Entscheidungsstichwort (Thema)
Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall: 80 % oder 100 %
Leitsatz (amtlich)
§ 10 Nr. 5 des Manteltarifvertrags für das Gaststätten- und Hotelgewerbe der Freien und Hansestadt Hamburg in der Fassung vom 4. Juli 1994 enthält keine konstitutive Regelung zur Höhe der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und begründet auch für Umsatzbeteiligte keinen Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts in Höhe von 100 % (Fortführung und Abgrenzung von BAG 16. Juni 1998 – 5 AZR 728/97 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Gaststätten Nr. 3, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).
Normenkette
EFZG § 4 Abs. 1 S. 1 in der bis zum 31. Dezember 1998 geltenden Fassung
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 4. März 1998 – 8 Sa 128/97 – aufgehoben.
2. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 1. Oktober 1997 – 13 Ca 278/97 – wird zurückgewiesen.
3. Der Kläger hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Höhe der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.
Der Kläger ist bei der Beklagten seit 1965 als Koch beschäftigt. Vom 19. bis zum 26. März 1997 war er arbeitsunfähig krank. Für fünf der sechs Krankheitstage zahlte die Beklagte die reguläre Vergütung in voller Höhe weiter, nachdem der Kläger sich einen Urlaubstag hatte anrechnen lassen. Für den sechsten Krankheitstag leistete die Beklagte Entgeltfortzahlung nur in Höhe von 80 % des regelmäßigen Verdienstes. Der Kläger verlangt für diesen Tag Fortzahlung seines Arbeitsentgelts in voller – rechnerisch unstreitiger – Höhe. Darüber hinaus begehrt er die Feststellung, daß die Beklagte nicht berechtigt war, auf den Zeitraum seiner Arbeitsunfähigkeit einen Urlaubstag anzurechnen.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fand im maßgeblichen Zeitraum der allgemeinverbindliche Manteltarifvertrag für das Gaststätten- und Hotelgewerbe der Freien und Hansestadt Hamburg in der Fassung vom 4. Juli 1994 (MTV) Anwendung. Er enthält in § 10 Regelungen über „Arbeitsbefreiung, Arbeitsunfähigkeit”. Die Vorschrift lautet auszugsweise wie folgt:
„ Ergänzend zu den Bestimmungen des § 616 BGB … vereinbaren die Vertragsparteien:
…
5. Arbeitsunfähigkeit
…
Angestellte und gewerbliche Arbeitnehmer haben bei Arbeitsunfähigkeit Anspruch auf Bezahlung des Gehaltes/Lohnes entsprechend den Vorschriften des BGB bzw. des Gesetzes über die Fortzahlung des Arbeitsentgeltes im Krankheitsfalle für die Dauer von 6 Wochen.
Bei den auf Umsatzbeteiligung arbeitenden Arbeitnehmern ist bei Arbeitsunfähigkeit ein Arbeitsentgelt zu zahlen in Höhe des Urlaubsentgeltes entsprechend § 9 Ziffer 2, mindestens jedoch der Garantielohn.
…”
Die Vorschrift des § 9 Nr. 2 MTV lautet:
„2. Urlaubsentgelt
Alle Arbeitnehmer erhalten als Urlaubsentgelt je Urlaubstag 1/22 des Durchschnittsverdienstes der letzten 12 Monate.
Ist dieser Zeitraum nicht voll erreicht, so gilt der monatliche Durchschnittsverdienst des Beschäftigungszeitraumes.
…”
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, ihm stünden für die Zeit seiner Arbeitsunfähigkeit 100 % seiner Vergütung zu. Die tariflichen Bestimmungen enthielten eine eigenständige Regelung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Dies folge u.a. daraus, daß der Tarifvertrag vom 4. Juli 1994 weiterhin auf das Lohnfortzahlungsgesetz und die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs Bezug nehme, obwohl das Entgeltfortzahlungsgesetz vom 26. Mai 1994 am 1. Juni 1994 in Kraft getreten sei.
Der Kläger hat beantragt,
- festzustellen, daß die Beklagte nicht berechtigt war, für den Arbeitsunfähigkeitszeitraum vom 19. bis zum 26. März 1997 einen Tag des Jahresurlaubs 1997 zu verrechnen;
- die Beklagte zu verurteilen, an ihn 41,82 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 1. April 1997 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, § 10 Nr. 5 MTV stelle keine statische Verweisung auf die dort genannten Vorschriften und deshalb keine eigenständige tarifliche Regelung der Entgeltfortzahlung dar. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit ihrer Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Zu Unrecht hat das Landesarbeitsgericht den Klageanträgen entsprochen. Die Höhe der dem Kläger zustehenden Entgeltfortzahlung bestimmt sich nach § 4 Abs. 1 EFZG in seiner vom 1. Oktober 1996 bis zum 31. Dezember 1998 geltenden Fassung. Aus § 10 Nr. 5 MTV folgt nichts anderes. Den gesetzlichen Anspruch des Klägers auf Entgeltfortzahlung hat die Beklagte erfüllt. Die Anrechnung eines Urlaubstages muß der Kläger gegen sich gelten lassen.
I. Durch das Entgeltfortzahlungsgesetz vom 26. Mai 1994 wurde die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für Arbeiter und Angestellte auf eine einheitliche gesetzliche Grundlage gestellt. Dabei blieb die Höhe des fortzuzahlenden Entgelts zunächst unverändert. Durch das Arbeitsrechtliche Beschäftigungsförderungsgesetz vom 25. September 1996 (BGBl. I S. 1476) wurde die Höhe der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall herabgesetzt. Sie betrug von da ab – bis zur erneuten Änderung des Gesetzes – nach § 4 Abs. 1 Satz 1 EFZG „80 vom Hundert des dem Arbeitnehmer bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit zustehenden Arbeitsentgelts”. Nach § 4 a Abs. 1 Satz 1 EFZG konnte der Arbeitnehmer verlangen, daß ihm von je fünf Tagen, an denen er arbeitsunfähig krank war, der erste Tag auf den Erholungsurlaub angerechnet wurde. Für die übrigen vier Tage hatte er dann Anspruch auf Entgeltfortzahlung in voller Höhe.
Bestehende tarifliche Regelungen sind durch das Gesetz vom 25. September 1996 nicht aufgehoben worden. Der Gesetzgeber wollte in bestehende Tarifverträge nicht eingreifen (vgl. BT-Drucks. 13/4612 S. 2; Buchner, NZA 1996, 1177, 1179/80).
II. Nach § 10 Nr. 5 MTV „(haben) Angestellte und gewerbliche Arbeitnehmer … bei Arbeitsunfähigkeit Anspruch auf Bezahlung des Gehaltes/Lohnes entsprechend den Vorschriften des BGB bzw. des Gesetzes über die Fortzahlung des Arbeitsentgeltes im Krankheitsfalle für die Dauer von 6 Wochen”. Zu Unrecht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, hierin liege eine konstitutive tarifliche Regelung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Die Bestimmung enthält keine statische Verweisung auf die Gehaltsfortzahlungsvorschriften des BGB und das Lohnfortzahlungsgesetz von 1969.
Ihre Eigenständigkeit folgt auch nicht aus der Regelung zur Entgeltfortzahlung bei Umsatzbeteiligung und die darin enthaltene Verweisung auf § 9 Nr. 2 MTV. Aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang ergibt sich, daß es sich dabei nur um eine Berechnungsvorschrift handelt.
1. § 10 Nr. 5 MTV stellt keine statische Verweisung dar.
a) Bei Tarifabschluß am 4. Juli 1994 waren allerdings die Entgeltfortzahlungsvorschriften des BGB und das Lohnfortzahlungsgesetz von 1969 bereits außer Kraft getreten. Verweist ein Tarifvertrag auf eine schon bei Tarifabschluß nicht mehr gültige gesetzliche Vorschrift, so spricht dies zunächst dafür, daß die Tarifvertragsparteien bewußt vom geltenden Gesetzesrecht abgewichen sind und auf diese Weise eine eigenständige, von der jeweiligen Gesetzeslage unabhängige Regelung getroffen haben. Wenn aber die auszulegende Tarifbestimmung mit ihrer Verweisung auf mittlerweile außer Kraft getretenes Gesetzesrecht unverändert aus vorangegangenen Tarifverträgen übernommen wurde, so bedarf es besonderer Anhaltspunkte dafür, daß die Tarifvertragsparteien der gleichgebliebenen Bestimmung nunmehr eine andere Bedeutung beimessen wollten als zu der Zeit, zu welcher das in Bezug genommene Gesetz noch galt. War sie seinerzeit lediglich als dynamische Verweisung oder nur als bloßer Hinweis auf das geltende Gesetzesrecht aufzufassen, so ist sie in der Regel auch nach Außerkrafttreten der betreffenden Gesetze weiter im bisherigen Sinne zu verstehen (BAG 21. Oktober 1998 – 5 AZR 144/98 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Bäcker Nr. 2).
b) So verhält es sich hier: § 10 Nr. 5 MTV 1994 ist gleichlautend mit seiner Vorgängerregelung in § 10 Nr. 5 des Manteltarifvertrags vom 17. Januar 1990. Da seinerzeit die Verweisung auf die Entgeltfortzahlungsvorschriften des BGB und das Lohnfortzahlungsgesetz nicht als statische, sondern allenfalls als dynamische Verweisung zu verstehen war, kommt dem wortgleichen § 10 Nr. 5 MTV 1994 keine andere Bedeutung zu.
aa) Der Wortlaut von § 10 Nr. 5 MTV 1990 zeigt, daß die Tarifvertragsparteien auf die Vorschriften des BGB und des Lohnfortzahlungsgesetzes in ihrer jeweils geltenden Fassung verwiesen haben. Selbst wenn § 10 Nr. 5 MTV 1990 überhaupt eine Tarifnorm und nicht nur einen bloßen Hinweis darstellt, haben die Arbeitnehmer Anspruch auf Entgeltfortzahlung „entsprechend den Vorschriften des BGB bzw. des Gesetzes über die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfalle”. Von einer zeitlichen Einschränkung ist dabei keine Rede. Ohne nähere Kennzeichnung sind „die Vorschriften” des BGB und des Lohnfortzahlungsgesetzes diejenigen, die jeweils aktuell gelten. Daß von der Verweisung eine mögliche zukünftige Änderung der Gesetze ausgenommen sein sollte, läßt sich dem Wortlaut der Vorschrift nicht entnehmen. Des ausdrücklichen sprachlichen Zusatzes, es sollten die „jeweiligen” gesetzlichen Regelungen maßgeblich sein, bedarf es dafür nicht. Vor dem Außerkrafttreten des § 616 Abs. 2 BGB und des Lohnfortzahlungsgesetzes vermochte ein Tarifanwender den Text des § 10 Nr. 5 MTV 1990 nicht anders zu verstehen, als daß die genannten Bestimmungen über die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall jeweils in der Fassung zur Anwendung gelangen sollten, in der sie im Zeitpunkt der Arbeitsunfähigkeit galten. Für ein anderes sprachliches Verständnis gibt es keine Begründung.
bb) Etwas anderes folgt auch nicht aus sonstigen Umständen. Zwar sind in § 10 Nr. 1 und 3 MTV 1990 – und weiterhin in § 10 Nr. 1 und 3 MTV 1994 – mehrere Verhinderungsgründe vorgesehen, bei deren Eintritt Lohn und Gehalt so weiterbezahlt werden sollen, „als ob der Arbeitnehmer gearbeitet hätte”. Aufgeführt ist darunter der Arztbesuch des Arbeitnehmers. Auch wenn in diesen Fällen das volle Entgelt weiter zu zahlen ist und die betreffenden Regelungen insoweit eigenständig sind, als sie über die gesetzlichen Bestimmungen hinausgehende Ansprüche gewähren, folgt daraus nicht, daß die Tarifvertragsparteien in Nr. 5 der Bestimmung nur eine statische Verweisung auf die genannten Gesetze gewollt haben können. Der konstitutive Charakter eines Teils eines einheitlichen Regelungsbereichs läßt keinen Schluß auf den entsprechenden Charakter der übrigen Teile der Regelung zu. Den Tarifvertragsparteien steht es frei, von ihrer Befugnis zur eigenständigen Normsetzung nur für einen Teilbereich Gebrauch zu machen und im übrigen ohne Absicht zur normativ selbständigen Regelung auf die jeweiligen gesetzlichen Bestimmungen zu verweisen (BAG 14. Februar 1996 – 2 AZR 166/95 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Textilindustrie Nr. 21; BAG 16. Juni 1998 – 5 AZR 67/97 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Schuhindustrie Nr. 6, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).
cc) Eine eigenständige tarifliche Regelung in § 10 Nr. 5 MTV 1990 liegt ebensowenig deshalb vor, weil die Arbeitnehmer nach dieser Bestimmung einen Anspruch auf Bezahlung des Gehalts bzw. Lohns „haben”, sie eines solchen Anspruchs dagegen nach § 616 BGB nur „nicht verlustig” gehen bzw. ihn nach § 1 Abs. 1 LFZG nur „nicht verlieren”. Die unterschiedlichen Formulierungen haben jedenfalls dann keine inhaltlichen Auswirkungen, wenn in derselben Vorschrift zugleich auf BGB und Lohnfortzahlungsgesetz verwiesen wird (BAG 25. November 1998 – 5 AZR 443/98 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Land- und Forstwirtschaft Nr. 6).
c) Die Tarifvertragsparteien haben den MTV 1990 am 4. Juli 1994 mit Wirkung vom 1. Januar 1994 durch den MTV 1994 ersetzt. Sie haben dabei jedenfalls § 9 und § 10 MTV wortgleich belassen. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, daß sie den Bereich der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall im Juli 1994 anders regeln wollten als bislang. Zwar wird ihnen nicht verborgen geblieben sein, daß die genannten Gesetze mittlerweile durch die Vorschriften des Entgeltfortzahlungsgesetzes ersetzt worden waren. Aber gerade deshalb hätten sie deutlich zum Ausdruck bringen müssen, daß sie mit der gleichgebliebenen Formulierung in § 10 Nr. 5 MTV nunmehr eine andere Bedeutung verbanden als bislang. Dafür spricht um so weniger, als der MTV rückwirkend zum 1. Januar 1994 in Kraft gesetzt wurde. Für die ersten fünf Monate seiner Geltung gab es darum ohnehin keinen Anlaß, von der bisherigen Formulierung des § 10 Nr. 5 MTV 1990 abzuweichen. Auch im Hinblick auf die seit dem 1. Juni 1994 geltenden Regelungen des Entgeltfortzahlungsgesetzes gab es keinen Grund darauf zu bestehen, daß § 616 Abs. 2 BGB und das Lohnfortzahlungsgesetz tariflich weiterhin angewendet würden. Die Höhe der Entgeltfortzahlung war gleich geblieben.
Alle maßgeblichen Umstände sprechen daher dafür, daß die Tarifvertragsparteien mit der Vorschrift des § 10 Nr. 5 MTV 1994 keine andere als ihre bisherige Bedeutung und damit weiterhin keine eigenständige Regelungsabsicht verbanden. Haben die Tarifvertragsparteien auch in § 10 Nr. 5 MTV 1994 nur auf die jeweils geltenden gesetzlichen Bestimmungen zur Fortzahlung der Vergütung im Krankheitsfall Bezug nehmen wollen, so liegt darin ab dem 1. Juni 1994 der Sache nach eine Verweisung auf die Vorschriften des Entgeltfortzahlungsgesetzes in seiner jeweils geltenden Fassung.
2. Eine eigenständige Regelung über die Höhe der Entgeltfortzahlung haben die Tarifvertragsparteien auch mit der Bestimmung für die auf Umsatzbeteiligung arbeitenden Arbeitnehmern in § 10 Nr. 5 MTV nicht getroffen. Diesen ist „bei Arbeitsunfähigkeit ein Arbeitsentgelt zu zahlen in Höhe des Urlaubsentgeltes entsprechend § 9 Nr. 2, mindestens jedoch der Garantielohn”. Nach § 9 Nr. 2 MTV wiederum „(erhalten) alle Arbeitnehmer … als Urlaubsentgelt je Urlaubstag 1/22 des Durchschnittsverdienstes der letzten 12 Monate”.
a) Ihrem Wortlaut nach enthält diese Bestimmung allerdings eine Regelung nicht nur über die Berechnungsmethode (Referenzprinzip) und die Berechnungsgrundlage (Durchschnittsverdienst der letzten 12 Monate) des Entgeltfortzahlungsanspruchs, sondern auch über dessen Höhe (pro Krankheitstag 1/22 des Durchschnittsverdienstes). Der Senat hat daraus in anderen Fällen einen Anspruch auf Fortzahlung des ungeminderten Arbeitsentgelts abgeleitet (BAG 16. Juni 1998 – 5 AZR 728/97 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Gaststätten Nr. 3, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen; BAG 26. August 1998 – 5 AZR 740/97 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Druckindustrie Nr. 33, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen; BAG 26. August 1998 – 5 AZR 769/97 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Holz Nr. 17).
b) Von diesen Fällen weicht der vorliegende Fall jedoch in einem maßgeblichen Punkt ab. Die Verweisung auf § 9 Nr. 2 MTV und den Faktor „1/22 des Durchschnittsverdienstes” gilt ausschließlich für die auf Umsatzbeteiligung arbeitenden Arbeitnehmer. Das unterscheidet § 10 Nr. 5 MTV sowohl von den Tarifbestimmungen, die den Entscheidungen des Senats vom 26. August 1998 zugrunde lagen, als auch von der Regelung im branchenverwandten Manteltarifvertrag für das Hotel- und Gaststättengewerbe in Baden-Württemberg vom 24. März 1994, zu der die Entscheidung des Senats vom 16. Juni 1998 ergangen ist. Diese Regelung sah vor, daß Krankheitstage „für Umsatzbeteiligte pro Tag in Höhe von 1/22stel des Effektivverdienstes, für Festbesoldete unter Fortzahlung des vereinbarten Lohnes bzw. Gehaltes zu vergüten” seien. Der Senat hat dieser Vorschrift eine konstitutive Regelung zur Höhe der Entgeltfortzahlung nicht nur für Umsatzbeteiligte, sondern wegen der Formulierung „Fortzahlung des vereinbarten Lohnes bzw. Gehaltes” auch für Festbesoldete entnommen.
c) § 10 Nr. 5 MTV enthält demgegenüber für Festbesoldete wie den Kläger keine gesonderte Regelung. Für sie gilt ausschließlich die Verweisung auf das Gesetz. Damit würde in der Zeit ab dem 1. Oktober 1996 das jeweilige Vergütungssystem – Umsatzbeteiligung oder Festbesoldung – darüber entscheiden, ob im Krankheitsfalle 100 % oder 80 % des regulären Entgelts zu vergüten sind. Ein solches Ergebnis widerspräche dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. An den Gleichheitssatz sind jedoch auch die Tarifvertragsparteien gebunden. Im Zweifel kann deshalb nicht angenommen werden, daß sie gleichheitswidrige Tarifnormen schaffen wollten. Im Streitfall ist eine solche Annahme umso weniger berechtigt, als die unterschiedliche Behandlung von Umsatzbeteiligten und Festbesoldeten ausschließlich auf der Gesetzesänderung vom 25. September 1996 und ihren unterschiedlichen tariflichen Auswirkungen beruht. Darum ist zu prüfen, ob sich ein Gleichheitsverstoß durch eine am mutmaßlichen Willen der Tarifvertragsparteien orientierte verfassungskonforme Auslegung von § 10 Nr. 5 MTV vermeiden läßt. Dies ist möglich.
aa) Es geht um die Auslegung der Vorschrift für die Zeit vom 1. Oktober 1996 bis zum 31. März 1997. Mit Wirkung vom 1. April 1997 haben die Tarifvertragsparteien die Vorschrift dahingehend geändert, daß nunmehr beide Arbeitnehmergruppen – Festbesoldete und Umsatzbeteiligte – „ab dem 2. Monat der Beschäftigung 80 %, ab dem 10. Monat der Beschäftigung 100 % der … maßgeblichen Bezüge bis zur Dauer von sechs Wochen (weiter erhalten)”. Auf diese Weise ist der durch die Gesetzesänderung eingetretene Gleichheitsverstoß in § 10 Nr. 5 MTV beseitigt worden.
Die Tarifvertragsparteien haben die neue Regelung nicht rückwirkend in Kraft gesetzt. Auf den Streitfall läßt sie sich darum nicht anwenden. Ebensowenig läßt sich aus ihr ableiten, wie die Tarifpartner den Gleichheitsverstoß in der Zeit vor April 1997 beseitigt wissen wollten: ob durch volle Entgeltfortzahlung auch für Festbesoldete oder durch abgesenkte Entgeltfortzahlung auch für Umsatzbeteiligte.
bb) Die verfassungskonforme Auslegung von § 10 Nr. 5 MTV führt dazu, daß auch Umsatzbeteiligte keinen Anspruch auf volle Entgeltfortzahlung haben. Die Tarifbestimmung enthält zu Beginn eine für alle Angestellten und gewerblichen Arbeitnehmer geltende dynamische Verweisung auf die gesetzlichen Entgeltfortzahlungsvorschriften. Allein für die Umsatzbeteiligten wird anschließend wegen des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts auf § 9 Nr. 2 MTV verwiesen. Insoweit besteht ein Verhältnis von allgemeiner zu besonderer Regelung: In allen Punkten sollen die Umsatzbeteiligten so behandelt werden wie die übrigen Arbeitnehmer, nur das gesetzliche Lohnausfallprinzip soll bei ihnen durch das Referenzprinzip ersetzt werden. Mit dieser Systematik des § 10 Nr. 5 MTV wäre es unvereinbar, wenn die Höhe der Entgeltfortzahlung auch bei Festbesoldeten nicht mehr nach dem Gesetz, sondern wie bei Umsatzbeteiligten nach § 9 Nr. 2 MTV ermittelt würde, um einen Gleichheitsverstoß zu vermeiden.
Die Systematik der Vorschrift und darüber hinaus der mutmaßliche Wille der Tarifvertragsparteien werden dagegen gewahrt, wenn umgekehrt die Höhe der Entgeltfortzahlung auch bei Umsatzbeteiligten nach dem Gesetz ermittelt wird. Auf diese Weise behält die Regelung für Umsatzbeteiligte auch nach der gesetzlichen Kürzung der Entgeltfortzahlung die begrenzte Bedeutung, die ihr bis dahin zukam. Diese Bedeutung bestand allein darin, eine andere Berechnungsmethode der Entgeltfortzahlung anzuordnen. Das zeigt der Zusammenhang mit § 10 Nr. 4 MTV. Dort ist bestimmt, daß sich in den nicht auf Arbeitsunfähigkeit beruhenden Fällen von Arbeitsversäumnis das fortzuzahlende Entgelt nach dem Lohnausfallprinzip berechnet. Auch diese Bestimmung hat ausschließlich die Berechnungsmethode und nicht die endgültige Höhe der Entgeltfortzahlung zum Gegenstand. Zudem sprechen Sinn und Zweck der Regelung für Umsatzbeteiligte dafür, sie als bloße Berechnungsvorschrift zu verstehen. Umsatzbeteiligte erzielen ein Einkommen, das in der Regel nicht unerheblichen Schwankungen unterliegt. Das tariflich vorgesehene Referenzprinzip soll eine einfache Berechnung des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts ermöglichen und dieses dem Streit entziehen. Darüber hinaus bestand für die Tarifvertragsparteien kein Anlaß, die Gruppe der Umsatzbeteiligten anders als die Gruppe der festbesoldeten Arbeitnehmer zu behandeln.
§ 10 Nr. 5 MTV ist darum dahin auszulegen, daß auch die Entgeltfortzahlung für Umsatzbeteiligte an der gesetzlichen Kürzung teilnimmt. Die Klage ist mit beiden Anträgen unbegründet.
Unterschriften
Griebeling, Müller-Glöge, Kreft, Utz-P. Hansen, Mandrossa
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 16.06.1999 durch Clobes, Amtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 436148 |
BAGE, 52 |
BB 1999, 2568 |
DB 2000, 677 |
NZA 2000, 54 |
SAE 2000, 128 |
AP, 0 |
AUR 2000, 38 |