Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausgleichsanspruch nach dem Übergang eines Arbeitsverhältnisses gem. § 6c SGB II auf einen zugelassenen kommunalen Träger. arbeitsvertragliche Bezugnahmeklausel
Orientierungssatz
Gem. § 6c Abs. 5 Satz 3 SGB II bemisst sich die Ausgleichszahlung nach dem Unterschiedsbetrag zwischen dem Arbeitsentgelt bei dem abgebenden Träger zum Zeitpunkt des Übertritts und dem Arbeitsentgelt bei dem aufnehmenden Träger. Danach sichert die Ausgleichszulage das vor dem gesetzlichen Übergang gezahlte Arbeitsentgelt nur statisch.
Normenkette
SGB II § 6c; TV-BA § 14 Abs. 1 S. 3
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 21. Mai 2014 – 2 Sa 693/13 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Vergütungsansprüche des Klägers.
Der Kläger – Mitglied der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) – war langjährig bis zum 31. Dezember 2011 bei der Bundesagentur für Arbeit (BA), zuletzt in der Funktion eines stellvertretenden Geschäftsführers, im „Jobcenter G Nord” beschäftigt und erhielt ein Arbeitsentgelt nach der Tätigkeitsebene I Stufe 5 des Tarifvertrags für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Bundesagentur für Arbeit (TV-BA). Nach der Änderungsvereinbarung vom 6. Oktober 2006 zum Arbeitsvertrag bestimmt sich „das Arbeitsverhältnis … nach dem Tarifvertrag für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Bundesagentur für Arbeit (TV-BA) und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen in der jeweils geltenden Fassung sowie dem Tarifvertrag zur Überleitung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Bundesagentur für Arbeit in den TV-BA und zur Regelung des Übergangsrechts (TVÜ-BA)”.
Zum 1. November 2011 wurde das „Jobcenter Landkreis G Nord” als Gemeinsame Einrichtung der BA und des Beklagten gegründet. Zum 1. Januar 2012 wurde das Jobcenter „Fachdienst Arbeit und Beschäftigung” mit dem „Jobcenter Landkreis G Nord” vereint. Seither werden sie als Regiebetrieb unter dem Namen „Jobcenter Landkreis G” beim Beklagten geführt.
Im Zuge dieser Umstrukturierung ging das Arbeitsverhältnis des Klägers zum 1. Januar 2012 auf der Grundlage von § 6c Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (im Folgenden SGB II) auf den Beklagten über. Der Beklagte ist Mitglied des Kommunalen Arbeitgeberverbands Sachsen e. V. (KAV). Da dem Kläger keine tarifrechtlich gleichwertige Tätigkeit übertragen werden konnte, wurde er mit einer Tätigkeit nach der Entgeltgruppe 11 des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst im Bereich der kommunalen Arbeitgeber (TVöD/VKA) beschäftigt. Im Dezember 2011 hatte er eine Bruttomonatsvergütung in Höhe von 4.759,00 Euro zuzüglich einer Zulage von 286,48 Euro (Funktionsstufe 2) erzielt. Bei dem Beklagten erhielt er deshalb zusätzlich zu der ihm nach der Entgeltgruppe 11 TVöD/VKA zustehenden Vergütung einen Ausgleichsbetrag in Höhe der Differenz zu 5.045,48 Euro.
Mit Schreiben vom 11. Februar 2012 hat der Kläger für die Zeit ab Januar 2012 einen Anspruch auf eine weitere Ausgleichszahlung nach § 6c Abs. 5 SGB II geltend gemacht. Er hat die Auffassung vertreten, er wäre, wenn er bei der BA verblieben wäre, für die Zeit ab 1. Januar 2012 der Tätigkeitsebene I Stufe 6 TV-BA zuzuordnen gewesen. Dadurch hätte sich sein Vergütungsanspruch nach der Entgelttabelle auf 5.036,00 Euro brutto erhöht. Dieser – bereits angelegte – Anspruch auf weitere 277,00 Euro brutto monatlich habe ihm nicht aufgrund des Übergangs auf den Beklagten entzogen werden dürfen. Dieser Anspruch ergebe sich zudem aus der arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel, nach der weiterhin der TV-BA auf sein Arbeitsverhältnis anwendbar sei.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an ihn 5.540,00 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf je 277,00 Euro brutto monatlich beginnend mit dem 1. Februar 2012 zu zahlen.
Der Beklagte hat zur Begründung seines Klageabweisungsantrags ausgeführt, das Gesetz gewähre den kraft Gesetzes auf den kommunalen Träger übergegangenen Arbeitnehmern lediglich Bestandsschutz für die bis zum Zeitpunkt des Übertritts tatsächlich erreichte Vergütung. Deren weitere Entwicklung sei hingegen nicht gesichert. Auch die arbeitsvertragliche Bezugnahmeklausel führe nicht zu einer dynamischen Fortschreibung der bisherigen Vergütung. Nach § 6c Abs. 3 SGB II sei ausschließlich der TVöD auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anzuwenden.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit seiner vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine weitere Ausgleichszahlung oder eine höhere Vergütung.
I. Der Senat war nicht verpflichtet, den Rechtsstreit im Hinblick auf das beim Bundesverfassungsgericht zur Frage der Verfassungskonformität des § 6c Abs. 1 Satz 1 SGB II anhängige Normenkontrollverfahren nach Art. 100 GG – 1 BvL 1/14 – (Vorlage BAG 26. September 2013 – 8 AZR 775/12 (A) –) in analoger Anwendung von § 148 ZPO auszusetzen (vgl. dazu BAG 16. April 2015– 6 AZR 142/14 – Rn. 14 mwN, BAGE 151, 263).
1. Die Entscheidung über die Aussetzung hat das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen (BAG 22. Januar 2013 – 6 AZR 392/11 – Rn. 15).
2. Im Streitfall wäre eine Aussetzung des Rechtsstreits bis zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht sachgerecht. Die verfassungsrechtlichen Bedenken des Achten Senats des Bundesarbeitsgerichts beruhen darauf, dass dem Arbeitnehmer ein neuer Arbeitgeber aufgezwungen wird, ohne dass er einen Fortbestand des alten Arbeitsverhältnisses – sei es durch ein Rückkehrrecht, sei es durch ein Widerspruchsrecht – erreichen kann. Auf ein solches Recht beruft sich der Kläger nicht. Er akzeptiert den Beklagten als Arbeitgeber und beansprucht lediglich im Rahmen seiner Beschäftigung einen höheren Ausgleichsbetrag. Damit hat er sein durch Art. 12 Abs. 1 GG geschütztes Recht, seinen Vertragspartner selbst zu wählen und privatautonom zu beurteilen, welcher von mehreren zur Auswahl stehenden Arbeitgebern mehr Vorteile bietet (vgl. BVerfG 25. Januar 2011 – 1 BvR 1741/09 – Rn. 69, 98,BVerfGE 128, 157), ausgeübt und sich für den Beklagten als Arbeitgeber entschieden (vgl. auch BAG 16. April 2015 – 6 AZR 142/14 – Rn. 15, BAGE 151, 263).
II. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung einer höheren Ausgleichszulage nach § 6c Abs. 5 Satz 3 SGB II.
1. Nach § 6c Abs. 5 Satz 1 SGB II soll Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die nach Absatz 1 oder 2 kraft Gesetzes in den Dienst eines anderen Trägers übertreten, grundsätzlich eine tarifrechtlich gleichwertige Tätigkeit übertragen werden. Wenn eine derartige Verwendung im Ausnahmefall nicht möglich ist, kann ihnen eine niedriger bewertete Tätigkeit übertragen werden. Verringert sich das Arbeitsentgelt nach den Sätzen 1 und 2, ist eine Ausgleichszahlung in Höhe des Unterschiedsbetrags zwischen dem Arbeitsentgelt bei dem abgebenden Träger zum Zeitpunkt des Übertritts und dem jeweiligen Arbeitsentgelt bei dem aufnehmenden Träger zu zahlen.
2. Danach steht dem Kläger kein über den von dem Beklagten geleisteten Betrag von 5.045,48 Euro hinausgehender Ausgleichsanspruch zu.
a) Der Kläger, für dessen Arbeitsverhältnis kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit der TVöD/VKA gilt, war vor dem Übertritt in den Dienst des Beklagten länger als 24 Monate bei der BA im Gebiet des Beklagten tätig. Er verrichtet seit dem 1. Januar 2012 unstreitig eine Tätigkeit, die nach der Entgeltgruppe 11 TVöD/VKA zu vergüten ist.
b) Entgegen der Auffassung des Klägers ist der Berechnung der ihm deshalb nach § 6c Abs. 5 SGB II zustehenden Ausgleichszulage nur das Arbeitsentgelt zugrunde zu legen, das er bei dem abgebenden Träger erhalten hat.
aa) Gem. § 6c Abs. 5 Satz 3 SGB II bemisst sich die Ausgleichszahlung nach dem Unterschiedsbetrag zwischen dem Arbeitsentgelt bei dem abgebenden Träger „zum Zeitpunkt des Übertritts” und dem Arbeitsentgelt bei dem aufnehmenden Träger. Danach sichert die Ausgleichszulage das vor dem gesetzlichen Übergang gezahlte Arbeitsentgelt nur statisch (BAG 16. April 2015– 6 AZR 142/14 – Rn. 46, BAGE 151, 263; 10. Juli 2013 – 10 AZR 777/12 – Rn. 19).
bb) Aus der Rechtsprechung des Sechsten Senats ergibt sich entgegen der Auffassung der Revision nichts anderes.
(1) Nach der Rechtsprechung des Sechsten Senats ist der Arbeitnehmer bei einem Übertritt von der BA auf einen zugelassenen kommunalen Träger gem. § 6c Abs. 1 Satz 1 SGB II im TVöD der Stufe zuzuordnen, die seiner Berufserfahrung entspricht. Das gilt jedenfalls dann, wenn der übernommene Beschäftigte weiterhin Tätigkeiten im Bereich der Grundsicherung verrichtet. Dabei sind die Stufen und -laufzeiten zugrunde zu legen, die sich aus der analogen Anwendung von § 16 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, Abs. 4 sowie § 17 Abs. 3 TVöD ergeben (BAG 16. April 2015 – 6 AZR 142/14 – Rn. 47, BAGE 151, 263).
(2) Entgegen der Auffassung des Klägers, führt diese analoge Anwendung nicht zur rückwirkenden Berücksichtigung eines nach dem Übergang des Arbeitsverhältnisses fiktiv erfolgten Stufenaufstiegs nach der dem Arbeitnehmer beim abgebenden Träger zustehenden Entgeltgruppe. Vielmehr ist der Arbeitnehmer lediglich umgekehrt bei der Stufenzuordnung innerhalb der für ihn nach dem gesetzlichen Übergang des Arbeitsverhältnisses einschlägigen Entgeltgruppe so zu stellen, als hätte das Arbeitsverhältnis von seinem Beginn an mit dem kommunalen Träger bestanden (BAG 16. April 2015 – 6 AZR 142/14 – Rn. 47, BAGE 151, 263).
c) Im Übrigen würde sich auch bei einer anderen Stufenzuordnung kein höherer Ausgleichsbetrag ergeben. Wäre der Kläger – wie er meint – der Stufe 6 der Entgeltgruppe 11 TVöD/VKA zuzuordnen, hätte er einen tariflichen Entgeltanspruch von 4.212,96 Euro für den Zeitraum vom 1. Januar 2012 bis zum 29. Februar 2012, von 4.360,41 Euro für den Zeitraum vom 1. März 2012 bis 31. Dezember 2012, von 4.421,46 Euro für den Zeitraum vom 1. Januar 2013 bis 31. Juli 2013 und von 4.483,36 Euro für den Monat August 2013. Da er jedoch vor dem gesetzlichen Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den Beklagten unstreitig ein Gesamtentgelt von 5.045,48 Euro erhalten hat, stände ihm auch im Falle einer Vergütung nach Stufe 6 gem. § 6c Abs. 5 Satz 3 SGB II ein – wenngleich geringerer – Ausgleichsbetrag in Höhe der Differenz zu. Das Gesamtentgelt würde sich dadurch nicht erhöhen.
III. Ein weiterer Anspruch ergibt sich auch nicht aus den Regelungen des TV-BA aufgrund der arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel. Dabei kann dahinstehen, ob der darin dynamisch in Bezug genommene TV-BA aufgrund des Günstigkeitsprinzips nach § 4 Abs. 3 TVG neben dem jedenfalls kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit normativ geltenden TVöD/VKA Anwendung findet oder ob dem – wie der Beklagte meint – § 6c Abs. 3 Satz 3 SGB II entgegensteht. Auch bei einer unterstellten Anwendung des TV-BA auf das Arbeitsverhältnis stände dem Kläger die geltend gemachte Vergütungsdifferenz nicht zu.
1. Nach § 14 Abs. 1 Satz 3 TV-BA ist der Beschäftigte in der Tätigkeitsebene eingruppiert, der die ihm nicht nur vorübergehend übertragene Tätigkeit gem. Satz 1 und 2 zugeordnet ist. Ebenso wie im BAT und im TVöD (§ 17 Abs. 1 Satz 1 TVÜ-VKA iVm. § 22 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 BAT) richtet sich die Eingruppierung nach den Grundsätzen der Tarifautomatik.
2. Danach hätte der Kläger für die Zeit ab dem 1. Januar 2012 keinen Anspruch auf eine – seinem Zahlungsbegehren zugrunde liegende – Vergütung nach der Tätigkeitsebene I Stufe 6 TV-BA.
a) Die Vergütung richtet sich nach der dem Kläger übertragenen Tätigkeit. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass dem Kläger ab dem 1. Januar 2012 eine andere, geringerwertige Tätigkeit übertragen worden war. Er kann folglich die von ihm geltend gemachte Vergütung nach der bisherigen Tätigkeitsebene nicht beanspruchen.
b) Soweit der Kläger meint, er sei für den Fall, dass sein Arbeitsverhältnis nicht auf den Beklagten übergegangen wäre, der Stufe 6 der Tätigkeitsebene I TV-BA zuzuordnen gewesen, kann dies nur auf der – unausgesprochenen -Prämisse beruhen, ihm sei die bisherige Tätigkeit in rechtswidriger Weise entzogen worden. Auf diese Frage kommt es jedoch im vorliegenden Rechtsstreit nicht an. Für den Fall der rechtswidrigen Zuweisung einer anderweitigen Tätigkeit ergäbe sich ein Anspruch des Klägers nicht aus dem – unterstellt – aufgrund vertraglicher Bezugnahmeklausel anwendbaren TV-BA, sondern allenfalls unter Annahmeverzugs- oder Schadensersatzgesichtspunkten. Dabei handelt es sich um andere Streitgegenstände, die der Kläger im hiesigen Rechtsstreit nicht geltend gemacht hat.
3. Einen Anspruch auf eine tarifliche Vergütung nach einer anderen Tätigkeitsebene als I Stufe 6 des TV-BA hat der Kläger im vorliegenden Rechtsstreit ebenfalls nicht geltend gemacht. Er hat seine Klage nicht auf die Erfüllung von Tätigkeitsmerkmalen des TV-BA, sondern ausschließlich auf die ihm in der Vergangenheit zustehende Vergütung als solche gestützt. Entsprechend fehlt es an jeglichem Vortrag zu der ihm ab dem 1. Januar 2012 übertragenen Tätigkeit. Das Begehren, nach einer niedrigeren Tätigkeitsebene vergütet zu werden, ist nicht als Minus in dem gestellten Antrag enthalten, zumal nicht erkennbar ist, ob dann überhaupt eine Vergütungsdifferenz bestehen würde.
IV. Der Kläger hat die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen (§ 97Abs. 1 ZPO).
Unterschriften
Eylert, Creutzfeldt, Rinck, Pust, J. Ratayczak
Fundstellen
Haufe-Index 9520533 |
BB 2016, 1780 |
FA 2016, 281 |
ZTR 2016, 572 |
AP 2016 |
GK/Bay 2017, 348 |
NJOZ 2016, 1547 |