Das Landesarbeitsgericht weist auch zurecht daraufhin, daß § 6 BV nicht Bestandteil des die Arbeitsverhältnisse unmittelbar und zwingend regelnden besonderen Teils der Betriebsvereinbarung ist, sondern in einem Abschnitt steht, der mit "Verfahrensregelung zu den Vereinbarungen in den Anstellungsverträgen" überschrieben ist. In diesem Abschnitt finden sich Hinweise auf Regelungen über Nebentätigkeiten, Festlegungen, wie bei der Änderung der persönlichen Verhältnisse der Mitarbeiter zu verfahren ist, Hinweise auf Sozialversicherungspflichten sowie auf von der Beklagten abgeschlossene Versicherungen für die Beihilfe zur Krankenversorgung und auf die Praxis bei Trennungs- und Umzugskostenentschädigungen. Es geht in diesem Abschnitt der Betriebsvereinbarung insgesamt nur um die praktische Umsetzung von Regelungen, die in den Anstellungsverträgen oder an anderer Stelle getroffen worden sind und nicht um eigenständige rechtsbegründende Bestimmungen. Dementsprechend kann auch § 6 BV nur der allgemeine Hinweis darauf entnommen werden, daß bei der Beklagten eine vertragliche Praxis dahin besteht, nach mindestens sechsjähriger Tätigkeit bei ihr eine zusätzliche Versorgung entsprechend den einzelvertraglichen Regelungen zu gewähren. Zugleich wird der Inhalt des Aufsichtsratsbeschlusses mitgeteilt, auf dem diese einzelvertragliche Praxis beruht.
3. Allein der Umstand, daß sich die vom Kläger angezogene Bestimmung in einer Betriebsvereinbarung findet, spricht nicht dafür, daß hier eine eigenständige rechtsbegründende Regelung geschaffen wurde. Es ist für eine Betriebsvereinbarung, die als inhaltlich umfassende Betriebsordnung konzipiert ist, typisch, daß auf allgemein im Betrieb geltende Regelungen ohne eigenen Gestaltungswillen hingewiesen wird. So sind die Betriebspartner während des gesamten ersten Abschnitts der Betriebsvereinbarung, in §§ 1 bis 9, verfahren. Erst ab § 10 BV haben sie gestaltende Regelungen getroffen.
III. Das Landesarbeitsgericht hat überzeugend begründet, daß der Kläger weder einen Anspruch aus betrieblicher Übung noch aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz hat. Der Kläger ist dem in der Revisionsinstanz auch nicht entgegengetreten.
1. Eine betriebliche Übung zugunsten des Klägers scheidet aus. Die bei der Beklagten bestehende Übung, zusätzliche Versorgungszusagen zu erteilen, ist von ihr vor Begründung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger aufgegeben worden. Sie hat diese Aufgabe auch durch Aufnahme einer klarstellenden Bestimmung in die danach abgeschlossenen Arbeitsverträge verbindlich umgesetzt.
2. Ein Anspruch aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz scheidet ebenfalls aus. Es ist nicht zu beanstanden, daß die Beklagte von einem bestimmten Stichtag an keine zusätzlichen Versorgungszusagen mehr erteilt hat. Daß etwa von der Landeshauptstadt München übernommene Mitarbeiter auch nach 1986 Versorgungszusagen erhalten hätten, ändert an der für den Kläger geltenden Rechtslage nichts. Die Beklagte schuldet, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat, keine hypothetische Gleichbehandlung. Zudem wäre der Kläger mit von der Landeshauptstadt München übernommenen Mitarbeitern hinsichtlich der Erteilung von Versorgungszusagen nicht vergleichbar gewesen, weil die Mittel für die Erfüllung von Versorgungszusagen an diese Mitarbeiter von der Landeshauptstadt München übernommen worden wären, während die Beklagte ein Versorgungszusage gegenüber dem Kläger selbst hätte finanzieren müssen.
Reinecke Kremhelmer Bepler
Reissner G. Hauschild
Fundstellen