Leitsatz (redaktionell)
Die in § 55 TVK begründete Verpflichtung durch Tarifvertrag die Grundvergütungen und Tätigkeitszulagen für Musiker an rechtsverbindliche allgemeine Veränderungen der Grundvergütungen der unter den BAT fallenden Angestellten des Bundes sinngemäß anzupassen, umfaßt nicht die Verpflichtung in die tarifliche Anpassungsregelung andere Arbeitsbedingungen, wie z.B. über die Arbeitszeit, einzubeziehen.
Verfahrensgang
LAG Köln (Entscheidung vom 07.12.1995; Aktenzeichen 7. Dezember 1995 - 5 (3) Sa 589/95) |
ArbG Köln (Entscheidung vom 07.03.1995; Aktenzeichen 17 Ca 6896/94) |
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Auslegung des § 55 des zwischen ihnen abgeschlossenen Tarifvertrages für die Musiker in Kulturorchestern vom 1. Juli 1971 (TVK).
§ 55 TVK lautet wie folgt:
"Werden die Grundvergütungen der unter den Bundes-Angestelltentarifvertrag fallenden Angestellten des Bundes rechtsverbindlich allgemein geändert, sind die Grundvergütungen und Tätigkeitszulagen der Musiker diesen Veränderungen durch Tarifvertrag sinngemäß anzupassen."
Nach § 57 a Abs. 1 Buchst. l TVK gilt § 55 TVK für die neuen Bundesländer mit der Maßgabe, daß an die Stelle der Grundvergütungen der unter den BAT fallenden Angestellten des Bundes die Grundvergütungen der unter den BAT-O fallenden Angestellten des Bundes treten. Die in Anwendung des § 55 TVK abgeschlossenen Anpassungstarifverträge enthielten bisher ausschließlich Vergütungsregelungen und keine Bestimmungen über andere Arbeitsbedingungen. Lediglich bei im öffentlichen Dienst nach Vergütungsgruppen differenzierenden Vereinbarungen mit unterschiedlichen Prozentsätzen und unterschiedlichen Zeitpunkten des Inkrafttretens wurde über die sinngemäße Übertragung dieser Regelungen auf den Orchesterbereich verhandelt.
Nachdem durch den Vergütungstarifvertrag Nr. 29 zum BAT ab Januar 1994 Tariferhöhungen von linear 2 % vereinbart worden waren und gleichzeitig durch den 69. Änderungstarifvertrag zum BAT der Ausgleichszeitraum in § 15 Abs. 1 Satz 2 BAT von 8 auf 26 Wochen erweitert worden war, wollte der Beklagte bei den Verhandlungen über den 21. Tarifvertrag zur Durchführung des § 55 TVK sowie den 5. Tarifvertrag zur Durchführung des § 55 TVK im Beitrittsgebiet, auch eine Erweiterung des Ausgleichszeitraums nach § 15 Abs. 2 TVK auf 26 Kalenderwochen vereinbaren. Zur Begründung berief sich der Beklagte darauf, daß die Erhöhung der Grundvergütungen im BAT im sachlichen Zusammenhang mit der Erweiterung des Ausgleichszeitraums in § 15 Abs. 1 Satz 2 BAT gestanden habe.
Unter dem 13. Juni 1995 vereinbarten die Parteien Anpassungstarifverträge zur Regelung der Grundvergütungen und Tätigkeitszulagen der Musiker. Dabei wurde in den Anpassungstarifverträgen jeweils folgender Vorbehalt vereinbart:
"Die Wirksamkeit dieses Tarifvertrages steht unter dem Vorbehalt, daß in dem Rechtsstreit Deutsche Orchestervereinigung ./. Deutscher Bühnenverein (Arbeitsgericht Köln 17 Ca 6896/94) rechtskräftig sinngemäß festgestellt wird, daß der Deutsche Bühnenverein verpflichtet ist, die Grundvergütungen und Tätigkeitszulagen der unter den TVK fallenden Musiker den allgemeinen Änderungen der Grundvergütungen der unter den BAT fallenden Angestellten des Bundes durch Tarifvertrag sinngemäß anzupassen, ohne dies von einer Verlängerung des Ausgleichszeitraumes auf 26 Wochen mit entsprechender Erhöhung der Anzahl der 10-Dienste-Wochen in § 15 TVK abhängig zu machen."
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, nach § 55 TVK seien nur die Grundvergütungen und Tätigkeitszulagen der Änderung der Grundvergütung im BAT anzupassen. Die Verpflichtung zur "sinngemäßen" Anpassung beziehe sich auf Veränderungen, die durch die unterschiedliche Vergütungsstruktur notwendig seien. Die tarifliche Bestimmung verpflichte sie aber nicht, in die Verhandlungen über die Anpassungsregelung auch andere Arbeitsbedingungen, wie z.B. die Arbeitszeit, mit einzubeziehen. Dies entspreche auch nicht der bisherigen Vertragspraxis.
Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,
1. den Beklagten zu verurteilen, den von der Klägerin am 13.06.1994 übersandten und für sie bereits unterzeichneten 21. Tarifvertrag zur Durchführung des § 55 TVK durch seinen geschäftsführenden Direktor zu unterzeichnen und in einem vollständigen unterzeichneten Exemplar an die Klägerin zurückzugeben;
2. den Beklagten zu verurteilen, den von der Klägerin am 13.06.1994 übersandten und für sie bereits unterzeichneten 5. Tarifvertrag zur Durchführung des § 55 TVK im Beitrittsgebiet durch seinen geschäftsführenden Direktor zu unterzeichnen und in einem vollständig unterzeichneten Exemplar an die Klägerin zurückzugeben;
hilfsweise
3. festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet ist, die Grundvergütung und Tätigkeitszulagen der TVK-Musiker den Veränderungen bei den Grundvergütungen der unter den Bundes-Angestelltentarifvertrag fallenden Angestellten des Bundes durch Tarifvertrag sinngemäß anzupassen, ohne dies von der Vereinbarung manteltarifvertraglicher Regelungen zu anderen Arbeitsbedingungen abhängig zu machen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
die Verurteilung nur Zug um Zug gegen Verurteilung der Klägerin auszusprechen, wonach die Klägerin die Unterzeichnung der Tarifvertragsentwürfe vom 13.06.1994 nur unter der Voraussetzung verlangen kann, daß die Klägerin gleichzeitig der Verlängerung des Ausgleichszeitraums in § 15 Abs. 2 TVK bei Kultur-Orchestern von 8, bei Konzert-Orchestern von 12 auf jeweils 26 Kalenderwochen sowie der Erweiterung der Anzahl der Wochen, in denen innerhalb eines Ausgleichszeitraums ein Musiker zu 10 Diensten herangezogen werden kann, von 2 auf 6 Wochen bei Kultur-Orchestern und auf 4 Wochen bei Konzert-Orchestern ausgedehnt wird;
äußerst hilfsweise im Wege der Eventualklage,
festzustellen, daß die Klägerin verpflichtet ist, bei einer sinngemäßen Anpassung der Grundvergütungen und Tätigkeitszulagen der TVK-Musiker entsprechend den Veränderungen bei den Grundvergütungen der unter den Bundes-Angestelltentarifvertrag fallenden Angestellten des Bundes die sinngemäße Übernahme von Art und Umfang der Arbeitsbedingungen zu vereinbaren, die mit der Änderung von Vergütungen der BAT-Angestellten verbunden worden sind.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, die Klage sei hinsichtlich der beantragten Feststellung unzulässig und außerdem auch unbegründet. In die Verhandlungen über die Anpassung der Grundvergütungen und Tätigkeitszulagen an die Veränderung der Grundvergütungen im BAT bzw. BAT-O seien nach § 55 TVK auch die Veränderungen im BAT bzw. BAT-O einzubeziehen, die in einem sachlichen Zusammenhang mit den Vergütungsregelungen vereinbart worden seien. Dies folge daraus, daß zu einer Regelung über die Höhe der Vergütung auch eine Regelung über die dafür zu erbringende Gegenleistung und damit auch eine Regelung über eine Flexibilisierung im Bereich der Arbeitszeit gehöre.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. In der Berufungsinstanz hat die Klägerin beantragt,
es wird festgestellt, daß der Beklagte verpflichtet ist, die Grundvergütung und Tätigkeitszulagen der TVK-Musiker den Veränderungen bei den Grundvergütungen der unter den Bundesangestelltentarif fallenden Angestellten des Bundes durch Tarifvertrag sinngemäß anzupassen, ohne dies von der Vereinbarung manteltarifvertraglicher Regelungen zu anderen Arbeitsbedingungen abhängig zu machen.
Hilfsweise:
Es wird festgestellt, daß der Beklagte verpflichtet ist, die Grundvergütungen und Tätigkeitszulagen der TVK-Musiker den Veränderungen bei den Grundvergütungen der unter den Bundesangestelltentarif fallenden Angestellten des Bundes durch Tarifvertrag auch dann sinngemäß anzupassen, ohne dies vom Abschluß weiterer tariflicher Ersatzvereinbarungen abhängig zu machen, wenn die Veränderung der Grundvergütung des BAT dort nur im Zusammenhang mit dem Abschluß von tariflichen Ersatzvereinbarungen erfolgte.
Die Beklagte hat beantragt, die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise,
es wird festgestellt, daß die Klägerin verpflichtet ist, bei einer sinngemäßen Anpassung der Grundvergütungen und Tätigkeitszulagen der TVKMusiker entsprechend den Veränderungen bei den Grundvergütungen der unter den Bundesangestelltentarifvertrag fallenden Angestellten des Bundes die sinngemäße Übernahme von Art und Umfang der Arbeitsbedingungen zu vereinbaren, die mit der Änderung von Grundvergütungen der BAT-Angestellten verbunden worden sind.
Das Landesarbeitsgericht hat dem Hilfsantrag der Klägerin stattgegeben, die weitergehende Berufung zurückgewiesen und die Widerklage des Beklagten abgewiesen. Mit der Revision begehrt der Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage im Umfang der von der Klägerin mit dem Hilfsantrag beantragten Feststellung zu Recht stattgegeben. Aus § 55 TVK ergibt sich kein Verhandlungsanspruch des Beklagten, in die tarifliche Anpassungsregelung in bezug auf die Grundvergütungen und Tätigkeitszulagen andere Arbeitsbedingungen, wie z.B. die Arbeitszeit, mit einzubeziehen.
I. Die Klage ist zulässig.
1. Der Klageantrag ist hinreichend bestimmt i.S.v. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Aus dem Klageantrag i.V.m.d. Sachvortrag der Klägerin ergibt sich, in welchem Umfange die Klägerin die Feststellung der in § 55 TVK begründeten Anpassungsregelung begehrt.
2. Für die Klage besteht auch das nach § 256 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse.
Dieses ergibt sich schon daraus, daß die Tarifvertragsparteien die Wirksamkeit der unter dem 13. Juni 1995 vereinbarten Tarifverträge ausdrücklich von der rechtskräftigen Feststellung des zwischen ihnen streitigen Umfanges der sich aus § 55 TVK ergebenden Rechte und Pflichten abhängig gemacht haben. Die begehrte Feststellung ist geeignet, diesen Streit der Parteien beizulegen und zu einer abschließenden Klärung des Inhalts der Anpassungsregelung in § 55 TVK auch für die Zukunft zu führen (vgl. auch BAG Urteil vom 7. November 1995 - 3 AZR 952/94 - AP Nr. 1 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bühnen zu einer entsprechenden Anpassungsregelung für Bühnenmitglieder).
II. Die Klage ist auch begründet.
Der Beklagte ist verpflichtet, die Grundvergütungen und Tätigkeitszulagen der Musiker den Veränderungen der Grundvergütungen der unter den BAT bzw. den BAT-O fallenden Angestellten des Bundes durch Tarifvertrag sinngemäß anzupassen, ohne dies vom Abschluß weiterer tariflicher Vereinbarungen abhängig zu machen, die im Zusammenhang mit der Veränderung der Grundvergütungen im BAT bzw. BAT-O vereinbart wurden. Dies folgt aus der Auslegung der dem schuldrechtlichen Teil des Tarifvertrages zuzuordnenden Bestimmung des § 55 TVK nach den Grundsätzen der §§ 139, 157 BGB (vgl. Zachert in Kempen/Zachert, TVG, 3. Aufl., Grundlagen Rz 305 m.w.N.; Wiedemann/Stumpf, TVG, 5. Aufl., § 1 Rz 413).
1. Nach dem Wortlaut der Bestimmung des § 55 TVK bezieht sich die Verpflichtung zur tariflichen Anpassung bei einer rechtsverbindlichen allgemeinen Änderung der Grundvergütungen der unter den BAT fallenden Angestellten nur auf die Grundvergütungen und Tätigkeitszulagen der Musiker. Mit Grundvergütung verwenden die Tarifvertragsparteien einen Begriff, der in den tariflichen Bestimmungen der §§ 21 Buchst. a, 23 TVK im einzelnen erläutert ist. Gleiches gilt für die Tätigkeitszulagen in §§ 21 Buchst. d, 26 TVK.
Schon daraus folgt, daß sich der durch § 55 TVK begründete Verhandlungsanspruch nur auf diese Vergütungsbestandteile und nicht allgemein auf alle tariflichen Arbeitsbedingungen bezieht, die im Zusammenhang mit den Veränderungen der Grundvergütung im BAT vereinbart wurden.
Da in den Bestimmungen des TVK im einzelnen geregelt ist, wie sich die Grundvergütungen und Tätigkeitszulagen der Musiker bemessen, kann nicht davon ausgegangen werden, daß in die Anpassungstarifverträge auch Arbeitszeitregelungen einzubeziehen sind. Dies gilt auch, wenn ein Entgegenkommen der Arbeitnehmerseite in bezug auf diese Regelungen für die von der Arbeitgeberseite zugestandene Lohnerhöhung ausschlaggebend war.
2. Dies folgt auch aus dem Sinn und Zweck der Anpassungsregeregelung. § 55 TVK stellt hinsichtlich der Anpassung der Grundvergütungen und Tätigkeitszulagen eine spezielle Regelung dar, die sich von den übrigen Veränderungsmöglichkeiten tariflicher Arbeitsbedingungen unterscheidet.
Diese können, sofern kein Einvernehmen der Tarifvertragsparteien besteht, nur nach vorheriger Kündigung nach näherer Maßgabe des § 59 TVK zum Gegenstand von Tarifverhandlungen gemacht werden. Dabei haben die Tarifvertragsparteien dem Bedürfnis, Veränderungen im Bereich der Vergütung (§§ 21, 23, 26 TVK) im Zusammenhang mit Veränderungen im Bereich der Arbeitszeit (§ 15 TVK) auch besonders Rechnung getragen, indem sie insoweit eine verkürzte Kündigungsfrist vorgesehen haben. Aus dieser Regelung ist zu entnehmen, daß der Beklagte Veränderungen der tariflichen Bestimmungen im Bereich der Arbeitszeit nicht im Rahmen eines Anpassungstarifvertrages nach § 55 TVK, sondern nur nach vorheriger Kündigung der Regelung über die dienstliche Inanspruchnahme (§ 15 TVK) fordern kann.
3. Diese Auslegung des § 55 TVK wird auch durch die bisherige Vertragspraxis bestätigt. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts enthielten die Anpassungstarifverträge bisher ausschließlich Vergütungsregelungen und keine Bestimmungen über andere Arbeitsbedingungen.
4. Ein Anspruch des Beklagten auf die Einbeziehung weiterer tariflicher Arbeitsbedingungen in die Anpassungsregelung nach § 55 TVK ergibt sich auch nicht daraus, daß in der tariflichen Bestimmung eine "sinngemäße" Anpassung durch Tarifvertrag geschuldet wird.
Die Tarifvertragsparteien haben mit dem Erfordernis einer "sinngemäßen" Anpassung dem Umstand Rechnung getragen, daß das Vergütungssystem für die Musiker im TVK anders strukturiert ist als das der unter den BAT fallenden Angestellten. Veränderungen der Grundvergütungen im BAT muß durch eine Anpassung der Grundvergütungen und der die Gesamtvergütung der Musiker wesentlich mitbestimmenden Tätigkeitszulagen Rechnung getragen werden muß. Eine "sinngemäße" Anpassung ist auch in den Fällen notwendig und in der Vergangenheit nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts praktiziert worden, in denen bei Vergütungserhöhungen im Bereich des BAT nach Vergütungsgruppen differenziert wurde und diese Differenzierung auf die Vergütung der Musiker schon deshalb nicht unmittelbar, sondern nur "sinngemäß" übertragen werden konnte, weil insbesondere den unteren Vergütungsgruppen des BAT entsprechende Vergütungsgruppen im Bereich des TVK nicht vereinbart sind.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Fundstellen
FA 1998, 29 |
FA 1998, 66 |
NZA 1998, 381 |
RdA 1998, 126 |