Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsweg für Streitigkeiten über die Miethöhe für Werkwohnungen
Leitsatz (amtlich)
Für Streitigkeiten über die Miethöhe für Werkmietwohnungen sind die Amtsgerichte ausschließlich sachlich zuständig (§ 29a ZPO).
Normenkette
ArbGG § 2 Abs. 1 Nr. 3a, § 48 Abs. 1; ZPO §§ 29a, 281; BGB §§ 611, 565b, 565c, 565e
Verfahrensgang
Tenor
- Die Urteile des Landesarbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 25. August 1987 – 7 Sa 215/87 – und des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 15. Oktober 1986 – 14 Ca 466/85 – werden aufgehoben.
- Der Rechtsstreit wird auf den Hilfsantrag des Klägers an das sachlich und örtlich zuständige Amtsgericht Offenbach verwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Höhe des Nutzungsentgelts für die Unterbringung des Klägers in einem Wohnheim der Beklagten.
Der Kläger ist seit dem 1. September 1966 bei der Beklagten als Postarbeiter tätig.
Die Beklagte hat den Kläger auf seinen Wunsch seit dem 1. September 1966 in einem Postwohnheim untergebracht. Dafür hatte er die von der Beklagten allgemein festgesetzte volle “Nutzungsgebühr” zu zahlen. Seit dem 1. Januar 1978 bewohnt er ein Ein-Bett-Zimmer im Wohnheim der Beklagten in N…. Dafür hat die Beklagte vom Kläger zunächst nur ein ermäßigtes “Nutzungsentgelt” von 60,-- DM monatlich verlangt.
Die Kürzung des “Nutzungsentgelts” auf 60,-- DM beruhte auf Erlassen des Bundespostministers vom 28. Dezember 1977 und vom 7. November 1980. Danach hatten Arbeitnehmer der Beklagten, die keine Trennungsentschädigung mehr erhielten, bis zum 31. Dezember 1982 nur ein ermäßigtes “Nutzungsentgelt” zu entrichten. Die Beklagte hat dem Kläger nur noch bis zum 31. Dezember 1976 eine tägliche Trennungsentschädigung von 6,50 DM gezahlt. Nachdem das Bundesarbeitsgericht die Einstellung der Trennungsentschädigung für unzulässig erklärt hat (BAG Urteil vom 7. September 1982 – 3 AZR 5/80 –, BAGE 40, 126 = AP Nr. 1 zu § 3 TVArb Bundespost) hat die Beklagte ab 1. Januar 1983 das monatliche “Nutzungsentgelt” auf 150,-- DM und ab 1. Juli 1983 auf 165,-- DM erhöht.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei nicht berechtigt, mehr als 60,-- DM Nutzungsentgelt zu verlangen. Ein “Nutzungsentgelt” in dieser Höhe habe sie auch mit anderen ausländischen Arbeitnehmern im Arbeitsvertrag für einen Wohnheimplatz vereinbart. Er fordere daher in diesem Rechtsstreit die über 60,-- DM monatlich hinausgehende Differenz für die Zeit vom 1. Januar 1983 bis zum 31. Dezember 1985 in Höhe von 3.780,-- DM zurück.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen,
- an ihn 3.780,-- DM nebst 4 % Verzugszinsen zu zahlen,
- ab sofort von ihm nur noch 60,-- DM Nutzungsentschädigung abzuverlangen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, für den Rechtsstreit sei nach § 29a ZPO das Amtsgericht ausschließlich sachlich zuständig. Sie hält sich für berechtigt, die Nutzungsgebühr entsprechend anzuheben, nachdem sie weiter Trennungsentschädigung gewähren muß. Der Kläger sei nach ihrer Auffassung verpflichtet, die volle Nutzungsgebühr zu entrichten. Davon sei er nur zeitweise befreit gewesen, solange er keine Trennungsentschädigung erhalten habe.
Das Arbeitsgericht hat der Klage entsprochen. Das Landesarbeitsgericht hat der Berufung stattgegeben und die Klage als unzulässig abgewiesen, weil es das Amtsgericht zur Entscheidung des Rechtsstreits für sachlich zuständig hält. Mit der Revision will der Kläger die Wiederherstellung des Urteils des Arbeitsgerichts erreichen. Er hat hilfsweise in der Revisionsinstanz beantragt, den Rechtsstreit an das Amtsgericht Offenbach zu verweisen.
Entscheidungsgründe
I. Das Berufungsgericht hat den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen zu Recht verneint, denn der Kläger will Ansprüche aus einem Mietvertrag und nicht aus einem Arbeitsverhältnis herleiten.
1. Die Revision ist zulässig, obwohl die Parteien um die sachliche Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen streiten. Nach § 73 Abs. 2 ArbGG kann mit der Revision nicht gerügt werden, daß die Vorinstanz die sachliche Zuständigkeit bejaht habe. Hier ist es umgekehrt so, daß nach Auffassung des Berufungsgerichts die sachliche Zuständigkeit des Arbeitsgerichts nicht gegeben ist. In einem solchen Fall kann die Frage der sachlichen Zuständigkeit in der Revisionsinstanz noch geprüft werden (BAGE 32, 187, 188 = AP Nr. 2 zu § 4 TVG Gemeinsame Einrichtungen).
2. Der Kläger meint, daß über die Nutzung des Wohnheimplatzes ein Werkdienstvertrag abgeschlossen worden sei und dieser Bestandteil des Arbeitsverhältnisses sei. Zwar sind die Gerichte für Arbeitssachen nach § 2 Abs. 1 Nr. 3a ArbGG für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten aus einem Arbeitsverhältnis zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern sachlich zuständig. Dafür kommt es aber nicht auf die Rechtsansicht des Klägers an und ebensowenig allein auf seinen Tatsachenvortrag (BAGE 19, 355, 360 = AP Nr. 30 zu § 2 ArbGG 1953 Zuständigkeitsprüfung, zu III 2b der Gründe). Vielmehr haben die zunächst angerufenen Gerichte für Arbeitssachen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu untersuchen, ob wirklich ein Arbeitsverhältnis vorliegt, bevor es zu einem Sachurteil kommt (BAGE 15, 292, 296 f. = AP Nr. 26 zu § 2 ArbGG 1953 Zuständigkeitsprüfung, zu 4 der Gründe; BAGE 19, 355, 359, 360 = AP Nr. 30 zu § 2 ArbGG 1953 Zuständigkeitsprüfung, zu III 2a und b der Gründe). Diese Überprüfung ergibt jedoch, daß die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen worden ist, weil über die Nutzung des Wohnheimplatzes ein Mietverhältnis besteht, das nicht Bestandteil des Arbeitsverhältnisses ist.
3. Die Parteien streiten über die Höhe der Miete für den vom Kläger bewohnten Raum in einem Wohnheim der Beklagten. Die Zuständigkeit der Amtsgerichte dafür ergibt sich aus § 29a ZPO. Danach ist für Klagen auf Erfüllung eines Mietvertrages das Amtsgericht ausschließlich zuständig, in dessen Bezirk sich der Wohnraum befindet.
Diese Voraussetzungen liegen hier vor, denn die Parteien streiten über die Erfüllung eines Mietvertrages. Dazu rechnen auch Streitigkeiten über die Rückforderung des nach Auffassung des Klägers zuviel entrichteten Mietzinses (Stein/Jonas/Schumann, ZPO, 20. Aufl., § 29a Rz 16). Das gilt ebenfalls, soweit der Kläger sich dagegen wehrt, daß ihm künftig mehr als 60,-- DM Miete vom Lohn abgezogen werden. Es ist rechtlich unerheblich, daß die Parteien die Miete als Nutzungsentschädigung bezeichnen. Das ändert nichts daran, daß es sich um Miete – nämlich um eine Gegenleistung für die Überlassung von Wohnraum – handelt (vgl. § 535 BGB).
a) Der Kläger ist zu Unrecht der Auffassung, daß ihm der Wohnheimplatz im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses als Werkdienstwohnung überlassen worden ist. Der Kläger verkennt den Unterschied zwischen Werkmietwohnungen und Werkdienstwohnungen. Werkmietwohnungen werden “mit Rücksicht auf das Bestehen eines Dienstverhältnisses vermietet” (§ 565b BGB). Dagegen handelt es sich bei Werkdienstwohnungen um solchen Wohnraum, “der in unmittelbarer Beziehung oder Nähe zur Stätte der Dienstleistung steht” (§ 565c Nr. 2 BGB i. Verb. mit § 565e BGB). Bei einer Werkdienstwohnung ist die Überlassung von Wohnraum unmittelbarer Bestandteil des Arbeitsverhältnisses und Teil der Vergütung; es liegt kein selbständiger Mietvertrag vor (BAG Beschluß vom 3. Juni 1975 – 1 ABR 118/73 – AP Nr. 3 zu § 87 BetrVG 1972 Werkmietwohnungen, zu II 2 der Gründe; Urteil vom 23. August 1989 – 5 AZR 569/88 –, zu II 1 der Gründe, m.w.N., zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen). Demgegenüber wird über eine Werkmietwohnung neben dem Arbeitsvertrag zusätzlich ein Mietvertrag abgeschlossen (BAG Beschluß vom 3. Juni 1975 – 1 ABR 118/73 – aaO, zu II 2 der Gründe).
b) Von der zweiten Rechtslage ist hier auszugehen. Die Beklagte hat dem Kläger eine Werkmietwohnung und keine Werkdienstwohnung überlassen, denn es ist ihm freigestellt, ob er den ihm angebotenen Wohnheimplatz nutzt oder nicht. Er könnte ebenso eine andere Wohnung mieten und seine Tätigkeit wie bisher ausüben. Der Wohnheimplatz steht nicht in unmittelbarer Beziehung oder Nähe zur Stätte der Dienstleistung, wie es für eine Werkdienstwohnung kennzeichnend ist (§ 565c Nr. 2 BGB i. Verb. mit § 565e BGB).
Allerdings hat die Beklagte dem Kläger den Wohnheimplatz mit Rücksicht auf sein Arbeitsverhältnis überlassen. Damit allein wird der Wohnraum aber noch nicht zur Werkdienstwohnung. Ein Arbeitsverhältnis ist sowohl Voraussetzung für eine Werkmietwohnung wie für eine Werkdienstwohnung. Entscheidend ist vielmehr, daß der Wohnheimplatz des Klägers nicht in unmittelbarer räumlicher Beziehung zu seiner Tätigkeit liegt und er nicht zur Nutzung des Wohnheimplatzes im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses verpflichtet ist.
c) Für die Anwendung von § 29a ZPO ist schließlich erheblich, ob es sich bei den Wohnräumen um eine abgeschlossene Wohnung handelt oder um einzelne zum Wohnen und Schlafen geeignete und bestimmte Räume (BAG Beschluß vom 3. Juni 1975 – 1 ABR 118/73 – aaO, zu II 3a der Gründe, m.w.N.).
4. Die sachliche Zuständigkeit des Amtsgerichts wäre dann nicht gegeben, wenn es sich hier um Wohnraum handelte, der zu nur vorübergehendem Gebrauch vermietet ist (§ 29a Abs. 2 ZPO i. Verb. mit § 556a Abs. 8 BGB). Dieser Gesichtspunkt scheidet schon deswegen aus, weil der Kläger den Wohnheimplatz seit mehreren Jahren bewohnt und auch weiter nutzen will. Der sachlichen Zuständigkeit der Amtsgerichte für Streitigkeiten der vorliegenden Art steht nicht entgegen, daß der Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 9 BetrVG über die Zuweisung und Kündigung von Wohnräumen, die den Arbeitnehmern mit Rücksicht auf das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses vermietet werden, sowie über die allgemeine Festlegung der Nutzungsbedingungen ein Mitbestimmungsrecht hat. Dabei ist zu berücksichtigen, daß sich die Höhe des Mietzinses zunächst nach den Vereinbarungen zwischen Mieter und Vermieter richtet. Zwar hat der Vermieter einen einklagbaren Anspruch auf Zustimmung des Mieters zur Mieterhöhung bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete (vgl. §§ 1 – 3 MHRG). Wenn der Betriebsrat mit dem Arbeitgeber in einer Betriebsvereinbarung gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 9 BetrVG Grundsätze über die Mietzinsbildung im Rahmen der vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Mittel vereinbart hat, so muß der Arbeitgeber sich bei seinem Mieterhöhungsverlangen nach diesen Grundsätzen richten. Damit wird aber der Streit über die Höhe des Mietzinses zwischen dem Arbeitnehmer, der eine Werkmietwohnung bewohnt, und dem Arbeitgeber noch nicht zu einer Streitigkeit aus dem Arbeitsverhältnis. Sollte sich der Betriebsrat mit dem Arbeitgeber darüber streiten, ob die mit Hilfe einer Einigungsstelle zustande gekommene Betriebsvereinbarung über die Grundsätze für die Mietzinsbildung für Werkmietwohnungen wirksam ist oder nicht, so muß darüber notfalls eine Entscheidung im Beschlußverfahren herbeigeführt werden (vgl. § 2a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG). Bis zur Klärung dieser Vorfrage können die Amtsgerichte dann den Rechtsstreit über die Höhe des Mietzinses gemäß § 148 ZPO aussetzen.
5. Die umfassende Zuständigkeit des Amtsgerichts nach § 29a ZPO auch zur Entscheidung von Streitigkeiten über die Miethöhe für Werkmietwohnungen entspricht dem Willen des Gesetzgebers. Er hat in Kenntnis der früheren Zuständigkeitsstreitigkeiten bei der Neufassung des § 29a ZPO den Amtsgerichten auch Streitigkeiten über die Räumung von Wohnraum, der im Zusammenhang mit einem Arbeitsverhältnis genutzt wird, zuweisen wollen, wie sich aus dem “Schriftlichen Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages” dazu ergibt (zu Drucks. V/2317, zu § 29a ZPO). Zwar hat der Ausschuß sich nur zu Streitigkeiten über die Räumung von Wohnraum im Zusammenhang mit einem Arbeitsverhältnis geäußert, jedoch erstreckt sich die in diesem Zusammenhang beratene Neufassung des § 29a ZPO ausdrücklich auch auf Streitigkeiten über die Erfüllung eines solchen Mietverhältnisses und weist derartige Streitigkeiten den Amtsgerichten zu. Für die Zuständigkeit der Amtsgerichte in Fällen der vorliegenden Art spricht auch die Sachnähe, denn ihre Mietabteilungen haben über Streitfragen wie Räumung, Mieterschutz, Miethöhe und Mietminderung alltäglich zu entscheiden, während die Arbeitsgerichte mit solchen Streitfragen nur selten befaßt wären. Schließlich spricht für die ausschließliche Zuständigkeit der Amtsgerichte, daß Art. III des 3. Mietrechtsänderungsgesetzes vom 21. Dezember 1967 (BGBl. I S. 1248) den sogenannten Rechtsentscheid eingeführt hat, der eine einheitliche Rechtsprechung in Mietsachen gewährleisten soll. Derartige Rechtsstreitigkeiten nehmen aber nur bei den Amtsgerichten ihren Ausgang und sehen folglich die Oberlandesgerichte und den Bundesgerichtshof als für einen solchen Rechtsentscheid zuständiges Gericht an.
II. Die Klage auf Rückzahlung des nach Meinung des Klägers über zahlten Mietzinses ist unzulässig, weil es sich nicht um eine Streitigkeit aus dem Arbeitsverhältnis handelt. Auf den in der Revisionsinstanz zulässigerweise gestellten Hilfsantrag (BGHZ 16, 339, 345) des Klägers war der Rechtsstreit an das Amtsgericht Offenbach zu verweisen (§ 48 Abs. 1 ArbGG i. Verb. mit § 281 ZPO).
Unterschriften
Dr. Thomas, Dr. Gehring, Dr. Olderog, Nitsche, Dr. Schönherr
Fundstellen
BAGE, 75 |
JR 1990, 396 |
RdA 1990, 190 |