Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausbildungskosten - Rückzahlungsvereinbarung - Beweislast
Leitsatz (redaktionell)
1. Beteiligt der Arbeitgeber den Arbeitnehmer an den Kosten für seine berufliche Fortbildung, so hat der Arbeitgeber darzulegen und zu beweisen, daß außerhalb seines eigenen Betriebes Bedarf nach derart ausgebildeten Arbeitskräften besteht und die beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten sowie die Verdienstchancen für diese Arbeitnehmer durch die vom Arbeitgeber finanzierte Aus- oder Fortbildung gesteigert worden sind (Bestätigung der ständigen Rechtsprechung: vgl ua BAG Urteil vom 18.8.1976, 5 AZR 399/75 = BAGE 28, 159, 167).
2. Wenn ein Pilot bei seiner Einstellung schon eine Musterberechtigung für einen vom Arbeitgeber eingesetzten Flugzeugtyp hat ("Type-rating"), können ihm die Kosten für die Umschulung auf einen anderen Flugzeugtyp, den der Arbeitgeber während des Arbeitsverhältnisses einsetzt, grundsätzlich nicht auferlegt werden.
Orientierungssatz
Hinweise des Senats: " Vgl die Urteile vom gleichen Tag - 5 AZR 420/90 -; - 5 AZR 430/90 -.
Normenkette
BGB § 611
Verfahrensgang
LAG Köln (Entscheidung vom 29.03.1990; Aktenzeichen 10 Sa 1309/89) |
ArbG Köln (Entscheidung vom 10.11.1989; Aktenzeichen 2 Ca 1498/89) |
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte Kosten für die Schulung des Klägers auf dem Flugzeugtyp Boeing 737-300 teilweise zurückverlangen kann.
Die beklagte GmbH ist eine Tochtergesellschaft der S -Fluggesellschaft mbH, aus der sie im Jahre 1986 durch Betriebsaufspaltung hervorgegangen ist. Die S -Fluggesellschaft mbH stellte den Flugbetrieb ein, den sie seitdem der Beklagten überläßt; dafür behielt sie die Flugzeuge, die sie der Beklagten vermietet hat.
Der Kläger war zunächst Pilot bei der S -Fluggesellschaft mbH und ist seit der Betriebsaufspaltung im Jahre 1986 bei der Beklagten tätig. Er hatte die Musterberechtigung ("Type-Rating") für den Flugzeugtyp "Caravelle SE 210", der bei der S -Fluggesellschaft mbH seinerzeit eingesetzt wurde. Dieser Flugzeugtyp wurde ausgemustert; im Herbst 1986 wurde davon die letzte Maschine verkauft. Statt dessen setzte die Beklagte Flugzeuge des Typs "Boeing 737-300" ein. Dafür besaß der Kläger keine Musterberechtigung.
Das letzte Flugzeug des Typs "Caravelle SE 210" wurde 1986 an die Fluggesellschaft "I Airlines" veräußert. Der Kläger wurde durch Vereinbarung vom 5. November 1986 für eine "free-lance-Tätigkeit" bei der "I Airlines" für ein Jahr freigestellt. In diesem Zusammenhang haben die Parteien vereinbart:
"
.....
Während dieser Zeit halten Sie sich grundsätzlich
bereit für die Schulung auf einen Flugzeugtyp,
den die G Fluggesellschaft mbH zu erwerben
gedenkt.
....."
Die S -Fluggesellschaft mbH entschloß sich im Jahre 1987, ihren Flugzeugpark vollständig auf den neugebauten Typ Boeing 737-300 umzustellen; die Auslieferung erfolgte ab Herbst 1987.
Die Beklagte schloß sodann mit dem Kläger unter dem 1. Oktober 1987 einen schriftlichen "Anstellungsvertrag", der in § 2 wie folgt lautet:
"Der Mitarbeiter wird ab 15.10.1987 in Seattle,
USA, durch die Firma Boeing zum Kapitän auf dem
Flugzeugmuster Boeing 737-300 ausgebildet. Nach
Erhalt des Type-Ratings wird der Mitarbeiter auf
diesem Flugzeugmuster als Kapitän eingesetzt.
Sollte der Mitarbeiter - gleich aus welchem Grun-
de - vor Ablauf von 3 Jahren nach dem ersten kom-
merziellen Einsatz aus den Diensten der G
Fluggesellschaft ausscheiden, so hat er die Ko-
sten des Type-Ratings an die Gesellschaft zurück-
zuzahlen, wobei er jeweils 1/36 des Type-
Rating-Betrages je Dienstmonat gutgebracht be-
kommt.
Der Wert des Type-Ratings ist mit DM 80.000,00
festgesetzt worden.
...."
Der Kläger nahm in der Zeit vom 15. Oktober bis Ende November 1987 an der Ausbildung in Seattle teil und erwarb das Type-Rating für die Boeing 737-300; sein erster kommerzieller Einsatz als Flugkapitän im Dienste der Beklagten erfolgte im Januar 1988.
Kurze Zeit später kam es zu einem Zerwürfnis zwischen ihm und dem Geschäftsführer der Beklagten. Das Arbeitsverhältnis endete im Juni 1988, nachdem der Kläger fristgerecht am 17. Mai zum 30. Juni 1988 und die Beklagte fristlos am 7. Juni 1988 gekündigt hatte.
Der Kläger ging anschließend als Geschäftsführer, Chefpilot und Flugbetriebsleiter zu der damals erst neugegründeten H -Airlines, die u.a. auch den Typ Boeing 737-300 einsetzt.
Die Beklagte forderte mit der fristlosen Kündigung zeitanteilig vom Kläger die Rückzahlung der für den Erwerb der Musterberechtigung nach ihrer Berechnung aufgewandten Kosten in Höhe von 66.666,62 DM (= 30/36 von 80.000,-- DM). Sie verrechnete damit zunächst den der Höhe nach unstreitigen letzten Gehaltsanspruch des Klägers in Höhe von 9.626,75 DM und erhob eine Klage auf Zahlung von 57.040,37 DM nebst Verzugszinsen. Damit ist die Beklagte rechtskräftig abgewiesen worden. Ihre Nichtzulassungsbeschwerde ist als unzulässig verworfen worden (- 5 AZN 446/89 -).
Der Kläger hält die Rückzahlungsvereinbarung für unwirksam und verlangt in diesem Rechtsstreit sein Restgehalt.
Er hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 9.626,25 DM
netto nebst 4 % Zinsen seit dem 1. Juli 1988 zu
zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat die Ansicht vertreten, die Rückzahlungsverpflichtung sei rechtswirksam vereinbart. Demgegenüber müsse der Kläger darlegen und beweisen, daß diese Regelung unwirksam sei. Der Kläger habe durch den Erwerb der Musterberechtigung einen wirtschaftlichen Vorteil und bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt erlangt. Zur Rechtfertigung der Verpflichtung eines Piloten, Ausbildungskostenanteile zurückzuzahlen, reiche es aus, wenn die Ausbildung auf Flugzeugtypen erfolge, die auch bei anderen Luftfahrtunternehmen geflogen werden. Wenn der Kläger der Auffassung sei, durch den Erwerb der Musterberechtigung hätten sich seine beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten nicht verbessert, so müsse er das darlegen und beweisen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Die Beklagte will mit ihrer Revision die Abweisung der Klage erreichen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. I. Nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts steht dem Kläger das in der Höhe unstreitige Gehalt zu. Die Beklagte könne demgegenüber nicht mit einer Gegenforderung auf Rückzahlung der Ausbildungskosten aufrechnen. Zwar habe sie mit dem Kläger eine dementsprechende Vereinbarung getroffen, jedoch sei er gleichwohl nicht zur Rückzahlung der Kosten verpflichtet, weil diese allein durch die Modernisierung des Fluggeräts entstanden seien und der Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Beklagten dienten. Demgegenüber seien die Vorteile, die der Kläger durch den Erwerb der Musterberechtigung erlangt habe, von geringem Gewicht. Zur Rechtfertigung der Rückzahlungsverpflichtung müßte die Beklagte im einzelnen vortragen, daß außerhalb des eigenen Betriebes in nennenswertem Umfang Bedarf nach derart ausgebildeten Arbeitskräften bestehe und inwieweit die Berufs- und Verdienstchancen eines solchen Arbeitnehmers durch diese Ausbildung gesteigert worden seien. Dafür reiche es nicht aus, daß Flugzeuge des gleichen Typs Boeing 737-300 auch von anderen Luftfahrtunternehmen eingesetzt werden.
II. Die Revision macht demgegenüber geltend, das Landesarbeitsgericht habe der Beklagten zu Unrecht die Behauptung und Beweislast dafür auferlegt, daß dem Kläger durch das Type-Rating für die Boeing 737-300 ein erheblicher wirtschaftlicher Vorteil zugeflossen sei. Damit verstoße das Berufungsgericht gegen Grundsätze der Beweislastverteilung. Die Rückzahlung der Ausbildungskosten sei vertraglich vereinbart worden. Wenn der Kläger diese Vereinbarung für unwirksam halte, müsse er auch die Umstände darlegen und beweisen, aus denen sich die Unwirksamkeit ergeben soll.
Andererseits sei der Vorteil, den der Kläger durch den Erwerb der Musterberechtigung erhalten habe, offensichtlich, denn er sei im zweiten Halbjahr 1988 von der neu gegründeten H -Airlines als Chefpilot und Flugbetriebsleiter eingestellt und mit Wirkung ab 2. Januar 1989 sogar zum Geschäftsführer bestellt worden. Diese Stellung habe er nur wegen der bei der Beklagten erworbenen Musterberechtigung für die Boeing 737-300 erlangt.
Hätte der Kläger diese Ausbildung nicht erhalten, wäre er auf dem Arbeitsmarkt überhaupt nicht zu vermitteln, weil die "Caravelle", für die er zuvor die Musterberechtigung gehabt habe, von den Fluggesellschaften nicht mehr verwendet werde. Das Landesarbeitsgericht habe zu Unrecht nicht berücksichtigt, daß viele andere Fluggesellschaften die Boeing 737-300 einsetzen. Daraus ergebe sich eine wesentliche Verbesserung der Arbeitsmarktchancen des Klägers.
III. Diese Ausführungen können der Revision nicht zum Erfolg verhelfen. 1. Der Kläger hat einen in Höhe der Klageforderung unstreitigen Gehaltsanspruch. Diesen hat das Landesarbeitsgericht dem Kläger zu Recht zuerkannt (§ 611 BGB). Die Beklagte hatte demgegenüber mit ihrer Forderung auf Rückzahlung der Ausbildungskosten die Aufrechnung erklärt. Eine solche Gegenforderung steht ihr aber nicht zu, weil die diese begründende Vereinbarung vom 1. Oktober 1987 unwirksam ist.
2. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts können Arbeitsvertragsparteien vereinbaren, daß Ausbildungskosten, die der Arbeitgeber für den Arbeitnehmer aufgewendet hat, von diesem zurückzuzahlen sind, wenn der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis vor Ablauf bestimmter Fristen beendet. Das gilt jedoch nicht uneingeschränkt. Zahlungsverpflichtungen, die an die vom Arbeitnehmer ausgehende Kündigung anknüpfen, können das Grundrecht auf freie Wahl des Arbeitsplatzes nach Art. 12 GG beeinträchtigen. Deshalb kommt es darauf an, ob den möglichen Nachteilen für den Arbeitnehmer ein angemessener Ausgleich gegenübersteht. Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen. Die Rückzahlungspflicht muß vom Standpunkt eines verständigen Betrachters aus einem begründeten und zu billigendem Interesse des Arbeitgebers entsprechen; der Arbeitnehmer muß mit der Ausbildungsmaßnahme eine angemessene Gegenleistung für die Rückzahlungsverpflichtung erhalten haben. Insgesamt muß die Erstattungspflicht dem Arbeitnehmer nach Treu und Glauben zumutbar sein. Dabei kommt es u.a. auf die Dauer der Bindung, den Umfang der Fortbildungsmaßnahme, die Höhe des Rückzahlungsbetrages und dessen Abwicklung an (vgl. BAGE 13, 168, 174 f. = AP Nr. 25 zu Art. 12 GG, zu II 1 der Gründe; BAGE 28, 159, 163 = AP Nr. 3 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe, zu II 1 a der Gründe; BAG Urteil vom 19. März 1980 - 5 AZR 362/78 - AP Nr. 5 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe; BAGE 42, 48 = AP Nr. 6 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe sowie BAG Urteil vom 11. April 1984 - 5 AZR 430/82 - AP Nr. 8 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe und Senatsurteil vom 11. Oktober 1989 - 5 AZR 516/88 -, nicht zur Veröffentlichung vorgesehen, zu III der Gründe).
Nach allem ist es für die Interessenabwägung vorrangig, ob und inwieweit der Arbeitnehmer mit der Aus- oder Weiterbildung einen geldwerten Vorteil erlangt (so ausdrücklich BAGE 28, 159, 165 f. = AP Nr. 3 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe, zu II 4 der Gründe). Eine Kostenbeteiligung ist dem Arbeitnehmer um so eher zuzumuten, je größer der mit der Ausbildung verbundene berufliche Vorteil für ihn ist. Andererseits scheidet eine Beteiligung an Ausbildungskosten in der Regel dann aus, wenn die Interessen des Arbeitnehmers an der Ausbildung im Vergleich zu denen des Arbeitgebers gering sind (z.B. bei betriebsbezogenen Fortbildungsmaßnahmen, die nur den Zweck haben, vorhandene Kenntnisse und Fähigkeiten zu erweitern, BAGE 28, 159, 166 = AP, aaO). Eine Rückzahlungsverpflichtung ist dann mit Art. 12 Abs. 1 GG nicht zu vereinbaren (BAGE 28, 159, 166 = AP, aaO).
3. Nach Auffassung der Revision sind die Grundrechte im privaten Rechtsverkehr nicht unmittelbar anwendbar, sondern lediglich im Rahmen der hier in erster Linie zu nennenden §§ 138, 242, 315 BGB zu berücksichtigen. Dann bleibe es dabei, daß derjenige, der sich auf die Unwirksamkeit einer vertraglichen Vereinbarung berufe, diese behaupten und beweisen müsse. Es müsse also der Arbeitnehmer behaupten und beweisen, daß die von ihm unterschriebene Rückzahlungsklausel keine Wirksamkeit entfalten könne. Deswegen könne das Bundesarbeitsgericht nicht daran festhalten, dem Arbeitgeber die Beweislast dafür aufzuerlegen, daß der Arbeitnehmer als Gegenleistung für die Rückzahlungsverpflichtung einen bleibenden beruflichen Vorteil erlangt habe.
4. Demgegenüber ist an der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts festzuhalten, daß die tatsächlichen Voraussetzungen für die Rechtswirksamkeit einer Rückzahlungsklausel vom Arbeitgeber darzulegen sind (so schon grundlegend BAGE 28, 159, 166 = AP, aaO, zu III 1 der Gründe). Die Beurteilungsgrundsätze für die Rechtswirksamkeit von Rückzahlungsklauseln beruhen im Kern auf dem Grundsatz von Treu und Glauben (BGH Urteil vom 5. Juni 1984 - VI ZR 279/82 - AP Nr. 11 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe, zu II 1 der Gründe). Dieser Grundsatz enthält in Fällen der vorliegenden Art seinen spezifischen Inhalt aus der Wertentscheidung des Grundgesetzes für die freie Wahl des Arbeitsplatzes (Art. 12 Abs. 1 GG), die auch das Recht umfaßt, den gewählten Arbeitsplatz aufzugeben und zu wechseln (vgl. BAGE 13, 168, 177 = AP Nr. 25 zu Art. 12 GG, zu II 2 a der Gründe; BAGE 28, 159, 163 = AP, aaO, zu II 1 a der Gründe). Diese verfassungsrechtliche Grundentscheidung entfaltet sich in bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten durch die das Privatrecht unmittelbar beherrschenden Vorschriften, insbesondere die Generalklauseln (vgl. BVerfGE 7, 198, 205; 42, 142, 148). Zu diesen Generalklauseln zählt auch der Grundsatz von Treu und Glauben (BGH Urteil vom 5. Juni 1984 - VI ZR 279/82 - AP, aaO). Dieser setzt dem Arbeitgeber, der zur Fürsorge gegenüber seinen Beschäftigen verpflichtet ist, für Rückzahlungsvereinbarungen dieser Art wegen der damit verbundenen Bindungen des Angestellten an seinen Arbeitsplatz Schranken. Andererseits verbietet er ihm nicht schlechthin, seine Leistungen für eine berufliche Aus- und Weiterbildung mit Bindungsverpflichtungen des Beschäftigten zu verknüpfen. In Grenzen muß dieser dem schutzwürdigen Interesse des Arbeitgebers Rechnung tragen, sich als Gegenleistung den Wert von ihm finanzierter Aus- und Fortbildung für einen angemessenen Zeitraum zu sichern. Eine angemessene Berücksichtigung der Arbeitgeberinteressen in dieser Form schließt das Grundrecht auf freie Wahl des Arbeitsplatzes nicht aus (vgl. BVerfGE 39, 128, 141). Die für den Arbeitnehmer tragbaren Bindungen sind aufgrund einer Güter- und Interessenabwägung nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes unter Heranziehung aller Umstände des Einzelfalles zu ermitteln (BGH Urteil vom 5. Juni 1984 - VI ZR 279/82 - AP, aaO, zu II 1 der Gründe).
5. Aus dieser dem Einzelfall angepaßten Interessenabwägung folgt zwangsläufig, daß eine Partei in diesem Rahmen solche Umstände darlegen muß, die ihr Interesse an derartigen Rückzahlungsverpflichtungen rechtfertigen können. Daraus ergibt sich im Streitfall folgendes:
a) Der Arbeitgeber übernimmt die Kosten für den Erwerb der Musterberechtigung in der Erwartung, daß der Pilot mit dieser Ausbildung im Arbeitsverhältnis für bestimmte Zeit bleibt und nicht zur Konkurrenz abwandert. Das ergibt sich im Streitfall schon aus der mit dem Kläger vereinbarten Bindungsfrist. Andererseits reicht das allein nicht aus, um den Arbeitnehmer mit der Rückzahlungsverpflichtung für diese Ausbildungskosten (wenn auch zeitanteilig) zu belasten, falls er vor Ablauf der Bindungsfrist aus dem Arbeitsverhältnis wieder ausscheidet. Der Arbeitgeber könnte zur Vermeidung der vorzeitigen Abwanderung des Arbeitnehmers die Ausbildung davon abhängig machen, daß ein Langzeitvertrag abgeschlossen oder lange Kündigungsfristen vereinbart werden (z.B. auch abgestimmt auf den Zeitpunkt des Flugplanwechsels). Er muß sich dann allerdings selbst im gleichen Umfang binden (§ 622 Abs. 5 BGB). Das ist nicht unzumutbar, weil nur erprobten Arbeitskräften eine teure Ausbildung finanziert zu werden pflegt (so schon BAGE 28, 159, 166 = AP, aaO, zu II 4 der Gründe).
b) Wenn der Arbeitgeber aber diesen Weg nicht gehen will, was ihm unbenommen ist, und dafür den Piloten mit der Rückzahlungsverpflichtung für die Ausbildungskosten belastet, so muß er ihm dafür nach den schon dargelegten Grundsätzen einer sachgerechten Interessenabwägung einen Ausgleich bieten: Einen solchen sieht die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts darin, daß der Arbeitnehmer mit der vom Arbeitgeber finanzierten Ausbildung seine beruflichen Chancen wesentlich verbessert hat, weil Nachfrage nach derart ausgebildeten Arbeitskräften auf dem Arbeitsmarkt besteht. Diesen ihm im Rahmen der Interessenabwägung entlastenden Umstand muß zwangsläufig der Arbeitgeber darlegen und beweisen, wie es auch ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts entspricht.
Diesen Nachweis hat die Beklagte nicht geführt. Sie hat nur ausgeführt, daß viele Fluggesellschaften den Flugzeugtyp, für den der Kläger die Musterberechtigung erlangt hat, einsetzten. Das ist aber nicht gleichbedeutend damit, ob außerhalb des eigenen Betriebes Bedarf nach derart ausgebildeten Arbeitskräften im nennenswerten Umfang besteht und inwiefern die Berufs- und Verdienstchancen des Arbeitnehmers gerade durch die Ausbildung gesteigert worden sind. Dazu gehören konkrete Angaben über die Lage auf dem Arbeitsmarkt für die Kräfte mit dem Ausbildungsstand des Klägers (vgl. BAGE 28, 159, 167 = AP, aaO, zu III 2 a der Gründe; BAGE 42, 48, 53 = AP Nr. 6, aaO, zu II 3 der Gründe und BAG Urteil vom 11. April 1990 - 5 AZR 308/89 - DB 1990, 2222 f.). Die Verpflichtung zur Rückzahlung der Ausbildungskosten beurteilt sich grundsätzlich nach den Umständen im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses (Senatsurteil vom 24. Juli 1991 - 5 AZR 430/90 -, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen, zu III 2 a der Gründe; im Anschluß an LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 23. Oktober 1981 - 6 Sa 353/81 - EzA Art. 12 GG Nr. 18).
c) Im Rahmen der hier gebotenen Interessenabwägung sprechen aber weiter folgende unstreitige Umstände dagegen, dem Kläger die Verpflichtung zur Rückzahlung der Kosten für den Erwerb der Musterberechtigung im Falle seines vorzeitigen Ausscheidens aufzuerlegen:
Der Kläger hatte bei Begründung des Arbeitsverhältnisses nur die Musterberechtigung für den Flugzeugtyp "Caravelle". Er hat diesen Typ geflogen, solange die Beklagte ihn darauf eingesetzt hat. Der Wechsel des Klägers auf einen anderen Flugzeugtyp während des Arbeitsverhältnisses ergab sich zwangsläufig dadurch, daß die Beklagte ihren Flugbetrieb auf den Flugzeugtyp Boeing 737-300 umgestellt hat. Die Beklagte kann aber im Streitfall den Kläger nicht mit den Kosten der Modernisierung ihres Fluggeräts belasten.
Zwar hätte sie statt dessen ihren Flugbetrieb einstellen können. Dann hätte der Kläger seinen Arbeitsplatz verloren. Er ist der Beklagten aber durchaus entgegengekommen, denn er hat sich durch Vereinbarung vom 5. November 1986 bereit erklärt, den von der Beklagten aufgegebenen Flugzeugtyp Caravelle im Rahmen einer "free-lance-Tätigkeit" bei der "I -Airlines" für ein Jahr weiterzufliegen. Die Beklagte hat sich sodann nicht zur Einstellung, sondern zur Umstellung des Flugbetriebes auf den neuen Flugzeugtyp entschlossen. Dafür benötigte sie den Kläger, denn sie hat ihn weiterbeschäftigt. Diese Weiterbeschäftigung lag in ihrem Interesse, wenn sie nicht neue Piloten anwerben wollte.
Der Kläger hat zwar durch die Umschulung auf den neuen Flugzeugtyp eine Musterberechtigung für die Boeing 737-300 erworben, andererseits aber behielt er nicht auf Dauer die bereits erworbene Musterberechtigung für die Caravelle, denn Musterberechtigungen haben nur eine begrenzte Geltungsdauer (vgl. § 70 der VO über Luftfahrtpersonal (LuftPersV), BGBl I 1984 S. 266, 283). Er hat damit im Ergebnis keine zusätzliche Musterberechtigung erworben, sondern eine neue anstelle der alten.
Diese Fallgestaltung unterscheidet sich wesentlich von solchen Fällen, in denen eine Rückzahlungsvereinbarung (z.B. mit Sparkassenangestellten) abgeschlossen wird, um dem Mitarbeiter die Teilnahme an einem Lehrgang für eine Aufstiegsposition zu ermöglichen. In solchen Fällen haben die Mitarbeiter das Wahlrecht, ohne Rückzahlungsverpflichtung ihre bisherige Tätigkeit fortzusetzen (das konnte der Kläger nicht) oder mit einer Rückzahlungsverpflichtung die Chance für einen beruflichen Aufstieg wahrzunehmen.
Unter diesen Umständen hat der Erwerb der Musterberechtigung in so überwiegendem Interesse der Beklagten gelegen, daß - unabhängig sogar von den Berufschancen des Klägers auf dem Arbeitsmarkt - grundsätzlich keine Verpflichtung zur Rückzahlung der Ausbildungskosten zu Lasten des Arbeitnehmers begründet werden kann. Dem steht in einem solchen Fall die zu berücksichtigende Interessenlage entgegen.
Dr. Thomas Dr. Gehring Dr. Olderog
Ehrenamtlicher Richter Heinz
ist an der Unterschrift ver-
hindert, weil seine Amtszeit
abgelaufen ist.
Dr. Kalb Dr. Thomas
Fundstellen
BAGE 68, 178-186 (LT1-2) |
BAGE, 178 |
BB 1992, 1141 |
DB 1992, 893-894 (LT1-2) |
NJW 1992, 2110 |
NJW 1992, 2110 (L) |
EBE/BAG 1992, 34-36 (LT1-2) |
AiB 1992, 474-475 (LT1) |
EzB BGB § 611 Aus- und Weiterbildungskosten, Nr 41 (LT1-2) |
NZA 1992, 405 |
NZA 1992, 405-407 (LT1-2) |
AP § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe (LT1-2), Nr 16 |
AR-Blattei, ES 1340 Nr 6 (LT1-2) |
EzA § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe, Nr 8 (LT1-2) |
MDR 1992, 592 (LT1-2) |