Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesellschafterhaftung wegen offenen Umsatzsteuerausweises
Leitsatz (NV)
Wird in einem Grundstücksveräußerungsvertrag die Umsatzsteuer von der veräußernden Gesellschaft bürgerlichen Rechts offen ausgewiesen, haften die Gesellschafter für die dadurch begründete Steuerschuld (§ 14 Abs. 2 UStG) als Gesamtschuldner.
Normenkette
AO 1977 § 191; UStG § 14 Abs. 2
Tatbestand
Die Beschwerde richtet sich gegen den Beschluß des FG, mit dem dieses die begehrte Prozeßkostenhilfe für ein Klageverfahren wegen Umsatzsteuerhaftung 1985 versagt hat.Der Kläger und Beschwerdeführer (Beschwerdeführer) und Herr T schlossen am 8. November 1982 einen Vertrag zur Gründung der ,,Gesellschaft bürgerlichen Rechts . . ." (GbR), an der sich T mit 90 % und der Beschwerdeführer mit 10 % beteiligten. Die GbR errichtete ein Geschäftshaus, das sie nach Fertigstellung unter Verzicht auf die Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 12 a UStG an gewerbliche Mieter vermietete.
Am 14. November 1985 machten T und der Beschwerdeführer ,,als Gesellschafter" der GbR der ausländischen Gesellschaft Y (Y) ein bis zum 30. November 1985 befristetes, notariell beurkundetes Verkaufsangebot über den vorbezeichneten Grundbesitz. In § 2 dieser Urkunde heißt es:
,,Der Kaufpreis beträgt ... DM
zuzüglich der gesetzlichen MWSt von 14 % ... DM
insgesamt ... DM."
Nach § 3 Nr. 4 der Urkunde gingen der Besitz, die Nutzungen und Lasten mit Wirkung vom ersten des auf die Zahlung des Kaufpreises folgenden Monats auf die Käuferin über.
Die Y nahm dieses Angebot in notariell beurkundeter Form am 27. November 1985 an.
An dem gleichen Tag trafen T und der Beschwerdeführer folgende privatschriftliche Vereinbarung:
,,Die Vertragspartner beschließen einstimmig die Aufhebung der Gesellschaft bürgerlichen Rechts . . .
Herr T ist über den aus dem Verkauf des Geschäftshauses . . . erzielten Kaufpreis allein verfügungsberechtigt.
Herr A verzichtet auf die Geltendmachung aller Rechte, die sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergeben können.
Herr T stellt Herrn A von allen Verpflichtungen, die sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergeben können, frei."
Das FA erließ daraufhin am 21. März 1986 einen geänderten Umsatzsteuervorauszahlungsbescheid für den Monat November 1985 (Umsatzsteuervorauszahlungen: 2 753 234 DM), der bestandskräftig wurde.
Durch Haftungsbescheid vom 28. April 1986 in Form der Einspruchsentscheidung vom 20. November 1986 nahm das FA den Beschwerdeführer unter Hinweis auf §§ 705 ff. i. V. m. § 421 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) für folgende Steuern und Abgaben der GbR in Anspruch:
Unberechtigt ausgewiesene Umsatzsteuer
aus dem Verkauf
Geschäftshaus X ... DM
hierauf entfallende Säumniszuschläge ... DM
. ... DM.
In der Begründung ist unter anderem ausgeführt, daß die Verwirklichung der Ansprüche durch Inanspruchnahme der Gesellschaft zu keinem Erfolg geführt habe. Es sei deshalb geboten, auch den Beschwerdeführer - ebenso wie den Gesellschafter T - als Gesellschafter persönlich für die genannten Steuern und Abgaben heranzuziehen. Dies sei auch ermessenskonform, da bisher sämtliche Vollstreckungsversuche erfolglos geblieben seien.
Das FG hat seine, den Antrag auf Prozeßkostenhilfe ablehnende Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet:
Es handle sich bei dem der Haftung zugrundeliegenden Primäranspruch um einen Anspruch aus § 14 Abs. 2 UStG (Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 7. Mai 1981 V R 126/75, BFHE 133, 127, BStBl II 1981, 547 und 548). Mit der Benennung der Mehrwertsteuer (14 %) in Höhe von . . . DM in dem notariellen Angebot vom 14. November 1985 sei die Mehrwertsteuer ,,in einer Rechnung" gesondert ausgewiesen worden (§ 14 Abs. 2 Satz 1 UStG; hierzu Urteil des BFH vom 4. März 1982 V R 55/80, BFHE 135, 139, BStBl II 1982, 317) und damit der Tatbestand des § 14 Abs. 2 UStG in einem Zeitpunkt verwirklicht worden, in dem die GbR, wenngleich als Abwicklungsgesellschaft, noch bestanden habe.
Die Heranziehung des Beschwerdeführers als Haftungsschuldner sei auch ermessenskonform und dies in der Einspruchsentscheidung hinreichend kenntlich gemacht. Denn dort sei ausgeführt, daß das FA den - gleichzeitigen - Erlaß von Haftungsbescheiden gegen alle Gesamtschuldner, also die beiden Gesellschafter (§§ 421, 427 BGB), für notwendig erachtet habe. Die Nichterwähnung der Haftungsinanspruchnahme der Betriebsübernehmerin (§ 75 der Abgabenordnung - AO 1977 -) der Y, in der Einspruchsentscheidung sei unschädlich, weil der Sitz dieser Gesellschaft im Ausland belegen und dieserhalb mit Erschwernissen bei der Realisierung des Haftungsanspruchs zu rechnen gewesen sei. Dies habe wegen Offenkundigkeit keiner besonderen Begründung bedurft.
Mit der Beschwerde rügt der Beschwerdeführer unrichtige Anwendung sachlichen Rechts.
Der Primäranspruch nach § 14 Abs. 2 UStG sei in der Person des Beschwerdeführers während seiner Funktion als Gesellschafter nicht zur Entstehung gelangt. Denn er, der Beschwerdeführer, sei durch die Abmachung vom 27. November 1985 aus der GbR durch ,,Austritt" ausgeschieden und damit die GbR ohne Abwicklung - also mit Wirkung ex nunc - beendet gewesen (Hinweis auf § 736 BGB). Die Umsatzsteuerschuld sei aber erst mit der Annahme des Verkaufsangebots durch die Y entstanden, also nach dem ,,Austritt" des Beschwerdeführers aus der GbR und nach Beendigung derselben am 27. November 1985.
Auch die Ermessensausübung bei der Inanspruchnahme sei rechtsfehlerhaft. Die Auffassung des FG, angeblich offenkundige Überlegungen bedürften keiner Begründung, entspreche nicht der Rechtsprechung des BFH. Die angeblich so offenkundige ,,Überlegung", der im Ausland belegene Sitz der Y führe zu den Erschwernissen bei der Realisierung des Haftungsanspruchs, sei im übrigen unrichtig. Anders als etwa in dem vom BFH-Urteil vom 23. Oktober 1985 I R 248/81 (BFHE 145, 175, BStBl II 1986, 178) entschiedenen Falle unterhalte die Y im Inland eine Betriebsstätte, nämlich das Grundstück in A, auf dem ein großes Einkaufscenter betrieben werde. Die Y sei die Tochtergesellschaft eines ausländischen Fonds, sie habe das Einkaufscenter als Vermögensanlage erworben. Das Grundstück sei lastenfrei. Das FA hätte darlegen müssen, aus welchem Grund es die Inanspruchnahme des vermögenslosen Beschwerdeführers neben derjenigen der vermögenden Betriebsübernehmerin (§ 75 AO 1977) - der Y - für erforderlich erachtet habe. Daran fehle es.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unbegründet. Das FG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, daß die beabsichtigte Rechtsverfolgung - bei der hier gebotenen summarischen Betrachtung - nicht erfolgversprechend ist (§ 142 FGO i. V. m. § 114 ZPO).
1. Der Primäranspruch, der dem Haftungsfall zugrunde liegt, ist ein Anspruch aus § 14 Abs. 2 UStG. Diese Vorschrift erfaßt auch den Fall des gesonderten Steuerausweises bei nichtsteuerbaren steuerfreien Leistungen (Urteil in BFHE 133, 127, BStBl II 1981, 547), also auch den hier vorliegenden des § 4 Nr. 9 a UStG. Der gesonderte Steuerausweis - hier der Ausweis der Mehrwertsteuer mit . . . DM - kann auch in einem Vertrag vorgenommen werden (Urteil in BFHE 135, 133, BStBl II 1982, 317, mit Hinweisen; Umsatzsteuer-Richtlinien - UStR - 1988, Abschn. 183 Abs. 1). So liegt hier der Fall.
Der Anspruch nach § 14 Abs. 2 UStG ist entstanden mit Ablauf des Monats Dezember 1985. Denn zu diesem Zeitpunkt war der Voranmeldungszeitraum (§ 18 Abs. 1 Satz 1 UStG) für den hier bewirkten Umsatz - die Lieferung des Grundstücks in G - abgelaufen (§ 13 Abs. 1 Nr. 3 i. V. m. Abs. 1 Nr. 1 a UStG), nachdem der erwerbenden Firma die Verfügungsmacht hieran im Dezember 1985 verschafft worden ist (vgl. § 3 Nr. 4 des Vertragsangebots vom 14. November 1985, und das Schreiben des Notars). Bei der Begründung des Anspruchs nach § 14 Abs. 2 UStG hat die GbR, welcher der Beschwerdeführer als Gesellschafter angehörte, noch bestanden, wenngleich zufolge des Gesellschafterbeschlusses vom 27. November 1985 in Form einer Abwicklungsgesellschaft (Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 47. Aufl., Vorbem. 1 vor §§ 723 und 730 Abs. 2). Die Ausnahmevorschrift des § 736 BGB greift schon deshalb nicht ein, weil diese Bestimmung auf Gesellschaften mit nur zwei Gesellschaftern - wie hier der Fall - nicht anwendbar ist (vgl. Palandt, a.a.O., Anm. 1 c zu § 736 BGB). Der Steueranspruch nach § 14 Abs. 2 UStG richtete sich gegen die GbR mit der Folge, daß für ihn die Gesellschafterhaftung eingreift (Urteil des BFH vom 23. Oktober 1985 VII R 187/82, BFHE 145, 13, BStBl II 1986, 156). Das FA hat somit den Beschwerdeführer wegen des Anspruchs aus § 14 Abs. 2 UStG nach Grund und Höhe zu Recht als Haftungsschuldner in Anspruch genommen.
2. a) Das FG hat auch zu Recht die Ermessensentscheidung des FA als ordnungsgemäß, also mit Recht und Billigkeit vereinbar, beurteilt. Da - wie in der Einspruchsentscheidung ausgeführt - die Vollstreckungsversuche des FA bei der Steuerschuldnerin, der GbR, erfolglos verlaufen waren, war das FA gehalten, die Gesellschafter - also den Beschwerdeführer und den Gesellschafter T - zur Haftung heranzuziehen.
Als Gesamtschuldner haften T und der Beschwerdeführer jeweils für die gesamte Schuld (vgl. § 421 BGB, § 44 Abs. 1 Satz 2 AO 1977). Dem Steuergläubiger steht es daher grundsätzlich frei, die Leistung ganz oder nur zum Teil von dem einen oder von dem anderen oder von allen Gesamtschuldnern zu fordern (Tipke/Kruse, AO/FGO, § 44 AO Tz. 1 und 2; Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 44 AO Tz. 28). Wegen der Höhe der Haftungssumme von über 2 Mio. DM war es offensichtlich sachgerecht, die sämtlichen in Betracht kommenden Haftungsschuldner wegen der gesamten Forderung in Anspruch zu nehmen. Denn das FA konnte nicht damit rechnen, die Haftungssumme von einem der Haftungsschuldner allein zu erhalten. Das Auswahlermessen unter mehreren Gesamtschuldnern war insofern erheblich reduziert.
b) Auch der Umstand, daß die Haftbarmachung der Y als Haftungsschuldner in der Einspruchsentscheidung nicht (mit-) erwähnt und daß diese Firma nicht in erster Linie, also vorrangig vor den beiden Gesellschaftern der GbR in Anspruch genommen wurde, beinhaltet keinen Ermessensfehlgebrauch. Die Heranziehung der Y beruhte auf einem anderen Rechtsgrund als diejenige der beiden Gesellschafter, nämlich dem der Betriebsübernahme nach § 75 AO 1977. Das FA war schon deshalb nicht gehalten, zur Frage der Rangordnung der Inanspruchnahme zwischen den Gesellschaftern und der Y ausdrücklich Stellung zu nehmen. Dies um so weniger, als es sich - wie das FG zutreffend ausgeführt hat - bei der Betriebsübernehmerin um eine ausländische Gesellschaft handelt, so daß die Realisierung des Haftungsanspruchs - unbeschadet einer möglicherweise im Inland unterhaltenen Betriebsstätte - mindestens erheblich erschwert erscheinen mußte. Aus dem Urteil in BFHE 145, 175, BStBl II 1986, 178 (180 oben) können, entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers, keine anderweitigen Schlüsse gezogen werden, da der dort entschiedene Sachverhalt in mehrfacher Hinsicht anders gelagert war. Betriebsübernehmerin i. S. von § 75 AO 1977 war, wie bemerkt, die ausländische Firma selbst und nicht eine etwaige, von dieser im Inland unterhaltene Betriebsstätte gewesen, so daß ein Direktanspruch aus der Haftbarmachung gegen eine solche Betriebsstätte nicht besteht.
Darüber, ob und inwieweit der Sachverhalt eine Billigkeitsmaßnahme nach § 258 AO 1977 nahelegen könnte, hat der Senat nicht zu befinden.
Fundstellen