Entscheidungsstichwort (Thema)
Verhaltensbedingte Kündigung - Darlegungs- und Beweislast
Orientierungssatz
Hinweise des Senats: "Darlegungs- und Beweislast bei vom Arbeitnehmer behaupteter Erkrankung (ohne Nachweis durch Arztattest) und Anzeige der Erkrankung".
Normenkette
KSchG § 1
Verfahrensgang
LAG Hamm (Entscheidung vom 10.03.1992; Aktenzeichen 6 (20) Sa 1746/91) |
ArbG Detmold (Entscheidung vom 24.09.1991; Aktenzeichen 2 Ca 418/91) |
Tatbestand
Der im Jahre 1966 geborene, ledige Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger, war bei der Beklagten, einem Unternehmen der holzbearbeitenden Industrie, seit dem 25. Juni 1984 als Arbeiter gegen einen Stundenlohn von zuletzt 16,91 DM brutto beschäftigt. In dem von beiden Parteien unterzeichneten Einstellungsbogen ist bestimmt, daß für das Arbeitsverhältnis die Vorschriften des Lohn- und Manteltarifvertrages für Holzbearbeitung in der jeweils gültigen Fassung gelten sollen. Ferner war darin unter anderem festgelegt:
Ist der Arbeitnehmer durch Krankheit oder sonsti-
ge unvorhergesehene Ereignisse an der Arbeitslei-
stung verhindert, so ist er verpflichtet, dem
Personalbüro hiervon unverzüglich telefonisch
oder durch Boten bis spätestens 12.00 Uhr des er-
sten Tages des Arbeitsausfalls Mitteilung zu ma-
chen. Bei Krankheit ist eine ärztliche Bescheini-
gung innerhalb 3 Tagen vorzulegen.
Im Verlauf des Arbeitsverhältnisses erteilte die Beklagte dem Kläger folgende schriftliche Abmahnungen:
22. September 1987
Sie haben am 21.08.; 07.09.; 09.09.; und
11.09.1987 jeweils ca. 1/4 Stunde zu spät die Ar-
beit aufgenommen.
Wir erteilen Ihnen hiermit eine letzte Abmahnung
und machen darauf aufmerksam, daß wir in Zukunft
Verstöße gegen ihre arbeitsvertraglichen Pflich-
ten mit einer fristlosen Entlassung ahnden wer-
den.
8. Juni 1989
Am Montag, d. 29.05.1989 sind Sie 1 Stunde zu
spät zur Arbeit gekommen.
Wir werden in Zukunft ein derartiges Verhalten
nicht mehr hinnehmen und erteilen Ihnen hiermit
eine letzte Abmahnung in Verbindung mit unseren
Schreiben vom 22.09.87, 28.11.86 und 14.07.86.
Wir machen darauf aufmerksam, daß wir eine frist-
lose Entlassung vornehmen werden, falls Sie in
Zukunft nicht pünktlich, zuverlässig und regelmä-
ßig Ihre Arbeit verrichten.
11. Januar 1990
Am Dienstag, d. 02.01.1990 waren Sie - gem. eige-
ner Erklärung vom 05.01.1990 - erkrankt. An die-
sem Tag haben sie mit Hilfe eines Freundes einen
Arzt aufgesucht, der Ihnen für die Zeit vom
02.01. bis 05.01.1990 eine Arbeitsunfähigkeitsbe-
scheinigung ausstellte.
In diesem Zusammenhang sind Sie nicht Ihren ar-
beitsvertraglichen Pflichten nachgekommen, Ihre
Erkrankung vorab schriftlich, mündlich, telefo-
nisch, durch Boten oder auf eine sonstige Art bis
12.00 Uhr am 02.01.1990 anzuzeigen. Auch das Ver-
schulden eines Boten oder Gehilfen haben Sie in
diesem Falle zu vertreten und gegen sich anrech-
nen zu lassen.
Als pflichtbewußter Arbeitnehmer hätten Sie Ihr
vertragswidriges Verhalten erkennen und vermeiden
können, weswegen wir Ihnen hiermit eine Abmahnung
erteilen in Verbindung mit unserem Schreiben vom
08.06.1989.
Sollten Sie durch ihr weiteres Verhalten abermals
Anlaß zu einer Beanstandung geben, wird dies zu
einer fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnis-
ses führen.
27. März 1991
Am Sonnabend, d. 23.03.1991 hatten Sie fest zuge-
sagt, zur Arbeit zu erscheinen. Aufgrund dieser
Zusage wurden Sie zur Arbeit fest eingeteilt.
Leider mußten wir, wie schon des öfteren, fest-
stellen, daß Sie ein unzuverlässiger Mitarbeiter
sind. Sie fehlten unentschuldigt an diesem Tage.
Wir haben Ihnen schon wiederholt mitgeteilt, daß
wir Ihr Verhalten in Zukunft nicht dulden werden.
Daher erteilen wir Ihnen hiermit eine letzte Ab-
mahnung in Verbindung mit unseren Schreiben vom
11.01.90, 08.06.89, 22.09.87, 28.11.86 und
14.07.1986.
Wir möchten Ihnen gegenüber zum Ausdruck bringen,
daß wir keinerlei Interesse an einer weiteren Zu-
sammenarbeit mit Ihnen haben. Aus diesem Grunde
empfehlen wir Ihnen, sich um eine andere Arbeits-
stelle zu bemühen, um einer Entlassung unserer-
seits zuvorzukommen.
Am 2. April 1991 war der Kläger für die Frühschicht eingeteilt. Er erschien nicht zur Arbeit und informierte die Beklagte um 23.10 Uhr durch die Einreichung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung.
Daraufhin kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis nach Anhörung des Betriebsrats mit Schreiben vom 16. April 1991, das dem Kläger am folgenden Tag zuging, ordentlich zum 10. Mai 1991.
Hiergegen hat sich der Kläger mit der am 23. April 1991 bei Gericht eingegangenen Klage gewandt. Er hat geltend gemacht, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt, und hierzu vorgetragen:
Er habe im August und September 1987 viermal die Arbeit jeweils um 15 Minuten verspätet aufgenommen, weil er in allen Fällen verschlafen habe. Am 29. Mai 1989 sei er möglicherweise aufgrund eines Mißverständnisses verspätet zur Arbeit erschienen. Der Beginn der Schicht habe seinerzeit häufig gewechselt. Er bestreite, daß es durch seine Verspätungen zu Betriebsablaufstörungen oder Produktionsausfällen gekommen sei.
Am 2. Januar 1990 habe er von einer Telefonzelle aus versucht, den Betrieb zu erreichen. Im Meisterbüro habe jedoch niemand das Telefon abgenommen. Die Telefonzentrale sei möglicherweise vorübergehend nicht besetzt gewesen.
Am 23. März 1991 sei er arbeitsunfähig krank gewesen. Gleichwohl sei er um 4.30 Uhr aufgestanden und habe den Mitarbeiter D , mit dem er eine Fahrgemeinschaft habe bilden wollen, beauftragt, ihn beim zuständigen Meister krankzumelden. Das habe D auch getan. Zum anderen bezweifle er, daß er an diesem Tag, einem Samstag, überhaupt zur Arbeit verpflichtet gewesen sei. Er bestreite mit Nichtwissen, daß die Überstunden vom Betriebsrat genehmigt worden seien.
Seine verspätete Meldung vom 2. April 1991 sei darauf zurückzuführen, daß er kein Telefon besitze. Für sich betrachtet könne dieser Vorfall die Kündigung nicht rechtfertigen.
Zumindest habe die Beklagte aber eine zu kurze Kündigungsfrist eingehalten. Die für ihn nach Ziff. 10 a) des Bundesmantel tarifvertrages für die Sägeindustrie und übrige Holzbearbeitung (BMS) in Betracht kommende Kündigungsfrist von drei Wochen zum Wochenende sei verfassungswidrig, weil den Arbeitern ohne sachliche Gründe kürzere Kündigungsfristen eingeräumt seien als den Angestellten.
Der Kläger hat beantragt,
1. festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der
Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom
16. April 1991, nicht zum 10. Mai 1991 beendet
wird, sondern darüber hinaus ungekündigt fort-
besteht;
2. die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zur
rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag
zu 1) zu unveränderten Bedingungen als Arbei-
ter weiter zu beschäftigen.
Die Beklagte hat zu ihrem Abweisungsantrag vorgetragen, durch die Verspätungen im August und September 1987 sei es zu erheblichen Störungen im Betriebsablauf gekommen, weil unnötigerweise ein Ersatzmann habe eingeteilt und herangeholt werden müssen. Durch das einstündige Fehlen des Klägers am 29. Mai 1989 sei die Produktionsleistung um 10 % gemindert worden. Wegen des Arbeitsbeginns habe kein Mißverständnis bestanden, da der für jeweils eine Woche maßgebende Schichtplan mit der Einteilung der Mitarbeiter bereits am Donnerstag der vorherigen Woche vorgelegen habe.
Bei der Einlassung des Klägers zu seinem Fehlverhalten vom 2. Januar 1990 handele es sich um eine Schutzbehauptung. Alle Gespräche, die im Betrieb nicht angenommen würden, würden automatisch zur ständig mit zwei Mitarbeitern besetzten Telefonzentrale umgeleitet. Außerdem hätte der Kläger auch unmittelbar die Personalabteilung anwählen können, die seine Krankmeldung entgegengenommen hätte.
Auch am 23. März 1991 habe der Kläger seine Erkrankung nicht rechtzeitig angezeigt, denn der von ihm als Zeuge benannte Vorarbeiter B habe seine Entschuldigung - auch über Dritte - nicht erhalten. Die Überstunden seien vom Betriebsrat am 22. März 1991 genehmigt worden. Der Kläger habe jedoch sein Kommen für diesen Tag unabhängig davon fest zugesagt gehabt.
Die verspätete Krankmeldung vom 2. April 1991 könne deshalb nicht für sich betrachtet werden. Mit dem vorausgegangenen, mehrfach abgemahnten Fehlverhalten des Klägers rechtfertige dieser Verstoß gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten die ordentliche Kündigung.
Die Kündigungsfrist der Ziffer 10 a) BMS sei nicht zu beanstanden. Die Ungleichbehandlung im Verhältnis zu den Kündigungsfristen für die Angestellten trage lediglich den in der Branche gegebenen Bedingungen Rechnung.
Das Arbeitsgericht hat nach Vernehmung der Zeugen D und B die Klage abgewiesen. Mit seiner Berufung hat der Kläger beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils fest-
zustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien
durch die Kündigung der Beklagten vom 16. April
1991 nicht zum 10. Mai 1991 beendet worden ist.
Das Landesarbeitsgericht hat das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert sowie festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 16. April 1991 nicht zum 10. Mai 1991 beendet worden ist, und der Beklagten die Kosten des Rechtsstreits auferlegt.
Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.
I. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist, wie bereits in der Berufungsinstanz, nur noch der Antrag des Klägers nach § 4 Satz 1 KSchG, nämlich festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 16. April 1991 nicht zum 10. Mai 1991 beendet worden ist. Dieser Antrag ist in der Berufungsbegründung angekündigt und ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 10. März 1992 sowie des Tatbestandes des angefochtenen Urteils in der Berufungsverhandlung gestellt worden. In erster Instanz hat der Kläger noch zusätzlich den allgemeinen Feststellungsantrag nach § 256 ZPO (... sondern darüber hinaus ungekündigt fortbesteht) und den Antrag auf Weiterbeschäftigung zu unveränderten Bedingungen gestellt. Die Abweisung dieser weitergehenden Anträge hatte der Kläger hingenommen.
II. Das Berufungsgericht hat die Kündigung der Beklagten für sozial ungerechtfertigt gehalten. Seiner Würdigung kann jedoch nicht in allen Punkten beigetreten werden.
1. Zutreffend ist zunächst der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts. Sowohl wiederholter verspäteter schuldhafter Arbeitsantritt wie auch die schuldhaft gegen gesetzliche oder vertragliche Bestimmungen verstoßende verspätete Anzeige einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit sind nach vergeblicher Abmahnung an sich geeignet, einen verhaltensbedingten Grund für die soziale Rechtfertigung einer ordentlichen Kündigung nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG abzugeben, ohne daß es deswegen auch noch zu Betriebsablaufstörungen kommen muß; dieser Umstand ist vielmehr erst bei der Interessenabwägung zu berücksichtigen (vgl. Senatsurteile vom 17. Januar 1991 - 2 AZR 375/90 - AP Nr. 25 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts bestimmt, zu II 2 c der Gründe sowie vom 16. August 1991 - 2 AZR 604/90 - EzA § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 41).
2. Wie das Berufungsgericht weiter ohne revisiblen Rechtsfehler angenommen hat, hat der Kläger wiederholt schuldhaft gegen seine Pflichten zur rechtzeitigen Arbeitsaufnahme und Entschuldigung wegen krankheitsbedingter Arbeitsverhinderung verstoßen. Es hat die den drei Abmahnungen aus den Jahren 1987, 1989 und 1990 zugrundeliegenden Vorwürfe der Beklagten für zutreffend und die Abmahnungen deshalb für berechtigt angesehen. Der insoweit allein beschwerte Kläger hat keine Gegenrügen erhoben. Der Senat ist deshalb an die tatsächlichen Feststellungen gebunden (§ 561 ZPO). Die rechtliche Würdigung des Verhaltens des Klägers durch das Berufungsgericht läßt keinen Fehler erkennen. Somit ist für die Revisionsinstanz davon auszugehen, daß der Kläger im August/September 1987 viermal je eine Viertelstunde, am 29. Mai 1989 eine Stunde schuldhaft zu spät zur Arbeit gekommen ist und am 2. Januar 1990 seine vertragliche Pflicht, eine Erkrankung spätestens bis 12.00 Uhr des ersten Krankheitstages anzuzeigen, schuldhaft verletzt hat.
Eine weitere schuldhafte Verletzung der Anzeigepflicht durch den Kläger hat das Berufungsgericht am 2. April 1991 für vorliegend erachtet. Denn es hat angenommen, der Kläger sei zur vertragsgerechten Anzeige in der Lage gewesen. Hiergegen hat der Kläger ebenfalls keine Rügen erhoben, so daß auch diese Feststellung für den Senat bindend ist.
3. Das Berufungsgericht hat weiter ausgeführt, die Beklagte habe hierauf abgestuft jeweils mit Abmahnungen reagiert. Im Hinblick darauf sei es durchaus nachvollziehbar, daß sie dem Kläger gekündigt habe, als er nur zehn Tage nach dem letzten Vorfall (am 23. März 1991) erneut eine krankheitsbedingte Arbeitsverhinderung nicht rechtzeitig angezeigt habe. Eine "letzte Abmahnung" müsse auch als solche verstanden werden, wenn die Beklagte in ihrem Betrieb die Arbeitsdisziplin sicherstellen wolle.
Jedoch sei der Einwand des Klägers begründet, die Kündigung greife deshalb nicht, weil jedenfalls die "letzte Abmahnung" vom 27. März 1991 unberechtigt gewesen sei.
Der Kläger habe sich bereit erklärt, am 23. März 1991 zu arbeiten. Es sei davon auszugehen, daß er sich hierzu verpflichtet habe. Ihm sei dies auch bewußt gewesen, weil er sich ohne Zustimmung des Betriebsrats wohl kaum bereit erklärt hätte, am Samstag zu arbeiten. Sonst wäre er schwerlich, wie er vortrage, an diesem Tag um 4.30 Uhr aufgestanden, um seinen Mitarbeiter D zu bitten, ihn wegen Krankheit zu entschuldigen. Der Kläger sei am 23. März 1991 nicht zur Arbeit erschienen und habe sich auch nicht persönlich entschuldigt. Insofern sei zunächst ein vertragswidriges Verhalten indiziert. Die Beklagte habe deshalb insofern sein Fehlverhalten nicht weiter darzulegen brauchen. Der vom Kläger benannte Zeuge D habe glaubhaft bekundet, den Kläger am 23. März 1991 bei dem Vorarbeiter, dem Zeugen B , bei Arbeitsaufnahme um 5.00 Uhr wegen Krankheit entschuldigt zu haben. Anhaltspunkte gegen die Glaubwürdigkeit beider Zeugen seien nicht ersichtlich. Wenn der Kläger nicht gegen die Abmahnung vom 27. März 1991 protestiert habe, könnten hierfür mehrere Umstände sprechen, wobei zu berücksichtigen sei, daß keine Verpflichtung des Arbeitnehmers bestehe, gegen eine aus seiner Sicht unberechtigte Abmahnung vorzugehen.
Es sei daher Sache der Beklagten gewesen, darzulegen und zu beweisen, daß der Kläger sein krankheitsbedingtes Fernbleiben von der Arbeit nicht rechtzeitig entschuldigt habe. Die Aussage des auch von ihr benannten Zeugen B sei im Gegensatz zu der des Zeugen D nicht völlig eindeutig. Er sei allerdings bei seiner weiteren Aussage geblieben, D habe nicht gesagt der Kläger sei krank. Auch gegen die Glaubwürdigkeit dieses Zeugen sprächen keine Anhaltspunkte. Angesichts dieser Beweislage sei die von dem Zeugen D bestätigte Behauptung des Klägers, er habe sich am 23. März 1991 rechtzeitig entschuldigen lassen, nicht widerlegt. Es sei vielmehr davon auszugehen, daß der Kläger berechtigt gefehlt und seine Verhinderung auch rechtzeitig durch den Zeugen D angezeigt habe. Die Beklagte sei somit für ein Fehlverhalten des Klägers am 23. März 1991 beweisfällig geblieben.
Das vertragswidrige Verhalten des Klägers aus den Jahren 1987, 1989 und 1990 vermöge jedoch in Verbindung mit dem Vorfall vom 2. April 1991 die Kündigung nicht zu rechtfertigen. Das sehe die Beklagte offenbar selbst nicht anders. Sie habe den Kläger wegen der verspäteten Anzeige seiner Erkrankung vom 2. Januar 1990 mit dem Schreiben vom 11. Januar 1990 abgemahnt und den aus ihrer Sicht gleichartigen Vertragsverstoß vom 23. März 1991 nur zum Anlaß einer "letzten Abmahnung" genommen. Erweise sich diese als unberechtigt, könne das verbleibende Fehlverhalten vom 2. April 1991 die Kündigung nicht begründen.
Bei dieser Beweislage mit der sich daraus aufgezeigten Konsequenz sei keine abschließende Interessenabwägung mehr erforderlich gewesen. Ob diese zugunsten der Beklagten ausgefallen wäre, erscheine - wie näher ausgeführt wird - allerdings zweifelhaft.
4. Gegen diese Würdigung wendet sich die Revision mit Erfolg. Das Berufungsgericht ist teilweise zu Unrecht von einem vertragsgerechten Verhalten des Klägers am 23. März 1992 ausgegangen.
a) Bei außerordentlichen Kündigungen nach § 626 BGB wie auch bei ordentlichen Kündigungen nach § 1 Abs. 2 KSchG trifft den Kündigenden die Darlegungs- und Beweislast auch für diejenigen Tatsachen, die einen vom Gekündigten behaupteten Rechtfertigungsgrund ausschließen. Der Umfang der dem Arbeitgeber obliegenden Darlegungslast ist allerdings davon abhängig, wie sich der Arbeitnehmer auf einen bestimmten Vortrag einläßt. Der Arbeitgeber braucht bei einer Arbeitsversäumnis, die er zum Anlaß einer Kündigung nimmt, im Rechtsstreit über die Kündigung nicht von vornherein alle denkbaren Rechtfertigungsgründe zu widerlegen. Der Arbeitnehmer ist vielmehr gehalten, den Vorwurf, unberechtigt gefehlt zu haben, unter genauer Angabe der Gründe, die ihn an der Arbeitsleistung gehindert haben, zu bestreiten (ständige Rechtsprechung; vgl. Senatsurteil vom 24. November 1983 - 2 AZR 327/82 - AP Nr. 76 zu § 626 BGB, zu III 1 der Gründe; zuletzt Senatsurteil vom 18. Oktober 1990 - 2 AZR 204/90 - nicht veröffentlicht, zu II 3 a, b der Gründe). Macht er geltend, er sei krank gewesen, ist dazu nicht unbedingt der Hinweis auf ein ärztliches Attest erforderlich, das der Arbeitnehmer ohnehin - insbesondere bei kurzfristigen Erkrankungen - nur bei entsprechenden Vereinbarungen oder auf Verlangen des Arbeitgebers vorlegen muß. Der Arbeitnehmer muß aber dann, wenn er nicht auf ein ärztliches Attest verweisen kann, substantiiert darlegen, warum er krank war und weshalb er deswegen nicht zur Arbeit erscheinen konnte (Senatsurteil vom 12. August 1976 - 2 AZR 237/75 - AP Nr. 3 zu § 1 KSchG 1969; Senatsurteil vom 18. Oktober 1990, aaO).
Diese Grundsätze hat das Berufungsgericht nicht in allen Punkten richtig auf den vorliegenden Fall angewendet.
b) Die Beklagte wirft dem Kläger nicht nur vor, sich für sein Fernbleiben am 23. März 1991 (subjektiv) nicht bei ihr entschuldigt, sondern auch zum Fernbleiben von der Arbeit (objektiv) nicht berechtigt, d. h. gar nicht krank gewesen zu sein. Dies ergibt sich eindeutig aus ihrer Berufungsbeantwortung. Dort heißt es wörtlich zum Fernbleiben vor der Arbeit vom 23. März 1991:
"Die vom Kläger in diesem Zusammenhang aufge-
stellte und von der Beklagten bestrittene Behaup-
tung, er sei krank gewesen und habe sich durch
den Zeugen D entschuldigen lassen, konnte ge-
rade ... nicht bestätigt werden."
c) Nach den vorstehend dargelegten Grundsätzen genügte der Kläger der abgestuften Darlegungslast nur zu der Behauptung, der Zeuge D habe ihn auf seine Bitte bei der Beklagten wegen Krankheit entschuldigt. Deshalb ist mit dem Berufungsgericht davon auszugehen, daß der Zeuge der Beklagten gegenüber den Kläger wegen Krankheit entschuldigt hat. Das Berufungsgericht ist nach eingehender Würdigung der Zeugenaussage von einem non liquet ausgegangen. Hieran ist der Senat gebunden, da die Revision insoweit keine Verfahrensrügen erhoben hat (§ 561 Abs. 2 ZPO).
d) Danach ist die Beklagte aber nur für die Entschuldigung, d. h. die Nichterfüllung der Anzeigepflicht des Klägers beweisfällig geblieben. Jedoch ist damit noch nichts zur Berechtigung des Fernbleibens des Klägers, d. h. für die von ihm behauptete Arbeitsunfähigkeit gesagt. Da er kein ärztliches Attest vorgelegt hat, hätte er substantiiert darlegen müssen, woran er erkrankt war und weshalb er deswegen nicht zur Arbeit erscheinen konnte. Hierzu wäre er aufgrund seiner prozessualen Mitwirkungspflicht nach § 138 Abs. 2 ZPO umso mehr gehalten gewesen, als sich aus seiner weiteren Einlassung im Prozeß zu diesem Punkt gewisse Zweifel an einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit an diesem Tag ergeben. Denn er hat in Frage gestellt, ob er an diesem Tag überhaupt zur Leistung von Mehrarbeit verpflichtet gewesen sei, obwohl die Beklagte unter Beweisantritt vorgetragen hat, daß der Betriebsrat die Mehrarbeit genehmigt und der Kläger sein Kommen unabhängig hiervon fest zugesagt habe.
Der Kläger hat deshalb insoweit seiner Darlegungslast nicht genügt. Die Behauptung der Beklagten, er sei am 23. März 1991 unberechtigt der Arbeit ferngeblieben, ist somit nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden anzusehen. Insoweit hat die Beklagte den Kläger demgemäß am 27. März 1991 berechtigt abgemahnt. Zwar hat das Berufungsgericht aus dem von ihm gefundenen Beweisergebnis gefolgert, es sei (auch) davon auszugehen, daß das Fehlen des Klägers berechtigt gewesen sei. Hieran ist der Senat jedoch nicht gebunden, weil dieser Würdigung des Berufungsgerichts eine unrichtige Beurteilung der Darlegungs- und Beweislast und damit einer materiellrechtlichen Frage zugrunde liegt.
5. Dieser Rechtsfehler führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht (§ 565 Abs. 1 ZPO).
a) Das Berufungsgericht hat der Unwirksamkeit der letzten Abmahnung vom 27. März 1991 prozeßentscheidende Bedeutung beigemessen. Es hat angenommen, die Beklagte habe die aus ihrer Sicht mit der Nichtanzeige der Erkrankung vom 2. Januar 1990 gleichartige Pflichtverletzung vom 23. März 1991 nur zum Anlaß einer "letzten Abmahnung" genommen. Erweise sich diese als nicht gerechtfertigt, sei das erneute Fehlverhalten des Klägers vom 2. April 1991, auch in Verbindung mit den berechtigt abgemahnten Pflichtverletzungen aus den Vorjahren, nicht geeignet, einen Kündigungsgrund abzugeben, so daß es keiner Interessenabwägung bedürfe. Das Berufungsgericht hat somit im Ergebnis der letzten Abmahnung entnommen, daß die Beklagte eine mit der über ein Jahr vorher begangenen erneute gleichartige Pflichtverletzung noch nicht als so schwerwiegend ansehe, um nunmehr eine Kündigung auszusprechen, sondern - wohl im Hinblick auf die inzwischen verstrichene Zeit - eine nunmehr letzte Abmahnung für ausreichend erachte.
b) Ist jedoch davon auszugehen, daß die Beklagte dem Kläger für den 27. März 1991 nicht nur eine Verletzung der Anzeigepflicht, sondern - in erster Linie - eine Verletzung der Arbeitspflicht und damit einen gegenüber der mit Schreiben vom 11. Januar 1990 abgemahnten bloßen Anzeigepflichtverletzung verschiedenen Vertragsverstoß vorwirft, und dieser Vorwurf berechtigt ist, so entfällt die tragende Grundlage für die Wertung des Berufungsgerichts, die erneute Pflichtverletzung vom 2. April 1991 sei auch in Verbindung mit den vorausgegangenen und sämtlich berechtigt abgemahnten Pflichtverletzungen nicht geeignet, einen Kündigungsgrund abzugeben. Vielmehr ist nunmehr im Rahmen einer Interessenabwägung zu entscheiden, ob die Kündigung als billigenswert und angemessen und damit sozial gerechtfertigt anzusehen ist. Eine Interessenabwägung hat das Berufungsgericht jedoch nicht, und zwar auch nicht hilfsweise vorgenommen. Es hat zwar Bedenken angemeldet, ob eine solche Abwägung zugunsten der Beklagten ausgefallen wäre, dies aber nur als zweifelhaft bezeichnet und keine eindeutige Stellung hierzu bezogen. Dies muß es nunmehr nachholen.
Hillebrecht Triebfürst Bitter
Dr. Bächle Dr. Wolter
Fundstellen
Haufe-Index 437602 |
EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung, Nr 44 (ST1-2) |