Entscheidungsstichwort (Thema)

Feiertagsbezahlung in Textilindustrie

 

Orientierungssatz

Parallelsache zu BAG Urteil vom 14.9.1988, 4 AZR 292/88.

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Entscheidung vom 14.03.1988; Aktenzeichen 17 (2) Sa 1808/87)

ArbG Mönchengladbach (Entscheidung vom 27.10.1987; Aktenzeichen 3 Ca 1160/87)

 

Tatbestand

Der Kläger ist seit Januar 1983 als Einrichter bei der Beklagten, einem Unternehmen der Textilindustrie, beschäftigt. Er arbeitet bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden im wöchentlichen Wechsel in der Früh-, Spät- und Nachtschicht. Beide Parteien gehören den tarifschließenden Verbänden für die gewerblichen Arbeitnehmer der nordrheinischen Textilindustrie an.

Im Betrieb der Beklagten wird von montags bis freitags dreischichtig in Wechselschicht gearbeitet. Die Frühschicht beginnt um 6.00 Uhr und endet um 14.00 Uhr. Die Spätschicht dauert von 14.00 Uhr bis 22.00 Uhr. Die Nachtschicht beginnt um 22.00 Uhr und endet um 6.00 Uhr des folgenden Tages. Fällt ein gesetzlicher Feiertag in die Arbeitswoche, wird entsprechend einer bei der Beklagten bestehenden betrieblichen Praxis die in den Feiertag hineinragende Nachtschicht von 22.00 Uhr des Vortages bis 6.00 Uhr des Feiertages geleistet und wie werktägliche Arbeit - also ohne Feiertagszuschlag - vergütet. Die Früh- und Spätschicht des Feiertages sowie die aus dem Feiertag herausführende Nachtschicht (22.00 Uhr bis 6.00 Uhr des Folgetages) fallen aus, werden aber von der Beklagten vergütet.

In der 18. Kalenderwoche 1987 war der Kläger in der Nachtschicht eingesetzt. In diese Woche fiel der 1. Mai (Freitag) als gesetzlicher Feiertag. Der Kläger arbeitete von Donnerstag 22.00 Uhr bis Freitag 6.00 Uhr.

Mit der Klage begehrt der Kläger für die auf den gesetzlichen Feiertag (1. Mai) entfallenden sechs geleisteten Arbeitsstunden den tariflichen Zeitzuschlag von 150 % in unstreitiger Höhe von 146,97 DM brutto.

Der Kläger hat vorgetragen, nach der tariflichen Festlegung sei Feiertagsarbeit die an einem gesetzlichen Feiertag zwischen 0.00 Uhr und 24.00 Uhr geleistete Arbeit. Innerhalb dieses Zeitraums habe er am 1. Mai sechs Stunden gearbeitet. Zwar lasse der Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer der nordrheinischen Textilindustrie eine davon abweichende Festlegung der Feiertagszeit durch Arbeitgeber und Betriebsrat zu. Hiervon sei im Betrieb der Beklagten aber kein Gebrauch gemacht worden. Zwischen der Beklagten und ihrem Betriebsrat sei weder eine Betriebsvereinbarung noch eine mündliche Vereinbarung über die Verlagerung der Feiertagszeit getroffen worden.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger

146,97 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit

Klagezustellung zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, die einschlägigen Schichtregelungen seien im Einvernehmen mit dem Betriebsrat getroffen worden und entsprächen bisheriger, langjährig praktizierter Handhabung. Aufgrund dieser Übung habe - ohne daß dies im Streitfall erneut verhandelt oder diskutiert worden sei - zwischen den Betriebspartnern Einvernehmen darüber bestanden, daß die in den Feiertag hineinreichende Nachtschicht gearbeitet werde und die aus dem Feiertag herausführende Nachtschicht wegen der gesetzlichen Feiertagsruhe ausfalle und damit als Feiertagsschicht anzusehen sei. Entsprechend dieser Regelung seien die Feiertagsschichten in der Vergangenheit regelmäßig abweichend vom Kalendertag festgelegt worden. Demzufolge habe für den konkreten Streitfall keinerlei Regelungsbedarf mehr für ein erneutes Einvernehmen mit dem Betriebsrat bestanden. § 4 Ziff. 5 MTV verlange nach seinem Wortlaut nicht, daß Arbeitgeber und Betriebsrat die abweichende Feiertagszeit in einer förmlichen Betriebsvereinbarung festlegen müßten. Vielmehr genüge eine formlose Absprache zwischen den Betriebspartnern. Damit lägen die vom Kläger am 1. Mai geleisteten sechs Arbeitsstunden außerhalb der im Einvernehmen mit dem Betriebsrat festgelegten betrieblichen Feiertagszeit von 6.00 Uhr bis 6.00 Uhr.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht der Klage stattgegeben.

Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Der Kläger beantragt Zurückweisung der Revision mit der Maßgabe, daß er Zinsen nur noch aus dem Nettobetrag begehrt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage in dem in der Revisionsinstanz noch anhängigen Umfang mit Recht stattgegeben. Der Kläger kann von der Beklagten die Zahlung von 146,97 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem Nettobetrag seit 24. September 1987 verlangen. Denn dem Kläger steht für die am 1. Mai in der Zeit von 0.00 Uhr bis 6.00 Uhr geleistete Arbeit ein Feiertagszuschlag in der rechnerisch unstreitigen Höhe von 146,97 DM brutto zu.

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft beiderseitiger Verbandszugehörigkeit der Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer der nordrheinischen Textilindustrie vom 10. Mai 1978 (MTV) mit unmittelbarer und zwingender Wirkung Anwendung (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG). Danach sind für das Klagebegehren folgende Bestimmungen des MTV heranzuziehen:

§ 4

Mehr-, Schicht-, Nacht-, Sonn- und Feiertagsar-

beit

...

5. Sonn- und Feiertagsarbeit ist die an Sonnta-

gen und gesetzlichen Feiertagen zwischen 0.00

und 24.00 Uhr geleistete Arbeit.

Zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat können

Beginn und Ende der Sonn- und Feiertagszeit

abweichend (bis zu 6 Std.) festgelegt werden,

der dazwischen liegende Zeitraum muß jedoch

24 Std. umfassen.

§ 5

Zuschläge

...

3. Sonn- und Feiertagsarbeit,

für Arbeitsstunden an Sonn- und Feiertagen

sind folgende Zuschläge zu zahlen:

Gesamtvergütung

a) an Sonntagen 50 % (150 %)

b) an gesetzlichen Feier-

tagen, auch soweit sie

auf einen Sonntag fal-

len 120 % (220 %)

c) am 1. Januar, 1. Oster-

tag, 1. Mai, 1. Pfingst-

tag, sowie am 1. Weih-

nachtstag 150 % (250 %)

Nach § 5 Ziff. 3 MTV ist bei Feiertagsarbeit für Arbeitsstunden am 1. Januar, 1. Ostertag, 1. Mai, 1. Pfingsttag sowie am 1. Weihnachtstag 150 % zu zahlen. Was die Tarifvertragsparteien unter Feiertagsarbeit verstehen, ergibt sich aus § 4 Ziff. 5 MTV. Dort ist bestimmt, daß Feiertagsarbeit die an gesetzlichen Feiertagen zwischen 0.00 Uhr und 24.00 Uhr geleistete Arbeit ist. Damit ist die vom Kläger am 1. Mai von 0.00 Uhr bis 6.00 Uhr geleistete Arbeit Feiertagsarbeit, die den Zeitzuschlag von 150 % auslöst.

Arbeitgeber und Betriebsrat können zwar nach § 4 Ziff. 5 Abs. 2 MTV Beginn und Ende der Feiertagszeit abweichend festlegen (bis zu sechs Stunden). Damit besteht insoweit eine besondere, von § 105 b Gew0 abweichende tarifliche Regelung, die eine andere als die kalendertägliche Festlegung der Feiertagszeit nicht allein durch den Arbeitgeber, sondern nur im Zusammenwirken mit dem Betriebsrat zuläßt. Das ist eine zulässige Tarifnorm (vgl. BAG Urteil vom 17. Mai 1973 - 3 AZR 376/72 -, AP Nr. 29 zu § 1 FeiertagslohnzahlungsG m.w.N.). Eine solche besondere, nach dem Tarifvertrag danach vorgesehene Regelung haben die Betriebspartner jedoch nach den tatsächlichen, mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht getroffen. Jedenfalls hat die für die Abweichung darlegungs- und beweispflichtige Beklagte nicht den erforderlichen Beweis erbracht. Hierbei ist mit dem Landesarbeitsgericht davon auszugehen, daß die Tarifvertragsparteien eine bestimmte Form für die abweichende Regelung der Betriebspartner nicht vorgeschrieben haben. Daher ist für die abweichende Regelung weder eine formelle Betriebsvereinbarung noch überhaupt Schriftform erforderlich. Es genügt vielmehr eine einvernehmliche mündliche Festlegung, die auch durch schlüssiges Verhalten getroffen werden kann. Hierfür hat die Beklagte jedoch nach den tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts keine Anhaltspunkte vorgetragen.

Das Landesarbeitsgericht stellt aufgrund einer von ihm durchgeführten Beweisaufnahme fest, daß die Beklagte den positiven Abschluß einer vom MTV abweichenden Festlegung der Feiertagszeit nicht bewiesen habe. Diese Feststellung wird von der Revision nicht mit Verfahrensrügen angegriffen und ist daher für den Senat bindend (§ 561 Abs. 2 ZPO).

Ob ein schlüssiges Verhalten des Betriebsrats, aus dem auf eine Zustimmung zu einer abweichenden Festlegung der Feiertagszeit geschlossen werden kann, einen ordnungsgemäß zustande gekommenen Beschluß des Betriebsrats voraussetzt, wie das Landesarbeitsgericht meint, kann hier offenbleiben. Jedenfalls ist für ein schlüssiges Verhalten des Betriebsrats zumindest zu fordern, daß er den Anschein erweckt, er habe einen entsprechenden Beschluß gefaßt, weil er - wie das Landesarbeitsgericht insoweit zutreffend ausführt - seinen Willen nur durch Beschluß in einer ordnungsgemäß einberufenen Sitzung bilden kann (§§ 30, 33 BetrVG; vgl. ferner GK-Wiese, BetrVG, 4. Aufl. 1987, § 33 Rz 7 mit weiteren Nachweisen). Dies kann etwa dadurch geschehen, daß sämtliche Betriebsratsmitglieder ihre Zustimmung zu der abweichenden Regelung zu erkennen gegeben haben oder der Betriebsratsvorsitzende eine entsprechende Erklärung abgibt, auch wenn kein ordnungsgemäßer Beschluß des Betriebsrats vorliegt. Das Landesarbeitsgericht stellt jedoch hierzu fest, daß die Beklagte keine Anhaltspunkte für einen durch den Betriebsrat gesetzten Anschein eines mehrheitlich gefaßten Beschlusses vorgetragen hat, und führt im einzelnen aus, daß weder sämtliche Betriebsratsmitglieder ihre Zustimmung zu der abweichenden Regelung gegeben haben noch Anhaltspunkte für einen Betriebsratsbeschluß oder entsprechende Erklärungen des Betriebsratsvorsitzenden von der Beklagten vorgetragen wurden. Wenn aber noch nicht einmal der Anschein der Zustimmung des Betriebsrats zu einer abweichenden Festlegung der Feiertagszeit vorliegt, kann von einem schlüssigen Verhalten des Betriebsrats keine Rede sein. Deshalb kann auch unter dem weiteren Gesichtspunkt der Rechtsscheinhaftung eine Zustimmung des Betriebsrats nicht fingiert werden.

Ob unter dem Gesichtspunkt der Vertrauenshaftung von einer Zustimmung des Betriebsrats zur abweichenden Festlegung der Feiertagszeit abgesehen werden kann, kann ebenfalls offenbleiben. Die Beklagte verdient keinen Vertrauensschutz, da sie von einer Zustimmung des Betriebsrats nicht ausgehen durfte, wie das Landesarbeitsgericht festgestellt hat. Deshalb kann auch offenbleiben, ob unter dem Gesichtspunkt der Vertrauenshaftung des Betriebsrats überhaupt tarifliche Ansprüche von Arbeitnehmern beseitigt werden können. Jedenfalls hatte es die Beklagte in der Hand, mit dem Betriebsrat eine einvernehmliche Regelung über die vom Tarifvertrag abweichende Festsetzung der Feiertagszeit herbeizuführen. Wenn sie dies unterließ, obwohl der Betriebsrat noch nicht einmal den Anschein gesetzt hat, er stimme einer solchen Regelung zu, hat sie die daraus folgenden Nachteile selbst zu vertreten.

Auch wenn man davon ausgeht und der Beklagten einräumt, aus der jahrelangen Praxis im Betrieb der Beklagten und dem Schweigen des Betriebsrats könne geschlossen werden, der Betriebsrat sei mit der Schichtenregelung vor Feiertagen (22.00 Uhr des Vortages bis 6.00 Uhr des Feiertages) einverstanden gewesen, kann daraus noch nicht auf eine Zustimmung zur abweichenden Festlegung der Feiertagszeit geschlossen werden. Der MTV enthält Regelungen über Zuschläge für Arbeitsstunden an gesetzlichen Feiertagen, geht also selbst davon aus, daß Feiertagsarbeit geleistet werden kann. Wenn die Betriebspartner nunmehr einverständlich eine Schicht zum Teil in den Feiertag legen, löst dies grundsätzlich den Feiertagszuschlag nach § 5 Ziff. 3 Buchst. c) MTV aus, da die Tarifvertragsparteien gleichzeitig in § 4 Ziff. 5 Satz 1 MTV als Feiertagsarbeit die an gesetzlichen Feiertagen zwischen 0.00 Uhr und 24.00 Uhr geleistete Arbeit festgesetzt haben. Erst wenn darüber hinaus zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat die Feiertagszeit abweichend festgelegt wird, kann es dazu kommen, daß die ersten sechs in den Feiertag hineinführenden Arbeitsstunden nicht zuschlagspflichtig sind. Für eine solche darüber hinausgehende Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat fehlen nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts Anhaltspunkte.

Der Zinsanspruch beruht auf § 291 in Verb. mit § 288 Abs. 1 BGB.

Die Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.

Dr. Neumann Dr. Freitag Dr. Etzel

Schaible H. Hauk

 

Fundstellen

Dokument-Index HI439167

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