Entscheidungsstichwort (Thema)

Versäumung der Berufungsbegründungsfrist - Anwaltsverschulden

 

Orientierungssatz

Versäumung der Berufungsbegründungsfrist - Anwaltliche Sorgfaltspflichten in Fristsachen (fehlende Anweisung zur Notierung einer vorläufigen Begründungsfrist im Zusammenhang mit der Einlegung der Berufung; Anweisung zur Eintragung der Begründungsfrist durch Diktat auf Tonträger).

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des

Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 4. Mai 1999 - 5 (6)

Sa 1375/98 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

 

Tatbestand

Der Kläger war seit dem 1. Dezember 1966 bei der Beklagten beschäftigt. Mit Schreiben vom 21. Februar 1997 kündigte die Beklagte dem Kläger "fristlos, hilfsweise fristgerecht zum 30.09.1997".

Der Kläger hat beantragt 1. festzustellen, daß das

Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien weder durch die

fristlose noch durch die fristgerechte Kündigung der Beklagten

vom 21. Februar 1997 aufgelöst worden ist,

2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 6.704,50 DM brutto

abzüglich 2.334,60 netto nebst 4 % Zinsen aus dem sich

errechnenden Nettobetrag seit dem 22. Februar 1997 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Gegen das ihr am 16. November 1998 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 14. Dezember 1998 Berufung eingelegt. Mit einem am 29. Januar 1999 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz vom 22. Januar 1999 hat sie die Berufung begründet und zugleich gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.

Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags hat die Beklagte ausgeführt, ihr Prozeßbevollmächtigter Rechtsanwalt R. habe am 16. Dezember 1998 nach Eingang des Rückscheins der Deutschen Bundespost die im Fristenkalender eingetragene Berufungsfrist als erledigt abgezeichnet. Nach Eingang der Mitteilung des Landesarbeitsgerichts vom 15. Dezember 1998 über den am 14. Dezember 1998 erfolgten Eingang der Berufungsschrift sei ihm am 18. Dezember 1998 die Akte vorgelegt worden. Ausgehend von der Mitteilung über den Eingang der Berufung am 14. Dezember 1998 habe Rechtsanwalt R. eine Frist zur Einreichung der Berufungsbegründung auf den 14. Januar 1999 ermittelt. Rechtsanwalt R. habe daraufhin auf Tonband ein Schreiben an die D., Rechtsabteilung, diktiert. In diesem Schreiben habe er auf die Mitteilung des Landesarbeitsgerichts vom 15. Dezember 1998 und darauf verwiesen, daß die Berufungsbegründung bis zum 14. Januar 1999 eingereicht werden müsse. In dem Diktat habe Rechtsanwalt R. ferner seine Sekretärin Da. angewiesen, die Berufungsbegründungsfrist in seinem Fristenkalender auf den 14. Januar 1999 und eine Vorfrist auf den 7. Januar 1999 zu notieren. Im Anschluß an diese Weisung für die Sekretärin Da. habe Rechtsanwalt R. noch weitere Schreiben zu anderen Akten diktiert. Entgegen der ihr erteilten Weisung habe die Sekretärin Da. im Fristenkalender von Rechtsanwalt R. weder die Berufungsbegründungsfrist noch die Vorfrist, sondern lediglich auf dem Handaktenbogen der Akte die Berufungsbegründungsfrist auf den 14. Januar 1999 notiert. Die Gründe, weshalb die Sekretärin Da. im Fristenkalender weder Vorfrist noch Berufungsbegründungsfrist notiert habe, seien ihr nicht erklärlich. Da. sei seit Oktober 1994 die Sekretärin von Rechtsanwalt R. Es handele sich bei ihr um eine fachlich ausgebildete und zuverlässig arbeitende Angestellte. Die Fristenkontrolle werde im Büro der Prozeßbevollmächtigten der Beklagten generell derart durchgeführt, daß den Rechtsanwälten, so auch Rechtsanwalt R., an den jeweiligen Tagen, in denen im Fristenkalender eine Frist notiert sei, der Fristenkalender zusammen mit der jeweiligen Akte vorgelegt werde. Rechtsanwalt R. prüfe dann, welche Prozeßhandlungen von ihm im Hinblick auf die im Fristenkalender eingetragenen Vorfristen bzw. Ablauffristen vorzunehmen seien. Die Sekretärinnen, so auch Da., seien angewiesen, von den Rechtsanwälten ihnen mitgeteilte Fristen sofort und vollständig im Fristenkalender des jeweiligen Rechtsanwalts zu notieren und nicht andere Arbeiten zwischendurch zu erledigen. Die Sekretärin Da. sei diesen Weisungen - mit Ausnahme des vorliegenden Falles - nachgekommen.

Die den vorliegenden Rechtsstreit betreffende Akte sei Rechtsanwalt R. bzw. seiner Vertreterin Rechtsanwältin S. bis einschließlich 14. Januar 1999 nicht mehr vorgelegt worden. Am 15. Januar 1999 sei Rechtsanwalt R. nach einer Erkrankung morgens in das Büro zurückgekehrt. Er habe sich den Fristenkalender zusammen mit den Akten, in denen für diesen Tag Fristen eingetragen gewesen seien, vorlegen lassen. Er habe sich auch die von Rechtsanwältin S. während seiner Krankheit abgezeichneten Fristen angesehen. Bei dieser Gelegenheit sei ihm die Akte "Di." in Erinnerung geraten. Da er im Fristenkalender für diese Akte keine Frist habe feststellen können, habe er sich die Akte vorlegen lassen. Hierbei habe er festgestellt, daß zwar in der Akte im Handaktenbogen die Berufungsbegründungsfrist auf den 14. Januar 1999 notiert gewesen sei, nicht aber im Fristenkalender.

Das Landesarbeitsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten zurückgewiesen und ihre Berufung als unzulässig verworfen.

Mit ihrer vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Wiedereinsetzungsantrag weiter und begehrt Klageabweisung.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung gemäß § 519 b Abs. 1 Satz 2 ZPO mit Recht als unzulässig verworfen, weil die Beklagte die Berufungsbegründungsfrist nach § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG, § 519 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO versäumt hat und weil ihr Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zwar zulässig, aber unbegründet ist (§§ 233 ff. ZPO).

I. Das Landesarbeitsgericht hat die Auffassung vertreten, hinsichtlich der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist sei ein der Beklagten gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden ihres Prozeßbevollmächtigten nicht auszuschließen, weil keine (allgemeine) Anweisung bestanden habe, den mutmaßlichen Ablauf der Frist schon in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Rechtsmitteleinlegung im Fristenkalender zu vermerken. Eine auf Tonband diktierte Anweisung zur Fristeintragung berge die Gefahr in sich, daß die Anweisung in Vergessenheit gerät oder die Fristeintragung aus sonstigen Gründen unterbleibt. Unter diesen Umständen sei die den Sekretärinnen erteilte Anweisung, von den Rechtsanwälten ihnen mitgeteilte Fristen sofort und vollständig im Fristenkalender zu notieren und nicht andere Arbeiten zwischendurch zu erledigen, nicht ausreichend; vielmehr sei, wenn eine so wichtige Fristnotierung wie die einer Berufungsbegründungsfrist vom Anwalt nur mündlich per Tonbanddiktat verfügt werde, eine zusätzliche Fristensicherung geboten. Eine solche wäre gewährleistet gewesen, wenn bei oder alsbald nach Einreichung der Berufungsschrift die mutmaßliche Berufungsbegründungsfrist im Fristenkalender hätte vermerkt werden müssen. Der Beklagten könne somit keine Wiedereinsetzung gewährt werden mit der Folge, daß die Berufung mangels fristgerechter Begründung zu verwerfen gewesen sei.

II. Dem folgt der Senat sowohl im Ergebnis als auch weitgehend in der Begründung. Der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten war nicht ohne sein der Beklagten gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden verhindert, die Berufungsbegründungsfrist einzuhalten.

1. Im Hinblick auf die Wahrung der Rechtsmittelbegründungsfristen ist seit langem anerkannt, daß nicht die Nachricht des Gerichts abgewartet werden darf, in der der Tag des Eingangs der Rechtsmittelschrift mitgeteilt wird. Das mutmaßliche Ende der Frist muß vielmehr schon früher vermerkt werden, nämlich bei oder alsbald nach Einreichung der Rechtsmittelschrift. Ein solcher Vermerk ist zu überprüfen und ggf. zu korrigieren, wenn später das genaue Eingangsdatum der Rechtsmittelschrift durch die gerichtliche Mitteilung bekannt wird (BAG 15. März 1965 - 1 AZR 13/65 - BAGE 17, 125; 25. Oktober 1999 - 10 AZR 426/99 - nv.; BGH 17. September 1998 - I ZB 33/98 - NJW 1999, 142 mwN).

Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts bestand vorliegend in der Kanzlei der Prozeßbevollmächtigten der Beklagten keine allgemeine Anweisung, so zu verfahren. Dieses Organisationsdefizit war auch ursächlich für die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist, weil andernfalls der Vermerk der mutmaßlichen Berufungsbegründungsfrist im Fristenkalender trotz der Unterlassung der von Rechtsanwalt R. mittels Tonbanddiktat verfügten Fristnotierung zur rechtzeitigen Vorlage der Akte geführt und eine rechtzeitige Berufungsbegründung oder jedenfalls einen rechtzeitigen Fristverlängerungsantrag ermöglicht hätte. Entgegen der Ansicht der Revision besteht hier keine Abweichung im Sachverhalt gegenüber dem vom Bundesgerichtshof im Beschluß vom 17. September 1998 (aaO) entschiedenen Fall, die eine andere Beurteilung rechtfertigen würde. Hier wie dort war keine Eintragung der mutmaßlichen Berufungsbegründungsfrist im Fristenkalender bei oder alsbald nach Berufungseinreichung vorgesehen, hier wie dort erfolgte die anwaltliche Weisung zur Eintragung der Berufungsbegründungsfrist und einer diesbezüglichen Vorfrist erst nach der Mitteilung des Berufungsgerichts über den Eingang der Berufungsschrift. Im Gegensatz zu dem der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 17. September 1998 zugrundeliegenden Fall wurde in der Kanzlei des Prozeßbevollmächtigten der Beklagten sogar die Berufungsfrist im Fristenkalender nicht bis zur Eingangsmitteilung des Berufungsgerichts offengehalten, sondern von Rechtsanwalt R. schon am 16. Dezember 1998 nach Eingang des Rückscheins der Deutschen Bundespost als erledigt abgezeichnet, was die Gefahr einer Versäumung der Berufungsbegründungsfrist, wenn deren Eintragung aus welchen Gründen auch immer unterblieb, nicht etwa verminderte, sondern sogar noch erhöhte.

Die Revision kann sich demgegenüber nicht mit Erfolg darauf berufen, das ursprüngliche haftungsbegründende Ereignis sei durch die Nichtbefolgung der konkreten anwaltlichen Anweisung zur Fristeintragung im Wege der "überholenden Kausalität" außer Kraft gesetzt worden. Die von der Revision angezogene Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 25. Juni 1997 (- XII ZB 61/97 - NJW-RR 1997, 1289) betrifft einen anderen Sachverhalt. Dort unterblieb eine rechtzeitige Berufungsbegründung deshalb, weil die Kanzleiangestellte nach Übermittlung der Berufungsschrift per Telefax weder die Berufungsbegründungsfrist vornotierte noch den Vorgang der Bürovorsteherin zwecks Fristenkontrolle vorlegte, wie es an sich der allgemeinen Anweisung entsprochen hätte. Das Oberlandesgericht hat das Verschulden des Anwalts darin gesehen, daß keine allgemeine Anweisung bestand, eine Vorfrist zur Rechtsmittelbegründungsfrist zu notieren. Demgegenüber ging der Bundesgerichtshof davon aus, auch eine allgemeine Anweisung, welche auf zusätzliche Eintragung einer die rechtzeitige Bearbeitung der Sache gewährleistenden Vorfrist zur eigentlichen Rechtsmittelbegründungsfrist erweitert gewesen wäre, hätte die Fehlleistung der Kanzleiangestellten nicht verhindert. Wenn diese der Anweisung zur Notierung der Hauptfrist und zur Vorlegung des Vorgangs an die Bürovorsteherin nicht nachgekommen sei, sondern die Berufungsschrift nebst Sendeprotokoll lediglich in die Handakte geheftet und diese abgelegt habe, so sei anzunehmen, daß sie nicht anders verfahren hätte, wenn im Büro eine allgemeine Anweisung für die Notierung von Vorfristen bestanden hätte (anderer Ansicht wohl BGH 9. Juni 1994 - I ZB 5/94 - NJW 1994, 2831). Die Versäumung der Rechtsmittelbegründungsfrist beruhte danach in jenem Fall bereits auf einer weisungswidrigen Unterlassung der Fristnotierung durch die Kanzleiangestellte bei Berufungseinlegung; es ist nicht ersichtlich, daß die Versäumung der Frist auch durch mangelnde Anweisungen des Prozeßbevollmächtigten zur Vorgangsbehandlung bei Eingang der Eingangsmitteilung des Berufungsgerichts verursacht worden wäre; es ist nicht einmal festgestellt, daß eine solche Eingangsmitteilung, deren Zugang für den Lauf der Berufungsbegründungsfrist ohne Bedeutung ist (BGH 17. September 1998 aaO), vor Fristablauf überhaupt erfolgte. Mit der fehlenden Anweisung zur gebotenen Eintragung der mutmaßlichen Berufungsbegründungsfrist bei oder alsbald nach Berufungseinlegung, die eine Fristversäumung auch bei späterem Unterbleiben der Überprüfung und der ggf. korrigierenden Eintragung der Frist verhindert hätte, hat die fehlende Anweisung zur Eintragung einer Vorfrist zu der eigentlichen Begründungsfrist, die eine rechtzeitige Bearbeitung der Sache gewährleisten soll, nichts zu tun. Das Landesarbeitsgericht hat die Wiedereinsetzung deshalb wegen des genannten Organisationsverschuldens des Prozeßbevollmächtigten der Beklagten mit Recht versagt.

2. Davon abgesehen ist ein eigenes Verschulden des Prozeßbevollmächtigten der Beklagten an der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist aber auch deshalb nicht auszuschließen, weil er die Anweisung zur Fristeintragung lediglich zusammen mit diversen Schreiben auf Tonträger diktierte, ohne durch deutliche und unübersehbare Hinweise auf der Akte selbst und am Tonträger für die Mitarbeiter in der Kanzlei hervorzuheben, daß das Diktat eine im Fristenkalender einzutragende Berufungsbegründungsfrist betrifft (vgl. BGH 9. Juni 1994 aaO). Erfolgt die Fristverfügung durch Diktat auf einen Tonträger, der zugleich Diktate zu verschiedenen Akten enthält, besteht nicht nur die Gefahr, daß die Fristverfügung überhört wird bzw. alsbald in Vergessenheit gerät, sondern es ist auch ohne weiteres die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, daß Akte und Tonträger getrennt werden und die Fristeintragung letztlich deshalb unterbleibt (vgl. BGH 9. Juni 1994 aaO; 31. Juli 1997 - VII ZB 36/96 - NJW-RR 1998, 1139 f.). Durch die allgemeine Anweisung an die Sekretärinnen, ihnen von Rechtsanwälten mitgeteilte Fristen sofort und vollständig im Fristenkalender des jeweiligen Rechtsanwalts zu notieren und nicht andere Arbeiten zwischendurch zu erledigen, wird dieser besonderen Gefahrensituation nicht ausreichend Rechnung getragen. Es ist nicht auszuschließen, daß hier die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist auf der fehlenden besonderen Kennzeichnung der Akte und des Tonträgers beruhte, mit der auf eine gemäß Diktat einzutragende Rechtsmittelbegründungsfrist aufmerksam gemacht wurde. Auch aus diesem Grund war der Beklagten die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu versagen. Bröhl

Hauck Fischermeier Beckerle

Lenz

 

Fundstellen

FA 2000, 287

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