Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung eines Betriebsarztes
Leitsatz (redaktionell)
Die fehlende und auch nicht ersetzte Zustimmung des Betriebsrates zur Abberufung eines Betriebsarztes nach § 9 Abs 3 ASiG führt zumindest dann zur Unwirksamkeit der dem Betriebsarzt ausgesprochenen Beendigungskündigung, wenn diese auf Gründe gestützt wird, die sachlich mit der Tätigkeit als Betriebsarzt im untrennbaren Zusammenhang stehen.
Normenkette
ASiG § 9; BetrVG § 102
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 19.03.1987; Aktenzeichen 6 (11) Sa 131/86) |
ArbG Stuttgart (Entscheidung vom 06.08.1986; Aktenzeichen 9 (13) Ca 820/85 A) |
Tatbestand
Die 1942 geborene verheiratete Klägerin, drei minderjährigen Kindern unterhaltspflichtig, war seit 1. September 1982 als Ärztin im arbeitsmedizinischen Dienst der Beklagten angestellt. Ihre wöchentliche Arbeitszeit betrug 20 Stunden, ihr Monatsverdienst belief sich auf rd. DM 3.300,-- brutto. Im arbeitsmedizinischen Dienst der Beklagten sind insgesamt drei Ärzte beschäftigt, die auch überbetrieblich tätig sind. In dem dem Arbeitsverhältnis zugrundeliegenden Arbeitsvertrag vom 4. Mai 1982 heißt es:
".....
1. Tätigkeit
1.1 Tätigkeitsgebiet: Betriebsärztlicher
Dienst
.....
1.2 Funktionsebene: Abteilungsreferent
....."
Im dazugehörigen Anschreiben gleichen Tages führt die Beklagte aus:
"Zum Erwerb der Zusatzbezeichnung Betriebsme-
dizin, als auch der Fachbezeichnung Arbeits-
medizin, ist es notwendig, daß Sie noch die
vorgeschriebenen Kurse besuchen. Sie haben
uns erklärt, daß Sie an der Akademie für Ar-
beits- und Sozialmedizin in Ulm bereits den
B-Kurs ganz und den A-Kurs zur Hälfte absol-
viert haben."
Weiterhin lautet es in einer Stellenbeschreibung vom 10. September 1982:
"Stellenbezeichnung: Betriebsärztin im ÜAD"
sowie unter
"Ziel der Stelle: Angestellte Ärztin für den
ÜAD im V -Gesundheitshaus. ... Erfüllung
des Arbeitssicherheitsgesetzes und der ein-
schlägigen Vorschriften."
Aufgabe der Klägerin war es auch, dem Betrieb der Beklagten angeschlossene Firmen zu betreuen. Der bei der Beklagten bestehende Betriebsrat hatte der Einstellung der Klägerin zugestimmt.
Am 23. Juli 1982 teilte die Beklagte der Gewerbeaufsicht mit:
"Als Nachfolgerin wird Frau Dr. H G -
ab 01.09.82 als weitere Betriebsärztin
in unsere Dienste treten. ...
Frau Dr. G hat bereits Kurse an der
Akademie für Arbeits- und Sozialmedizin der
Uni Ulm besucht. Ein weiterer Lehrgang ist
für den Herbst d. J. fest eingeplant. Damit
wird sie, abgesehen vom Nachweis ausreichender
arbeitsmedizinischer Tätigkeit und dem Besuch
weiterer Lehrgänge in den nächsten Monaten alle
Voraussetzungen für den Erwerb der Zusatzbezeichnung
"Betriebsmedizin" erfüllen. Unser Betriebsrat wurde
im Rahmen des Betriebsverfassungs- und Arbeitssicher-
heitsgesetzes bei der Einstellung von Frau Dr. G
beteiligt."
Seit Januar 1985 gab es Meinungsverschiedenheiten zwischen den Parteien. Am 29. Januar 1985 teilte die von der Klägerin zu betreuende Firma H AG der Beklagten mit, einer sachlichen Zusammenarbeit mit der Klägerin sei durch deren Verhalten die Basis entzogen, sie bat um Entbindung der Klägerin von der Betreuung. Die Beklagte sprach der Klägerin daraufhin am 11. März 1985 u. a. wegen des Vorwurfs unüberlegter Äußerungen gegenüber der Firma H eine schriftliche Abmahnung aus, die jedoch, soweit sie die Arbeitsleistung der Klägerin als Ärztin betraf, nicht aufrechterhalten wurde.
Die Klägerin beanstandete immer wieder die Regelung der Postverteilung im Hause der Beklagten. Die eingehende Post wurde durch die Sekretärin Frau P zunächst Herrn Dr. W vorgelegt, der dann eine Weiterleitung nach Zuständigkeit veranlaßte. Da bei dieser Art der Postverteilung teilweise auch die an die Klägerin gerichtete Privatpost geöffnet wurde, beschwerte sich die Klägerin deshalb bei Frau P und Herrn Dr. W.
Mit Schreiben vom 30. September 1985 bat sie um schriftliche Mitteilung, welche Art von Post Herr Dr. W bei ihr öffnen und lesen dürfe.
Am 4. Dezember 1985 wurde erneut an die Klägerin gerichtete Post von Frau P geöffnet. Da der Umschlag ein Sparkassenbuch der Klägerin enthielt, wurde die Post in die Unterschriftsmappe der Klägerin gelegt. Dies stellte die Klägerin am 5. Dezember 1985 fest und beschwerte sich deswegen bei Frau P. Sie forderte eine schriftliche Bestätigung, daß sie den Brief geöffnet habe. Da Frau P dies ablehnte, verlangte die Klägerin von Herrn Dr. W, daß dieser durch seine Unterschrift die Öffnung des Kuverts bescheinige.
In der Folge lehnte es die Klägerin dann ab, gemeinsam mit Herrn Dr. W an einer Betriebsbegehung bei der Firma Pl teilzunehmen, bei der Lösemittelmessungen kontrolliert werden sollten. Die Klägerin hatte selbst den Termin mit Herrn Dr. W vereinbart. Dieser forderte sie wiederholt vergeblich auf, an der Betriebsbegehung teilzunehmen, da diese für die betriebsärztliche Weiterbildung wichtig sei.
Am 6. Dezember 1985 sollte die Klägerin den Arbeitnehmer A untersuchen. Die Untersuchung war mit der Begründung beantragt worden, der Mitarbeiter sei in den Jahren 1984 und 1985 etwa zehnmal kurzzeitig arbeitsunfähig krank gewesen und habe öfters über Magenbeschwerden und Unwohlsein geklagt. Die Klägerin bezeichnete dieses Ansinnen als eine "Polizeiuntersuchung", zu der sie nach dem ASiG nicht verpflichtet sei.
Am 6. Dezember 1985 gegen 8.00 Uhr führte der Dienstvorgesetzte der Klägerin, Herr M, ein Gespräch mit der Klägerin, weil sich Frau P wegen des Verhaltens der Klägerin am 5. Dezember 1985 beschwert hatte. Herr M informierte die Klägerin, die Beklagte strebe eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses an. Im Verlaufe dieses Gesprächs äußerte die Klägerin, sie fühle sich bei der Beklagten ständig bespitzelt und schikaniert, sie komme sich manchmal vor wie in einem KZ. Nach etwa 20 Minuten brach die Klägerin das Gespräch ab. Am späten Vormittag desselben Tages kam es zwischen der Klägerin, Herrn M, dem Prokuristen der Beklagten Sch und dem Betriebsratsmitglied O zu einem weiteren Gespräch. Dabei wurde der Klägerin die Absicht der Beklagten mitgeteilt, die Kündigung auszusprechen. Die Klägerin äußerte in diesem Gespräch, sie habe versucht, ihre Arbeit nach dem ASiG zu machen, was in dem Hause der Beklagten ja ungewöhnlich sei. Sie werde bekämpft, weil sie ihre Pflicht tue.
Mit Schreiben vom 9. Dezember 1985 informierte die Beklagte den Betriebsrat über ihre Absicht, der Klägerin zu kündigen. Als Kündigungsgründe gab sie beharrliche Arbeitsverweigerung in zwei Fällen am 5. und 6. Dezember 1985 sowie nachhaltige und wiederholte Störungen des Betriebsfriedens in der Zusammenarbeit an und bezog sich dabei auf mündliche Informationen aus Gesprächen mit dem Betriebsratsvorsitzenden L und dem Betriebsratsmitglied O vom 6. und 9. Dezember 1985 sowie auf beigefügte Unterlagen. Der Betriebsrat äußerte hinsichtlich der Kündigung Bedenken, der Abberufung der Klägerin als Betriebsärztin widersprach er.
Die Beklagte kündigte der Klägerin sodann mit Schreiben vom 13. Dezember 1985 fristlos, hilfsweise ordentlich zum 30. Juni 1986. Im Kündigungsschreiben heißt es u. a.: "Kündigungsgründe sind die von Ihnen verursachte nachhaltige und wiederholte Störung des Betriebsfriedens und der Zusammenarbeit, sowie beharrliche Arbeitsverweigerung in zwei Fällen vom 5. Dezember 1985 und 6. Dezember 1985."
Wegen einer weiteren Kündigung der Beklagten vom 30. September 1986 zum 31. März 1987 ist zwischen den Parteien noch ein Rechtsstreit beim Arbeitsgericht Stuttgart anhängig (9 (13) Ca 591/86 A).
Die Klägerin hält die außerordentliche und die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung schon deshalb für rechtsunwirksam, weil der Betriebsrat nicht gemäß § 9 Abs. 3 ASiG ihrer Abberufung zugestimmt habe. Zu ihrem Status als Betriebsärztin beruft die Klägerin sich u. a. auf das ihr von der Beklagten erteilte Zwischenzeugnis vom 5. Dezember 1983 und auf die neugefaßte Stellenbeschreibung vom 14. Mai 1984, in der es unter Stellenbezeichnung heißt: "Betriebsärztin im Überbetrieblichen arbeitsmedizinischen Dienst", sowie das Anforderungsprofil "Betriebsarzt" vom 19. August 1985.
Im übrigen hat sie vorgetragen, die Vorwürfe im Fall der Firma H seien unberechtigt, weshalb die Abmahnung überwiegend zurückgenommen worden sei.
Das Öffnen ihrer Post habe sie zu Recht gerügt. Die Betriebsbegehung bei der Firma Pl sei in die Zuständigkeit von Herrn Dr. W gefallen. Da sie ihre Weiterbildung beendet hätte, habe ihr die Begehung keine Vorteile bringen können. Wegen der Aufregung im Zusammenhang mit dem Öffnen ihrer Privatpost sei sie an diesem Tage zudem nicht in der Lage gewesen, den Termin wahrzunehmen.
Zur Untersuchung des Arbeitnehmers A sei sie nicht verpflichtet gewesen, da es sich um eine vertrauensärztliche Untersuchung gehandelt habe, die nicht in den Aufgabenbereich des Betriebsarztes falle. Zudem habe es an einer arbeitsmedizinischen Fragestellung gefehlt. Schließlich habe sie die ärztliche Untersuchung doch noch durchgeführt, um ärztlicherseits nichts zu versäumen.
Ihr Verhalten im Gespräch am 6. Dezember 1985 rechtfertige die Kündigung ebenfalls nicht. Damals hätten zunächst beide Seiten ihre Unzufriedenheit in bestimmten Bereichen des Arbeitsverhältnisses frei geäußert. Ihr sei allerdings gleich zu Beginn des ersten Gesprächs mitgeteilt worden, man werde ihr aufgrund der Vorfälle am 5. Dezember 1985 kündigen. Ihre anschließenden Äußerungen seien aus der Situation heraus zu verstehen, da sie zu Unrecht angegriffen worden sei und sich dem Druck einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausgesetzt gesehen habe.
Die Klägerin hat beantragt,
1. festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis
zwischen den Parteien weder durch die
außerordentliche, noch durch die ordentliche
Kündigung der Beklagten vom 13. Dezember 1985
aufgelöst worden sei, sondern weiter fortbestehe.
2. die Beklagte zu verurteilen, sie bis zum
rechtskräftigen Abschluß des Rechtsstreits
weiterzubeschäftigen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
das Arbeitsverhältnis gemäß §§ 9, 10 KSchG
gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen.
Die Klägerin hat Zurückweisung des Auflösungsantrags begehrt.
Die Beklagte hat ausgeführt, die Klägerin sei nicht Betriebsärztin im Sinne des ASiG gewesen, da sie nicht wirksam zur Betriebsärztin bestellt worden sei und der Betriebsrat einer Bestellung auch nicht zugestimmt habe. Bei Abschluß des Arbeitsvertrags habe die Klägerin die in § 4 ASiG und der Unfallverhütungsvorschrift "Betriebsärzte" normierten Anforderungen nicht erfüllt. Eine Bestätigung der Betriebsärztekammer über den Nachweis der arbeitsmedizinischen Fachkunde habe sie erst im November 1984 vorgelegt. Die Kündigung bedürfe also bereits von daher nicht der Zustimmung des Betriebsrats.
Nach § 9 Abs. 3 Satz 1 ASiG hänge die Wirksamkeit der Kündigung des Arbeitsverhältnisses auch nicht von der Zustimmung des Betriebsrats zur Abberufung des Betriebsarztes ab. Die Kündigung sei vor allem aufgrund der Geschehnisse im Dezember 1985 gerechtfertigt. Wegen der Postöffnung habe die Klägerin völlig unangemessen reagiert. In den Fällen "Betriebsbegehung Firma Pl " und "Untersuchung A" handele es sich um Arbeitsverweigerungen. Der Termin der Betriebsbegehung sei auf Wunsch der Klägerin verschoben worden und Dr. W habe die Klägerin mindestens viermal vergeblich aufgefordert, ihn zu begleiten. Im Falle A sei die Klägerin ebenfalls wiederholt auf den Tatbestand der Arbeitsverweigerung hingewiesen worden. Die beleidigenden Vorwürfe der Klägerin in den Gesprächen vom 6. Dezember 1985 könne sie nicht mehr hinnehmen. Jedenfalls sei der Auflösungsantrag begründet, weil nach dem Verhalten der Klägerin eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit nicht zu erwarten sei.
Das Arbeitsgericht hat der Klage insgesamt stattgegeben und den Auflösungsantrag der Beklagten zurückgewiesen. Gegen dieses Urteil haben die Beklagte Berufung und die Klägerin Anschlußberufung eingelegt. Mit ihr hat die Klägerin die Abänderung der Verurteilung zur Weiterbeschäftigung verfolgt, da das Landesarbeitsgericht ihren Zwangsvollstreckungsantrag mangels Bestimmtheit und Bestimmbarkeit zurückgewiesen hatte.
Das Landesarbeitsgericht hat unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die außerordentliche Kündigung nicht beendet worden sei, sondern bis 30. Juni 1986 fortbestanden habe. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen und die Berufung zurückgewiesen.
Mit der Revision verfolgt die Klägerin hinsichtlich der ordentlichen Kündigung die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Beklagte begehrt Zurückweisung der Revision. Bezüglich des Weiterbeschäftigungsantrags haben die Parteien den Rechtsstreit für den Fall der Unwirksamkeit der Kündigung der Beklagten in der Revisionsverhandlung übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt.
Entscheidungsgründe
A. Die Revision ist begründet. Es steht rechtskräftig fest, daß die außerordentliche Kündigung der Beklagten unwirksam ist. Die Beklagte hat das Berufungsurteil insoweit nicht angefochten. Die weiter hilfsweise ausgesprochene fristgemäße Kündigung ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ebenfalls unwirksam, da die Beklagte die Klägerin im Zusammenhang mit der Beendigungskündigung nicht zugleich unter Wahrung des dem Betriebsrat nach § 9 Abs. 3 ASiG zustehenden Mitbestimmungsrechts von ihrer Betriebsarzttätigkeit abberufen hat. Das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis hat jedenfalls bis mindestens zum Ablauf des 31. März 1987 fortbestanden. Über die Rechtswirksamkeit der Kündigung der Beklagten vom 30. September 1986 zum 31. März 1987 ist in dem noch beim Arbeitsgericht Stuttgart anhängigen Rechtsstreit (9 (13) Ca 591/86 A) zu befinden.
B. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die fehlende wirksame Abberufung der Klägerin nach § 9 Abs. 3 Satz 1 ASiG sei ohne rechtliche Auswirkung auf die Wirksamkeit der Kündigung, denn bei der Vorschrift des § 9 Abs. 3 Satz 1 ASiG handele es sich nicht um ein Verbotsgesetz im Sinne des § 134 BGB, das die individualrechtlichen Gestaltungsrechte des Arbeitgebers gegenüber den Betriebsärzten und Fachkräften für Arbeitssicherheit einschränke. Die Auslegung der umstrittenen Norm nach Wortlaut, gesetzlichem Zusammenhang, Normzweck und Entstehungsgeschichte ergebe, daß die Vorschrift einen ausschließlich kollektiven Bezug aufweise und deshalb keinen Einfluß nehme auf die Rechtswirksamkeit von Individualrechtsgeschäften. Neben der kollektivrechtlich gestalteten Art der Beilegung von Meinungsstreitigkeiten durch die Verweisung in § 9 Abs. 3 ASiG auf die §§ 87, 76 BetrVG könne ein individualrechtlicher Schutzzweck aus systematischen Gründen keine Berücksichtigung finden. Diese Auslegung werde auch nicht durch die Erwägung in Frage gestellt, daß danach der Arbeitgeber die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats sanktionslos umgehen könnte. Diese betriebsverfassungsrechtliche Frage stehe vorliegend nicht zur Entscheidung, sondern lediglich die, ob eine angemessene Sanktion die Rechtswidrigkeit der ohne Zustimmung vorgenommenen Kündigung sein könne. Dies sei nicht der Fall, so daß die unbeachtet gebliebene Mitbestimmung des Betriebsrats bei der Abberufung der Klägerin von der Funktion einer Betriebsärztin keinen Einfluß auf die Rechtmäßigkeit der im Streit stehenden Kündigung habe.
C. Der Auffassung des Landesarbeitsgerichts, die Verletzung des in § 9 Abs. 3 Satz 1 ASiG für den Betriebsrat bei der Abberufung eines Betriebsarztes vorgesehenen Zustimmungsrechtes habe individualrechtlich keine Auswirkungen, folgt der Senat jedenfalls dann nicht, wenn - wie vorliegend - eine Kündigung auf Vorfälle gestützt wird, die bei ganzheitlicher Betrachtung des Lebenssachverhalts in engem sachlichen Zusammenhang zur Tätigkeit des Gekündigten als Betriebsarzt stehen.
I. Das in § 9 Abs. 3 Satz 1 und 2 ASiG normierte Zustimmungsrecht des Betriebsrates zur Abberufung eines Betriebsarztes ist ein vollwertiges Mitbestimmungsrecht, das nicht nur dann zu wahren ist, wenn der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis fortsetzen und den von ihm beschäftigten Arzt nur von seinen Aufgaben als Betriebsarzt durch eine Abberufung entbinden will. Zweck und Ausgestaltung des Mitbestimmungsrechts des § 9 Abs. 3 ASiG rechtfertigen eine Reduzierung auf einen reinen Vertragsinhaltsschutz nicht. Es wirkt sich vielmehr darüber hinaus auch als Bestandsschutz für das Arbeitsverhältnis des Betriebsarztes aus, wenn der Arbeitgeber davon absieht, die Zustimmung des Betriebsrates zur Abberufung einzuholen oder ersetzen zu lassen und die Abberufung nur als Folge einer Kündigung durchzusetzen versucht. Dieses Vorgehen führt zur Unwirksamkeit der Beendigungskündigung, weil sonst der Zweck des Mitbestimmungsrechts gesetzwidrig eingeschränkt würde. Das gilt zumindest dann, wenn die Kündigungsgründe ihre Ursache in der Tätigkeit als Betriebsarzt haben oder von der damit verbundenen Pflichtenkollision sachlich nicht zu trennen sind.
Für diese Bestimmung des gesetzlich nicht ausdrücklich geregelten Verhältnisses zwischen der Abberufung als Betriebsarzt und der Kündigung eines Anstellungsverhältnisses sind für den Senat zunächst folgende Gründe maßgebend:
1. Nach § 9 Abs. 3 Satz 1 ASiG hat der Arbeitgeber Betriebsärzte mit Zustimmung des Betriebsrates zu bestellen und abzuberufen. Das gleiche gilt nach Satz 2 dieser Vorschrift, wenn deren Aufgabe erweitert oder eingeschränkt werden soll. Im übrigen ordnet das Gesetz die Geltung von § 87 in Verb. mit § 76 BetrVG an. Nach Satz 3 ist der Betriebsrat vor der Verpflichtung oder Entpflichtung eines freiberuflich tätigen Arztes oder eines überbetrieblichen Dienstes zu hören.
Mit dem Berufungsgericht ist allerdings davon auszugehen, daß die kollektivrechtliche Zustimmung des Betriebsrats zur Abberufung des Betriebsarztes als Wirksamkeitsvoraussetzung auch für den individualrechtlichen Gestaltungsakt der Kündigung nicht unmittelbar § 9 Abs. 3 ASiG zu entnehmen ist. Das Zustimmungserfordernis ist ausdrücklich in § 9 Abs. 3 ASiG kollektivrechtlich hinsichtlich der Abberufung normiert und nicht individualrechtlich bezüglich der Kündigung. Grundsätzlich ist weiter zwischen dem Zustimmungsrecht nach § 9 Abs. 3 Satz 1 ASiG und den Beteiligungsrechten bei den personellen Einzelmaßnahmen nach §§ 99, 102 BetrVG zu unterscheiden. Für die Beendigungskündigung, die die Auflösung des Arbeitsverhältnisses und das Ausscheiden aus dem Betrieb bewirken soll, sieht § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG nur ein Mitwirkungsrecht, die Anhörung, vor, deren Fehlen zur Unwirksamkeit der Kündigung führt. Zur Abberufung, mit der die Entbindung von den Aufgaben eines Betriebsarztes bewirkt werden soll, eine anderweitige Tätigkeit im Betrieb aber möglich bleibt, gibt § 9 Abs. 3 Satz 1 ASiG dem Betriebsrat demgegenüber ein Zustimmungsrecht. Da beide Beteiligungsverfahren einzuhalten sind, ist es z. B. denkbar, daß der Betriebsrat der Abberufung gemäß § 9 Abs. 3 Satz 1 ASiG zustimmt, gemäß § 102 Abs. 1 und 2 BetrVG zur Kündigung gehört, dieser jedoch widerspricht oder sich in anderer Weise jeweils getrennt äußert (vgl. Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, BetrVG, 15. Aufl., § 87 Rz 87; Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl., § 87 Rz 369; Gnade/Kehrmann, BetrVG, 2. Aufl., § 87 Rz 143; Spinnarke/Schork, ASiR, Stand: Juni 1987, Anm. 4.2.2 zu § 9 ASiG).
2. Die Beklagte hat vorliegend unstreitig eine Abberufung der Klägerin als Betriebsärztin, der der Betriebsrat allerdings bereits vorsorglich widersprochen hat, neben der ausgesprochenen Kündigung nicht ausdrücklich erklärt. Wie bei den unterschiedlich ausgestalteten Beteiligungsrechten ist im Rahmen des § 9 Abs. 3 ASiG im Grundsatz zwischen den Rechtsakten Kündigung des Arbeitsverhältnisses und Abberufung als Betriebsärztin sowie den auf deren Herbeiführung gerichteten Erklärungen zu unterscheiden (Spinnarke/Schork, aa0, Anm. 3 zu § 1 ASiG; Krebs/Schelter, ASiG, Stand: 1. Juni 1987, § 9 ASiG, Anm. VII, S. 12; Galperin/Löwisch, BetrVG, 6. Aufl., § 87 Rz 167; Hess/Schlochauer/Glaubitz, BetrVG, 3. Aufl., § 87 Rz 331; Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, aa0, § 87 Rz 87; Gaul/Kühne, Arbeitsstättenrecht, S. 221; Gaul, Das Arbeitsrecht im Betrieb, 8. Aufl., 0 XIV, Rz 42, S. 659; Hüttig, DB 1975, 595).
a) Dieser vorgegebene begriffliche und systematische Unterschied zwischen der Abberufung und der Beendigung des der Funktion als Betriebsarzt zugrundeliegenden Anstellungsvertrages (Dienst- oder Arbeitsverhältnis) darf einerseits bei der Bestimmung der Wechselwirkung dieser Rechtsakte und der darauf bezogenen kollektiven Beteiligungsrechte nicht völlig aufgehoben werden. Es geht deswegen nicht an, beide Rechtsakte dann, wenn damit im Ergebnis eine Beendigung der Beschäftigung als Betriebsarzt bezweckt wird, als einheitliches Rechtsgeschäft zu werten und bereits unmittelbar aus einer unwirksamen Abberufung die Unwirksamkeit der auf den gleichen Erfolg gerichteten Beendigungskündigung herzuleiten. Andererseits darf jedoch der zwischen beiden Rechtsakten bestehende innere und sachliche Zusammenhang nicht unberücksichtigt bleiben. Die Abberufung führt zwar nicht ohne weiteres zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses, weil ein Mediziner auch ohne Bestellung zum Betriebsarzt im Betrieb ärztliche Aufgaben wahrnehmen kann. Demgegenüber verfolgt der Arbeitgeber mit der Beendigungskündigung zugleich den Zweck, den angestellten Arzt als Betriebsarzt abzuberufen (vgl. Dietz/Richardi, aa0, § 87 Rz 369; GK-Wiese, BetrVG, 3. Aufl., § 87 Rz 237; Gnade/Kehrmann, aa0, § 87 Rz 143; Krebs/Schelter, aa0). Ein nicht an den Bestand des vertraglichen Grundverhältnisses gebundenes verselbständigtes "Betriebsarztamt" kommt nach der Konzeption des ASiG nicht in Betracht.
b) Unabhängig davon, ob die Beendigungskündigung deswegen zu gleich konkludent als weiteres Rechtsgeschäft die Abberufung enthält (so insbesondere Dietz/Richardi, aa0), ergibt sich daraus die vom Gesetzgeber nicht eindeutig gelöste Frage, wie sich eine fehlende und auch nicht ersetzte Zustimmung des Betriebsrates zur Abberufung als Betriebsarzt auf eine Beendigungskündigung auswirkt, die nach ihrer Zweckbestimmung ebenfalls tatsächlich die Abberufung zur Folge haben soll.
c) Es fehlen Gründe, die eine teleologische Reduktion des § 9 Abs. 3 ASiG mit der Maßgabe rechtfertigen könnten, bei der Beendigung des Anstellungsverhältnisses unter gleichzeitiger Abberufung als Betriebsarzt seien nur § 1 KSchG, § 626 BGB und § 102 BetrVG als speziellere Vorschriften anzuwenden, die insoweit das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates nach § 9 Abs. 3 ASiG verdrängen und ersetzen. Diese Annahme wäre nur auf die nicht ausreichend formale Begründung zu stützen, eine nicht gegen Kündigungsvorschriften verstoßende Beendigungskündigung führe eben zwangsläufig zur Abberufung als Betriebsarzt, der insoweit ausschließlich und ausreichend durch den individuellen und kollektiven Kündigungsschutz geschützt sei. Das wäre eine verfehlte Auslegung, die die Bedeutung des § 9 Abs. 3 ASiG unzulässig auf einen Vertragsinhaltsschutz des Betriebsarztes bei einem im übrigen fortbestehenden Arbeitsverhältnis verkürzen und das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates in einem wesentlichen Bereich ausschalten würde. Der Arbeitgeber wäre dann zwar gehindert, den Betriebsarzt ohne Zustimmung durch den Betriebsrat (oder deren Ersetzung) als Betriebsarzt abzuberufen, wenn er ihn ohne diese Funktion weiterbeschäftigen und sich deswegen nicht vollständig von ihm trennen will. Dieses Ziel könnte er aber bei einer abzulehnenden Reduktion des § 9 Abs. 3 ASiG ohne Zustimmung des Betriebsrates dann erreichen, wenn er den Betriebsarzt nicht mehr im ärztlichen Dienst einsetzen will, und zwar auch dann, wenn sein Kündigungsentschluß auf Gründen beruht, die sich aus der Tätigkeit als Betriebsarzt ergeben und entwickelt haben. Die Ausschaltung des Mitbestimmungsrechtes des Betriebsrates auch in diesen Fällen wäre jedoch ein Wertungswiderspruch, der mit dem Zweck des Mitbestimmungsrechts nicht zu vereinbaren ist und sich auch nicht mit der Entstehungsgeschichte des ASiG und den verlautbarten Vorstellungen des Gesetzgebers belegen läßt.
Für eine Reduktion kann auch nicht angeführt werden, die Belange des Betriebsarztes und des Betriebsrates blieben gewahrt, weil im Kündigungsschutzprozeß jedenfalls zu prüfen sei, ob die dafür angegebenen Gründe die Kündigung rechtfertigen. Diese Erwägung trägt nicht, weil das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates bei der Abberufung (und der daraus folgende kollektive Schutz des Betriebsarztes) umfassender und stärker ausgebildet ist, als der individuelle Kündigungsschutz des Betriebsarztes. Das Mitbestimmungsrecht greift insoweit nämlich unabhängig von der Dauer der Beschäftigung und dem Erwerb des allgemeinen Schutzes nach dem KSchG bereits mit der Bestellung zum Betriebsarzt ein, und eine ordnungsgemäße Verweigerung der Zustimmung durch den Betriebsrat ist nicht nur aus bestimmten, an den Kündigungsgründen des § 1 KSchG orientierten Kündigungssachverhalten möglich (Dietz/Richardi, aa0, § 87 Rz 371).
3. Die fehlende Zustimmung des Betriebsrates zur Abberufung als Betriebsarzt führt deswegen nach der Auffassung des Senats zumindest dann wegen objektiver Umgehung des § 9 Abs. 3 ASiG zur Unwirksamkeit einer Beendigungskündigung, wenn die Kündigung auf Gründe gestützt wird, die sachlich nicht von der Tätigkeit als Betriebsarzt zu trennen sind.
Im einzelnen gilt folgendes:
a) Die Regelung in § 9 Abs. 3 ASiG verleiht dem Betriebsrat ein echtes Mitbestimmungsrecht. Durch die Ausformung des Mitbestimmungsrechts als Zustimmungsrecht und die Rechtsfolgenverweisung in § 9 Abs. 3 Satz 2 ASiG, wonach im übrigen § 87 in Verb. mit § 76 BetrVG gilt, ergibt sich, daß der Arbeitgeber die Maßnahme ohne Zustimmung des Betriebsrats oder deren Ersetzung durch die Einigungsstelle nicht durchführen darf. Ohne Zustimmung des Betriebsrats sind die in § 9 Abs. 3 Satz 1 und 2 ASiG genannten Maßnahmen unwirksam (LAG Düsseldorf, Urteil vom 25. März 1977 - 4 Sa 171/77 - DB 1977, 915; GK-Wiese, aa0, § 87 Rz 238; Hess/Schlochauer/Glaubitz, aa0, § 87 Rz 329, 332, 334). Damit kann die Abberufung eines Betriebsarztes von Arbeitgeber und Betriebsrat nur gemeinsam geregelt werden. Die Mitbestimmung des Betriebsrats ist insoweit zwingend und notwendig, anderenfalls ist die Abberufung rechtswidrig und unwirksam (GK-Wiese, aa0; Gnade/Kehrmann, aa0, § 87 Rz 145; Spinnarke/Schork, aa0, Anm. 4.1. zu § 9 ASiG; Krebs/Schelter, aa0, § 9 ASiG, Anm. VII, S. 13).
Die Entscheidung des Ersten Senats vom 10. April 1979 (BAGE 31, 356 = AP Nr. 1 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitssicherheit) steht der Annahme eines nach § 9 Abs. 3 Satz 1 und 2 ASiG begründeten Mitbestimmungsrechts nicht entgegen. Der Erste Senat hat dort die Entscheidung des Arbeitgebers, welche der drei Möglichkeiten der betriebsärztlichen Betreuung zur Erfüllung seiner Pflichten nach dem ASiG zu wählen ist - die Einstellung hauptberuflicher Kräfte, die Verpflichtung freiberuflicher Ärzte oder der Anschluß an einen überbetrieblichen Dienst von Betriebsärzten - nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG für mitbestimmungspflichtig angesehen. Er hat in den Gründen ausgeführt (zu II 4), das in § 9 Abs. 3 ASiG normierte Zustimmungsrecht schließe eine "andere Mitbestimmung" nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG, die schon vorher eingreife, hinsichtlich dieser abstrakten Entscheidung nicht aus. Beide Akte könnten unterschiedlichen Mitbestimmungsrechten unterworfen sein. Daraus kann nur entnommen werden, daß der Betriebsrat nicht nur der Bestellung und Abberufung hauptberuflicher Betriebsärzte, sondern auch der vorgelagerten Entscheidung für eine der drei Möglichkeiten der gesundheitlichen Betreuung zuzustimmen hat, nicht aber, daß ein Mitbestimmungsrecht das andere ausschlösse.
b) Ein Mitbestimmungstatbestand und die sich auf dessen Umgehung gründende Unwirksamkeitsfolge für die Kündigung setzt jeweils das Vorliegen eines kollektiven Tatbestands voraus. Kein Mitbestimmungsrecht besteht bei individuellen Regelungen ohne kollektiven Bezug (ständige Rechtsprechung des BAG, vgl. Beschluß vom 10. Juni 1986 - 1 ABR 61/84 - AP Nr. 18 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit). Erforderlich ist eine Regelungsfrage, die kollektive Interessen der Arbeitnehmer des Betriebes berührt. Vorliegend geht es zwar um die Abberufung einer (einzelnen) Arbeitnehmerin und zumindest mittelbar um deren individuelle Arbeitsbedingungen. Das ist aber unerheblich, weil schon durch die Verweisung auf §§ 87, 76 BetrVG das Gesetz die Abberufung des Betriebsarztes zum echten Mitbestimmungstatbestand gemacht hat. Auf die Zahl der betroffenen Arbeitnehmer kommt es nicht an (BAG, aa0). Der kollektive Bezug ergibt sich vor allem aber daraus, daß die arbeitsmedizinische Betreuung der Arbeitnehmer im Betrieb, Arbeitsschutz und Unfallverhütung, Sicherheitstechnik und Arbeitsmedizin sowie die Humanisierung des Arbeitslebens betroffen sind. Nach dem Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuß, BT-Drucks. VII/1085, S. 4) sind die Beteiligungsrechte des Betriebsrats bei der Bestellung und Abberufung von Betriebsärzten für die Wirksamkeit der gesetzlichen Vorschriften von besonderer Bedeutung. Ohne das Vertrauen der Arbeitnehmerschaft und ihrer gesetzlichen Repräsentation sei das Ziel des Gesetzesentwurfs, humanere Arbeitsbedingungen, unter denen die Arbeit zu verrichten ist, nicht zu erreichen (aa0, S. 7).
Einen Hinweis auf das Vorliegen eines kollektiven Tatbestandes enthält schließlich auch § 89 Abs. 1 BetrVG, der den Arbeitsschutz zur Betriebsratsaufgabe macht (vgl. Spinnarke/Schork, aa0, Anm. 6, § 9 ASiG, S. 87).
Die Betriebspartner haben mithin eine Einigung über die in § 9 Abs. 3 Satz 1 und 2 ASiG genannten Maßnahmen zu treffen. Kommt diese nicht zustande, entscheidet nach § 9 Abs. 3 Satz 2 ASiG, § 87 Abs. 2 und § 76 BetrVG die Einigungsstelle. Deren Spruch ersetzt die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat (vgl. Dietz/Richardi, aa0, § 87 Rz 370 m.w.N.).
c) Die Mißachtung dieses Mitbestimmungsrechts hat zumindest dann nicht nur Auswirkungen allein im kollektivrechtlichen Bereich, wenn die Kündigung auf Tatbestände gestützt wird, die mit der Verrichtung der Betriebsarzttätigkeit in Verbindung stehen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und der im Ergebnis nahezu einhelligen Meinung in der Literatur hat eine individualrechtliche Maßnahme dann keinen Bestand, wenn sie zur Umgehung von Mitbestimmungstatbeständen führt.
aa) Schon in BAGE 3, 207, 210 (= AP Nr. 2 zu § 56 BetrVG) hat der Erste Senat in einem Lohnzahlungsprozeß eine vom Arbeitgeber einseitig ohne Zustimmung des Betriebsrats nach § 56 Abs. 1 a BetrVG 1952 vorgenommene Arbeitszeitverlegung für nicht wirksam angesehen und dem betroffenen Arbeitnehmer die daraus entstehenden Lohnzahlungsansprüche zuerkannt. In BAGE 3, 266, 272, 273 (= AP Nr. 4 zu § 56 BetrVG) hat der Erste Senat eine Änderungskündigung für unwirksam gehalten, die der Arbeitgeber ohne Einigung mit dem Betriebsrat zur Herabsetzung von Stücklohnsätzen ausgesprochen hatte. Er hat angenommen, eine Kündigung, die im Ergebnis auf die Ausschaltung des Mitbestimmungsrechts in sozialen Angelegenheiten hinauslaufe, könne vor dem Recht keine Anerkennung finden. Es würde Sinn und Zweck des Mitbestimmungsrechts im Bereich der notwendigen Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten widersprechen und der Umgehung des Gesetzes Tür und Tor öffnen, wenn der Arbeitgeber die mitbestimmungspflichtigen Maßnahmen auf dem Wege und unter dem Druck der Änderungskündigung durch Einzelvereinbarungen mit jedem einzelnen Arbeitnehmer durchsetzen könnte. In BAGE 10, 262, 265 (= AP Nr. 22 zu § 56 BetrVG) hat der Erste Senat diese Grundsätze auf eine Beendigungskündigung, die dem Kläger wie auch anderen Arbeitnehmern gegenüber zur mitbestimmungswidrigen Senkung von Akkordsätzen ausgesprochen worden ist, erstreckt, wenn darin eine Umgehung der Mitbestimmung des Betriebsrats liegt. In BAGE 34, 331, 354 und 355, 364 (= AP Nr. 70 und 71 zu Art. 9 GG Arbeitskampf) hat der Erste Senat hinsichtlich der Einführung von Kurzarbeit die Zustimmung des Betriebsrats als Wirksamkeitsvoraussetzung behandelt. Der Fünfte Senat hat im Urteil vom 17. Dezember 1980 (- 5 AZR 570/78 - AP Nr. 4 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung) den Widerruf einer Zulage unter den kollektiven Schutz im Bereich der betrieblichen Lohngestaltung gestellt und die einseitig vom Arbeitgeber unter Verletzung von Mitbestimmungsrechten (§ 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG) getroffenen Maßnahmen insoweit für unwirksam angesehen, wie dadurch Ansprüche des Arbeitnehmers vereitelt oder erschwert würden. Im selben Umfang hat der Erste Senat im Urteil vom 13. Juli 1977 (- 1 AZR 336/75 - AP Nr. 2 zu § 87 BetrVG 1972 Kurzarbeit) eine mitbestimmungswidrige Anordnung auf Einstellung einer Schicht für unwirksam angesehen.
Änderungskündigungen mit dem Ziel der Umstellung des Vergütungsgruppensystems ohne vorherige Einigung mit dem Betriebsrat oder einen diese ersetzenden Spruch der Einigungsstelle (§ 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG) hat der Erste Senat im Urteil vom 31. Januar 1984 (- 1 AZR 174/81 - BAGE 45, 91 = AP Nr. 15 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung) ebenfalls für unwirksam angesehen. Auch eine Änderungskündigung zwecks Einführung eines Zweischichtbetriebes unter Verstoß gegen das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG 1972 ist schließlich nach dem Urteil des Landesarbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 27. November 1986 (- 9 Sa 828/86 - DB 1987, 1844) unwirksam.
Der Große Senat (Beschluß vom 1. September 1986 - GS 1/82 - AP Nr. 17 zu § 77 BetrVG 1972, unter C III der Gründe) hat im Rahmen seiner Erwägungen zu Kollisionsregeln für eine ablösende Betriebsvereinbarung ausgeführt, soweit Maßnahmen des Arbeitgebers mitbestimmungspflichtig seien und ihre Durchführung den Arbeitnehmer belaste, sei die Unwirksamkeitsfolge eine geeignete Sanktion.
bb) Das Schrifttum ist dieser Rechtsprechung im Ergebnis weitgehend gefolgt (Galperin/Löwisch, aa0, § 87 Rz 16, 19; Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, aa0, § 87 Rz 23; Gnade/Kehrmann, aa0, § 87 Rz 4 und 5; Etzel, Betriebsverfassungsrecht, 3. Aufl., Rz 506; GK-Wiese, aa0, § 87 Rz 72; von Hoyningen-Huene, DB 1977, 1426 ff.; Jobs, DB 1986, 1120 ff.; Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, 7. Aufl., Bd. II 2, S. 1390, Fn 39; Säcker, DB 1967, 1086 ff.; Hurlebaus, Fehlende Mitbestimmung bei § 87 BetrVG, S. 85, 91, 97, 127; ausschließlich zu § 9 Abs. 3 ASiG wohl Kliesch/Nöthlichs/Wagner, Anm. 7.4 zu § 9 ASiG: Ohne Zustimmung des Betriebsrats zur Abberufung oder deren Ersetzung durch die Einigungsstelle müsse der Arbeitgeber die bestellte Kraft weiterbeschäftigen und es sei ausgeschlossen, daß er das Arbeitsverhältnis kündige; in Anm. 7.5 wird die Unwirksamkeitsfolge allerdings ausdrücklich nur für die in § 9 Abs. 3 genannten Organisationsakte angenommen; Spinnarke/Schork, aa0, Anm. 4.2.1 zu § 9, erwägen bei der Einstellung und Bestellung die Anwendung von § 139 BGB; kritisch Dietz/Richardi, aa0, § 87 Rz 80 ff.; Hess/Schlochauer/Glaubitz, aa0, § 87 Rz 74 ff.).
d) Diesen Grundsätzen schließt sich der Senat an. Wie in den vorgenannten Fallgestaltungen wird zumindest in den Fällen, in denen der Schutzbereich der betriebsärztlichen Tätigkeit berührt ist, das dem Betriebsrat im Zusammenhang mit der Abberufung eines Betriebsarztes zustehende Mitbestimmungsrecht dann ausgeschaltet, wenn der Arbeitgeber eine mitbestimmungspflichtige Abberufung unterläßt und das gleiche Ergebnis dadurch erreichen will, daß er das Arbeitsverhältnis unter Berufung auf solche Gründe, die mit der Betriebsarzttätigkeit zusammenhängen, durch Beendigungskündigung auflöst. Wenn die gesetzliche Regelung nur Abberufungen in einem weiterbestehenden Arbeitsverhältnis erfaßte, dann wäre der Anwendungsbereich des ASiG, das einen erweiterten Schutz des dort genannten Personenkreises in dem ihm zugewiesenen Aufgabenbereich herbeiführen will, gerade nicht auf den Fall erstreckt, der die Tätigkeit eines Betriebsarztes oder einer Fachkraft für Arbeitssicherheit am empfindlichsten, nämlich durch eine Beendigung seiner Tätigkeit, beeinträchtigt.
Der Senat ist daher der Auffassung, daß vom Sinngehalt des ASiG her eine Kündigung, die sich auf eine Bewertung der Tätigkeit einer im ASiG erfaßten Person bezieht, auch die Zustimmung zur Abberufung notwendig macht. Er läßt ausdrücklich offen, ob eine objektive und dem Zweckgehalt widersprechende Umgehung des Mitbestimmungsrechtes auch dann vorliegt, wenn der Arbeitgeber aus betriebsbedingten oder solchen personen- und verhaltensbedingten Gründen kündigt, die in keinem Bezug zur Tätigkeit des Betriebsarztes stehen (z. B. Störungen im Vertrauensbereich durch Schädigung des Vermögens des Arbeitgebers). Auch in diesen Fällen ist zwar wegen der in § 9 Abs. 3 ASiG fehlenden Einschränkung die Mitbestimmung des Betriebsrates vorgesehen. Ihre Ausschaltung berührt aber dann möglicherweise nicht den sich auf die Kündigung auswirkenden Bereich des Mitbestimmungsrechts, wenn und soweit es um Beendigungskündigungen geht, die nicht auf den potentiellen Interessenkonflikt zurückzuführen sind, der mit der Wahrnehmung von spezifischen Betriebsarztaufgaben verbunden ist. Das brauchte vorliegend nicht abschließend geklärt zu werden, weil alle von der Beklagten angeführten Kündigungsgründe von der Tätigkeit der Klägerin als Betriebsärztin nicht zu trennen sind (vgl. unten zu I 6).
4. Diese Auslegung des Gesetzes steht nicht im Widerspruch zum Wortlaut des § 9 Abs. 3 ASiG und den im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens angestellten Erwägungen.
a) Zunächst läßt sich § 9 Abs. 3 Satz 1 und 2 ASiG nicht eine Beschränkung der Unwirksamkeitsfolge unter Ausschluß der allgemeinen Regeln auf die dort genannten Maßnahmen entnehmen, was im Ergebnis nur einen verstärkten Inhaltsschutz bedeutete (a.A.: Galperin/Löwisch, aa0, § 87 Rz 167). Der Wortlaut besagt insoweit nichts, im Hinblick auf § 102 Abs. 1 BetrVG allerdings auch nicht das Gegenteil, denn § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG ist maßgebend zu deuten unter Berücksichtigung der früheren Rechtsprechung des BAG zu § 66 BetrVG 1952. Das BAG maß der Verletzung des in § 66 BetrVG 1952 normierten Anhörungsrechts nicht die Nichtigkeitsfolge für die Kündigung bei (BAGE 1, 69 und Urteil vom 18. Januar 1968 - 2 AZR 45/67 - aa0). Die gesetzliche Regelung in § 102 BetrVG 1972 war deshalb geboten. Dagegen war die Mitwirkung des Betriebsrats bei § 56 BetrVG 1952, wie dargelegt, höchstrichterlich bereits als Wirksamkeitsvoraussetzung anerkannt (vgl. von Hoyningen-Huene, aa0, 1429 m. w.N.).
b) Sinn, Zweck und Entstehungsgeschichte des § 9 Abs. 3 ASiG sprechen gegen eine Beschränkung des Mitbestimmungsrechts allein auf im übrigen fortbestehenden Arbeitsverhältnis des Betriebsarztes gegebene Sachverhalte. Die Annahme eines zwar verstärkten, jedoch nur bis zum Kündigungsausspruch gewährleisteten Inhaltsschutzes läßt sich mit Ausgestaltung und Zweck der in § 9 Abs. 3 Satz 1 und 2 ASiG vorgesehenen Beteiligungsrechte nicht vereinbaren. Vielmehr ist davon auszugehen, daß die Beteiligungsrechte des Betriebsrats angesichts des dem betrieblichen Gesundheitsschutz beigemessenen Stellenwertes Schutz und Teilhabe der Belegschaft in diesem Bereich jedenfalls auch insoweit sichern sollten, als ein Arbeitgeber sich vom Zustimmungsrecht des Betriebsrats mittels einer gegenüber dem Betriebsarzt ausgesprochenen Beendigungskündigung lösen will.
aa) Der von der SPD-Fraktion in der Fünften Wahlperiode eingebrachte Antrag vom 23. Januar 1968 (BT-Drucks. V/2500) sollte u.a. regeln: "... 5. Rechtsstellung der Betriebsärzte; insbesondere Sicherung der ärztlichen Schweigepflicht und der Unabhängigkeit und die Mitbestimmung der Betriebsärzte bei Einstellung und Entlassung".
bb) Der in der Siebten Wahlperiode eingebrachte Gesetzesentwurf der Bundesregierung vom 26. Februar 1973 (BT-Drucks. VII/260, S. 4 ff.) hatte keine entsprechende Regelung zum Inhalt. Diese geht vielmehr auf die Stellungnahme des Bundesrats zu diesem Entwurf zurück (BT-Drucks. VII/260, S. 18 ff., Anlage 2). Dieser lautet (aa0, S. 19): "An § 9 ist folgender Abs. 3 anzufügen: '(3) Die Bestellung, die Änderung der Bestellung und die Aufhebung der Bestellung der Betriebsärzte ... sind Regelungen im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 7 des Betriebsverfassungsgesetzes'." Ausweislich der Begründung (aa0) werde durch die Mitbestimmung des Betriebsrats das Vertrauensverhältnis zwischen der Belegschaft und den Betriebsärzten gestärkt und die Unabhängigkeit gegenüber dem Arbeitgeber gefestigt. Diese Regelung entspreche außerdem der Vereinbarung vom 1. März 1953 über den werksärztlichen Dienst zwischen der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, dem DGB und dem Werksärzteverband vom 1. März 1953 (BArbBl. 1953, 270). Dieser sah unter 5 Ziff. 1 vor: "Einstellung und Entlassung des Werksarztes erfolgen durch die Werksleitung im Einvernehmen mit dem Betriebsrat. Der Landesgewerbearzt ist vorher zu hören."
cc) Die Gesetzesfassung gründet sich auf Bericht und Antrag des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuß, BT-Drucks. VII/1085). Der Berichterstatter sah die über die Regelungen des § 87 Abs. 1 Ziff. 7 BetrVG hinausgehenden Beteiligungsrechte des Betriebsrats bei der Bestellung und Abberufung von Betriebsärzten zur Unterstützung der Wirksamkeit der gesetzlichen Vorschriften als von besonderer Bedeutung an (aa0, S. 4, 7). Ohne das Vertrauen der Arbeitnehmerschaft und ihrer gesetzlichen Repräsentation, des Betriebsrats, sei das Ziel des Gesetzentwurfs, humanere Arbeitsbedingungen, unter denen die Arbeit zu verrichten ist, nicht zu erreichen. Mit überwiegender Mehrheit ging der Ausschuß nach seinem Bericht (aa0) auch davon aus, dem Betriebsrat müsse insoweit unter der möglichen Einschaltung der Einigungsstelle ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht zustehen. Die Zuständigkeit der Einigungsstelle sei wegen einer betriebsnahen, schnellen und dem Gedanken der vertrauensvollen Zusammenarbeit entsprechenden konfliktlösenden Methode geboten. Vor den Beratungen im Bundestag hob der Berichterstatter in der 58. Sitzung vom 19. Oktober 1973 (Stenographischer Bericht, S. 3345 ff., S. 3357) nochmals hervor: "Besonderes Gewicht hatte in den Beratungen die Bemühung, die Mitwirkung und Mitbestimmung des Betriebsrates in den Fragen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes zu stärken. Der Ausschuß sah darin eine wichtige Voraussetzung für die Wirksamkeit des Gesetzes. Das gilt auch für die Ausgestaltung von Bedingungen, die die fachliche und sachliche Unabhängigkeit der Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit sichern sollen." Der Sprachgebrauch war indessen nicht einheitlich. In der dritten Beratung äußerte sich der Abgeordnete Pohlmann (aa0, S. 3359): "Wir sind der Ansicht, daß die Vertrauensbasis nur dann gegeben ist, wenn Einstellungen und Entlassungen von Betriebsärzten ... nicht über den Kopf des Betriebsrats und ohne seine Beteiligung getätigt werden können. Dies entsprach auch der bisherigen Handhabung der Sozialpartner, die schon 1950 bzw. 1953 in den Richtlinien zum werksärztlichen Dienst festgelegt hatten, daß Einstellungen und Entlassungen durch die Werksleitung im Einvernehmen mit dem Betriebsrat zu erfolgen haben." Die damalige Opposition gab dabei einer Lösung den Vorzug, die anstatt des Einigungsstellenverfahrens die Bestellung usw. im Einvernehmen mit dem Betriebsrat vorsah. Dagegen führte der Abgeordnete Hölscher aus (aa0, S. 3361, 3362): "... So konnte darüber hinaus nicht auf eine Mitwirkung des Betriebsrates auch im personellen Bereich verzichtet werden. Wenn also der Betriebsrat ein Zustimmungsrecht bei der Bestellung und Abberufung von angestellten Betriebsärzten ... hat, so dient auch das der unabhängigen Stellung der Beauftragten, weil sie sich auf das Vertrauen und die Legitimation aller Beteiligten im Unternehmen stützen können ... und somit die Möglichkeiten, die ihnen die Aufgabenkataloge in beiden Bereichen bieten, auch voll ausschöpfen werden. Zur Klarstellung sei noch darauf hingewiesen, daß sich die Zustimmung des Betriebsrats bei den angestellten Ärzten auf den Akt der Bestellung bzw. Abberufung erstreckt. Davon zu unterscheiden ist die Einstellung, d. h. die Begründung des Arbeitsverhältnisses mit dem Arzt. Hier bleibt es bei der für leitende Angestellte geltenden Vorschrift des § 5 Abs. 3 des Betriebsverfassungsgesetzes. Die nach dem Betriebsärztegesetz vorgesehene Beteiligung des Betriebsrats bestätigt damit, daß Abstriche an dem Begriff des leitenden Angestellten nach geltendem Recht nicht vorgenommen werden." (Vgl. dazu Hüttig, DB 1975, 595 Fn 16, der die fehlende Bereitschaft der FDP, die Einstellung und Entlassung von Betriebsärzten, die leitende Angestellte sind, an die Zustimmung des Betriebsrates zu binden, als Grund für die formale Trennung von Abberufung und Kündigung ansieht.)
dd) Der unterschiedliche Sprachgebrauch läßt danach und angesichts der Gesetzesfassung zwar nicht die Annahme zu, auch die Entlassung selbst sei nach den Vorstellungen des Gesetzgebers zustimmungspflichtig. Wie aber deutlich wird, sollten die Stellung des bei Anwendung der Fachkunde weisungsfreien Betriebsarztes (§ 8 Abs. 1 ASiG) gesichert und die Unabhängigkeit im Rahmen der verantwortungsvollen Aufgaben zur Humanisierung des Arbeitslebens gegenüber dem Arbeitgeber gefestigt werden. Die Beteiligungsrechte sollen die Wirksamkeit der gesetzlichen Vorschriften unterstützen. Mit dieser Intention - Stärkung der Stellung des Betriebsarztes gegenüber dem Arbeitgeber - nicht vereinbaren läßt sich die Auffassung, das Zustimmungsrecht zur Abberufung beschränke sich derart auf das ungekündigte Arbeitsverhältnis des Betriebsarztes, daß die Anwendung der allgemeinen Regeln für Umgehungstatbestände ausgeschlossen sei. Dem Betriebsarzt könnte sonst durch die Kündigung der Boden für die Wahrnehmung der genannten Aufgaben entzogen werden, ohne daß die Belegschaft durch ihre Repräsentation das in § 9 Abs. 3 ASiG vorgesehene Beteiligungsrecht ausüben kann. Von sich besonders für humanere Arbeitsbedingungen engagierenden und auf die Einführung kostenträchtiger Vorrichtungen drängenden Betriebsärzten, die dem einen oder anderen Arbeitgeber dadurch unbequem oder mißliebig würden, könnte dieser sich insbesondere dann wegen dieser Umstände leicht unter Ausschaltung des Zustimmungsrechts des Betriebsrats durch Entlassung trennen, wenn das KSchG noch nicht anwendbar ist. Gegen die Intentionen des Gesetzgebers würde die Abberufung "über den Kopf des Betriebsrats" hinweg getätigt. Die Annahme, die allgemein für die Mißachtung von Mitbestimmungstatbeständen vorgesehenen Regeln fänden bei § 9 Abs. 3 Satz 1 und 2 ASiG im Umgehungsfall keine Anwendung, ist damit nicht vereinbar.
5. Die Ausschaltung der notwendigen Mitbestimmung nach § 9 Abs. 3 ASiG führt zur Rechtswidrigkeit der Individualmaßnahme. Maßgeblich ist dabei nur die objektiv funktionswidrige Umgehung. Auf eine entsprechende Absicht des Arbeitgebers kommt es nicht an (GK-Wiese, aa0, § 87 Rz 72; Dietz/Richardi, aa0, § 87 Rz 112; zur Umgehung von §§ 111, 112 BetrVG durch einen Aufhebungsvertrag vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 1987 - 2 AZR 271/86 -, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen).
a) Die "Verklammerung des Mitbestimmungsrechtes mit dem Einzelarbeitsverhältnis" (Richardi, ZfA 1976, 1 f., 36) führt nach Auffassung des Senats nicht erst im Rahmen der sozialen Rechtfertigung der Kündigung zu deren Unwirksamkeit (a.A.: Dietz/Richardi, aa0, § 87 Rz 113; Galperin/Löwisch, aa0, § 87 Rz 167 und GK-Wiese, aa0, § 87 Rz 237). Anhaltspunkte dafür, daß der den Betriebsärzten zugebilligte erweiterte Schutz nur unter den Voraussetzungen des KSchG, etwa der sechsmonatigen Wartezeit, eingreift, oder davon abhängt, ob der Arbeitgeber eine ordentliche oder eine außerordentliche Kündigung ausspricht, deren Wirksamkeit am Kriterium der Sozialwidrigkeit nicht zu messen ist, liegen nicht vor. Außerdem ist kein Grund dafür ersichtlich, die Überprüfung des Umgehungstatbestandes nur nach Maßgabe der §§ 4 ff. KSchG zuzulassen. Die Wirksamkeitsfiktion nach § 7 KSchG bezieht sich nur auf die fehlende soziale Rechtfertigung im Sinne des § 1 KSchG. Sie soll nicht die Unwirksamkeit der Kündigung wegen Umgehung notwendiger Mitbestimmung heilen (vgl. die Erwägung des Senats § 613 a Abs. 4 BGB im Urteil vom 31. Januar 1985 - 2 AZR 530/82 - AP Nr. 40 zu § 613 a BGB zu 2 c, bb und d, bb).
b) Auch § 102 Abs. 1 BetrVG steht der Unwirksamkeitsfolge nicht entgegen. Insbesondere wird die Kündigung damit nicht unter den Zustimmungsvorbehalt des Betriebsrates gestellt. Der Betriebsrat erlangt hinsichtlich der Kündigung auch keine Position mit Sperrfunktion wie im Einspruchsverfahren nach §§ 58 ff. des Betriebsrätegesetzes vom 4. Februar 1920 (RGBl., 147), was mit der Neuregelung dieser Vorschrift nicht beabsichtigt war (vgl. Dietz/Richardi, aa0, § 102 Rz 2).
c) Zustimmungspflichtig ist der Mitbestimmungstatbestand des § 9 Abs. 3 ASiG. Nur wenn das Zustimmungserfordernis mittels des individualrechtlichen Gestaltungsmittels der Kündigung umgangen wird, erfaßt die Mitbestimmungswidrigkeit den Umgehungstatbestand. Damit wird jedoch die Kündigung selbst nicht zustimmungspflichtig.
6. Die Beklagte hat die Kündigung vorliegend ausschließlich auf Tatsachen gestützt, die im Zusammenhang mit der Tätigkeit der Klägerin als Betriebsärztin stehen.
Die Betriebsbegehung mit Dr. W, bei der Lösemittelmessungen kontrolliert werden sollten, sowie die Untersuchung des Arbeitnehmers A stehen ebenso in unmittelbarem Zusammenhang mit den betriebsärztlichen Aufgaben der Klägerin wie das Gespräch mit dem Dienstvorgesetzten M, das sich auf die vorangegangenen Vorfälle insgesamt bezog. Bei einer solchen Verzahnung des Tatsachenkomplexes können keine Tatsachen herausgefiltert werden, die ohne Bezug zur betriebsärztlichen Tätigkeit der Klägerin stehen. Dies gilt auch für die Vorgänge im Zusammenhang mit der Öffnung der Privatpost der Klägerin. Das Landesarbeitsgericht hat insoweit festgestellt, die Klägerin habe sich gegenüber Frau P, die sich auf entsprechende Weisungen berief, nicht in deren Eigenschaft als Privatperson, sondern als austauschbare Funktionsträgerin geäußert. Da Frau P für Dr. W tätig war, läßt sich dieser Komplex nicht als selbständiger, mit der Betriebsarzttätigkeit nicht in Zusammenhang stehender Lebenssachverhalt herauslösen. Die vom Landesarbeitsgericht zu Recht festgestellte Maßlosigkeit der Äußerungen der Klägerin läßt sich nicht von der durch das ASiG geschützten betriebsärztlichen Tätigkeit trennen und vermag keinen eigenständigen Kündigungsgrund abzugeben, zumal die Äußerungen der Klägerin in der Unterredung mit dem Dienstvorgesetzten M durch die Verärgerung aus diesem gesamten Lebenssachverhalt bedingt waren.
II. Vorliegend bedurfte es der Zustimmung zur Abberufung, weil die Klägerin wirksam zur Betriebsärztin bestellt worden ist. Diese vom Berufungsgericht nicht abschließend behandelnde Frage kann aufgrund des im Revisionsverfahren verwertbaren Sachverhalts vom Senat geklärt werden.
1. Nach § 2 ASiG hat der Arbeitgeber Betriebsärzte schriftlich zu bestellen und ihnen die in § 3 ASiG genannten Aufgaben zu übertragen. Auch Bestellung und Aufgabenübertragung sind vom arbeitsvertraglichen Vorgang der Einstellung zwar grundsätzlich zu unterscheiden, alle drei Akte können jedoch zugleich bereits im Arbeitsvertrag geregelt werden (Spinnarke/Schork, aa0, Anm. 1.1 zu § 2 ASiG). Dabei darf der Arbeitgeber nach § 4 ASiG als Betriebsärzte nur Personen bestellen, die neben der Berechtigung zur ärztlichen Berufsausübung über die zur Erfüllung der ihnen übertragenen Aufgaben erforderliche medizinische Fachkunde verfügen. Die Parteien gehen übereinstimmend davon aus, daß die Klägerin zum Zeitpunkt des Abschlusses des Arbeitsvertrages nicht über die insoweit erforderliche Fachkunde verfügt hat. Nach § 3 Abs. 3 der UVV-Betriebsärzte (VBG 123), genehmigt vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung mit Schreiben vom 25. Juli 1974 (abgedruckt in Krebs/Schelter-Bundesrecht 3/4), erfüllten Betriebsärzte zum Zeitpunkt der Einstellung der Klägerin die Anforderungen, wenn sie in geeigneter Weise ein Jahr klinisch oder poliklinisch tätig gewesen waren, an einem arbeitsmedizinischen Einführungslehrgang teilgenommen hatten und insoweit entsprechende Bescheinigungen der Ärztekammer beibringen konnten. Ausweislich der Stellenbeschreibung vom 10. September 1982, auf die das Landesarbeitsgericht im Tatbestand Bezug genommen hat, hat die Klägerin diese Voraussetzungen zunächst noch nicht erfüllt. Dies ergibt sich aus den Angaben unter Stellenziel: "Erfüllung des Arbeitssicherheitsgesetzes und der einschlägigen Vorschriften." Mit Schriftsatz vom 27. November 1986 hat die Klägerin vorgetragen, sie habe den erforderlichen Kurs im Oktober 1982 beendet. Ein Bestellungsakt wird aus dem Sachverhalt indessen für diese Zeit nicht ersichtlich.
2. Die erforderliche schriftliche Bestellung ergibt sich aber aus der Neufassung der Stellenbeschreibung vom 14. Mai 1984, die von beiden Parteien unterzeichnet ist. Auch diese gehört zu dem vom Landesarbeitsgericht festgestellten Sachverhalt. Das Landesarbeitsgericht hat auf sämtliche Anlagen Bezug genommen. Die Stelle ist dort bezeichnet mit "Betriebsärztin im Überbetrieblichen Arbeitsmedizinischen Dienst", Ziel der Stelle ist die arbeitsmedizinische Betreuung der Beklagten sowie der beteiligten Firmen, sodann werden die Aufgaben der Betriebsärzte nach § 3 ASiG genannt, unter "Entscheidungsbefugnisse" lautet es: "Im Rahmen der arbeitsmedizinischen Fachkunde...".
Damit sind die Voraussetzungen für die Bestellung (§ 2 ASiG) und Aufgabenübertragung (§ 3 ASiG) erfüllt. Die schriftliche Bestellung hat zum einen die Erklärung zu enthalten, den Betriebsarzt für die im Gesetz genannten Aufgaben zu verpflichten, die Annahme durch den Betriebsarzt (Spinnarke/Schork, aa0, Anm. 1.1 zu § 2 ASiG) sowie einen Aufgabenkatalog nach § 3 ASiG.
3. § 9 Abs. 3 Satz 1 ASiG sieht jedoch auch insoweit die Zustimmung des Betriebsrats vor. Ohne Zustimmung ist die Bestellung unwirksam. Zwischen den Parteien ist unstreitig, daß der Betriebsrat der Einstellung der Klägerin zugestimmt hat. Die Beklagte hat der Gewerbeaufsicht im Schreiben vom 23. Juli 1982 mitgeteilt, der Betriebsrat sei im Rahmen des Betriebsverfassungs- und Arbeitssicherheitsgesetzes bei der Einstellung der Klägerin beteiligt worden. In der Berufungsbegründung vom 14. November 1986 hat die Beklagte die Zustimmung des Betriebsrats zur Einstellung der Klägerin mit dem Ziel, daß sie zu einem späteren Zeitpunkt als Betriebsärztin im Sinne des Arbeitssicherheitsgesetzes tätig und als Betriebsärztin bestellt werden könne, angeführt. Da die arbeitsvertragliche Einstellung der Klägerin in der für den Betriebsrat erkennbaren Absicht der Bestellung zum Betriebsarzt erfolgt ist, hat in der Zustimmung zur Einstellung zugleich die Zustimmung zur Bestellung gelegen (Dietz/Richardi, aa0, § 87 Rz 369; GK-Wiese, aa0, § 87 Rz 236; Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, aa0, § 87 Rz 87; Kliesch/Nöthlichs/Wagner, § 9 ASiG Anm. 7.4; Rudolph, BB 1976, 370 ff., 372; wohl auch Spinnarke/Schork, aa0, Anm. 4.2 zu § 9 ASiG).
III. Die Revision ist demgemäß deswegen begründet, weil der Senat in Übereinstimmung mit dem Arbeitsgericht die streitbefangene Kündigung bereits aus einem sonstigen Grund im Sinne des § 13 KSchG für unwirksam hält und deren Prüfung nach § 1 KSchG deswegen entbehrlich ist. Aus diesem Grunde hat das Arbeitsgericht auch zutreffend den Auflösungsantrag der Beklagten nach § 9 KSchG zurückgewiesen. Der Auflösungsantrag des Arbeitgebers setzt nämlich voraus, daß die Kündigung nicht bereits aus anderen Gründen unwirksam, sondern ausschließlich nach § 1 KSchG sozialwidrig ist (BAGE 32, 122 = AP Nr. 4 zu § 9 KSchG 1969).
D. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte nach §§ 91, 97, 91 a ZPO insgesamt zu tragen. Soweit der Rechtsstreit für erledigt erklärt worden ist, war bei Prüfung der Erfolgsaussicht des Antrages im Rahmen von § 91 a ZPO nicht ersichtlich, daß die am 30. September 1986 zum 31. März 1987 ausgesprochene
Kündigung im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung eine Weiterbeschäftigung der Klägerin gehindert hätte.
Hillebrecht Triebfürst Ascheid
Schulze Dr. Bensinger
Fundstellen
Haufe-Index 437837 |
BAGE 58, 69-92 (LT1) |
DB 1989, 227-229 (LT1) |
NJW 1989, 793 |
AiB 1989, 91-91 (LT1) |
Gewerkschafter 1989, Nr 2, 39-39 (T) |
JR 1989, 264 |
JR 1989, 264 (K) |
NZA 1989, 60-64 (LT1) |
RdA 1988, 380 |
RzK, III 1g 2 (LT1) |
SAE 1989, 290-296 (LT1) |
AP § 9 ASiG (LT1), Nr 1 |
AR-Blattei, Betriebsarzt Entsch 5 (LT1) |
AR-Blattei, ES 470 Nr 5 (LT1) |
EzA § 9 ASiG, Nr 1 (LT1) |
EzBAT § 53 BAT, Nr 10 (LT1) |