Entscheidungsstichwort (Thema)
Mindestlohn. Zeitungszusteller. Nachtarbeitszuschlag
Leitsatz (amtlich)
1. Die Übergangsregelung des § 24 Abs. 2 MiLoG, die für Zeitungszustellerinnen und Zeitungszusteller unter den dort genannten Voraussetzungen bis zum 31. Dezember 2017 einen abgesenkten Mindestlohn vorgesehen hat, verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
2. Erfolgt die Zeitungszustellung dauerhaft in Nachtarbeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes, haben Zeitungszustellerinnen und Zeitungszusteller Anspruch auf einen Nachtarbeitszuschlag in Höhe von 30 % des ihnen je Arbeitsstunde zustehenden Mindestlohns, sofern nicht eine höhere Vergütung vereinbart ist.
Orientierungssatz
1. Ob Beschäftigte Zeitungszustellerin oder Zeitungszusteller im Sinne des § 24 Abs. 2 Satz 3 MiLoG sind, richtet sich nach der tatsächlich ausgeübten Tätigkeit und nicht nach den arbeitsvertraglich (auch) geschuldeten Tätigkeiten, sofern und solange der Arbeitgeber im Rahmen seines Weisungsrechts (§ 106 GewO) von den vertraglich eröffneten Möglichkeiten keinen Gebrauch macht (Rn. 11).
2. Das Mindestlohngesetz bestimmt den Mindestlohn unabhängig von der zeitlichen Lage der Arbeit und sieht einen gesonderten Zuschlag für Nachtarbeit nicht vor. Nachtarbeitnehmer haben aber unter den Voraussetzungen des § 6 Abs. 5 ArbZG Anspruch auf einen Ausgleich nach dieser Norm (Rn. 31 f.).
3. Bei der Erbringung der regulären Arbeitsleistung in Dauernachtarbeit ist regelmäßig ein Nachtarbeitszuschlag von 30 % auf den zustehenden Bruttostundenlohn (bzw. die Gewährung einer entsprechenden Anzahl freier Tage) als angemessen anzusehen. Zustehendes Bruttoarbeitsentgelt iSd. § 6 Abs. 5 ArbZG ist bei Fehlen einer günstigeren Regelung der gesetzliche Mindestlohn (Rn. 39, 49).
4. Das Arbeitszeitgesetz wertet die Belastung der Nachtarbeitnehmer durch Nachtarbeit – vorbehaltlich der Begriffsbestimmung in § 2 Abs. 4 ArbZG – unabhängig davon, wie viele Arbeitsstunden in der Nachtzeit erbracht werden. Deshalb verbietet sich eine „Staffelung” der Höhe des Nachtarbeitszuschlags nach dem Umfang der geleisteten Nachtarbeitsstunden (Rn. 55).
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 S. 2; MiLoG § 24 Abs. 2; ArbZG § 6 Abs. 5
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Bremen vom 7. Dezember 2016 – 3 Sa 43/16 – wird zurückgewiesen.
2. Auf die Revision der Klägerin wird – unter Zurückweisung der Revision im Übrigen – das Urteil des Landesarbeitsgerichts Bremen vom 7. Dezember 2016 – 3 Sa 43/16 – teilweise aufgehoben und die Beklagte weiter verurteilt, an die Klägerin weitere 480,50 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 43,15 Euro seit dem 8. Februar 2015, aus 23,84 Euro seit dem 8. März 2015, aus 37,85 Euro seit dem 8. April 2015, aus 17,09 Euro seit dem 8. Mai 2015, aus 37,02 Euro seit dem 8. Juni 2015, aus 41,83 Euro seit dem 8. Juli 2015, aus 37,40 Euro seit dem 8. August 2015, aus 6,81 Euro seit dem 8. September 2015, aus 27,52 Euro seit dem 8. Oktober 2015, aus 40,96 Euro seit dem 8. November 2015, aus 35,27 Euro seit dem 8. Dezember 2015, aus 36,79 Euro seit dem 8. Januar 2016, aus 5,59 Euro seit dem 8. Februar 2016, aus 28,69 Euro seit dem 8. März 2016, aus 37,09 Euro seit dem 8. April 2016 und aus 23,60 Euro seit dem 8. Mai 2016 zu zahlen.
3. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 87 % und die Beklagte 13 % zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Differenzvergütung und dabei insbesondere darüber, ob die Klägerin nur den abgesenkten gesetzlichen Mindestlohn nach § 24 Abs. 2 MiLoG beanspruchen kann, eine Vertretungsprämie mindestlohnwirksam ist sowie die Höhe des Nachtarbeitszuschlags.
Die Klägerin ist seit dem 1. August 2013 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin als Zeitungszustellerin beschäftigt. Arbeitsvertraglich vereinbart ist eine Vergütung auf Stücklohnbasis. Daneben zahlte die Beklagte einen Nachtarbeitszuschlag in Höhe von 25 % auf den Stücklohn sowie eine Vertretungsprämie, sofern die Klägerin neben den ihr zugewiesenen (vier) Zustellbezirken die Vertretung in einem weiteren Zustellbezirk übernahm.
Im Streitzeitraum Januar 2015 bis April 2016 arbeitete die Klägerin ausschließlich und mehr als zwei Stunden zur Nachtzeit (§ 2 Abs. 3 ArbZG). Dabei trug sie die Tageszeitung „Weserkurier” aus, ferner den „Kurier der Woche”, der aus zweitverwerteten Artikeln des Weserkuriers und Werbung besteht. Zur Zustelltätigkeit der Klägerin gehörte auch die Publikation „Werder Heimspiel”, die Dauerkartenbesitzer vor einem Bundesliga-Heimspiel des SV Werder Bremen erhalten.
Mit ihrer am 12. August 2015 anhängig gemachten und mehrfach – zuletzt in der Berufungsinstanz – erweiterten Klage hat die Klägerin Differenzvergütung geltend gemacht und gemeint, sie habe seit dem 1. Januar 2015 Anspruch auf den vollen gesetzlichen Mindestlohn. Die Übergangsregelung für Zeitungszustellerinnen und Zeitungszusteller verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG, zudem lägen die Voraussetzungen des § 24 Abs. 2 Satz 3 MiLoG nicht vor. Sie sei arbeitsvertraglich nicht ausschließlich zur Zustellung der dort genannten Produkte, sondern auch zum Austragen von Anzeigenblättern, Briefen und Werbematerialien verpflichtet. Der „Kurier der Woche” sei nur ein scheinbares Anzeigenblatt ohne nennenswerten redaktionellen Inhalt, das „Werder Heimspiel” keine periodische Zeitschrift. Die Vertretungsprämie sei nicht auf den Mindestlohn anrechenbar, weil sie nicht die Normalleistung abdecke, sondern die Übernahme von Mehrarbeit und die besondere Flexibilität der Klägerin honoriere. Schließlich sei der Nachtarbeitszuschlag auf der Basis des vollen gesetzlichen Mindestlohns zu berechnen und müsse wegen ihrer Dauernachtarbeit 30 % betragen.
Die Klägerin hat zuletzt sinngemäß beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 5.244,58 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach bestimmter Staffelung zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und gemeint, die Klägerin könne aufgrund ihrer tatsächlichen Tätigkeit als Zeitungszustellerin nur den abgesenkten Mindestlohn nach § 24 Abs. 2 MiLoG beanspruchen, den sie erhalten habe. Die Vertretungsprämie erfülle den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn mit. Der Nachtarbeitszuschlag sei wie arbeitsvertraglich vereinbart zu berechnen, lege man den – abgesenkten – Mindestlohn zugrunde, sei ein Zuschlag von 10 % angemessen.
Das Arbeitsgericht hat der Klägerin als weiteren Mindestlohn für den Monat Mai 2015 65,37 Euro brutto nebst Zinsen zugesprochen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Auf die Berufungen beider Parteien hat das Landesarbeitsgericht – unter Zurückweisung der Berufungen im Übrigen – der Klägerin insgesamt 236,74 Euro brutto nebst Zinsen als weiteren Nachtarbeitszuschlag zuerkannt. Mit der vom Landesarbeitsgericht für beide Parteien zugelassenen Revision hält die Klägerin an ihrem weitergehenden Klageantrag fest, während die Beklagte die vollständige Klageabweisung begehrt.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist begründet, soweit sie die prozentuale Höhe des Nachtarbeitszuschlags angreift. Im Übrigen sind ihre Revision und die der Beklagten unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht entschieden, dass die Klägerin im Streitzeitraum nur den abgesenkten Mindestlohn nach § 24 Abs. 2 MiLoG beanspruchen kann, die gezahlte Vertretungsprämie mindestlohnwirksam und Grundlage für den Zuschlag nach § 6 Abs. 5 ArbZG der gesetzliche Mindestlohn ist, sofern die Arbeitsvertragsparteien keine höhere Vergütung vereinbart haben. Rechtsfehlerhaft ist lediglich die Annahme, im Streitfall sei ein Nachtarbeitszuschlag von 25 % und nicht ein solcher von 30 % angemessen.
I. Die Klägerin hat als Zeitungszustellerin für geleistete Arbeit im streitgegenständlichen Zeitraum nach § 24 Abs. 2 Satz 1 MiLoG lediglich Anspruch auf 75 % des Mindestlohns nach § 1 Abs. 2 Satz 1 MiLoG und ab 1. Januar 2016 auf 85 % hiervon (zum Mindestlohn als Geldfaktor bei der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall: vgl. BAG 6. Dezember 2017 – 5 AZR 699/16 – Rn. 17; 20. September 2017 – 10 AZR 171/16 – Rn. 24, jeweils mwN). Den Anspruch der Klägerin auf diesen abgesenkten Mindestlohn hat die Beklagte mit ihren Zahlungen vollständig erfüllt (§ 362 Abs. 1 BGB), denn auch die der Klägerin gewährte Vertretungsprämie ist mindestlohnwirksam, dh. geeignet, den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn zu erfüllen.
1. Zeitungszustellerinnen und Zeitungszusteller sind nach der Legaldefinition des § 24 Abs. 2 Satz 3 MiLoG Personen, die in einem Arbeitsverhältnis ausschließlich periodische Zeitungen oder Zeitschriften an Endkunden zustellen; dies umfasst auch Zustellerinnen und Zusteller von Anzeigenblättern mit redaktionellem Inhalt. Diese Voraussetzungen lagen bei der Klägerin im Streitzeitraum vor.
a) Ob Beschäftigte Zeitungszustellerin oder Zeitungszusteller iSd. § 24 Abs. 2 Satz 3 MiLoG sind, richtet sich nach der tatsächlich ausgeübten Tätigkeit und nicht nach den arbeitsvertraglich (auch) geschuldeten Tätigkeiten, sofern und solange der Arbeitgeber im Rahmen seines Weisungsrechts (§ 106 GewO) von den vertraglich eröffneten Möglichkeiten keinen Gebrauch macht.
aa) Der Wortlaut des § 24 Abs. 2 Satz 3 MiLoG stellt ab auf „Personen, die in einem Arbeitsverhältnis (…) zustellen”. Maßgeblich ist danach – verdeutlicht durch das Verb „zustellen” – die tatsächliche Tätigkeit des Beschäftigten, nicht seine arbeitsvertragliche Verpflichtung (im Ergebnis wie hier: HK-MiLoG/Jerchel/Trümmer 2. Aufl. § 24 Rn. 43; ErfK/Franzen 18. Aufl. § 24 MiLoG Rn. 3; unklar Riechert/Nimmerjahn MiLoG 2. Aufl. § 24 Rn. 69). Ein Rückgriff auf den Arbeitsvertrag und die dort vereinbarten Tätigkeiten des jeweiligen Zustellers als Anknüpfungspunkt fehlt; es wird lediglich – wegen des persönlichen Anwendungsbereichs nach § 22 Abs. 1 Satz 1 MiLoG an sich überflüssig – ein Arbeitsverhältnis als Grundlage der Zustellung verlangt.
bb) Das Abstellen auf die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit entspricht der Gesamtsystematik des Mindestlohngesetzes. Der Anspruch auf den Mindestlohn entsteht gemäß § 1 Abs. 2 iVm. §§ 20, 1 Abs. 1 MiLoG mit und für jede geleistete Arbeitsstunde, nicht jedoch für Zeiten ohne Arbeitsleistung (BAG 25. Mai 2016 – 5 AZR 135/16 – Rn. 19 mwN, BAGE 155, 202; seither st. Rspr., vgl. 6. Dezember 2017 – 5 AZR 699/16 – Rn. 15 ff.).
cc) Damit ist es entgegen der Auffassung der Klägerin unerheblich, dass ihr nach den arbeitsvertraglichen Vereinbarungen auch die Zustellung etwa von Briefen oder Werbeprospekten hätte angewiesen werden können. Von dieser Möglichkeit hat die Beklagte im Streitzeitraum unstreitig nicht Gebrauch gemacht.
b) Die Klägerin hat im Streitzeitraum ausschließlich Presseerzeugnisse der in § 24 Abs. 2 Satz 3 MiLoG genannten Art zugestellt.
aa) Dass der „Weserkurier” eine periodisch erscheinende Tageszeitung ist, stellt die Klägerin nicht in Abrede.
bb) Der „Kurier der Woche” besteht nach den nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts aus Werbeprospekten, die von zweitverwerteten Artikeln des „Weserkuriers” ummantelt werden. Ob er damit – wie das Landesarbeitsgericht meint – ein Anzeigenblatt mit redaktionellem Inhalt ist, kann dahingestellt bleiben. Denn anderenfalls handelte es sich um eine Wochenzeitung mit beigelegten Werbeprospekten. Für die von § 24 Abs. 2 Satz 3 MiLoG verlangte Ausschließlichkeit ist es nach zutreffender einhelliger Auffassung im Schrifttum unschädlich, wenn einer zuzustellenden Zeitung Werbebeilagen bereits maschinell „eingeschossen” oder von Dritten eingelegt sind, streitig ist lediglich, ob das Bestücken der Zeitung mit Werbebeilagen durch den Zusteller selbst dem Ausschließlichkeitsprinzip entgegensteht (bejahend etwa: Riechert/Nimmerjahn MiLoG 2. Aufl. § 24 Rn. 67; MüKoBGB/Müller-Glöge 7. Aufl. § 24 MiLoG Rn. 2; aA Pötters in Thüsing 2. Aufl. § 24 MiLoG Rn. 15; ErfK/Franzen 18. Aufl. § 24 MiLoG Rn. 3; Umgehungspotential befürchtend HK-MiLoG/Jerchel/Trümmer 2. Aufl. § 24 Rn. 39, 84). Dass sie Werbeprospekte oder Werbebeilagen in den „Kurier der Woche” habe einlegen müssen, hat die Klägerin nicht behauptet.
cc) Für den Begriff der Zeitung iSd. § 24 Abs. 2 Satz 3 MiLoG ist es des Weiteren nicht konstitutiv, dass der redaktionelle Inhalt „neu” oder „aktuell” ist. Ein solches Erfordernis enthält die Norm – anders als etwa die für die Zulässigkeit von Sonn- und Feiertagsarbeit verlangte Tagesaktualität in § 10 Abs. 1 Nr. 8 ArbZG – nicht. Eine Wochenzeitung kann deshalb auch aus zweitverwerteten Artikeln einer Tageszeitung bestehen. Soweit die Klägerin erstmals in der Revisionsinstanz die Periodizität des „Kuriers der Woche” in Frage stellen will, handelt es sich dabei um neues – noch dazu unsubstantiiertes – Vorbringen, das in der Revisionsinstanz nicht berücksichtigt werden kann (§ 559 ZPO).
dd) Die Publikation „Werder Heimspiel” ist ein (Fußball-)Magazin, das zu jedem Heimspiel des SV Werder Bremen erscheint. Rechtlich handelt es sich – was die Klägerin insoweit nicht in Abrede stellt – um eine Zeitschrift, die nicht nur Dauerkartenbesitzern, sondern jedermann zugänglich ist und die entgegen der Auffassung der Klägerin auch periodisch iSd. § 24 Abs. 2 Satz 3 MiLoG erscheint. Dies ist bei einer Druckschrift der Fall, wenn eine bestimmte Zahl von Zeitungs- oder Zeitschriftennummern regelmäßig innerhalb eines bestimmten Zeitraums, der längstens ein Jahr betragen darf, erscheint und nicht nur gelegentlich publiziert werden soll (BGH 20. September 2012 – I ZR 116/11 – Rn. 32; Riechert/Nimmerjahn MiLoG 2. Aufl. § 24 Rn. 63). Das „Werder Heimspiel” ist nach seiner Aufmachung und der bisherigen Praxis nicht nur auf gelegentliche Publikation angelegt, sondern auf regelmäßiges Erscheinen zu den Heimspielen des SV Werder Bremen. Bei 18 in der ersten Fußballbundesliga spielenden Vereinen ergeben sich 17 Heimspiele in der Hin- und Rückrunde und damit 17 Nummern jährlich.
2. § 24 Abs. 2 MiLoG verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG (so auch dieüberwiegende Auffassung im Schrifttum, vgl. etwa Riechert/Nimmerjahn MiLoG 2. Aufl. § 24 Rn. 52 ff.; HWK/Sittard 8. Aufl. § 24 MiLoG Rn. 8; Schaub ArbR-HdB/Vogelsang 17. Aufl. § 66 Rn. 20; MHdB ArbR/Krause 4. Aufl. § 61 Rn. 9; aA etwa HK-MiLoG/Jerchel/Trümmer 2. Aufl. § 24 Rn. 83; Barczak/Pieroth Mindestlohnausnahme für Zeitungszusteller? 2014 S. 115 ff.; eine Verfassungsbeschwerde gegen die Übergangsregelung des § 24 Abs. 2 MiLoG hat das Bundesverfassungsgericht wegen unzureichender Begründung nicht zur Entscheidung angenommen, vgl. BVerfG 25. Juni 2015 – 1 BvR 20/15 –).
a) Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Das hieraus folgende Gebot, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln, gilt für ungleiche Belastungen und ungleiche Begünstigungen. Dabei verwehrt Art. 3 Abs. 1 GG dem Gesetzgeber nicht jede Differenzierung. Differenzierungen bedürfen jedoch stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Ziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Dabei gilt grundsätzlich ein stufenloser, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen (BVerfG 10. April 2018 – 1 BvL 11/14 ua. – Rn. 94 f., st. Rspr.).
Bei zeitlich begrenzten Übergangsvorschriften hat der Gesetzgeber eine besondere Gestaltungsfreiheit (BVerfG 12. Februar 2003 – 2 BvL 3/00 – zu C IV 3 b aa der Gründe, BVerfGE 107, 218) und verfügt über einen weiten Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum, wenn er die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Freiheit, das Entgelt für berufliche Leistungen einzelvertraglich zu vereinbaren, durch zwingendes Gesetzesrecht begrenzt, um sozialen oder wirtschaftlichen Ungleichgewichten entgegenzuwirken, insbesondere Schutzvorschriften zugunsten des typischerweise unterlegenen Vertragsteils vorsieht. Dabei liegt die Einschätzung der für die Konfliktlage maßgeblichen ökonomischen und sozialen Rahmenbedingungen in der politischen Verantwortung des Gesetzgebers, ebenso die Vorausschau auf die künftige Entwicklung und die Wirkung seiner Regelung. Dasselbe gilt für die Bewertung der Interessenlage, wozu er die einander entgegenstehenden Belange hinsichtlich ihrer Schutzbedürftigkeit gewichten muss (vgl. BVerfG 23. Oktober 2013 – 1 BvR 1842/11, 1 BvR 1843/11 – Rn. 70, BVerfGE 134, 204; 29. Juni 2016 – 1 BvR 1015/15 – Rn. 64, BVerfGE 142, 268). Dabei ist die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers im Rahmen von Übergangsvorschriften umso größer, je geringfügiger die Ungleichheit nach Dauer oder Höhe ist (vgl. BVerfG 19. April 1977 – 1 BvL 17/75 – zu II 1 der Gründe, BVerfGE 44, 283; 12. Februar 2003 – 2 BvL 3/00 – zu C IV 3 b aa der Gründe, BVerfGE 107, 218).
b) Gemessen daran hat der Gesetzgeber mit der vorübergehenden Ungleichbehandlung der Zeitungszustellerinnen und Zeitungszusteller durch die Übergangsregelung des § 24 Abs. 2 MiLoG, die auf Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales aufgenommen wurde, nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen.
aa) Dabei kann dahingestellt bleiben, ob das Grundrecht der Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, in dessen Schutzbereich auch der Vertrieb von Presseprodukten, etwa die Botenzustellung von Zeitungen, fällt (BVerfG 29. April 2003 – 1 BvR 62/99 – zu II 2 b der Gründe, BVerfGK 1, 136), die Übergangsregelung tatsächlich geboten hat (krit. etwa: Riechert/Nimmerjahn MiLoG 2. Aufl. § 24 Rn. 53 f.; Pötters in Thüsing 2. Aufl. § 24 MiLoG Rn. 11; HK-MiLoG/Jerchel/Trümmer 2. Aufl. § 24 Rn. 67 ff.; sh. zum generellen Verlangen einer Ausnahme vom Mindestlohn für die Zeitungszustellung: die Rechtsgutachten Di Fabio, Mindestlohn und Pressefreiheit [2014] sowie Degenhart, Pressefreiheit als Vertriebsfreiheit [2013]) oder sie lediglich Ausdruck der besonderen Wertschätzung der freien Presse ist, die diese in den Gesetzgebungsorganen genießt (so MüKoBGB/Müller-Glöge 7. Aufl. § 24 MiLoG Rn. 2). Denn jedenfalls hat der Gesetzgeber mit § 24 Abs. 2 MiLoG die ihm bei Übergangsregelungen eingeräumten Spielräume nicht überschritten.
bb) Seine Einschätzung, eine „stufenweise Einphasung” des Mindestlohns für den Bereich der Zustellung von Presseerzeugnissen sei geeignet und erforderlich zur Sicherung der Pressefreiheit, weil die mit der Einführung des Mindestlohns einhergehenden Mehrkosten insbesondere in ländlichen und strukturschwachen Regionen die Trägerzustellung beeinträchtigen (BT-Drs. 18/2010 [neu] S. 25), liegt innerhalb des ihm zustehenden weiten Beurteilungsspielraums (ähnlich: Riechert/Nimmerjahn MiLoG 2. Aufl. § 24 Rn. 58; MHdB ArbR/Krause 4. Aufl. § 61 Rn. 9; HWK/Sittard 8. Aufl. § 24 MiLoG Rn. 8) und seiner politischen Verantwortung für die prognostizierte Wirkung einer übergangslosen Einführung des vollen Mindestlohns in diesem Bereich. Die Annahme des Gesetzgebers, der für die übrigen Wirtschaftszweige in § 24 Abs. 1 MiLoG eröffnete Weg, über bundesweite, nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz erstreckte Tarifverträge vorübergehend vom Mindestlohn abzuweichen, sei wegen der besonderen Beschäftigten- und Entgeltstrukturen im Bereich der Zeitungszustellung nicht gangbar, jedenfalls nicht sachgerecht (BT-Drs. 18/2010 [neu] S. 25), ist ein einleuchtender Sachgrund für die Differenzierung zwischen allgemeiner (§ 24 Abs. 1 MiLoG) und besonderer (§ 24 Abs. 2 MiLoG) Übergangsregelung (im Ergebnis ebenso: Riechert/Nimmerjahn MiLoG 2. Aufl. § 24 Rn. 57; MHdB ArbR/Krause 4. Aufl. § 61 Rn. 9; krit. Bayreuther NZA 2014, 865, 872; abl. HK-MiLoG/Jerchel/Trümmer 2. Aufl. § 24 Rn. 79).
cc) Die getroffene Übergangsregelung ist angemessen und auf einen relativ kurzen Zeitraum angelegt. Sie hat wegen der – nach § 9 Abs. 1 Satz 1 MiLoG zu erwartenden – Anhebung des vollen Mindestlohns zum 1. Januar 2017 insgesamt drei Jahre angedauert. Innerhalb dieses Zeitraums hat sich zudem die Entgeltdifferenz jährlich vermindert. Der abgesenkte Mindestlohn für Zeitungszustellerinnen und Zeitungszusteller betrug 2015 75 %, 2016 85 % und 2017 96 % des vollen Mindestlohns. Der Gesetzgeber hat damit in einem überschaubaren Zeitraum in deutlichen Schritten eine Angleichung des Mindestlohns für Zeitungszusteller an den allgemeinen Mindestlohn vorgenommen. Die vorgenommene Differenzierung erweist sich deshalb im Ergebnis auch als verhältnismäßig im engeren Sinn und somit als verfassungskonform.
3. Den Anspruch der Klägerin auf den Mindestlohn nach § 24 Abs. 2 Satz 1 MiLoG und dessen Berücksichtigung als Geldfaktor bei der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 EFZG) hat die Beklagte – auch aus Sicht der Klägerin – mit ihren im Streitzeitraum geleisteten Zahlungen erfüllt, sofern die im Streitzeitraum gezahlte Vertretungsprämie mindestlohnwirksam ist. Das ist entgegen der Auffassung der Klägerin der Fall.
a) Mindestlohnwirksam, dh. geeignet den Mindestlohnanspruch zu erfüllen, sind alle im arbeitsvertraglichen Austauschverhältnis erbrachten Entgeltzahlungen mit Ausnahme der Zahlungen, die der Arbeitgeber ohne Rücksicht auf eine tatsächliche Arbeitsleistung des Arbeitnehmers erbringt oder die auf einer besonderen gesetzlichen Zweckbestimmung (zB § 6 Abs. 5 ArbZG) beruhen (st. Rspr. seit BAG 25. Mai 2016 – 5 AZR 135/16 – Rn. 32, BAGE 155, 202; zuletzt BAG 17. Januar 2018 – 5 AZR 69/17 – Rn. 16 mwN; zum Streitstand zwischen „Entgelttheorie” und „Normalleistungstheorie” im Schrifttum sh. nur Riechert/Nimmerjahn MiLoG 2. Aufl. § 1 Rn. 106 ff.; MüKoBGB/Müller-Glöge 7. Aufl. § 1 MiLoG Rn. 22 f., jeweils mwN). Dies beruht darauf, dass der Mindestlohn nach § 1 Abs. 2 Satz 1 MiLoG „je Zeitstunde” festgesetzt ist und das Gesetz den Anspruch nicht von der zeitlichen Lage der Arbeit oder den mit der Arbeitsleistung verbundenen Umständen oder Erfolgen abhängig macht. Entgegen der Auffassung der Klägerin gebietet die Entstehungsgeschichte des Mindestlohngesetzes kein anderes Verständnis. Der Begriff der „Normalleistung” hat keinen Eingang in den Wortlaut des Mindestlohngesetzes gefunden (im Einzelnen BAG 21. Dezember 2016 – 5 AZR 374/16 – Rn. 21, BAGE 157, 356; zust. Greiner Anm. AP MiLoG § 1 Nr. 3; HWK/Sittard 8. Aufl. § 1 MiLoG Rn. 15b; kritisch Sagan RdA 2018, 121, 122).
b) Danach ist die der Klägerin gezahlte Vertretungsprämie mindestlohnwirksam. Sie ist im arbeitsvertraglichen Austauschverhältnis erbrachtes zusätzliches Arbeitsentgelt für Mehrarbeit und wird gerade für die tatsächliche Arbeitsleistung gewährt. Einer besonderen gesetzlichen Zweckbestimmung unterliegt diese auf arbeitsvertraglicher Grundlage gezahlte Prämie nicht.
II. Die Klägerin hat aufgrund ihrer Dauernachtarbeit Anspruch auf einen Zuschlag von 30 % auf den ihr nach § 24 Abs. 2 MiLoG zustehenden Mindestlohn.
1. Die Verpflichtung der Beklagten, der Klägerin einen angemessenen, auf der Basis des Mindestlohns berechneten Ausgleich für die während der Nachtzeit geleisteten Arbeitsstunden zu gewähren, folgt nicht unmittelbar aus dem Mindestlohngesetz. Dieses bestimmt den Mindestlohn unabhängig von der zeitlichen Lage der Arbeit (st. Rspr., zuletzt BAG 17. Januar 2018 – 5 AZR 69/17 – Rn. 16) und sieht einen gesonderten Zuschlag für Nachtarbeit nicht vor (BAG 20. September 2017 – 10 AZR 171/16 – Rn. 29).
2. Der Anspruch ergibt sich aus § 6 Abs. 5 ArbZG.
a) Danach hat der Arbeitgeber, wenn – wie hier – eine tarifvertragliche Ausgleichsregelung nicht besteht, dem Nachtarbeitnehmer (§ 2 Abs. 5 ArbZG) für die während der Nachtzeit (§ 2 Abs. 3 ArbZG) geleisteten Arbeitsstunden eine angemessene Anzahl bezahlter freier Tage oder einen angemessenen Zuschlag auf das ihm hierfür zustehende Bruttoarbeitsentgelt zu gewähren. Dabei kann das Wahlrecht des Arbeitgebers (§ 262 BGB) abbedungen werden, die Vertragsparteien können sich dauerhaft auf eine Variante des Ausgleichs festlegen (BAG 9. Dezember 2015 – 10 AZR 423/14 – Rn. 55, BAGE 153, 378; 15. Juli 2009 – 5 AZR 867/08 – Rn. 21, BAGE 131, 215).
b) Von der Möglichkeit, einen Ausgleich durch Zahlung von Geld zu vereinbaren, haben die Parteien arbeitsvertraglich Gebrauch gemacht. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 6 Abs. 5 ArbZG seien erfüllt, greift die Beklagte mit der Revision nicht an. Die Parteien streiten allein über die Höhe des zu zahlenden Nachtzuschlags.
3. Der in § 6 Abs. 5 ArbZG nur allgemein geregelte Anspruch auf angemessenen Ausgleich kann durch einzelvertragliche Regelung näher ausgestaltet werden (BAG 15. Juli 2009 – 5 AZR 867/08 – Rn. 17, BAGE 131, 215). Diese muss aber den Vorgaben des § 6 Abs. 5 ArbZG genügen, die Norm ist zwingend (BAG 9. Dezember 2015 – 10 AZR 423/14 – Rn. 19, BAGE 153, 378). Eine vertragliche Vereinbarung, die zum Nachteil des Arbeitnehmers hinter den gesetzlichen Vorgaben für einen angemessenen Ausgleich zurückbleibt, ist nach § 6 Abs. 5 ArbZG iVm. § 134 BGB unwirksam.
4. § 6 Abs. 5 ArbZG verlangt einen angemessenen Zuschlag auf das dem Arbeitnehmer für die Nachtarbeit zustehende Bruttoarbeitsentgelt.
a) Bei dem Merkmal „angemessen” handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, bei dessen Anwendung dem Tatsachengericht ein Beurteilungsspielraum zukommt. Dieser ist vom Revisionsgericht nur darauf zu überprüfen, ob das Berufungsgericht den Rechtsbegriff selbst verkannt hat oder bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat, ob es alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat und ob das Urteil in sich widerspruchsfrei ist (BAG 9. Dezember 2015 – 10 AZR 423/14 – Rn. 19, 36, BAGE 153, 378).
b) Diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts nicht in Gänze stand. Das Landesarbeitsgericht ist zwar vom zutreffenden Begriff des angemessenen Nachtarbeitszuschlags ausgegangen und hat zu Recht angenommen, dass dieser – sofern die Parteien keine höhere Vergütung vereinbart haben – auf der Grundlage des gesetzlichen Mindestlohns zu berechnen ist. Seine Würdigung, es lägen Umstände vor, die eine „Abweichung nach unten” gebieten würden, ist indes nicht frei von Rechtsfehlern. Dabei kann der Senat gemäß § 563 Abs. 3 ZPO selbst endentscheiden, weil alle für die Beurteilung der Angemessenheit des Ausgleichs maßgeblichen Tatsachen festgestellt sind und neuer Sachvortrag hierzu nicht zu erwarten ist.
aa) Der Zuschlag nach § 6 Abs. 5 ArbZG knüpft an das dem Nachtarbeitnehmer für die Nachtarbeit „zustehende” Bruttoarbeitsentgelt an.
(1) Zustehendes Bruttoarbeitsentgelt ist bei Fehlen einer günstigeren Regelung der gesetzliche Mindestlohn, denn dieser ist kraft Gesetzes (§§ 1, 3, 20 MiLoG) vom Arbeitgeber dem Arbeitnehmer als Gegenleistung für tatsächliche Arbeit zu zahlen (ebenso: BAG 20. September 2017 – 10 AZR 171/16 – Rn. 30; Riechert/Nimmerjahn MiLoG 2. Aufl. § 1 Rn. 178; wohl auch Bayreuther in Thüsing 2. Aufl. § 1 MiLoG Rn. 113).
(2) Sinn und Zweck der Ausgleichsregelung bestätigen dieses aus dem Wortlaut der Norm und der Gesetzessystematik gewonnene Verständnis. Der vom Gesetzgeber mit dem Zuschlag nach § 6 Abs. 5 ArbZG verfolgte Zweck, Nachtarbeit im Interesse der Gesundheit des Arbeitnehmers zu verteuern und auf diesem Weg einzuschränken (BAG 9. Dezember 2015 – 10 AZR 423/14 – Rn. 18, BAGE 153, 378), käme nicht – voll – zum Tragen, stellte man bei der Beurteilung der Angemessenheit des Zuschlags nicht auf das wertmäßige Verhältnis zu dem Bruttoarbeitsentgelt ab, das dem Arbeitnehmer für die während der gesetzlichen Nachtzeit geleisteten Arbeitsstunden kraft Gesetzes zusteht, sondern auf ein niedrigeres arbeitsvertraglich vereinbartes Entgelt.
(3) Grundlage des der Klägerin zu gewährenden Nachtarbeitszuschlags kann deshalb entgegen der Auffassung der Beklagten nicht der arbeitsvertraglich vereinbarte Stücklohn sein, weil dieser unstreitig hinter dem gesetzlichen Mindestlohn zurückbleibt. Insoweit ist die vereinbarte Höhe des Nachtarbeitszuschlags unwirksam, § 6 Abs. 5 ArbZG iVm. § 134 BGB.
bb) Der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts folgend hat das Landesarbeitsgericht einen Zuschlag von 25 % auf das der Klägerin zustehende Bruttoarbeitsentgelt bzw. die Gewährung einer entsprechenden Anzahl von bezahlten freien Tagen als regelmäßig angemessenen Ausgleich für Nachtarbeit angenommen (vgl. BAG 9. Dezember 2015 – 10 AZR 423/14 – Rn. 23 mwN, BAGE 153, 378). Entgegen der Auffassung der Beklagten liegen keine Umstände vor, die es rechtfertigen, von dieser im Regelfall angemessenen Zuschlagshöhe nach unten abzuweichen. Vielmehr ist – wie die Revision der Klägerin zu Recht geltend macht – hiervon nach oben abzuweichen, weil die Klägerin dauerhaft Nachtarbeit iSd. Arbeitszeitgesetzes leistet.
(1) Ein geringerer als der regelmäßige Zuschlag von 25 % auf das dem Arbeitnehmer zustehende Bruttoarbeitsentgelt, wie ihn die Beklagte mit ihrer Revision erstrebt, kann nach § 6 Abs. 5 ArbZG nur ausreichend sein, wenn die Belastung durch die geleistete Nachtarbeit im Vergleich zum Üblichen geringer ist, weil zB in diese Zeit in nicht unerheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft fällt oder es sich um nächtlichen Bereitschaftsdienst handelt, bei dem von vornherein von einer geringeren Arbeitsbelastung auszugehen ist. Nach der Art der Arbeitsleistung ist auch zu beurteilen, ob der vom Gesetzgeber mit dem Entgeltzuschlag verfolgte Zweck, im Interesse der Gesundheit des Arbeitnehmers Nachtarbeit zu verteuern und auf diesem Wege einzuschränken, zum Tragen kommen oder in einem solchen Fall nur die mit der Nachtarbeit verbundene Erschwernis ausgeglichen werden kann. Relevanz kann die letztgenannte Erwägung aber nur in den Fällen haben, in denen die Nachtarbeit aus zwingenden technischen Gründen oder aus zwingend mit der Art der Tätigkeit verbundenen Gründen bei wertender Betrachtung vor dem Hintergrund des Schutzzwecks des § 6 Abs. 5 ArbZG unvermeidbar ist (BAG 9. Dezember 2015 – 10 AZR 423/14 – Rn. 29 mwN, BAGE 153, 378).
(2) Hiervon ausgehend hat das Landesarbeitsgericht entgegen der Auffassung der Beklagten den der Klägerin zu gewährenden Nachtarbeitszuschlag nicht zu hoch angesetzt.
(a) Die Revision der Beklagten zeigt nicht auf, dass das Landesarbeitsgericht bei der Unterordnung des festgestellten Sachverhalts unter den Rechtsbegriff des angemessenen Ausgleichs Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungsgrundsätze verletzt oder wesentliche Umstände zu Lasten der Beklagten unberücksichtigt gelassen hätte oder zu einem widersprüchlichen Ergebnis gelangt wäre. Umstände, die vorliegend eine Abweichung von dem regelmäßig als angemessen anzusehenden Prozentsatz von 25 % nach unten rechtfertigen könnten, legt die Beklagte nicht substantiiert dar. Sie setzt lediglich die eigene Bewertung an die Stelle der vom Berufungsgericht vorgenommenen.
(b) Soweit sich die Beklagte in der Revision auf eine Entscheidung des Senats zur Nachtarbeit im Bewachungsgewerbe beruft, übersieht sie, dass der dortige Wachmann – anders als die Klägerin beim Zustellen – während seiner Nachtarbeit auch „Phasen der Entspannung” hatte, weil er nur zu drei Kontrollgängen verpflichtet war und nur auf Einflüsse von außen reagieren musste (BAG 11. Februar 2009 – 5 AZR 148/08 – Rn. 15). Soweit diese Entscheidung – obwohl nicht streitgegenständlich – dahingehend verstanden werden könnte, der Senat erachte generell für Zeitungszusteller einen Nachtarbeitszuschlag von 10 % als angemessen, wird daran nicht festgehalten.
(c) Dass ein Zuschlag für Nachtarbeit von 25 % auf den Mindestlohn von Zeitungszustellerinnen und Zeitungszustellern die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Branche übersteigen würde, behauptet die Beklagte ohne weitere Substantiierung nur pauschal. Abgesehen davon, dass rein wirtschaftliche Erwägungen grundsätzlich nicht geeignet sind, eine Abweichung vom Regelwert nach unten zu begründen (BAG 9. Dezember 2015 – 10 AZR 423/14 – Rn. 30, BAGE 153, 378), hat der Gesetzgeber aus Rücksicht auf die durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG geschützte Pressefreiheit den mit der Einführung des Mindestlohns einhergehenden Mehrkosten für den Vertrieb von Zeitungen und Zeitschriften mit der Übergangsregelung des § 24 Abs. 2 MiLoG Rechnung getragen (vgl. BT-Drs. 18/2010 [neu] S. 25). Dagegen hat er in Kenntnis der üblichen frühmorgendlichen Zustellzeiten die Angemessenheit des Zuschlags für Nachtarbeit von Zeitungszustellerinnen und Zeitungszustellern nicht selbst bestimmt oder die Branche von der Zuschlagspflicht des § 6 Abs. 5 ArbZG ausgenommen und es somit bei den für alle Branchen geltenden, von der Rechtsprechung zu § 6 Abs. 5 ArbZG entwickelten Grundsätzen belassen.
(3) Bei der Festlegung der Höhe des Nachtarbeitszuschlags hat das Landesarbeitsgericht indes zu Lasten der Klägerin außer Betracht gelassen, dass sie im Streitzeitraum ihre reguläre Arbeitsleistung in Dauernachtarbeit erbracht hat und damit ein Umstand vorliegt, der ein „Abweichen nach oben” gebietet.
(a) Die Höhe des Zuschlags auf das Bruttoarbeitsentgelt kann sich erhöhen, wenn die Belastung durch die Nachtarbeit unter qualitativen (Art der Tätigkeit) oder quantitativen (Umfang der Nachtarbeit) Aspekten die normalerweise mit der Nachtarbeit verbundene Belastung übersteigt. Dies ist regelmäßig der Fall, wenn ein Arbeitnehmer nach seinem Arbeitsvertrag bzw. nach entsprechender Ausübung des Direktionsrechts durch den Arbeitgeber dauerhaft in Nachtarbeit tätig wird „Dauernachtarbeit”). Bei der Erbringung der regulären Arbeitsleistung in Dauernachtarbeit ist deshalb regelmäßig ein Nachtarbeitszuschlag von 30 % auf den Bruttostundenlohn (bzw. die Gewährung einer entsprechenden Anzahl freier Tage) als angemessen anzusehen (BAG 9. Dezember 2015 – 10 AZR 423/14 – Rn. 28 mwN, BAGE 153, 378; ErfK/Wank 18. Aufl. § 6 ArbZG Rn. 14; Schliemann ArbZG 3. Aufl. § 6 Rn. 87; Buschmann/Ulber ArbZG 8. Aufl. § 6 Rn. 30).
(b) Die Klägerin erbringt die von ihr geschuldete Arbeitsleistung nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ausschließlich zur Nachtzeit iSd. § 2 Abs. 3 ArbZG. Dabei arbeitet sie unstreitig pro Arbeitsnacht mehr als zwei Stunden, leistet also Nachtarbeit iSd. § 2 Abs. 4 ArbZG und ist – ebenfalls unstreitig – an mehr als 48 Tagen im Kalenderjahr tätig, also Nachtarbeitnehmerin (§ 2 Abs. 5 ArbZG). Sie hat deshalb grundsätzlich Anspruch auf einen Ausgleich nach § 6 Abs. 5 ArbZG durch Gewährung eines Zuschlags von 30 % auf den ihr – im Streitzeitraum nach § 24 Abs. 2 MiLoG – zustehenden Bruttostundenmindestlohn (vgl. BAG 9. Dezember 2015 – 10 AZR 423/14 – Rn. 40, BAGE 153, 378).
(c) Umstände, die trotz der Dauernachtarbeit einen geringeren Zuschlag als die regelmäßig festzusetzenden 30 % auf das dem Nachtarbeitnehmer zustehende Bruttoarbeitsentgelt rechtfertigen würden, hat das Landesarbeitsgericht nicht festgestellt und sind von der Beklagten in den Tatsacheninstanzen auch nicht dargelegt worden.
(aa) Aus der Art der Tätigkeit als Zeitungszustellerin ergeben sich keine Anhaltspunkte für die Annahme, die Belastung der Klägerin durch die Nachtarbeit sei geringer als diejenige anderer Beschäftigter, die Nachtarbeit leisten. Die Klägerin leistet beim Zustellen unstreitig Vollarbeit, Zeiten minderer Beanspruchung oder „Phasen der Entspannung” (vgl. BAG 11. Februar 2009 – 5 AZR 148/08 – Rn. 15) fallen somit nicht an.
(bb) Unerheblich ist bei Dauernachtarbeit, ob es sich beim Zeitungszustellen – wie die Beklagte in der Revisionsinstanz geltend macht – um „im Grundsatz leichte Arbeit” handelt. § 6 Abs. 5 ArbZG knüpft nicht an die Schwere der Tätigkeit als solcher, sondern an die besonderen Belastungen durch jede (Voll-)Arbeit in der Nachtzeit an. Soweit die Beklagte in diesem Zusammenhang darauf verweist, selbst Kinder ab 13 Jahren dürften Zeitungen zustellen (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 KindArbSchV), gilt dies gemäß § 2 Abs. 1 letzter Hs. KindArbSchV nur, wenn diese Beschäftigung nach § 5 Abs. 3 JArbSchG leicht und für sie geeignet ist. Zudem müssen die zulässigen Beschäftigungen für Kinder ab 13 Jahren im Übrigen den Schutzvorschriften des Jugendarbeitsschutzgesetzes entsprechen, § 2 Abs. 3 KindArbSchV, so dass eine Zustellung von Zeitungen durch Kinder ab 13 Jahren in der Nachtzeit des ArbZG und vor 08:00 Uhr morgens ausgeschlossen ist, § 5 Abs. 3 Satz 3 JArbSchG.
(cc) Ohne Belang ist ferner, dass die Klägerin nicht die gesamte Nachtzeit von 23:00 bis 06:00 Uhr arbeitet. Denn der Ausgleich nach § 6 Abs. 5 ArbZG ist für jede Arbeitsstunde, die in die Nachtzeit des § 2 Abs. 3 ArbZG fällt, zu gewähren (allgA, vgl. nur Schliemann ArbZG 3. Aufl. § 6 Rn. 88). Das Arbeitszeitgesetz wertet damit die Belastung der Nachtarbeitnehmer durch Nachtarbeit – vorbehaltlich der Begriffsbestimmung in § 2 Abs. 4 ArbZG – unabhängig davon, wie viele Arbeitsstunden in der Nachtzeit erbracht werden. Ist der Beschäftigte Nachtarbeitnehmer iSd. § 2 Abs. 5 ArbZG, verbietet sich eine „Staffelung” der Höhe des Zuschlags nach § 6 Abs. 5 ArbZG nach dem Umfang der geleisteten Nachtarbeitsstunden.
(dd) Auch die Annahme, die Zustelltätigkeit der Klägerin sei zwingend in der Nachtzeit erforderlich, so dass der mit dem Zuschlag verbundene Zweck, im Interesse der Gesundheit des Arbeitnehmers Nachtarbeit zu verteuern und auf diesem Wege einzuschränken, nicht erreichbar sei, rechtfertigt vorliegend kein anderes Ergebnis. Kann bei Dauernachtarbeit mit dem Zuschlag nach § 6 Abs. 5 ArbZG nur die mit der Nachtarbeit verbundene Erschwernis ausgeglichen werden, kommt ein „Abweichen nach unten” nur dann in Betracht, wenn – wie etwa im Rettungswesen – überragende Gründe des Gemeinwohls die Nachtarbeit zwingend erfordern (vgl. BAG 31. August 2005 – 5 AZR 545/04 – zu I 4 b der Gründe, BAGE 115, 372; 9. Dezember 2015 – 10 AZR 423/14 – Rn. 29, BAGE 153, 378). Solche liegen hier nicht vor.
5. Die tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts zum Umfang der im Streitzeitraum von der Klägerin geleisteten Nachtarbeit und sein Rechenwerk zur Ermittlung des Differenzanspruchs haben weder die Beklagte noch die Klägerin mit ihren Revisionen angegriffen. Auf dieser Grundlage ergeben sich zu dem vom Landesarbeitsgericht bereits ausgeurteilten Betrag weitere 480,50 Euro brutto als Differenz zwischen dem nach § 6 Abs. 5 ArbZG geschuldetem und dem von der Beklagten gezahltem Zuschlag für die Nachtarbeit der Klägerin.
6. Den Anspruch der Klägerin auf den gesetzlichen Nachtarbeitszuschlag hat die Beklagte mit der Zahlung des Mindestlohns nach § 24 Abs. 2 MiLoG nicht erfüllen können. Der Anspruch auf den Nachtarbeitszuschlag nach § 6 Abs. 5 ArbZG beruht auf einer besonderen gesetzlichen Zweckbestimmung und steht neben dem Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn nach dem Mindestlohngesetz. Wie durch die Zahlung des Nachtarbeitszuschlags der Mindestlohnanspruch nicht erfüllt wird (st. Rspr., zuletzt BAG 17. Januar 2018 – 5 AZR 69/17 – Rn. 16 mwN), kann umgekehrt auch eine Entgeltzahlung, welche die Höhe des gesetzlichen Mindestlohns nicht übersteigt, den Anspruch auf den Nachtarbeitszuschlag nicht nach § 362 Abs. 1 BGB zum Erlöschen bringen.
7. Zinsen für die noch offene Forderung kann die Klägerin zu den beantragten Zeitpunkten nach § 288 Abs. 1, § 286 Abs. 2 Nr. 1 iVm. § 614 Satz 2 BGB beanspruchen.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Linck, Volk, Biebl, E. Bürger, J. Schubert
Fundstellen
Haufe-Index 11905072 |
BAGE 2019, 340 |
BB 2018, 1075 |
BB 2018, 1971 |
BB 2019, 1147 |
DB 2018, 6 |
DStR 2018, 10 |