Entscheidungsstichwort (Thema)
Erlöschen einer Versorgungsanwartschaft nach Straftat. Betriebliche Altersversorgung. Erlöschen der Versorgungsanwartschaft auf Grund rechtskräftiger strafgerichtlicher Verurteilung
Leitsatz (amtlich)
- § 18 BetrAVG aF war bis zum 31. Dezember 2000 weiter anzuwenden.
- § 18 Abs. 2 Nr. 4 BetrAVG aF und § 18 Abs. 2 Nr. 5 BetrAVG nF zum Erlöschen von Versorgungsanwartschaften der Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst verstoßen weder gegen Art. 14 noch gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
Orientierungssatz
- Nach § 1 Abs. 3 1. Hamburger Ruhegeldgesetz erwirbt der vor dem Versorgungsfall aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidende Arbeitnehmer weder einen Anspruch auf Ruhegeld noch eine daraus abgeleitete Teilrenten-Anwartschaft.
- Nach § 18 Abs. 2 Nr. 4 iVm. Abs. 3 BetrAVG idF bis 31. Dezember 2000 entstand eine Versorgungsanwartschaft nicht oder sie erlosch wieder, wenn der Berechtigte wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren rechtskräftig verurteilt worden war.
- Nichts anderes gilt nach § 18 Abs. 2 Nr. 5 BetrAVG in der ab 1. Januar 2001 geltenden Fassung. Nach dieser Vorschrift gelten die Vorschriften der Versorgungsregelung über das Erlöschen, das Ruhen und die Nichtleistung der Versorgungsrente “entsprechend. Damit wird (auch) auf § 29 Abs. 2 1. Hamburger Ruhegeldgesetz verwiesen. Danach erlischt der Anspruch auf Ruhegeld unter den gleichen Voraussetzungen wie nach § 18 BetrAVG aF. “Entsprechende Anwendung dieser Erlöschensvorschrift bedeutet, dass Versorgungsanwartschaften so zu behandeln sind wie Ruhegeldansprüche.
- Nach der vom Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber eingeräumten Frist zur Neuregelung war § 18 BetrAVG aF bis zum 31. Dezember 2000 weiter anzuwenden.
- Die Vorschriften zum Erlöschen von Zusatzversorgungsansprüchen wegen rechtskräftiger strafgerichtlicher Verurteilung verletzen nicht Art. 14 GG, da die Zusatzversorgung von vornherein unter dem Vorbehalt steht, dass die im öffentlichen Dienst Beschäftigten keine vorsätzlichen Straftaten mit der Folge einer erheblichen Freiheitsstrafe begehen.
- Ebenso ist der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) nicht verletzt. Bei im Bereich der öffentlichen Verwaltung beschäftigten Arbeitnehmern ist zu berücksichtigen, dass ihr Verhalten von der Öffentlichkeit mit strengeren Maßstäben als das von Arbeitnehmern in der Privatwirtschaft beurteilt wird. Grundsätzlich muss daher der Angestellte sein außerdienstliches Verhalten so einrichten, dass das Ansehen des öffentlichen Arbeitgebers nicht beeinträchtigt wird.
- § 37 1. Hamburger Ruhegeldgesetz – Härteausgleich – kann nicht dazu herangezogen werden, von der Anwendung der Vorschriften über das Erlöschen des Ruhegeldanspruchs abzusehen.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 14; BetrAVG i.d.F. bis 31. Dezember 2000 § 18 Abs. 2 Nr. 4; BetrAVG i.d.F. ab 1. Januar 2001 § 18 Abs. 2 Nr. 5; 1. Hamburger Ruhegeldgesetz § 1 Abs. 3, §§ 29, 37; HmbZVG § 1; StPO §§ 341, 343, 349
Verfahrensgang
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Verpflichtung der Beklagten, an den Kläger Ruhegeld zu zahlen.
Der am 3. September 1939 geborene Kläger ist seiner nicht berufstätigen Ehefrau und zwei Kindern unterhaltsverpflichtet. Nach einer Ausbildung zum Diplomingenieur trat er am 2. Oktober 1972 als technischer Angestellter bei der Beklagten ein und war seit 1988 in der Ubehörde tätig.
Am 7. Dezember 1993 trat der Kläger abends mit dem Zug die Heimfahrt von Hamburg Hauptbahnhof zu seinem südlich von Hamburg gelegenen Wohnort B… an. Dabei führte er ein beidseitig geschliffenes Fahrtenmesser mit einer Klinge von 12,6 cm Länge und 2,5 cm Breite mit sich. Das Erste-Klasse-Abteil, in dem der Kläger Platz genommen hatte, wurde auch von dem im Frühjahr 1993 als Asylbewerber nach Deutschland gekommenen Schwarzafrikaner J… aufgesucht. Mit diesem geriet der Kläger in Streit, der wenige Minuten vor Erreichen des Bahnhofes B… in einer tätlichen Auseinandersetzung mündete. In deren Verlauf fügte der Kläger dem J… mit seinem Messer mehrere Schnitt- und Stichverletzungen zu. Ein Stich in den Oberbauch des J… trennte eine Schlagader und die Bauchspeicheldrüse durch und verletzte den Dünndarm an vier Stellen. Diese Verletzung führte noch in derselben Nacht zum Tod des J….
Im Frühjahr 1995 nahm das Landgericht Stade an, eine vom Kläger begangene vorsätzliche Körperverletzung mit Todesfolge sei durch Notwehr gerechtfertigt. Auf die Revision der Nebenklage, die von einigen Mitarbeitern der Ubehörde der Beklagten finanziell unterstützt wurde, hob der Bundesgerichtshof dieses Urteil auf (21. März 1996 – 5 StR 432/95 – BGHSt 42, 97). Darauf verurteilte eine andere Kammer des Landgerichts Stade den Kläger am 28. Februar 1997 wegen Totschlags in einem minder schweren Fall zu einer auf Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von zwei Jahren. Bei den Strafmaßerwägungen spreche zugunsten des Klägers “insbesondere die drohende Entfernung aus dem öffentlichen Dienst der Freien und Hansestadt Hamburg. Eine vom Kläger gegen das Urteil eingelegte Revision wurde vom Bundesgerichtshof durch Beschluss vom 21. August 1997 verworfen.
Von der Verurteilung des Klägers durch das Urteil vom 28. Februar 1997 erhielt die Beklagte am 3. März 1997 Kenntnis. Mit Zugang am 14. März 1997 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos. Eine weitere fristlose Kündigung sprach sie nach Verwerfung der Revision aus. Nach Erhebung der Kündigungsschutzklage sprachen sich nahezu 30 Kollegen und Vorgesetzte des Klägers im Dezember 1997 gegen seine Rückkehr in die Ubehörde aus. Das Arbeitsgericht wies die Kündigungsschutzklage im Mai 1998 ab, das Landesarbeitsgericht gab ihr im Oktober 1999 statt. Dieses Berufungsurteil hob das Bundesarbeitsgericht auf (8. Juni 2000 – 2 AZR 638/99 – BAGE 95, 78). Schließlich wies das Landesarbeitsgericht durch Urteil vom 11. September 2001 (– 1 Sa 45/00 –) die Berufung des Klägers zurück.
Der Kläger bezieht seit dem 1. August 2002 gesetzliche Altersrente. Er beansprucht Ruhegeld nach dem 1. Hamburger Ruhegeldgesetz (1. RGG) in Höhe von monatlich 417,61 Euro. Die Beklagte lehnte die Zahlung von Ruhegeld ab.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, sein Ruhegeldanspruch sei nicht erloschen. Das 1. RGG sehe solches nur bei Straftaten vor, die ein Ruhegeldempfänger begehe. Bei seiner Tat habe er jedoch im aktiven Arbeitsverhältnis gestanden. Der Hamburgische Gesetzgeber habe es bewusst als ausreichend angesehen, dass der öffentliche Arbeitgeber die Schädigung seines Ansehens bei Straftaten durch Bedienstete mit der Kündigung des bestehenden Arbeitsverhältnisses kompensieren könne. Eine planwidrige Regelungslücke liege somit nicht vor, eine Analogie scheide aus. Zudem sei ein Gesetz, das den automatischen Verlust von Ansprüchen im Falle einer strafgerichtlichen Verurteilung vorsehe, verfassungswidrig. Unter dem Aspekt der Besitzstandswahrung sei Art. 14 GG verletzt und unter dem Gesichtspunkt, dass die Rechtsprechung den Verlust von unverfallbaren Leistungsansprüchen nur unter sehr engen Voraussetzungen zuließe, der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG). Schließlich hätte bei hinreichender Würdigung seiner wirtschaftlichen Lage die Härtefallregelung des 1. RGG angewendet werden müssen.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm Ruhegeld in Höhe von 417,61 Euro monatlich ab dem 1. August 2002 zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat darauf verwiesen, dass zwar nach dem Wortlaut des 1. RGG strafrechtliche Verfehlungen von aktiven Mitarbeitern nicht zum Erlöschen des Ruhegeldanspruchs führen. Infolge verschiedener Gesetzesänderungen sei aber im Zusammenwirken von 1. RGG und BetrAVG eine systemwidrige Regelungslücke entstanden, die im Wege der Analogie zu schließen sei. Schon wegen der schweren Verfehlungen des Klägers sei durch ein Erlöschen seines Ruhegeldanspruchs der Gleichheitssatz nicht verletzt. Über die Härtefallregelung dürften die Versorgungsgrundsätze nicht generell verändert werden.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers blieb erfolglos. Mit der zugelassenen Revision verfolgt er sein Klageziel weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision bleibt ohne Erfolg, weil die Klage unbegründet ist. Mit der Rechtskraft der strafgerichtlichen Verurteilung des Klägers im Jahre 1997 ist seine Ruhegeldanwartschaft nach dem 1. RGG erloschen (§ 18 Abs. 2 Nr. 4 BetrAVG idF bis 31. Dezember 2000 – aF). Die Vorschriften zum Erlöschen des Ruhegeldanspruchs oder der Anwartschaft darauf sind verfassungskonform. Nach den Regeln des 1. RGG zum Härteausgleich (§ 37 1. RGG) ergibt sich kein anderes Ergebnis.
A. Der Kläger hat keinen Ruhegeldanspruch nach den Hamburger Ruhegeldgesetzen. Seine rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung hat die Entstehung eines entsprechenden Anspruchs verhindert oder, sollte das Strafurteil erst nach Ausscheiden des Klägers bei der Beklagten am 14. März 1997 rechtskräftig geworden sein, seine Ruhegeldanwartschaft zum Erlöschen gebracht.
I. Nach dem 1. RGG hatte der Kläger bei seinem Ausscheiden am 14. März 1997 keinen Anspruch auf Ruhegeld.
1. Das 1. RGG ist aufgehoben. Nach § 1 Abs. 1 Satz 2 des Hamburgischen Zusatzversorgungsgesetzes (HmbZVG) gilt für Versorgte, die am 31. Juli 2003 unter das 1. RGG idF vom 30. Mai 1995, zuletzt geändert am 2. Juli 2003, fielen, nunmehr das HmbZVG mit den in den §§ 29 bis 31 HmbZVG bestimmten Abweichungen. Leistungen nach dem jetzt gültigen HmbZVG iVm. dem BetrAVG kann der Kläger nur verlangen, wenn er am 31. Juli 2003 unter das 1. RGG fiel.
2. Nach der Rechtslage zum Zeitpunkt des Versorgungsfalls, also am 1. August 2002, war das 1. RGG noch in Kraft. Das 2. Hamburger Ruhegeldgesetz vom 7. März 1995 (2. RGG, HmbGVBl. S. 53) galt nur für Neueintritte ab dem Zeitpunkt seines Inkrafttretens, also ab dem 1. April 1995. Für bis zum 31. März 1995 begründete Beschäftigungsverhältnisse galt das 1. RGG weiter (§ 1 Abs. 4 Nr. 3 1. RGG in der Neufassung vom 30. Mai 1995, HmbGVBl. S. 108). Die Versorgungsansprüche des bereits 1972 bei der Beklagten eingetretenen Klägers richteten sich daher im Zeitpunkt des Versorgungsfalls am 1. August 2002 nach dem 1. RGG.
3. Nach § 1 Abs. 3 1. RGG wird auf die Versorgung nach diesem Gesetz “keine Anwartschaft gewährleistet. Als Hamburgisches Landesrecht kennt das 1. RGG Ruhegeld nur für die bis zum Versorgungsfall betriebstreuen Arbeitnehmer der Freien und Hansestadt Hamburg. Der vor dem Versorgungsfall am 14. März 1997 auf Grund der wirksamen fristlosen Kündigung der Beklagten aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschiedene Kläger hat nach Hamburgischem Recht weder einen Anspruch auf Ruhegeld noch eine daraus abgeleitete Teilrenten-Anwartschaft erworben.
II. Eine Anwartschaft auf Ruhegeld ergibt sich auch nicht aus § 18 BetrAVG iVm. dem 1. RGG.
1. Bei Ausscheiden des Klägers am 14. März 1997 lautete § 18 BetrAVG in der noch bis 31. Dezember 2000 gültigen Fassung, soweit vorliegend von Interesse, wie folgt:
“§ 18 Sonderregelungen für die Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes
(1) Für Personen, die
…
3. unter das Gesetz über die zusätzliche Alters- und Hinterbliebenenversorgung für Angestellte und Arbeiter der Freien und Hansestadt Hamburg (Erstes Ruhegeldgesetz – 1. RGG) … in ihren jeweiligen Fassungen fallen oder auf die diese Gesetze sonst Anwendung finden, … gelten die §§ 2 bis 5, 16, 27 und 28 nicht. …
(2) Bei Eintritt des Versorgungsfalls erhalten die … Personen von der Zusatzversorgungseinrichtung eine Zusatzrente nach folgenden Maßgaben:
…
4. Der Anspruch auf Zusatzrente oder die in Nummer 3 bezeichneten Leistungen entsteht nicht oder erlischt, wenn der Berechtigte durch die Entscheidung eines deutschen Gerichts im Geltungsbereich dieses Gesetzes wegen einer vorsätzlichen Tat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren oder … rechtskräftig verurteilt worden ist.
(3) Personen, auf die bis zur Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses die Regelungen des Gesetzes über die zusätzliche Alters- und Hinterbliebenenversorgung für Angestellte und Arbeiter der Freien und Hansestadt Hamburg (Ruhegeldgesetz) oder … in ihren jeweiligen Fassungen Anwendung gefunden haben …, haben Anspruch auf Leistungen in sinngemäßer Anwendung des Absatzes 2 Nr. 1, 2 und 4.
2. Die Voraussetzungen des § 18 Abs. 2 Nr. 4 iVm. Abs. 3 BetrAVG aF liegen vor. Das Landgericht Stade hat den Kläger wegen einer Vorsatztat (Totschlag in einem minder schweren Fall) zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Dass diese Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wurde, ist im Rahmen von § 18 Abs. 2 Nr. 4 BetrAVG aF ohne Belang. Das Strafurteil wurde am 28. Februar 1997 verkündet. Der Kläger hatte zwar noch Revision zum Bundesgerichtshof eingelegt. Diese wurde jedoch mit Beschluss vom 21. August 1997 verworfen. Das Landesarbeitsgericht hat keine Feststellungen zu den Gründen für die Verwerfung getroffen. Wäre sie wegen der Verletzung der Vorschriften über die rechtzeitige Einlegung der Revision als unzulässig verworfen worden (§ 349 Abs. 1 in Verb. mit § 341 Abs. 1 StPO), so wäre durch die Anfechtung die Rechtskraft des Strafurteils vom 28. Februar 1997 nicht gehemmt worden (§ 343 Abs. 1 StPO). Dann hätte schon bei Ausscheiden des Klägers am 14. März 1997 festgestanden, dass ein Anspruch oder eine Ruhegeldanwartschaft nach § 18 Abs. 2 Nr. 4 BetrAVG aF nicht entstanden ist. Die Frage kann aber offenbleiben. Denn bei Rechtskraft der strafgerichtlichen Verurteilung erst am 21. August 1997, dem Zeitpunkt der Verwerfung der Revision des Klägers durch den Bundesgerichtshof, wäre die bei Ausscheiden des Klägers am 14. März 1997 aus dem Arbeitsverhältnis festzustellende Ruhegeldanwartschaft mit der dann eintretenden Rechtskraft der strafgerichtlichen Verurteilung nach § 18 Abs. 2 Nr. 4 BetrAVG aF wieder erloschen.
3. Die spätestens am 21. August 1997 erloschene Ruhegeldanwartschaft des Klägers konnte durch spätere Gesetzesänderungen bis zum Eintritt des Versorgungsfalls am 1. August 2002 nicht wieder aufleben. § 18 BetrAVG nF ist durch Gesetz vom 21. Dezember 2000 anstelle der bisherigen Fassung eingefügt. Die Neufassung ist am 1. Januar 2001 in Kraft getreten. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber vorher nicht entstandene oder erloschene Ansprüche neu begründen wollte. Dies entspricht auch der § 2 Abs. 5 Satz 1 BetrAVG zu entnehmenden Zielsetzung des Gesetzgebers, Veränderungen der Versorgungsregelung und der Bemessungsgrundlagen, soweit sie nach dem Ausscheiden des Arbeitnehmers eintreten, keine Bedeutung beizumessen.
4. Wie die Vorinstanzen im Ergebnis richtig erkannt haben, würde auch die Anwendung von § 18 BetrAVG in der ab 1. Januar 2001 gültigen Fassung zu keinem anderen Ergebnis führen. § 18 Abs. 2 Nr. 5 BetrAVG nF ordnet für das Erlöschen und die Nichtleistung der Versorgungsrente die “entsprechende Geltung der Vorschriften der Versorgungsregelung an. Die Bestimmung des 1. RGG in § 29 zum Erlöschen der Versorgung lautet:
Ҥ 29
Erlöschen der Versorgung
(1) Das Ruhegeld erlischt, wenn der Ruhegeldempfänger wegen einer vor seinem Ausscheiden im Dienst oder in Bezug auf den Dienst begangenen Straftat verurteilt worden ist, die zu einer fristlosen Entlassung aus wichtigem Grunde berechtigt hätte. Die Zahlung des Ruhegeldes endet mit Ablauf des Monats, in dem das Strafurteil rechtskräftig geworden ist.
(2) Ruhegeld und Hinterbliebenenversorgung erlöschen, wenn der Versorgungsempfänger im Bundesgebiet wegen einer vorsätzlichen Tat zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren … verurteilt worden ist. …
(3) Erlischt Ruhegeld nach Absatz 1 oder 2, so steht auch keine Hinterbliebenenversorgung zu.
Eine “entsprechende Anwendung dieser Erlöschensvorschrift bedeutet, dass Versorgungsanwartschaften so zu behandeln sind wie Ruhegeldansprüche: Sie entstehen nicht oder erlöschen. Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen bestand keine im Wege der Analogie zu schließende Gesetzeslücke. § 29 Abs. 2 1. RGG normiert die gleichen Voraussetzungen für das Erlöschen eines Anspruchs wie § 18 Abs. 2 Nr. 4 BetrAVG aF.
B. Die Revision bleibt auch ohne Erfolg, soweit sie die Verfassungswidrigkeit dieser Vorschriften rügt.
I. Durch Beschluss vom 15. Juli 1998 (– 1 BvR 1554/89 –, – 1 BvR 963/94 –, – 1 BvR 964/94 – BVerfGE 98, 365) hat das Bundesverfassungsgericht § 18 BetrAVG aF zwar “insgesamt für unvereinbar mit dem Grundgesetz, jedoch nicht für nichtig erklärt. Gemäß der dem Gesetzgeber eingeräumten Frist zur Neuregelung bis 31. Dezember 2000 war § 18 BetrAVG aF bis dahin weiter anzuwenden. Zudem hat das Bundesverfassungsgericht § 18 BetrAVG aF unter dem Gesichtspunkt der Verfallbarkeit von Betriebsrentenanwartschaften bei vorzeitiger Beendigung des Arbeitsverhältnisses geprüft und insoweit Verstöße gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) und die freie Wahl eines anderen Arbeitsplatzes (Art. 12 Abs. 1 GG) festgestellt. Mit der auch in § 18 BetrAVG geregelten Frage des Entstehens und Erlöschens von Zusatzversorgungsansprüchen bei Straftaten im Dienst oder außerhalb des Dienstes hat sich das Bundesverfassungsgericht damals nicht befasst. Dementsprechend wurde entgegen der Auffassung der Revision § 18 Abs. 2 Nr. 4 BetrAVG aF nicht “ersatzlos gestrichen, sondern durch § 18 Abs. 2 Nr. 5 BetrAVG nF ersetzt. Den Gesetzesmaterialien sind Hinweise darauf, dass diese Änderung verfassungsrechtlichen Bedenken geschuldet gewesen wäre, nicht zu entnehmen. Der Bundesgesetzgeber wollte vielmehr ab 1. Januar 2001 auf eine eigene Regelung verzichten und die Voraussetzungen für das Erlöschen des Anspruchs auf Zusatzrente den Voraussetzungen für die entsprechende Versorgungsrente angleichen (BT-Drucks. 14/4363 S. 11).
II. Auch Art. 14 GG ist nicht verletzt. Anders als bei dem Abbau einer Überversorgung kann vorliegend nicht von einer zulässigen Bestimmung des Inhalts und der Schranken des Eigentums (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG) ausgegangen werden (vgl. BAG 12. März 1996 – 3 AZR 963/94 – AP RuhegeldG Hamburg § 3 Nr. 1 = EzA BGB § 242 Ruhegeld Nr. 111). Es gab hier keinen dem Schutzbereich des Art. 14 GG zuzuordnenden “Besitzstand, da nach dem 1. RGG der Ruhegeldanspruch von vornherein unter dem Vorbehalt steht, dass die Beschäftigten der Stadt Hamburg keine vorsätzlichen Straftaten mit der Folge einer erheblichen Freiheitsstrafe begehen. Art. 14 GG schützt nur bestehende Rechtspositionen am Eigentum, schafft aber solche nicht.
III. Auch der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) ist nicht verletzt. Davon wäre nur auszugehen, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (BVerfG 7. Oktober 1980 – 1 BvL 50/79 –, 1 BvL 89/79 –, – 1 BvR 240/79 – BVerfGE 55, 72, 88; 11. Juni 1991 – 1 BvR 538/90 – BVerfGE 84, 197, 199).
1. Eine Ungleichbehandlung innerhalb der im öffentlichen Dienst tätigen Arbeitnehmer findet nicht statt. Mit § 18 Abs. 2 Nr. 4 BetrAVG aF richtet der Gesetzgeber an alle Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst die gleiche Verhaltensanforderung und sieht für alle diejenigen, die ihr nicht entsprechen, die gleiche Rechtsfolge vor. Dass ein im öffentlichen Dienst angestellter Straftäter wie der Kläger mit seiner rechtskräftigen Verurteilung den Ruhegeldanspruch oder die Anwartschaft darauf verliert, ist nicht Resultat einer Ungleichbehandlung der Angestellten innerhalb des öffentlichen Dienstes, sondern eines gleichförmigen Normenvollzugs. Allerdings muss die vom Gesetzgeber aufgestellte Voraussetzung für die Anspruchsentstehung und -erhaltung selbst sachlich gerechtfertigt und geeignet sein, die Rechtsfolge, dass “kein Versorgungsanspruch besteht, zu tragen. Insofern unterscheidet sich jedoch die Fragestellung nicht von dem Problem, ob die Ungleichbehandlung der Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes im Verhältnis zu denjenigen in der Privatwirtschaft sachlich gerechtfertigt ist.
2. Der Entzug unverfallbarer Versorgungsansprüche (§ 1 BetrAVG aF, § 1b BetrAVG nF) ist in der Privatwirtschaft nur unter sehr engen Voraussetzungen zulässig. Gegenüber Leistungsansprüchen ist dies nur dann zulässig, wenn die Verfehlungen im Einzelfall so schwer wiegen, dass und soweit sich die erbrachte Betriebstreue rückwirkend als wertlos erweist (BAG 29. Januar 1991 – 3 AZR 85/90 – AP BetrAVG § 1 Hinterbliebenenversorgung Nr. 13, zu III der Gründe; BGH 25. November 1996 – II ZR 118/95 – AP BetrAVG § 1 Treuebruch Nr. 12, zu III 1 der Gründe; BAG 18. Oktober 1979 – 3 AZR 550/78 – BAGE 32, 139, zu III 1b der Gründe). Der Arbeitgeber muss vom Arbeitnehmer schwerwiegend und langanhaltend geschädigt worden sein; das Vorliegen eines wichtigen Grundes für eine fristlose Kündigung reicht nicht aus (BAG 8. Mai 1990 – 3 AZR 152/88 – AP BetrAVG § 1 Treuebruch Nr. 10 = EzA BetrAVG § 1 Rechtsmissbrauch Nr. 3, zu III 2a der Gründe).
3. In einem Nichtannahmebeschluss hat das Bundesverfassungsgericht (28. Juni 2000 – 1 BvR 387/00 – NZA 2000, 999) eine § 18 Abs. 2 Nr. 4 BetrAVG aF entsprechende Satzungsbestimmung einer Zusatzversorgungskasse für verfassungsrechtlich nicht unbedenklich gehalten, weil nicht danach differenziert werde, ob die strafgerichtliche Verurteilung in irgendeinem Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehe oder durch die Straftaten die Interessen des Arbeitgebers im Einzelfall berührt würden. Diese Bedenken bestünden vor allem dann, wenn es sich beim Arbeitgeber nicht um einen Teil der öffentlichen Verwaltung handele. Auch unter Berücksichtigung dessen hat die Revision keinen Erfolg.
a) Vorliegend war der Kläger im Bereich der öffentlichen Verwaltung der Beklagten beschäftigt. Bei Beschäftigten des öffentlichen Dienstes ist zu berücksichtigen, dass deren dienstliche Verwendbarkeit durch außerdienstliche Vorgänge beeinflusst wird und das Vertrauen des Bürgers in die Verwaltung besonders sensibel ist und schnell erschüttert werden kann. Die Öffentlichkeit misst das Verhalten eines im öffentlichen Dienst Beschäftigten mit strengeren Maßstäben als das von Arbeitnehmern in der Privatwirtschaft. Sie beobachtet mit geschärfter Aufmerksamkeit das Verhalten des öffentlichen Arbeitgebers im Umgang mit seinen Beschäftigten. Grundsätzlich muss daher der Angestellte sein außerdienstliches Verhalten so einrichten, dass das Ansehen des öffentlichen Arbeitgebers nicht beeinträchtigt wird (BAG 9. Februar 1977 – 5 AZR 2/76 – AP BGB § 611 Fürsorgepflicht Nr. 83 = EzA BGB § 611 Fürsorgepflicht Nr. 21, zu II 2 der Gründe). Hinzu kommt, dass es vorliegend nicht um die Rücknahme einer Versorgungszusage oder den Verlust einer bereits erworbenen Versorgungsanwartschaft unter Widerrufs- oder Treubruchs-Gesichtspunkten geht. Durch § 18 Abs. 2 Nr. 4 BetrAVG aF wurde der Erwerb des gesetzlichen Anspruchs auf Zusatzrente bzw. Ruhegeld und ebenso der Erwerb einer daraus abgeleiteten unverfallbaren Anwartschaft immer an die gesetzliche Verhaltensanforderung der strafrechtlichen Gesetzestreue geknüpft. Wegen dieser Bedingung konnte sich ein Vertrauen des Klägers, auch bei schweren strafrechtlichen Verfehlungen Ruhegeldanwartschaften zu erwerben, nicht bilden.
b) Zudem schließt § 18 Abs. 2 Nr. 4 BetrAVG aF die Anwartschaft auf Zusatzversorgung nicht allgemein “bei strafrechtlicher Verurteilung aus. Vielmehr muss der Beschäftigte eine “vorsätzliche Tat begangen haben und die rechtskräftige Verurteilung muss auf eine “Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren lauten. Es muss also durch rechtskräftige Verurteilung eine erhebliche kriminelle Energie festgestellt worden sein. Dass der Gesetzgeber diesen Personenkreis von einer beamtenähnlich ausgestatteten Zusatzversorgung im Interesse seines Ansehens und des Vertrauens der Bürger in die Gesetzes- und Rechtstreue der Verwaltung ausgenommen hat, ist ein hinreichender sachlicher Differenzierungsgrund.
C. Bei der Nichtanwendung der Härteausgleichsklausel des § 37 1. RGG sind der Beklagten Ermessensfehler nicht unterlaufen. Die Vorschrift lautet:
Ҥ 37
Härteausgleich
Die zuständige Behörde kann etwaige Unbilligkeiten und Härten ausgleichen, die sich im Einzelfall aus der Anwendung des Gesetzes, insbesondere der §§ 9, 26 bis 27 ergeben. Sie entscheidet in den Fällen des Satzes 1 nach pflichtgemäßem Ermessen unter besonderer Berücksichtigung der wirtschaftlichen Lage des Versorgungsempfängers. Ausnahmen von der Wartezeit (§ 4) sind nicht zulässig.
Nach dem Gesetzeswortlaut gehört die mit § 18 Abs. 2 Nr. 4 BetrAVG aF inhaltlich identische Erlöschensvorschrift des § 29 Abs. 2 1. RGG nicht zu den Vorschriften, die sich “insbesondere für den Ausgleich von Härten, die sich aus ihrer Anwendung ergeben, anbieten. Auch kann der Kläger nicht darauf verweisen, die Beklagte habe bei der Beurteilung seiner wirtschaftlichen Lage seine Versorgungsverpflichtung gegenüber seiner Frau und seinen unterhaltsberechtigten Kindern unzureichend berücksichtigt. Schon § 29 Abs. 3 1. RGG ist zu entnehmen, dass Unterschiede zwischen dem Versorgungsempfänger (mit strafrechtlicher Verfehlung) und seinen Angehörigen (ohne solche Belastungen) nicht gemacht werden sollen. Durch seine Straftat hat der Kläger die Erfüllung seiner Unterhaltspflichten erschwert. Dies verpflichtet die Beklagte jedoch nicht zu einem “Härteausgleich. Zudem kann § 37 1. RGG entnommen werden, dass es dort in erster Linie um die Modifikation der Anspruchshöhe geht, nicht jedoch um den Anspruch selbst. Die Bestimmung kann nicht dazu herangezogen werden, von der Anwendung des § 18 Abs. 2 Nr. 4 BetrAVG aF und des § 29 1. RGG abzusehen.
Unterschriften
Reinecke, Kremhelmer, Breinlinger, Möller, H.-J. Schepers
Fundstellen
Haufe-Index 1700239 |
BAGE 2008, 222 |
BB 2007, 836 |
EBE/BAG 2007, 50 |
EWiR 2007, 293 |
FA 2007, 149 |
NZA 2007, 1295 |
ZTR 2007, 329 |
AP 2007 |
EzA |
NZA-RR 2007, 307 |
RiA 2007, 158 |
AUR 2007, 145 |
ArbRB 2007, 173 |