Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachträglicher Abzug von Sozialversicherungsbeiträgen
Orientierungssatz
Parallelsache zu BAG Urteil vom 14.1.1988, 8 AZR 238/85.
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 28.02.1985; Aktenzeichen 4 Sa 133/84) |
ArbG Heilbronn (Entscheidung vom 18.10.1984; Aktenzeichen 3 Ca 366/84) |
Tatbestand
Der Kläger betreibt unter der Bezeichnung "Fahrlehrergemeinschaft selbständiger Fahrlehrer in H" eine Fahrschule. Seit 1. Oktober 1978 war die Beklagte bei ihm als Fahrlehrerin beschäftigt. Am 16. März 1979 schlossen die Parteien einen Nachtragsvertrag zu einem Vertrag vom 23. Juni 1971, den der Kläger mit den anderen Mitgliedern der Fahrlehrergemeinschaft geschlossen hatte. Durch den Nachtragsvertrag sollte die Beklagte weitere Gesellschafterin der Fahrlehrergemeinschaft werden. Am 9. Februar 1981 kündigte die Beklagte das Rechtsverhältnis gegenüber dem Kläger fristlos. Durch rechtskräftiges Urteil vom 26. Januar 1983 - 4 Sa 125/82 - stellte das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg fest, daß die Beklagte nicht selbständige Fahrlehrerin, sondern Angestellte des Klägers gewesen sei. Die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) H forderte daraufhin vom Kläger Renten- und Arbeitslosenversicherungsbeiträge für die Beklagte in Höhe von 21.951,52 DM nach.
Mit der Klage verlangt der Kläger von der Beklagten die Erstattung der auf sie entfallenden Arbeitnehmeranteile dieser Beiträge in Höhe von 10.975,78 DM, hilfsweise Freistellung von der Verpflichtung zur Beitragsentrichtung. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Parteien seien davon ausgegangen, daß die Beklagte nicht Arbeitnehmerin, sondern selbständige Fahrlehrerin sei. Die Arbeitnehmeranteile habe er deshalb nicht vom Lohn der Beklagten abgezogen. Es sei arglistig, wenn die Beklagte sich auf die Bestimmungen des § 119 Abs. 1 und 3 AVG und des § 179 Nr. 2 AFG in Verb. mit §§ 394, 395 RVO berufe. Als Selbständige habe die Beklagte für ihre Sozialversicherung selbst zu sorgen gehabt. Sie habe auch eigene Beiträge zur Renten- und Krankenversicherung geleistet und deshalb eine höhere Vergütung erhalten als ein vergleichbarer Arbeitnehmer. Der Anspruch sei auch als Schadenersatzanspruch nach § 826 BGB begründet. Die Beklagte habe nämlich in Kenntnis der Unwirksamkeit des Vertrags vom 16. März 1979 gekündigt, um dem Lohnabzugsverfahren zu entgehen. Außerdem habe die Beklagte die Beitragsnachforderung bei der AOK veranlaßt. Dabei habe sie verschwiegen, daß sie sich bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte und der Deutschen Angestellten-Krankenkasse selbst versichert habe; dies habe zumindest die Höhe der Nachforderung ungünstig beeinflußt. Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn
10.975,78 DM nebst 4 % Zinsen hieraus
seit Klagezustellung zu zahlen,
hilfsweise,
die Beklagte zu verurteilen, ihn gegenüber
der AOK hinsichtlich eines Betrags
von 10.975,78 DM freizustellen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat vorgetragen, sie habe gekündigt, weil der Vertrag vom 16. März 1979 mit dem Fahrlehrergesetz nicht vereinbar gewesen sei, was zum Entzug ihrer Fahrschulerlaubnis hätte führen können. Davon, daß sie möglicherweise Arbeitnehmerin sei, habe sie erstmals am Tag der Kündigung erfahren. Sie habe sich bei der Deutschen Angestellten-Krankenkasse nach den sozialversicherungsrechtlichen Folgen des Urteils vom 26. Januar 1983 erkundigt. Dies habe dazu geführt, daß der Kläger von Amts wegen auf Nachzahlung der Beiträge in Anspruch genommen worden sei. Hilfsweise rechne sie in Höhe von 4.207,25 DM mit dem Anspruch auf Zuschuß zu ihrem Krankenversicherungsbeitrag (§ 405 Abs. 1 RVO) auf.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Erstattung der Hälfte der Rentenversicherungs- und Arbeitslosenversicherungsbeiträge, die für die Zeit vom 1. Oktober 1978 bis zum 9. Februar 1981 für die Beklagte zu entrichten waren, nicht zu.
I. Die Klage ist zulässig.
Ohne dies näher zu prüfen, ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, daß für den eingeklagten Erstattungsanspruch der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen gegeben sei. Es ist damit der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gefolgt, nach der Ansprüche des Arbeitgebers gegen den Arbeitnehmer auf Erstattung von Sozialversicherungsbeiträgen bürgerlich- rechtliche Ansprüche sind, über die die Gerichte für Arbeitssachen und nicht die Sozialgerichte zu entscheiden haben (vgl. BAGE 6, 7, 8 f. = AP Nr. 1 zu §§ 394, 395 RVO, zu I der Gründe; BAG Urteil vom 12. Oktober 1977 - 5 AZR 443/76 - AP Nr. 3 zu §§ 394, 395 RVO, zu I 2 b, c der Gründe). Von dieser Rechtsprechung abzuweichen, besteht kein Anlaß.
II. Die Klage ist unbegründet.
1. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht einen Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Erstattung der Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung (§ 670 in Verb. mit §§ 675, 683 BGB, § 812 BGB) abgelehnt.
Der Arbeitnehmer hat die Hälfte der Rentenversicherungsbeiträge und die Hälfte der Arbeitslosenversicherungsbeiträge selbst zu tragen (§ 112 Abs. 4 Buchst. a AVG, § 167 Satz 2 AFG). Der Arbeitgeber muß an die einzugsberechtigte Krankenkasse die gesamten Beiträge zur Rentenversicherung und zur Arbeitslosenversicherung entrichten (§ 118 Abs. 1 AVG, § 176 AFG), er darf aber die Arbeitnehmeranteile zur Renten- und Arbeitslosenversicherung unter gleichmäßiger Verteilung auf die Lohnzahlungszeiten vom Barlohn abziehen (§ 119 Abs. 1 AVG, § 179 Nr. 2 AFG in Verb. mit § 394 Abs. 1 RVO). Andere Formen der Rückerstattung der vom Arbeitgeber gezahlten Arbeitnehmeranteile sind damit grundsätzlich ausgeschlossen. Insbesondere kann der Arbeitgeber nicht von einem ausgeschiedenen Arbeitnehmer die Erstattung von Sozialversicherungsbeiträgen verlangen, deren Abzug vom Arbeitslohn er vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses unterlassen hatte. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAGE 6, 7, 9 ff. = AP Nr. 1 zu §§ 394, 395 RVO, zu II der Gründe; Urteil vom 12. Oktober 1977 - 5 AZR 443/76 - AP Nr. 3 zu §§ 394, 395 RVO, zu II 2 der Gründe; Urteil vom 8. Dezember 1981 - 3 AZR 71/79 - AP Nr. 5 zu §§ 394, 395 RVO, zu II 1 a der Gründe). An ihr ist festzuhalten. Auch ist ihr insoweit zuzustimmen, als sie das in den §§ 394, 395 RVO und in § 119 Abs. 1 und 3 AVG zum Ausdruck kommende Schutz- und Ordnungsprinzip ohne Rücksicht darauf anwendet, ob der Arbeitgeber den Lohnabzug schuldlos unterlassen hat oder gar der Arbeitnehmer schuldhaft dazu beigetragen hat, daß der Arbeitgeber die Beiträge zu spät entrichtet hat (vgl. BAGE 6, 7, 13 = AP Nr. 1 zu §§ 394, 395 RVO, zu II 3 d der Gründe).
Es kommt somit nicht darauf an, ob der Kläger ohne Verschulden davon ausgehen konnte, daß der Vertrag zwischen den Parteien vom 16. März 1979 ein Gesellschaftsvertrag und kein Arbeitsvertrag sei. Auch ist nicht erheblich, ob die Beklagte bereits bei Abschluß des Vertrags vom 16. März 1979 ihre Versicherungspflicht kannte oder, wie sie behauptet, erst am 9. Februar 1981 erfahren hat, daß sie in Wirklichkeit Arbeitnehmerin war.
2. Der Vertrag vom 16. März 1979 ist auch nicht nach den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage (§ 242 BGB) den durch das rechtskräftige Urteil des Landesarbeitsgerichts veränderten Verhältnissen anzupassen mit der Folge, daß die Beklagte die nicht einbehaltenen Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung an den Kläger ganz oder teilweise zahlen muß.
Die Parteien befanden sich in einem gemeinsamen Rechtsirrtum, als sie das durch Vertrag vom 16. März 1979 begründete Arbeitsverhältnis für ein Gesellschaftsverhältnis hielten. In einem solchen Fall richtet sich die Anpassung des Vertrags nach den Grundsätzen über den Wegfall (das Fehlen) der (subjektiven) Geschäftsgrundlage (vgl. BAG Urteil vom 9. Juli 1986 - 5 AZR 44/85 - AP Nr. 7 zu § 242 BGB Geschäftsgrundlage, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts bestimmt). Im vorliegenden Fall führt dies aber nicht zur Erstattungspflicht der Beklagten gegenüber dem Kläger.
Wie dargelegt (vgl. oben 1), regeln § 119 Abs. 1 und 3 AVG und § 179 Nr. 2 AFG in Verb. mit §§ 394, 395 RVO die Erstattung rückständiger Arbeitnehmeranteile zur gesetzlichen Rentenversicherung und zur Arbeitslosenversicherung abschließend dahingehend, daß sie den Arbeitgeber auf das Lohnabzugsverfahren verweisen. Regelt ein Gesetz aber selbst abschließend die Rechtsfolgen einer bestimmten Entwicklung, so besteht kein Raum dafür, diese als Störung der Geschäftsgrundlage zu berücksichtigen (vgl. MünchKomm-Roth, 2. Aufl., § 242 Rz 522). Eine gesetzliche Regelung ist vor allem dann als abschließend zu betrachten, wenn durch die Vertragsanpassung der Zweck des Gesetzes vereitelt würde. Dies wäre vorliegend der Fall.
3. Zu Recht hat das Berufungsgericht auch angenommen, daß der Kläger seinen Anspruch nicht auf § 826 BGB stützen kann. Die Regelungen der §§ 394 Abs. 1, 395 Abs. 2 RVO und des § 119 Abs. 1 und Abs. 3 AVG hindern den Arbeitgeber nicht, Schadenersatz zu fordern, wenn der Arbeitnehmer den Arbeitgeber dadurch sittenwidrig schädigt, daß er sich der Beitragsentrichtung durch Lohnabzug entzieht. Eine sittenwidrige Schädigung hat das Bundesarbeitsgericht dann angenommen, wenn ein Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis kündigt mit dem Ziel, dadurch einem Lohnabzugsverfahren im Rahmen des § 395 Abs. 2 RVO zu entgehen und den Arbeitgeber dadurch zu schädigen (vgl. BAGE 6, 7, 13 = AP Nr. 1 zu §§ 394, 395 RVO, zu II 3 d der Gründe). Weitergehend wird die Auffassung vertreten, ein Schadenersatzanspruch nach § 826 BGB bestehe auch dann, wenn der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber vorsätzlich unrichtige Angaben gemacht und dieser deshalb den Beitrag nicht entrichtet habe (Kommentar zur RVO, herausgegeben vom Verband deutscher Rentenversicherungsträger, Stand 1. Juli 1987, Bd. III, § 1397 Rz 8; Hoernigk/Jorks, Rentenversicherung, Stand August 1987, § 1397 RVO, Anm. 4; Koch/Hartmann/von Altrock/Fürst, AVG, Stand Juni 1971, § 119 Anm. B I 1).
Für beides hat der Kläger keine Tatsachen vorgetragen. Der Kläger hat weder substantiiert behauptet, die Beklagte habe ihn durch arglistiges Verschweigen von die Versicherungspflicht begründenden Tatsachen am Einzug der Versicherungsbeiträge gehindert, noch, die Beklagte habe gerade zu dem Zweck gekündigt, dem Lohnabzugsverfahren zu entgehen.
a) Im Vertrag vom 16. März 1979 haben die Parteien gemeinsam versucht, einen Gesellschafterstatus der Beklagten zu begründen. Dafür, daß sich der Kläger zu diesem Vertrag aufgrund eines arglistigen Verhaltens der Beklagten hat bewegen lassen, hat das Berufungsgericht nichts festgestellt. Auch hat der Kläger dafür keine Tatsachen vorgetragen.
b) Das gleiche gilt für das Vorbringen des Klägers, die Beklagte habe gekündigt, um einem Lohnabzugsverfahren zu entgehen. Allein daraus, daß die Beklagte vor Kündigung von ihrer Arbeitnehmereigenschaft erfahren hatte, ließe sich eine auf sittenwidrige Schädigung gerichtete Absicht nicht herleiten. Die Beklagte hat nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsurteils gekündigt, weil der Kläger ihr weniger Fahrschüler als bisher zuwies und dadurch ihr Einkommen schmälerte, und weil sie wegen der von den Parteien am 16. März 1979 vorgenommenen Vertragsgestaltung befürchtete, ihre Fahrschulerlaubnis zu verlieren. Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, wenn das Berufungsgericht im Hinblick auf diese Feststellungen angenommen hat, die Voraussetzungen eines Anspruchs nach § 826 BGB seien nicht dargelegt.
Der Vortrag des Klägers, die Beklagte habe das Beitragsnachforderungsverfahren bei der AOK unter Verschweigen der von ihr geleisteten Rentenversicherungsbeiträge veranlaßt, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Die Sozialversicherungspflicht folgt aus dem Gesetz (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 AVG, § 168 Abs. 1 AFG). Die AOK ist als Träger der gesetzlichen Krankenversicherung Einzugsstelle und daher gesetzlich zur Einziehung bzw. Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen von Amts wegen verpflichtet (§ 121 Abs. 1 AVG, § 176 Abs. 2 AFG). Im übrigen hatte die Beklagte, nachdem ihre Arbeitnehmereigenschaft rechtskräftig festgestellt war, einen Anspruch darauf, daß die Beiträge nachentrichtet wurden.
Nichts anderes gilt, falls, wie der Kläger behauptet, die Beklagte der AOK gegenüber verschwiegen hat, daß sie selbst Rentenversicherungsbeiträge geleistet hat. Die eigenen Beitragszahlungen, die die Beklagte als vermeintlich selbständige Fahrlehrerin an die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte erbracht hat, beruhten auf § 2 Abs. 1 Nr. 3 AVG. Sie hatten auf die Verpflichtung des Klägers, für die Beklagte als Angestellte nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 AVG Rentenversicherungsbeiträge zu zahlen, keinen Einfluß. Die Voraussetzungen für eine Verrechnung nach § 28 SGB 4 liegen nicht vor. Die von der Beklagten nach § 112 Abs. 4 Buchst. b, § 2 Abs. 1 Nr. 3 AVG geleisteten Beitragszahlungen sind zu Unrecht erfolgt, weil wegen der Arbeitnehmer eigenschaft der Beklagten eine Versicherungspflicht nach diesen Bestimmungen nicht bestand.
Michels-Holl Dr. Leinemann Dr. Peifer
Dr. Weiss Wittendorfer
Fundstellen