Entscheidungsstichwort (Thema)
(Teil-)freigestelltes Betriebsratsmitglied. Vergütung
Verfahrensgang
Hessisches LAG (Urteil vom 13.06.2023; Aktenzeichen 12 Sa 1293/22) |
ArbG Kassel (Urteil vom 01.06.2022; Aktenzeichen 6 Ca 197/21) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 13. Juni 2023 - 12 Sa 1293/22 - aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Rz. 1
Die Parteien streiten über die Zahlung einer Wechselschichtzulage, von Zuschlägen für Nacht- und Sonntagsarbeit sowie Vergütung für Rufbereitschaft.
Rz. 2
Der Kläger wurde zum 1. Juni 2013 von dem Beklagten, der als gemeinnütziger Verein ua. einen Rettungsdienst betreibt, als Notfallsanitäter eingestellt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der 3. Manteltarifvertrag für die Beschäftigten beim ASB Landesverband Hessen e.V. (MTV-ASB-H) in seiner jeweils gültigen Fassung kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme Anwendung.
Rz. 3
Der mit 38,5 Stunden pro Woche in Vollzeit tätige Kläger ist Mitglied des beim Beklagten gebildeten Betriebsrats. Ab März 2020 war er zunächst mit einem Zeitanteil von 80 % seiner Arbeitszeit, seit Juni 2022 ist er vollständig von seiner beruflichen Tätigkeit freigestellt. Vor dem Beginn der Freistellung war der Kläger ausschließlich in Wechselschicht tätig, weswegen er die streitgegenständlichen, im MTV-ASB-H geregelten Vergütungsbestandteile erhielt. Seine Betriebsratstätigkeit übt der Kläger von Montag bis Freitag zu sog. üblichen Bürozeiten (von ca. 08:00 Uhr bis ca. 17:00 Uhr) aus. Die Erbringung von Arbeitsleistung während dieser Zeiten erfüllt nicht die tariflichen Voraussetzungen der streitgegenständlichen Zulagen und Zuschläge sowie der Rufbereitschaftsvergütung.
Rz. 4
Mit seiner Klage hat der Kläger nach einer Tariflohnerhöhung zunächst die Zahlung einer höheren tariflichen Wechselschichtzulage, von Zuschlägen für Nacht- und Sonntagsarbeit sowie von Vergütung für Rufbereitschaft in Höhe der jeweiligen Differenz zu der von dem Beklagten ohne Anerkennung einer Rechtspflicht tatsächlich gezahlten Wechselschichtzulage sowie einer sog. Zulagenpauschale für den Zeitraum Januar 2021 bis Oktober 2021 geltend gemacht. In der Berufungsinstanz hat er seine Klage um den Zeitraum bis einschließlich September 2022 erweitert, seine Ansprüche neu berechnet und die Berufung im Umfang eines Rechenfehlers sowie bzgl. der Zinsen teilweise zurückgenommen.
Rz. 5
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, er habe Anspruch auf die Fortzahlung der geltend gemachten Zulagen, Zuschläge sowie Vergütung für Rufbereitschaft, da er diese, wenn er nicht freigestellt wäre, aufgrund der Arbeit im Schichtsystem weiterhin erhalten würde. Er habe seine Betriebsratsarbeit nicht eigenmächtig oder auf Grundlage einer Vereinbarung mit dem Beklagten in die Tagesarbeitszeiten verlegt, sondern übe sie zu den Zeiten aus, die insbesondere seine Teilnahme an Betriebsrats- bzw. Gesamtbetriebsratssitzungen, die Wahrnehmung von Aufgaben gegenüber dem Beklagten und die Ansprechbarkeit für die ausschließlich tagsüber tätigen Arbeitnehmer vorgäben.
Rz. 6
Der Kläger hat - soweit für die Revision von Bedeutung - zuletzt beantragt,
|
den Beklagten zu verurteilen, an ihn 2.236,57 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils 60,32 Euro seit dem 1. März 2021, dem 1. April 2021, dem 1. Mai 2021, dem 1. Juni 2021, dem 1. Juli 2021 und dem 1. August 2021, aus jeweils 95,32 Euro seit dem 1. September 2021, dem 1. Oktober 2021, dem 1. November 2021, dem 1. Dezember 2021, dem 1. Januar 2022 und dem 1. Februar 2022, aus jeweils 122,17 Euro seit dem 1. März 2022, dem 1. April 2022, dem 1. Mai 2022, dem 1. Juni 2022 und dem 1. Juli 2022 sowie aus jeweils 172,97 Euro seit dem 1. August 2022, dem 1. September 2022, dem 1. Oktober 2022 und dem 1. November 2022 zu zahlen. |
Rz. 7
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Auffassung vertreten, der Kläger habe dadurch, dass er die Zeiten seiner Betriebsratstätigkeit eigenständig aus der Wechselschicht heraus verlegt und der Beklagte dies geduldet habe, die streitgegenständlichen Vergütungsbestandteile nicht ins Verdienen gebracht. Würde er sie gleichwohl erhalten, würde er in unzulässiger Weise gegenüber den anderen in Tagschicht tätigen Arbeitnehmern bevorzugt.
Rz. 8
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit seiner vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Zahlungsantrag in der zuletzt geltend gemachten Höhe weiter. Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Rz. 9
Die zulässige Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht.
Rz. 10
I. Das Landesarbeitsgericht hat einen Anspruch des Klägers auf Zahlung der Wechselschichtzulage sowie weiterer Zuschläge für Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit sowie Rufbereitschaft aus § 611a Abs. 2 BGB iVm. § 37 Abs. 2 BetrVG iVm. § 5 Abs. 9, § 8 Abs. 1 und 2 MTV-ASB-H mit unzutreffender Begründung verneint. Anders als vom Landesarbeitsgericht angenommen, ist der Anspruch auf Zahlung der streitgegenständlichen Zulagen und Zuschläge sowie der Rufbereitschaftsvergütung nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Kläger seine Betriebsratstätigkeit zu Zeiten erbringt, für die nach den tariflichen Regelungen diese Leistungen nicht zu erbringen sind. Entscheidend ist, wann der Kläger, wenn er nicht als Betriebsratsmitglied von seiner beruflichen Tätigkeit befreit gewesen wäre, seine Arbeitsleistung als Notfallsanitäter erbracht hätte.
Rz. 11
1. Die Mitglieder des Betriebsrats führen ihr Amt gem. § 37 Abs. 1 BetrVG unentgeltlich als Ehrenamt. Nach § 37 Abs. 2 BetrVG sind sie von ihrer beruflichen Tätigkeit ohne Minderung des Arbeitsentgelts zu befreien, wenn und soweit es zur ordnungsgemäßen Durchführung ihrer Aufgaben erforderlich ist. Das Verbot der Entgeltminderung soll die Bereitschaft des Arbeitnehmers zur Übernahme eines Betriebsratsamts fördern, indem es ihm die Befürchtung nimmt, Einkommenseinbußen durch die Wahrnehmung eines Ehrenamts zu erleiden (BAG 14. Oktober 2020 - 7 AZR 286/18 - Rn. 27).
Rz. 12
a) Die Regelung des § 37 Abs. 2 BetrVG begründet keinen eigenständigen Vergütungsanspruch, sondern sichert den Entgeltanspruch des Betriebsratsmitglieds, indem sie dem Arbeitgeber den Einwand des nicht erfüllten Vertrags nimmt. Sie konkretisiert hinsichtlich der Vergütung das allgemeine Benachteiligungsverbot des § 78 Satz 2 BetrVG. Die Vorschrift gilt für alle Betriebsratsmitglieder unabhängig von einer etwaigen Freistellung nach § 38 BetrVG. Das Verbot der Minderung des Arbeitsentgelts bedeutet, dass dem Betriebsratsmitglied das Arbeitsentgelt weiterzuzahlen ist, das es verdient hätte, wenn es keine Betriebsratstätigkeit geleistet, sondern gearbeitet hätte. Das Arbeitsentgelt ist nach dem Lohnausfallprinzip fortzuzahlen. Die Berechnung der geschuldeten Vergütung nach dem Lohnausfallprinzip erfordert eine hypothetische Betrachtung, welches Arbeitsentgelt das Betriebsratsmitglied ohne die Arbeitsbefreiung verdient hätte (BAG 14. Oktober 2020 - 7 AZR 286/18 - Rn. 27 mwN).
Rz. 13
b) Zum Arbeitsentgelt iSv. § 37 Abs. 2 BetrVG gehören alle Vergütungsbestandteile, nicht dagegen Aufwendungsersatz. Zu dem Arbeitsentgelt zählen neben der Grundvergütung insbesondere Zuschläge für Mehr-, Über-, Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit (zum Ganzen BAG 29. August 2018 - 7 AZR 206/17 - Rn. 31 mwN; ebenso zum Vergütungsanspruch eines Personalratsmitglieds BAG 16. November 2011 - 7 AZR 458/10 - Rn. 16).
Rz. 14
2. In Anwendung dieser Grundsätze hat das Landesarbeitsgericht die streitgegenständlichen Ansprüche des Klägers nach § 611a Abs. 2 BGB iVm. § 37 Abs. 2 BetrVG iVm. § 5 Abs. 9, § 8 Abs. 1 und 2 MTV-ASB-H mit einer rechtsfehlerhaften Begründung verneint.
Rz. 15
a) Das Landesarbeitsgericht hat im Hinblick auf § 37 Abs. 2 BetrVG im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe die Betriebsratsarbeit nicht zu den zuschlagspflichtigen Zeiten erbracht. Darauf - und nicht auf der Freistellung - beruhe der Verlust der streitgegenständlichen Vergütungsbestandteile. Zwar gebe es im Streitfall keine ausdrückliche Vereinbarung; maßgebend sei insoweit, dass der Kläger die Zeiten der Betriebsratstätigkeit eigenverantwortlich wähle und damit für die geänderte Arbeitszeitlage verantwortlich sei.
Rz. 16
b) Mit dieser Begründung übersieht das Landesarbeitsgericht, dass für die Beurteilung, ob bestimmte Vergütungsbestandteile zu dem nach § 37 Abs. 2 BetrVG fortzuzahlenden Arbeitsentgelt gehören, allein maßgeblich ist, ob das Betriebsratsmitglied - hätte es im streitigen Zeitraum keine Betriebsratstätigkeit geleistet, sondern gearbeitet - diese Vergütungsbestandteile in der entsprechenden Höhe verdient hätte (vgl. BAG 29. August 2018 - 7 AZR 206/17 - Rn. 38) und nicht, ob es sich die streitgegenständlichen Vergütungsbestandteile durch eine entsprechende zeitliche Lage seiner Betriebsratstätigkeit „verdient“ hat.
Rz. 17
aa) Werden im aktiven Arbeitsverhältnis Zuschläge für die Erschwernis der Arbeit zu ungünstigen Zeiten gewährt, etwa für Sonntagsarbeit, Nachtarbeit, Arbeit an Feiertagen oä., die nach § 37 Abs. 2 BetrVG zum fortzuzahlenden Entgelt zählen, stehen diese einem vollständig oder teilweise freigestellten Betriebsratsmitglied auch dann zu, wenn es aufgrund seiner Amtstätigkeit tatsächlich überhaupt keine Arbeitstätigkeiten und auch keine Tätigkeiten zu den zuschlagsrelevanten ungünstigen Zeiten geleistet hat (vgl. für den Fall der Vollfreistellung nach § 38 BetrVG BAG 29. August 2018 - 7 AZR 206/17 - Rn. 39 mwN).
Rz. 18
bb) Im Rahmen der hypothetischen Betrachtung („hätte es im streitigen Zeitraum keine Betriebsratstätigkeit geleistet, sondern gearbeitet“) ist nicht der konkrete Zeitraum, zu dem das Betriebsratsmitglied die Tätigkeiten für den Betriebsrat erbracht hat (hier die sog. üblichen Bürozeiten), in den Blick zu nehmen. Zu untersuchen ist vielmehr der gesamte Zeitraum, für den das Betriebsratsmitglied Entgelt begehrt - vorliegend also der Zeitraum von Januar 2021 bis einschließlich September 2022. Für diesen Zeitraum ist zu ermitteln, wann das Betriebsratsmitglied welche Arbeitsleistungen erbracht hätte, wenn es nicht (teilweise) von seiner beruflichen Tätigkeit freigestellt gewesen wäre.
Rz. 19
cc) Allein der Umstand, dass der Kläger die Betriebsratstätigkeit während der sog. üblichen Bürozeit erbracht hat, stellt keinen Anhaltspunkt dafür dar, dass er auch dann, wenn er nicht für die Betriebsratstätigkeit ganz oder teilweise freigestellt worden wäre, die Arbeit ebenfalls zu dieser Zeit erbracht hätte.
Rz. 20
(1) Eine gegenteilige Wertung gibt auch der Ansatz in der Entscheidung des Senats vom 18. Mai 2016 (- 7 AZR 401/14 -) nicht vor.
Rz. 21
(a) Die dortigen Parteien hatten sich auf eine generelle Teilfreistellung des klagenden Betriebsratsmitglieds in einer nicht zuschlagspflichtigen Zeit (11:00 Uhr - 14:30 Uhr) geeinigt und einvernehmlich seinen tatsächlichen Arbeitsbeginn um zwei Stunden (von 04:00 Uhr auf 06:00 Uhr) aus dem nachtzuschlagspflichtigen Zeitraum heraus verschoben (BAG 18. Mai 2016 - 7 AZR 401/14 - Rn. 4).
Rz. 22
(b) Der Entfall der mit der Wechselschicht verbundenen Erschwernisse beruht vorliegend ausschließlich auf der (Teil-)Freistellung des Klägers als Betriebsratsmitglied. Die Parteien des Streitfalls haben keine Änderung des Arbeitsvertrags dahingehend vereinbart, dass der Kläger nicht mehr in Wechselschicht tätig wird, wenn das Betriebsratsamt beendet ist bzw. keine Freistellung mehr vorliegt. Dies hat der Beklagte im Rahmen des Kammertermins beim Landesarbeitsgericht auf entsprechende Nachfrage ausdrücklich klargestellt. Eine Verletzung des Lohnausfallprinzips läge nur vor, wenn sich die Aufgaben und/oder die Arbeitszeiten des Klägers unabhängig von seiner Freistellung als Betriebsratsmitglied im streitbefangenen Zeitraum geändert hätten und der Beklagte dennoch die zusätzlichen Leistungen erbringen würde (vgl. zur Funktion eines freigestellten Personalratsmitglieds als IT-Fachbetreuer BAG 16. November 2011 - 7 AZR 458/10 - Rn. 20).
Rz. 23
(c) Anders als das Landesarbeitsgericht und der Beklagte meinen, ergibt sich auch nichts Anderes aus dem Umstand, dass der Kläger die zeitliche Lage seiner Betriebsratstätigkeit eigenverantwortlich bestimmt und der Beklagte dies geduldet und bei der Dienstplanung berücksichtigt haben soll. Allein aus einem solchen tatsächlichen Verhalten ergeben sich - insbesondere auch vor dem Hintergrund des Regelungsgehalts von § 37 Abs. 3 BetrVG (vgl. hierzu etwa BAG 15. Mai 2019 - 7 AZR 396/17 - Rn. 24) - keine hinreichenden Anhaltspunkte für einen auf die Abänderung des Arbeitsvertrags gerichteten rechtsgeschäftlichen Willen der Parteien.
Rz. 24
(d) Selbst wenn der Kläger - worauf die Ausführungen in der Berufungsbegründung hindeuten könnten - anlässlich seiner Teilfreistellung zwischenzeitlich von dem Beklagten aus seinem früheren Wechselschichtmodell herausgenommen worden sein sollte, führte auch dieser Umstand nicht zum Entfall der streitgegenständlichen Vergütungsbestandteile, solange nicht eine weitere Ursache ihren Entfall begründete.
Rz. 25
(2) Anders als die Vorinstanzen meinen, kommt es bei der Frage, ob die streitgegenständlichen Zuschläge und Zulagen auch während der Zeit der Freistellung des Klägers fortzuzahlen sind, nicht darauf an, ob der Kläger die Betriebsratsarbeit grundsätzlich auch in Wechselschicht erbringen könnte. Diese Frage ist nicht Gegenstand des Lohnausfallprinzips iRv. § 37 Abs. 2 BetrVG und damit nicht Voraussetzung für den Vergütungsanspruch des (teil-)freigestellten Betriebsratsmitglieds. Nach der dargestellten Rechtsprechung des Senats erfordert das Lohnausfallprinzip eine hypothetische Betrachtung, wie das nunmehr (teil-)freigestellte Betriebsratsmitglied ohne die (Teil-)Freistellung gearbeitet hätte und welche Vergütungsbestandteile, insbesondere welche Zuschläge und Zulagen es dabei verdient hätte (vgl. zur Mehrarbeitsvergütung BAG 12. Dezember 2000 - 9 AZR 508/99 - zu I 2 c bb der Gründe, BAGE 96, 344). Das (teil-)freigestellte Betriebsratsmitglied muss sich die entsprechenden Zulagen und Zuschläge gerade nicht „verdienen“. Dies liefe dem Ehrenamtsprinzip aus § 37 Abs. 1 BetrVG diametral zuwider. Das übersehen sowohl die Vorinstanzen als auch der Beklagte, wenn sie allein auf die konkreten Zeiten der Betriebsratstätigkeit abstellen wollen.
Rz. 26
(3) Auch wenn der Kläger seine Betriebsratstätigkeit ggf. zur „falschen Zeit“ erbracht haben sollte, wäre die Rechtsfolge nicht eine Kürzung des Entgelts um Zulagen und Zuschläge. Aus diesem Grund kommt es nicht auf die Frage an, ob der Kläger berechtigt wäre, seine gesamte Betriebsratstätigkeit eigeninitiativ in die sog. üblichen Bürozeiten von ca. 08:00 Uhr bis ca. 17:00 Uhr zu verlagern. Es geht im Streitfall nicht um die Vergütung für die Zeit, in der der Kläger außerhalb seiner Arbeitszeit Betriebsratsarbeit geleistet hat, sondern um den Anspruch auf Vergütung während der Arbeitsfreistellung (vgl. auch Fitting BetrVG 32. Aufl. § 37 Rn. 102). Der Fokus liegt damit einzig auf der Frage, ob er diese Vergütungsbestandteile auch dann erhalten würde, wenn er nicht zur Erbringung von Betriebsratstätigkeit von der Arbeitsleistung (ganz oder teilweise) freigestellt wäre.
Rz. 27
dd) Der Kläger wird auch nicht entgegen § 78 Satz 2 BetrVG in ungerechtfertigter Weise bevorzugt, wenn er Vergütungsbestandteile erhält, die der Abgeltung von Erschwernissen dienen, denen er - im Gegensatz zu den weiterhin in Wechselschicht tätigen Notfallsanitätern - faktisch nicht unterliegt.
Rz. 28
(1) Nach § 78 Satz 2 BetrVG dürfen Mitglieder des Betriebsrats wegen ihrer Betriebsratstätigkeit weder benachteiligt noch begünstigt werden. Die Regelung dient - ebenso wie das Ehrenamtsprinzip (§ 37 Abs. 1 BetrVG) - der inneren und äußeren Unabhängigkeit der Betriebsratsmitglieder. Eine Begünstigungsabsicht ist nicht erforderlich. Für eine Begünstigung iSd. Vorschrift genügt die objektive Besserstellung gegenüber Nichtbetriebsratsmitgliedern. Eine nach § 78 Satz 2 BetrVG untersagte Begünstigung ist jede Besserstellung im Vergleich zu anderen Arbeitnehmern, die nicht auf sachlichen Gründen, sondern auf der Tätigkeit als Betriebsratsmitglied beruht (zum Ganzen BAG 29. August 2018 - 7 AZR 206/17 - Rn. 33 mwN).
Rz. 29
(2) Das Begünstigungsverbot des § 78 Satz 2 BetrVG lässt es regelmäßig nicht zu, dem Mandatsträger wegen seiner Amtsstellung eine während der Mandatstätigkeit weiterzuzahlende Vergütung zuzusagen, die über das gesetzlich geregelte Maß hinausgeht (vgl. BAG 29. August 2018 - 7 AZR 206/17 - Rn. 34 mwN). Dabei ist zu beachten, dass § 37 Abs. 2 bis 4 BetrVG insoweit keine abschließenden Regelungen über die Höhe des Arbeitsentgelts des Amtsträgers enthalten, als sich aus § 78 Satz 2 BetrVG iVm. § 611a Abs. 2 BGB ein unmittelbarer Anspruch des Betriebsratsmitglieds auf eine bestimmte Vergütung ergeben kann, wenn sich die Zahlung einer geringeren Vergütung als Benachteiligung des Betriebsratsmitglieds wegen seiner Betriebsratstätigkeit darstellt (vgl. BAG 20. Januar 2021 - 7 AZR 52/20 - Rn. 23). Im Falle einer über das gesetzliche Maß hinausgehenden Vergütung aus Anlass der Amtsstellung erhielten Betriebsratsmitglieder einen Sondervorteil gegenüber anderen Arbeitnehmern, die keine entsprechende Verdiensterhöhung erlangen können (vgl. BAG 29. August 2018 - 7 AZR 206/17 - aaO; vgl. etwa zu einer pauschalen Stundenvergütung zur Abgeltung von Betriebsratstätigkeit BAG 8. November 2017 - 5 AZR 11/17 - Rn. 31, BAGE 161, 33; 16. Februar 2005 - 7 AZR 95/04 - zu I 1 der Gründe).
Rz. 30
(3) Danach wäre vorliegend das Begünstigungsverbot durch die vom Kläger begehrte Zahlung nicht tangiert.
Rz. 31
(a) Ergibt die hypothetische Betrachtung, dass der Kläger ohne die (Teil-)Freistellung - wie von ihm behauptet - seine Arbeitsleistung zu Zeiten erbracht hätte, die die Voraussetzungen der streitgegenständlichen tariflichen Ansprüche erfüllen, entspricht ihre Zahlung den Vorgaben des § 37 Abs. 2 BetrVG. Der Kläger erhielte keine über das gesetzliche Maß hinausgehende Zahlung.
Rz. 32
(b) Im Übrigen verkennt der Beklagte, dass die im Rahmen der Prüfung des Begünstigungsverbots maßgebliche Vergleichsgruppe nicht aus den ausschließlich in Tagschicht tätigen Notfallsanitätern, sondern aus den in Wechselschicht tätigen Notfallsanitätern besteht. Denn der Kläger war vor seiner (Teil-)Freistellung als Notfallsanitäter in Wechselschicht tätig. Im Verhältnis zu diesen würde der Kläger nicht bessergestellt. Letztlich kommt es maßgeblich darauf an, was der Kläger am Ende des Monats an Vergütung erhält und nicht darauf, ob er den gleichen Erschwernissen wie die „normal“ arbeitenden Kollegen auch iRd. Betriebsratstätigkeit unterliegt. Umgekehrt kann gerade der (potentielle) Verlust von Vergütungsbestandteilen wegen der (Teil-)Freistellung für Betriebsratstätigkeit eine nach § 78 Satz 2 BetrVG nicht zulässige Benachteiligung darstellen. Ein solcher Verlust kann sich überdies negativ auf die Bereitschaft auswirken, für den Betriebsrat zu kandidieren, und daher potentielle Wahlbewerber hiervon abhalten; genau dies soll das in § 37 Abs. 2 BetrVG verankerte Entgeltausfallprinzip verhindern.
Rz. 33
II. Der Senat kann nicht selbst entscheiden, ob dem Kläger die Ansprüche in der geltend gemachten Höhe zustehen. Das Landesarbeitsgericht hat - aus seiner Sicht konsequent - keine Feststellungen dazu getroffen, zu welchen Zeiten der Kläger seine Arbeitsleistung als Notfallsanitäter ohne die Freistellung erbracht hätte. Eine abschließende Beurteilung der streitgegenständlichen Ansprüche ist dem Senat daher nicht möglich. Die Sache ist gemäß § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO an das Landesarbeitsgericht zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts zurückzuverweisen.
Rz. 34
Im Hinblick auf die Berechnung der streitgegenständlichen Ansprüche weist der Senat für das fortgesetzte Berufungsverfahren auf Folgendes hin:
Rz. 35
1. Die Berechnung der geschuldeten Vergütung nach dem Lohnausfallprinzip erfordert eine hypothetische Betrachtung, welches Arbeitsentgelt das Betriebsratsmitglied ohne die Arbeitsbefreiung verdient hätte. Zur Berechnung der hypothetischen Vergütung ist die Methode zu wählen, die dem Lohnausfallprinzip am besten gerecht wird. Dabei sind die Besonderheiten des jeweiligen Vergütungsbestandteils zu berücksichtigen. Gegebenenfalls ist bei schwankenden Bezügen eine Schätzung nach den Grundsätzen des § 287 Abs. 2 ZPO vorzunehmen (zum Ganzen BAG 12. Juni 2024 - 7 AZR 141/23 - Rn. 24; 29. April 2015 - 7 AZR 123/13 - Rn. 14 jew. mwN).
Rz. 36
2. Um für den Zeitraum seiner Teilfreistellung eine rechnerische Benachteiligung oder Begünstigung iSv. § 78 Satz 2 BetrVG zu vermeiden, darf der Kläger keine bloß anteilige Berechnung für den auf die Freistellung entfallenden Teil seiner Arbeitszeit vornehmen. Er hat vielmehr den gesamten fiktiven Betrag zu berechnen und von diesem sowohl die gezahlte Zulagenpauschale als auch den gezahlten Betrag für tatsächlich geleistete zuschlagspflichtige Zeiten und Rufbereitschaftsvergütung in Abzug zu bringen. Durch diese Rechenmethode wird ausgeglichen, dass die zuschlagspflichtigen Zeiten während der Teilfreistellung ggf. nicht in demselben Umfang anfallen, wie wenn der Kläger nicht freigestellt gewesen wäre. Der Senat hat in der Entscheidung vom 29. April 2015 (- 7 AZR 123/13 - Rn. 20) bereits darauf hingewiesen, dass zur Ermittlung eines auf die Freistellung entfallenden Bonus eine Berechnungsmethode, die diesen Bonus in zwei Teilbeträge entsprechend des Anteils an der Gesamtarbeitszeit aufteilt, der auf die Freistellung entfällt, und des Anteils, der auf die Arbeitstätigkeit entfällt, dem Lohnausfallprinzip nicht entspricht. Auch wenn es sich bei einem Bonus um eine andere Art von Vergütungsbestandteil handelt, so ist der zugrundeliegende Gedanke auf die streitgegenständlichen Vergütungsbestandteile gleichwohl übertragbar: Das Lohnausfallprinzip will gewährleisten, dass das (teil-)freigestellte Betriebsratsmitglied insgesamt genau das Arbeitsentgelt erhält, welches es ohne die Betriebsratstätigkeit erhalten hätte. Ein entsprechender Vortrag erscheint dem Kläger möglich und zumutbar. Er ist nach seinem Vorbringen in der Lage, seine Ansprüche auf Zahlung von Zuschlägen für Nacht- und Sonntagsarbeit sowie Vergütung für Rufbereitschaft aufgrund konkreter (Rahmen-)Dienstpläne zu berechnen.
|
Klose |
|
Hamacher |
|
Wullenkord |
|
|
|
Schiller |
|
Welzel |
|
|
Fundstellen
Dokument-Index HI16728307 |