Entscheidungsstichwort (Thema)
Insolvenzsicherung der Versorgungsanwärter
Leitsatz (amtlich)
1. Für die Insolvenzsicherung der Versorgungsanwärter gelten die nicht zur Disposition der Vertragspartner stehenden Berechnungsgrundsätze des § 7 Abs. 2 BetrAVG(Bestätigung der bisherigen Rechtsprechung, zuletzt BAG 9. November 1999 – 3 AZR 361/98 – zur Veröffentlichung bestimmt, zu IV 2 der Gründe mwN). Soweit die Berechnungsregel des § 7 Abs. 2 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 BetrAVG jedoch – wie bei der Dauer des Arbeitsverhältnisses – an vertragliche Vereinbarungen anknüpft, sind sie auch vom Pensions-Sicherungs-Verein zu beachten.
2. Eine feste Altersgrenze legt den Zeitpunkt fest, bis zu dem das Arbeitsverhältnis fortbestehen soll. Anläßlich einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor Eintritt eines Versorgungsfalls kann die feste Altersgrenze nicht mehr herabgesetzt werden.
Normenkette
BetrAVG § 7 Abs. 2, § 2 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 24. Juli 1998 – 11 Sa 1374/97 – wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der beklagte Pensions-Sicherungs-Verein die dem Kläger zustehenden Insolvenzsicherungsleistungen zu Recht zeitratierlich gekürzt hat.
Der am 21. August 1935 geborene Kläger war vom 1. August 1977 bis zum 31. Dezember 1992 bei der T. AG beschäftigt, zuletzt als Werksleiter. Sie sagte ihm mit Schreiben vom 11. September 1989 zusätzlich zu der Kapitalleistung aus der allgemeinen Versorgungsordnung vom 1. Juni 1976 eine monatliche Altersrente zu. Im Jahre 1990 wurden der Grundbetrag und die Steigerungsbeträge erhöht. Seither beläuft sich die nach 20 Dienstjahren zu erreichende Höchstrente auf 1.240,00 DM. Nach Nr. 1 der Versorgungszusage vom 11. September 1989 sollte der Kläger das Ruhegeld erhalten, wenn er nach dem vollendeten 63. Lebensjahr aus den Diensten der T. AG ausschied. Sofern er durch Vorlage des Rentenbescheides eines Sozialversicherungsträgers den Bezug vorgezogenen Altersruhegeldes nachwies, stand ihm nach Nr. 4 der Versorgungszusage bereits nach Vollendung des 60. Lebensjahres die Betriebsrente zu. Für jeden vollen Monat des vorzeitigen Bezugs der Betriebsrente war jedoch ein Abschlag von 0,5 % vorgesehen.
Als der Kläger schwer erkrankte, im Februar 1991 operiert wurde und daraufhin monatelang arbeitsunfähig war, besetzte seine frühere Arbeitgeberin die Stelle des Werkstattleiters neu. Der Kläger sah sich gesundheitlich außerstande, die ihm angebotene Außendiensttätigkeit zu übernehmen. Im Juni 1992 kündigte er sein Arbeitsverhältnis zum 31. Dezember 1992. Seine frühere Arbeitgeberin bestätigte ihm mit Schreiben vom 12. Februar 1993, daß sein Betriebsrentenanspruch „auch nach Vorlage des Rentenbescheides mit dem 60. Lebensjahr voll erhalten bleibt, d.h., die zugesagte Rente von monatlich 1.240,00 DM nicht gekürzt wird”.
Am 30. September 1993 wurde über das Vermögen der früheren Arbeitgeberin das Konkursverfahren eröffnet. Seit dem 1. September 1995 bezieht der schwerbehinderte Kläger Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Der beklagte Pensions-Sicherungs-Verein gewährte ihm auf Grund der allgemeinen Versorgungsordnung eine Kapitalleistung in Höhe 8.426,00 DM und auf Grund der zusätzlichen Versorgungszusage monatlich 572,00 DM. Die Monatsrente errechnete der Pensions-Sicherungs-Verein wie folgt:
Betriebsrente für 18 Dienstjahre |
1.116,00 DM |
./. 30 % Kürzung wegen Inanspruchnahme 60 Monate vor Vollendung des 65. Lebensjahres |
334,80 DM |
multipliziert mit dem Zeitwertfaktor 0,732189 |
572,00 DM. |
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der Pensions-Sicherungs-Verein müsse für die zugesagte Höchstrente von monatlich 1.240,00 DM einstehen. Eine zeitratierliche Kürzung dürfe der Pensions-Sicherungs-Verein ebensowenig vornehmen wie die frühere Arbeitgeberin. Er sei an die vertraglichen Vereinbarungen gebunden.
Der Kläger hat zuletzt beantragt:
- Den Beklagten zu verurteilen, an ihn 9.352,00 DM für die Zeit 1. September 1995 bis 31. Oktober 1996 zu zahlen.
- Den Beklagten zu verurteilen, an ihn beginnend ab 1. November 1996 eine monatliche Betriebsrente in Höhe von 1.240,00 DM zu zahlen.
Der Beklagte hat sinngemäß beantragt,
die Klage insoweit abzuweisen, als der Kläger für die Zeit vom 1. September 1995 bis 31. Oktober 1996 einen über 4.649,26 DM hinausgehenden Geldbetrag und ab dem 1. November 1996 eine über 907,91 DM hinausgehende monatliche Betriebsrente verlangt hat.
Der Beklagte hatte zunächst angenommen, die Verbesserungen der dem Kläger zustehenden Altersversorgung seien erst mit Schreiben der früheren Arbeitgeberin vom 12. Februar 1993, also im letzten Jahr vor Eintritt des Versicherungsfalles erfolgt und deshalb nach § 7 Abs. 3 Satz 3 BetrAVG nicht zu berücksichtigen. Nachdem das Arbeitsgericht die Personalleiterin und den neuen Werksleiter als Zeugen vernommen hatte, berief sich der Pensions-Sicherungs-Verein im Berufungsverfahren nicht mehr auf Versicherungsmißbrauch, sondern legte die monatliche Höchstrente von 1.240,00 DM zugrunde und nahm auch keinen versicherungsmathematischen Abschlag mehr vor. Er hat jedoch die Auffassung vertreten, die dem Kläger zustehende Insolvenzsicherungsleistung sei nach § 7 Abs. 2 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 BetrAVG zeitratierlich zu kürzen. An die abweichende Vereinbarung, die der Kläger mit seiner früheren Arbeitgeberin getroffen habe, sei er nicht gebunden. Bei der erreichbaren Betriebszugehörigkeit sei auf das 63. Lebensjahr abzustellen. Daraus ergebe sich ein Zeitwertfaktor von 0,732189 und eine monatliche Insolvenzsicherungsleistung von 904,91 DM.
Das Arbeitsgericht hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Der beklagte Pensions-Sicherungs-Verein hat Berufung eingelegt, soweit der Kläger eine Insolvenzsicherungsleistung von mehr als 907,91 DM monatlich verlangt hat. Insoweit hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Der Kläger möchte mit seiner Revision die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils erreichen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht die Klage auf eine Insolvenzsicherungsleistung von monatlich mehr als 907,91 DM abgewiesen. Insoweit besteht keine Einstandspflicht des beklagten Pensions-Sicherungs-Vereins.
I. Der Insolvenzschutz des Klägers richtet sich nach § 7 Abs. 2 BetrAVG, denn der Kläger war bei Eröffnung des Konkursverfahrens und damit bei Eintritt des Sicherungsfalls nicht Versorgungsempfänger, sondern noch Anwartschaftsberechtigter. Der Gesetzgeber hat den Insolvenzschutz für Versorgungsempfänger und Versorgungsanwärter unterschiedlich ausgestaltet. Versorgungsanwärter genießen nach § 7 Abs. 2 BetrAVG einen geringeren Insolvenzschutz als die Versorgungsempfänger(vgl. ua. BAG 22. November 1994 – 3 AZR 767/93 – BAGE 78, 279, 283 ff.; 8. Juni 1999 – 3 AZR 39/98 – AP BetrAVG § 7 Nr. 92, zu II der Gründe mwN). Nach § 7 Abs. 1 BetrAVG haben Versorgungsempfänger einen Insolvenzsicherungsanspruch „in Höhe der Leistung, die der Arbeitgeber auf Grund der Versorgungszusage zu erbringen hätte, wenn das Insolvenzverfahren nicht eröffnet worden wäre”. Bei ihnen kommt es, abgesehen von den Fällen des Versicherungsmißbrauchs im Sinne des § 7 Abs. 5 BetrAVG, auf die jeweilige Versorgungsvereinbarung an. Für die Versorgungsanwärter hat der Gesetzgeber den Insolvenzschutz anders geregelt. Für sie schreibt § 7 Abs. 2 BetrAVG bestimmte Berechnungsgrundsätze vor, die nicht zur Disposition der Vertrags-, Betriebs- und Tarifpartner stehen. Nach § 7 Abs. 2 Satz 3 BetrAVG ist der Umfang der Insolvenzsicherung nach § 2 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 und Abs. 5 BetrAVG zu berechnen. Diese Regelung beschränkt die Insolvenzsicherung auf den gesetzlichen Mindestschutz unverfallbarer Versorgungsanwartschaften. § 7 Abs. 2 BetrAVG enthält keine Öffnungsklausel für günstigere Versorgungsvereinbarungen.
Auf das Urteil des Senats vom 10. März 1992(– 3 AZR 140/91 – BAGE 70, 19 ff.) kann der Kläger seine abweichende Auffassung nicht stützen. Diese Entscheidung betraf die Anrechnung sogenannter Nachdienstzeiten und stellte die Berechnungsgrundsätze des § 7 Abs. 2 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 BetrAVG nicht in Frage. Der Senat hat in diesem Urteil unter Hinweis auf seine ständige Rechtsprechung ausdrücklich hervorgehoben, daß der gesetzliche Insolvenzschutz grundsätzlich nicht zur Disposition der Parteien des Versorgungsvertrages steht(BAGE 70, 19, 23). Soweit jedoch die Berechnungsregel des § 7 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 BetrAVG – wie bei der Dauer des Arbeitsverhältnisses – an vertragliche Vereinbarungen anknüpft, sind sie auch vom Pensions-Sicherungs-Verein zu beachten. Wegen der damaligen Interessenlage erschien es geboten, die vom Arbeitgeber angerechnete fiktive Dienstzeit des Versorgungsberechtigten ebenso zu behandeln wie ein fortbestehendes Arbeitsverhältnis.
II. Der Pensions-Sicherungs-Verein hat den Zeitwertfaktor richtig berechnet. Beim Zeitwertfaktor handelt es sich um das Verhältnis von tatsächlicher zu möglicher Betriebszugehörigkeit. Beide Werte hat der Pensions-Sicherungs-Verein zutreffend ermittelt.
1. Der Kläger war vom 1. August 1977 bis zum 31. Dezember 1992 bei der T. AG beschäftigt. Sogenannte Nachdienstzeiten sind nicht hinzuzurechnen. Der Kläger hat selbst vorgetragen, er habe mit seiner früheren Arbeitgeberin nicht vereinbart, daß sie ihn so behandele, als wäre er bis zu seinem 60. Lebensjahr bei ihr beschäftigt gewesen. Der vorliegende Fall sei mit dem vom BAG entschiedenen nicht vergleichbar.
2. Die mögliche Betriebszugehörigkeit hängt von der maßgeblichen Altersgrenze ab. Zu Recht hat der Pensions-Sicherungs-Verein das 63. Lebensjahr zugrunde gelegt.
a) Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG ist das 65. Lebensjahr der Regelfall. An dessen Stelle tritt ein früherer Zeitpunkt, wenn er in der Versorgungsregelung als feste Altersgrenze vorgesehen ist. Eine vorgezogene Altersgrenze liegt nur dann vor, wenn der Arbeitnehmer zu einem bestimmten Zeitpunkt vor Vollendung des 65. Lebensjahres in den Ruhestand treten soll und dann seine ungekürzte Betriebsrente in Anspruch nehmen kann(BAG 22. Februar 1983 – 3 AZR 546/80 – BAGE 41, 414, 418; 12. November 1985 – 3 AZR 606/83 – BAGE 50, 130, 133). Nach Sprachgebrauch und Herkommen handelt es sich um die Grenze, bis zu der die Arbeitnehmer längstens einer Erwerbstätigkeit nachgehen sollen(BAG 22. Februar 1983 aaO). Davon ist die flexible Altersgrenze zu unterscheiden. Sie bezeichnet den Zeitpunkt, ab dem ein vorzeitiger Eintritt in den Ruhestand möglich ist. Auch die Versorgungszusage vom 11. September 1989 baut auf dieser Unterscheidung auf. Nach Nr. 1 dieser Versorgungszusage war die Vollendung des 63. Lebensjahres Voraussetzung für den Anspruch auf ungekürztes Altersruhegeld. Nr. 4 dieser Versorgungszusage sah bei vorzeitigem Eintritt in den Ruhestand zwischen der Vollendung des 60. und 63. Lebensjahres einen Abschlag von 0,5 % für jeden vollen Monat des vorzeitigen Bezugs der Betriebsrente vor. Mit dieser Regelung hatte die frühere Arbeitgeberin zum Ausdruck gebracht, daß sie die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zur Vollendung des 63. Lebensjahres erwartet.
Die Altersgrenze ist nicht dadurch herabgesetzt worden, daß die Arbeitgeberin mit dem ausscheidenden Kläger einen Verzicht auf den versicherungsmathematischen Abschlag bei Inanspruchnahme des vorzeitigen Altersruhegeldes mit Vollendung des 60. Lebensjahres vereinbarte. Das Arbeitsverhältnis sollte nicht bis zum 60. Lebensjahr fortbestehen. Die Beklagte war damit einverstanden, daß der Kläger mit Vollendung des 57. Lebensjahres ausschied. Eine weitere Betriebszugehörigkeit wurde nicht mehr erwartet. Die feste Altersgrenze legt jedoch den Zeitpunkt fest, bis zu dem der Arbeitnehmer betriebstreu sein soll. Aus diesem Grunde kann die feste Altesgrenze anläßlich einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor Eintritt eines Versorgungsfalles nicht mehr herabgesetzt werden.
III. Das bedeutet nicht, daß die Arbeitsvertragsparteien gehindert sind, die betriebliche Altersversorgung bei einem vorzeitigem Ausscheiden des Versorgungsberechtigten aus dem Arbeitsverhältnis zu verbessern. Auf die Einstandspflicht des Pensions-Sicherungs-Vereins gegenüber einem Versorgungsanwärter wirkt sich das aber nur aus, soweit die Berechnung nach § 7 Abs. 2 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 BetrAVG an diese Vereinbarungen anknüpft. Im vorliegenden Fall mußte der Pensions-Sicherungs-Verein die Höchstrente ohne versicherungsmathematische Abschläge zugrunde legen. Dies hat er im Berufungsverfahren getan. Der Verzicht auf die zeitratierliche Kürzung bindet dagegen den Pensions-Sicherungs-Verein nicht. § 7 Abs. 2 BetrAVG begrenzt seine Einstandspflicht. Das Versorgungsverhältnis besteht jedoch unverändert fort. Den nicht insolvenzgesicherten Teil der Altersversorgung kann der Kläger von seiner früheren Arbeitgeberin verlangen. Insoweit trägt er allerdings wie jeder andere Gläubiger das Insolvenzrisiko(BAG 9. November 1999 – 3 AZR 361/98 – zur Veröffentlichung bestimmt, zu III der Gründe).
Unterschriften
Reinecke, Kremhelmer, Bepler, Kaiser, H. Frehse
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 14.12.1999 durch Kaufhold, Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 537519 |
DB 2000, 2536 |
NWB 2000, 4171 |
EWiR 2000, 1095 |
FA 2000, 390 |
KTS 2001, 179 |
NZA 2001, 33 |
SAE 2001, 31 |
ZIP 2000, 2220 |
AP, 0 |
DZWir 2001, 67 |
NZI 2000, 609 |
NZI 2001, 88 |
ZInsO 2001, 384 |