Entscheidungsstichwort (Thema)
Freistellung bei kalendertagsübergreifender Schichtarbeit
Leitsatz (redaktionell)
Der Angestellte hat nach § 52 Abs 2 BAT auch dann Anspruch auf Freistellung an zwei Arbeitstagen, wenn seine Arbeitsschicht nicht an dem Kalendertag endet, an dem sie begonnen hat. § 48 Unterabs 1 Satz 2 BAT ist nicht entsprechend anwendbar.
Normenkette
ZPO § 256; BAT § 48 Abs. 4, § 52 Abs. 2, § 48 Abs. 4 Unterabs. 1 S. 2
Verfahrensgang
LAG Niedersachsen (Entscheidung vom 26.05.1986; Aktenzeichen 11 Sa 501/86) |
ArbG Emden (Entscheidung vom 04.02.1986; Aktenzeichen 2 Ca 754/85) |
Tatbestand
Die Parteien streiten, in welchem Umfange die Klägerin Anspruch auf Arbeitsbefreiung aus Anlaß ihrer Hochzeit hat. Die Klägerin ist bei dem Beklagten als Nachtschwester im Kreiskrankenhaus A beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft Organisationszugehörigkeit beider Parteien der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) Anwendung. § 52 Abs. 2 BAT lautet u.a. wie folgt:
"Der Angestellte wird vorbehaltlich der Sätze 2
bis 4 aus folgenden Anlässen in nachstehendem
Ausmaß unter Fortzahlung der Vergütung (§ 26) von
der Arbeit freigestellt:
...
d) bei der Eheschließung
des Angestellten 2 Arbeitstage,
...
Fällt in den Fällen der Buchstaben d bis g
der Anlaß der Freistellung auf einen arbeitsfreien
Tag oder ist der dem Anlaß der Freistellung folgende
Tag ..... arbeitsfrei, vermindert sich der Anspruch
auf Freistellung um einen Arbeitstag."
Der Dienst der Klägerin dauert jeweils von 19.00 Uhr bis zum nächsten Morgen 6.30 Uhr. Nach dem Dienstplan hatte die Klägerin von Dienstag, dem 27. August 1985 19.00 Uhr bis Mittwoch, dem 28. August 1985, 6.30 Uhr und von Mittwoch, dem 28. August 1985, 19.00 Uhr bis Donnerstag, dem 29. August 1985, 6.30 Uhr Dienst. Die Schicht ab Donnerstag, dem 29. August 1985, 19.00 Uhr sowie die folgenden sechs Nächte waren nach dem Dienstplan arbeitsfrei.
Die Klägerin heiratete am 28. August 1985. Bereits vorher hatte sie aus diesem Anlaß Dienstbefreiung für die Schichten vom 27./28. und 28./29. August 1985 beantragt. Der Beklagte lehnte dies ab und gewährte unter Berufung auf § 52 Abs. 2 Satz 1 Buchstabe d, Satz 3 BAT i. V. m. § 48 Abs. 4 Unterabs. 1 Satz 2 BAT Dienstbefreiung nur für eine Nachtschicht.
Daraufhin beantragte die Klägerin für die Nachtschicht vom 27./28. August 1985 unter Vorbehalt einer rechtlichen Klärung einen Tag Urlaub, der ihr von dem Beklagten gewährt wurde.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, sie habe wegen ihrer Hochzeit Anspruch auf Arbeitsbefreiung auch für die Nachtschicht vom 27./28. August 1985, da der Tag nach ihrer Eheschließung nicht dienstplanmäßig arbeitsfrei gewesen sei. Die Vorschrift des § 48 Abs. 4 Unterabs. 1 Satz 2 BAT sei auf die Regelung der Arbeitsfreistellung in § 52 BAT nicht anwendbar.
Die Klägerin hat beantragt
festzustellen, daß der von ihr beantragte
eine Tag Urlaub am 27. August 1985 nicht
auf den Jahresurlaub angerechnet werden darf,
sondern als Arbeitsbefreiung gemäß § 52
Abs. 2 Buchstabe d BAT zu gelten hat.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Er hat die Ansicht vertreten, der Freistellungsanspruch der Klägerin nach § 52 Abs. 2 Satz 1 Buchstabe d BAT habe sich gemäß § 52 Abs. 2 Satz 3 BAT um einen Tag vermindert, da der Tag nach der Eheschließung, der 29. August 1985, arbeitsfrei gewesen sei. Nach § 48 Abs. 4 Unterabs. 1 Satz 2 BAT, der hier zumindest analog anzuwenden sei, gelte für die Schicht vom 28./29. August 1985 der 28. August als Arbeitstag.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision erstrebt der Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Die Klägerin hatte aus Anlaß ihrer Hochzeit Anspruch, auch für die Nachtschicht vom 27./28. August 1985 von der Arbeit freigestellt zu werden und damit Anspruch auf einen weiteren Tag Urlaub.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klage sei begründet, weil die Klägerin am Tage nach ihrer Hochzeit, dem 29. August 1985, jedenfalls in der Zeit von 0.00 Uhr bis 6.30 Uhr dienstplanmäßig zu arbeiten hatte. Nach § 48 Abs. 4 Satz 2 BAT gelte zwar in den Fällen, in denen eine Arbeitsschicht nicht an dem Kalendertag ende, an dem sie begonnen habe, der Kalendertag des Beginns der Arbeitsschicht als Arbeitstag. Diese Regelung beziehe sich jedoch nur auf die Berechnung der Dauer des Erholungsurlaubs, jedoch nicht auf die in § 52 BAT geregelten Freistellungsansprüche. Nach dem Sinn und Zweck des § 52 Abs. 2 Satz 3 BAT solle eine Kürzung des Anspruches auf Arbeitsbefreiung nur dann erfolgen, wenn der dem Tag der Hochzeit folgende Kalendertag vollständig arbeitsfrei sei.
Diese Ausführungen des Landesarbeitsgerichts sind rechtlich nicht zu beanstanden.
II. Der Feststellungsantrag auf Gewährung eines weiteren Tages Urlaub ist gemäß § 256 ZPO zulässig.
Eine Klage auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses nach § 256 ZPO ist gegen eine Behörde im arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren trotz der Möglichkeit einer Leistungsklage zulässig, weil angenommen werden muß, die Behörde werde sich an ein stattgebendes Urteil halten, so daß eine Leistungsklage entbehrlich ist (BAG Urteil vom 4. Mai 1982 - 3 AZR 1205/79 - AP Nr. 54 zu § 611 BGB Dienstordnungs-Angestellte; BAGE 54, 210, 212 = AP Nr. 3 zu § 52 BAT, zu A II der Gründe; jeweils m.w.N.). Ist die Klage auf Feststellung des Bestehens eines vergangenen Rechtsverhältnisses gerichtet, so ist sie aber nur dann zulässig, wenn sich Rechtsfolgen für die Gegenwart ergeben (BAGE 54, 210, 211 = AP, aaO; BAG Urteil vom 21. Juli 1988 - 8 AZR 47/86 - nicht veröffentlicht).
Diese Voraussetzungen erfüllt der vorliegende Klageantrag. Ein Anspruch der Klägerin auf Gewährung eines weiteren Tages Erholungsurlaub für das Urlaubsjahr 1985 ist zwar gemäß § 47 Abs. 7 BAT mit Ablauf des 30. Juni 1986 verfallen. Gleichwohl ergeben sich auch für die Gegenwart noch Rechtsfolgen. Die Klägerin hat für die Nachtschicht vom 27./28. August 1985 einen Tag Urlaub nur unter dem Vorbehalt der rechtlichen Klärung genommen, daß ihr kein Freistellungsanspruch gemäß § 52 Abs. 2 Satz 1 BAT zusteht. In einem solchen Fall steht der Klägerin jedoch bei Begründetheit des Freistellungsanspruchs wegen Schuldnerverzugs des Beklagten gemäß § 286 Abs. 1, § 280 Abs. 1, § 287 Satz 2 i.Verb.m. § 249 Satz 1 BGB ein Ersatzurlaubsanspruch in Höhe eines Tages zu, weil der Beklagte eine infolge Zeitablaufs eingetretene Unmöglichkeit der Urlaubsgewährung im Urlaubsjahr zu vertreten hat. An die Stelle des ursprünglichen Urlaubsanspruchs tritt dann als Schadenersatzanspruch gemäß § 249 Satz 1 BGB ein Ersatzurlaubsanspruch in gleicher Höhe (vgl. BAGE 52, 254, 257 = AP Nr. 5 zu § 44 SchwbG, m.w.N.).
III. Der Feststellungsantrag ist auch begründet. Der Klägerin steht der geltend gemachte Urlaubsanspruch als Ersatzurlaubsanspruch zu, denn sie hat aus Anlaß ihrer Hochzeit gemäß § 52 Abs. 2 Satz 1 BAT einen Anspruch, an zwei Tagen von der Arbeit freigestellt zu werden.
1. Mit der Gewährung von Ansprüchen auf Freistellung von der Arbeit bei Fortzahlung der Vergütung haben die Tarifvertragsparteien zulässigerweise die Anwendung des § 616 Abs. 1 BGB rechtswirksam mit der Folge abbedungen, daß der Angestellte auch in persönlichen Verhinderungsfällen des § 616 BGB nur insoweit bezahlte Freistellung von der Arbeitspflicht beanspruchen kann, als § 52 Abs. 2 BAT dies vorsieht (ständige Rechtsprechung vgl. BAGE 39, 321 = AP Nr. 55 zu § 616 BGB; BAG Urteil vom 17. Oktober 1985 - 6 AZR 571/82 - AP Nr. 1 zu § 18 BAT = DB 1986, 438). Danach hat der Angestellte nach § 52 Abs. 2 Satz 1 Buchstabe d BAT aus Anlaß seiner Eheschließung grundsätzlich Anspruch auf bezahlte Freistellung von zwei Arbeitstagen. Dieser Anspruch verkürzt sich nach § 52 Abs. 2 Satz 3 BAT um einen Arbeitstag, wenn die Hochzeit auf einen arbeitsfreien Tag fällt oder der der Hochzeit folgende Tag arbeitsfrei ist.
Entgegen der Auffassung der Revision sind diese Voraussetzungen für eine Kürzung des Freistellungsanspruches nicht gegeben. Die Klägerin war für die Schichten vom 27. August ab 19.00 Uhr bis 28. August 1985 6.30 Uhr und vom 28. August ab 19.00 Uhr bis 29. August 1985 6.30 Uhr zur Arbeit eingeteilt. Damit fiel die Hochzeit am 28. August 1985 auf einen Arbeitstag. Auch der folgende Tag, der 29. August 1985, war nicht "arbeitsfrei" im Sinne von § 52 Abs. 2 Satz 3 BAT.
2. Die Tarifvertragsparteien haben den Begriff des "arbeitsfreien Tages" in § 52 BAT nicht ausdrücklich geregelt. Der Inhalt dieses Begriffes ist deshalb durch Auslegung zu ermitteln.
a) Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften (§ 133 BGB). Der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien ist über den reinen Wortlaut hinaus mitzuberücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat (BAG Urteil vom 9. März 1983 - 4 AZR 61/80 - BAGE 42, 86 = AP Nr. 128 zu § 1 TVG Auslegung; Urteil vom 12. September 1984 - 4 AZR 336/82 - BAGE 46, 308, 313 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung; BAGE 40, 228, 234 = AP Nr. 3 zu § 76 ArbGG 1979). Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Läßt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, dann können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrages, ggf. auch eine praktische Tarifübung ergänzend heranziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (vgl. BAG Urteil vom 9. März 1983 - 4 AZR 61/80 - BAGE 42, 86, 89 = AP Nr. 128 zu § 1 TVG Auslegung; Urteil vom 20. April 1983 - 4 AZR 497/80 - BAGE 42, 244, 254 = AP Nr. 2 zu § 21 TVAL II; Urteil vom 12. September 1984 - 4 AZR 336/82 - BAGE 46, 308, 316 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung).
b) Nach dem Wortlaut des § 52 Abs. 2 Satz 3 BAT vermindert sich der Freistellungsanspruch des Angestellten auf einen Tag, wenn der Tag der Eheschließung oder der ihr folgende Tag arbeitsfreie Tage sind. Arbeitsfrei ist aber ein Tag nach allgemeinem Sprachgebrauch nur dann, wenn der Angestellte an allen Stunden des betreffenden Tages nicht zu arbeiten braucht.
c) Auch der Sinn und Zweck der Freistellungsregelung bestätigt diese Auslegung. Die Tarifvertragsparteien sind bei der Regelung der Freistellungsansprüche gemäß § 52 BAT davon ausgegangen, daß der Arbeitnehmer aus den dort genannten Anlässen an einem oder mehreren Arbeitstagen von der Arbeitsleistung unter Fortzahlung der Vergütung freizustellen ist. Gemäß § 52 Abs. 2 Satz 1 Buchstabe d BAT soll bei der Eheschließung der Arbeitnehmer für 2 Arbeitstage freigestellt werden. Wenn der Hochzeitstag oder der folgende Tag arbeitsfreie Tage sind, wird gemäß § 52 Abs. 2 Satz 3 BAT nur eine Freistellung für einen Arbeitstag gewährt. Diese Gesamtregelung soll somit bewirken, daß der Hochzeitstag und der folgende Tag arbeitsfreie Tage sind, entweder aufgrund von Freistellung oder dienstplanmäßig. Es widerspricht dem Sinn und Zweck dieser Freistellungsregelung, einen Kalendertag, an dem ein Teil der Arbeitsschicht zu leisten ist, als arbeitsfrei i.S. des § 52 Abs. 2 Satz 3 BAT anzusehen.
d) Auch aus dem Gesamtzusammenhang der tariflichen Regelungen des BAT läßt sich kein anderes Ergebnis folgern. Zu Unrecht meint die Revision, § 48 Abs. 4 Unterabs. 1 Satz 2 BAT sei im vorliegenden Falle anwendbar. Danach gilt als Arbeitstag nur der Kalendertag, an dem die Arbeitsschicht begonnen hat, selbst wenn sie erst am nächsten Tag endet. Diese Regelung betrifft aber ausdrücklich nur die Berechnung der Dauer des Erholungsurlaubs. Eine entsprechende Anwendung dieser Vorschrift für Freistellungsansprüche gemäß § 52 BAT ist rechtlich nicht möglich. Sie ist von den Tarifvertragsparteien nicht gewollt. Die Tarifvertragsparteien haben, soweit sie die Anwendung dieser Vorschrift gewollt haben, darauf ausdrücklich verwiesen (vgl. § 15 a Abs. 1 Satz 1 BAT und § 49 Abs. 2 Unterabs. 3 BAT). Dies läßt nur den Schluß zu, daß die Regelung des § 48 Abs. 4 Unterabs. 1 Satz 2 BAT nur dann angewendet werden soll, wenn die Tarifvertragsparteien ausdrücklich auf sie Bezug genommen haben. Die entsprechende Anwendung der Vorschrift auf den Freistellungsanspruch führt auch zu keiner sachgerechten und zweckorientierten Regelung. Denn die Klägerin wäre dann verpflichtet, entweder an ihrem Hochzeitstag oder an dem darauffolgenden Tag von 0.00 Uhr bis 6.30 Uhr zu arbeiten. Dieses Ergebnis widerspräche jedoch dem zuvor dargestellten Zweck der Freistellung in § 52 Abs. 2 BAT, daß bei Eheschließung zwei Kalendertage arbeitsfrei sein sollen.
IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Dr. Jobs Dörner Schneider
Wax Fischer
Fundstellen
Haufe-Index 440777 |
DB 1989, 1296 (L1) |
RdA 1989, 195 |
USK, 88137 (ST1-2) |
ZAP, EN-Nr 164/89 (S) |
ZTR 1989, 232-233 (LT1) |
AP § 52 BAT (LT1), Nr 4 |
EzBAT § 52 BAT, Nr 16 (LT1) |
PersR 1990, 85 (L1) |