Entscheidungsstichwort (Thema)
Pfändungsrang bei mehreren Unterhaltsgläubigern
Leitsatz (amtlich)
Der Anordnung des Vollstreckungsgerichts, daß Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse mehrerer Unterhaltsgläubiger mit rückwirkender Wirkung gleichrangig zu behandeln sind, braucht der Schuldner für die Vergangenheit nur insoweit nachzukommen, als er im Zeitpunkt der Kenntniserlangung von der Anordnung noch keine Zahlung geleistet hat, (Fortführung von BAG Urteil vom 16. Mai 1990 – 4 AZR 145/90 –, zur Veröffentlichung vorgesehen)
Normenkette
ZPO §§ 850 d, 836 Abs. 2
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 07.03.1990; Aktenzeichen 2 Sa 135/89) |
ArbG Reutlingen (Urteil vom 04.09.1989; Aktenzeichen 4 Ca 325/89) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 7. März 1990 – 2 Sa 135/89 – aufgehoben.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Reutlingen vom 4. September 1989 – 4 Ca 325/89 – wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat auch die Kosten der Rechtsmittelinstanzen zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin, ein nichteheliches Kind des Schuldners, hat durch Pfändungs- und Überweisungsbeschluß des Amtsgerichts R… vom 18. Mai 1988 – M 2340/88 – die Vergütungsansprüche des Schuldners gegen die Beklagte wegen Unterhaltsforderungen gepfändet. Dem Schuldner wurde hierbei ein monatliches Nettoeinkommen von 1.000,– DM belassen. Ein weiteres nichteheliches Kind des Schuldners, Thomas W…, hat durch Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse vom 22. November 1988 und 7. März 1989 ebenfalls das Arbeitseinkommen des Schuldners gegen die Beklagte gepfändet. Auf Antrag des Pfändungsgläubigers W… entschied das Amtsgericht R… durch Beschluß vom 28. März 1989 (M 5225/88, 2340/88, 1180/89), daß die Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse vom 18. Mai 1988, 22. November 1988 und 7. März 1989 gleichrangig zu behandeln sind und dies sowohl für den laufenden Unterhalt als auch für die Rückstände gelte. Den dem Schuldner monatlich zu belassenden pfandfreien Betrag hat das Amtsgericht einheitlich auf 950,– DM festgesetzt. Der Schuldner ist am 20. April 1989 aus den Diensten der Beklagten ausgeschieden.
Bereits vor Erlaß des Beschlusses vom 28. März 1989 zahlte die Beklagte an den Pfändungsgläubiger W… ab Januar 1989 monatlich 235,– DM. Wäre die Beklagte für die Monate Januar bis März 1989 nach dem Pfändungs- und Überweisungsbeschuß des Amtsgerichts R… vom 18. Mai 1988 verfahren, hätte sie an die Klägerin noch weitere 907,65 DM zu zahlen. Diesen Betrag fordert die Klägerin von der Beklagten.
Die Klägerin hat vorgetragen, dem Beschluß des Amtsgerichts R… vom 28. März 1989 komme keine Rückwirkung zu. Dies träfe nur zu, wenn der Beschluß die Rückwirkung angeordnet hätte. Daran fehle es jedoch vorliegend.
Die Klägerin hat zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 907,65 DM nebst 8 % Zinsen seit 21. Juni 1989 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, daß dem Beschluß des Amtsgerichts R… vom 28. März 1989 rückwirkende Kraft beigemessen werden müsse. Dies ergebe sich insbesondere daraus, daß nach dem Beschluß des Amtsgerichts die Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse sowohl hinsichtlich des laufenden Unterhalts als auch der Rückstände gleichrangig zu behandeln seien. Sie habe jedenfalls von der rückwirkenden Kraft des Beschlusses des Amtsgerichts ausgehen können.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht unter Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist die Beklagte unter Beschränkung der Zinsen auf 4 % antragsgemäß verurteilt.
Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Klägerin beantragt Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Recht abgewiesen. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, die pfändbaren Beträge nach dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluß des Amtsgerichts R… vom 18. Mai 1988 – M 2340/88 – an die Klägerin abzuführen.
Denn die Beklagte ist und durfte auch für die Monate Januar bis März 1989 nach dem Beschluß des Amtsgerichts R… vom 28. März 1989 verfahren. Danach sind die Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse, die die Klägerin einerseits und der Unterhaltsgläubiger W… andererseits erwirkt haben, gleichrangig zu behandeln, so daß die Beklagte für den Klagezeitraum an die Klägerin keinen höheren Betrag zu zahlen braucht als an den Unterhaltsgläubiger W….
Nach § 850 d Abs. 2 Buchst. a Halbsatz 2 ZPO kann das Vollstreckungsgericht das Rangverhältnis der berechtigten minderjährigen unverheirateten Kinder zueinander nach billigem Ermessen in anderer Weise als nach dem durch die zeitliche Reihenfolge bestimmten Rang festsetzen, d.h. – wie vorliegend geschehen – die Gleichrangigkeit auch auf den gesamten pfändbaren Teil des Lohnes beziehen. Wenn danach die Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse der Klägerin einerseits (vom 18. Mai 1988) und des Pfändungsgläubigers W… andererseits (vom 22. November 1988 und 7. März 1989) gleichrangig zu behandeln sind und das Vollstreckungsgericht seine Entscheidung ausdrücklich auf den gesetzlichen Grundsatz des § 850 d Abs. 2 ZPO stützt, muß daraus gefolgert werden, daß das Amtsgericht damit die Gleichrangigkeit der Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse seit dem Zeitpunkt ihres Erlasses feststellen wollte. Gleicher Rang bedeutet insoweit, daß jeder pfändende Unterhaltsgläubiger mit anderen pfändenden Unterhaltsgläubigern auf gleicher Stufe steht. Mit der Feststellung der Gleichrangigkeit wollte das Amtsgericht beide Unterhaltsgläubiger gleichmäßig behandeln. Nur so konnte auch die Beklagte, als Drittschuldner den Beschluß vom 28. März 1989 verstehen.
Daraus folgt, daß die Anordnung des Amtsgerichts, daß die Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse gleichrangig zu behandeln sind, damit automatisch auf den Zeitpunkt des Erlasses der Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse zurückwirkt. Dadurch wird die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht berührt, wonach ein Änderungsbeschluß des Vollstreckungsgerichts bezüglich der pfändbaren Beträge nicht automatisch Rückwirkung hat, sondern nur dann rückwirkende Kraft entfaltet, wenn der Änderungsbeschluß sich diese ausdrücklich beilegt oder sie zweifelsfrei aus den Gesamtumständen entnommen werden kann (BAG Urteil vom 11. Januar 1961 – 5 AZR 295/60 – AP Nr. 4 zu § 850 d ZPO). Es handelt sich hier um einen typischen Fall, in dem eine Rückwirkung erkennbar gemeint ist und daher auch von den Gerichten für Arbeitssachen zu berücksichtigen ist (vgl. BAG Urteil vom 9. Dezember 1961 – 5 AZR 300/61 – AP Nr. 8 zu § 850 d ZPO).
Auch wenn damit dem Beschluß des Amtsgerichts R… vom 28. März 1989 automatisch rückwirkende Bedeutung zukommt, bedeutet dies noch nicht, daß der Drittschuldner in jedem Falle danach verfahren muß. Für ihn gilt vielmehr die Vorschrift des § 836 Abs. 2 ZPO, daß er sich nach einem Überweisungsbeschluß solange richten kann, bis dieser aufgehoben wird und die Aufhebung zu seiner Kenntnis gelangt ist. Wenn aber der Drittschuldner – wie im vorliegenden Fall – auf einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluß keine Zahlungen leistet, kann er sich nach einer Aufhebung dieses Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses gegenüber dem wahren Berechtigten (hier: gegenüber dem Pfändungsgläubiger W… nicht auf § 836 Abs. 2 ZPO berufen und Zahlungen für die Zeit vor Bekanntwerden des Aufhebungsbeschlusses verweigern (BAG Urteil vom 16. Mai 1990 – 4 AZR 145/90 zur Veröffentlichung vorgesehen)). Das bedeutet, daß die Beklagte nach Bekanntwerden des Änderungsbeschlusses vom 28. März 1989 nach diesem auch für die Vergangenheit verfahren mußte und demgemäß den Unterhaltsgläubiger W… entsprechend befriedigen mußte, soweit sie das nicht bereits vorher getan hatte. Die Beklagte würde doppelt belastet, wenn sie nunmehr auch noch an die Klägerin gemäß dem ursprünglichen Pfändungs- und Überweisungsbeschluß Zahlungen erbringen müßte.
Die Beklagte braucht an die Klägerin für die Monate Januar bis März 1989 auch nicht monatlich 25,– DM zu zahlen, weil nach dem Änderungsbeschluß des Amtsgerichts R… vom 28. März 1989 dem Schuldner nicht mehr – wie bisher – 1.000,– DM, sondern nur noch 950,– DM zu belassen sind, so daß an jeden der beiden Unterhaltsgläubiger monatlich weitere 25,– DM zu zahlen sind. Denn insoweit steht der Beklagten der Schutz des § 836 Abs. 2 ZPO zu. Danach gilt der frühere Überweisungsbeschluß vom 18. Mai 1988 zugunsten der Beklagten solange als rechtsbeständig, bis er aufgehoben und die Aufhebung zur Kenntnis der Beklagten gelangt ist. Die Beklagte hat erst im April 1989 von der Änderung erfahren, nachdem der Lohn für Januar bis März 1989 an den Schuldner in Höhe von 1.000,– DM bereits ausgezahlt war. Sie kann sich daher insoweit für diese Monate auf den früheren Überweisungsbeschluß vom 18. Mai 1988 berufen. Danach ist sie korrekt verfahren und durfte monatliche 1.000,– DM an den Schuldner auszahlen.
Die Klägerin hat als unterlegene Partei gemäß § 97 Abs. 1 ZPO auch die Kosten der Rechtsmittelinstanzen zu tragen.
Fundstellen
Haufe-Index 602565 |
NJW 1991, 1774 |
RdA 1991, 192 |