Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde: Tod des Beschwerdeführers, grundsätzliche Bedeutung und Kenntnisnahme vom Akteninhalt
Leitsatz (NV)
- Durch das Ableben des Beschwerdeführers während des Beschwerdeverfahrens ist der BFH nicht an einer Entscheidung über die Beschwerde gehindert.
- Den Rechtsfragen, ob eine Verrechnungsabrede durch Schweigen zustande gekommen ist und ob eine grob fahrlässige haftungsrelevante Pflichtverletzung vorliegt, weil ein Geschäftsführer einen ohne Rechtsgrund vom FA überwiesenen Erstattungsbetrag nicht vom Gesellschaftsvermögen separiert hat, kommt keine über den Einzelfall hinausgehende grundsätzliche Bedeutung zu.
- Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Gericht von ihm entgegengenommenes Vorbringen bei seiner Entscheidung berücksichtigt.
Normenkette
FGO §§ 155, 115 Abs. 2 Nr. 1, § 96 Abs. 1; ZPO § 239 Abs. 1, § 246 Abs. 1
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war Gesellschafter-Geschäftsführer einer zwischenzeitlich in Konkurs gefallenen GmbH. Daneben betrieb der Kläger ein Einzelunternehmen, welches der GmbH die Betriebs- und Geschäftsausstattung vermietete. Beide Unternehmen wurden vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt ―FA―) zunächst als eigenständige Unternehmen i.S. des § 2 des Umsatzsteuergesetzes behandelt. Später ging das FA von einer umsatzsteuerlichen Organschaft aus und fasste die Umsätze beim Einzelunternehmen als Organträger zusammen.
Nach vorheriger Mitteilung hob das FA die Sollstellung der Umsatzsteuer für die Veranlagungszeiträume 1985 bis 1988 bei der GmbH auf, buchte die frei werdenden Beträge auf die Einzelfirma um und erteilte dieser entsprechende Abrechnungen.
Im Zuge der erforderlichen Kontenbereinigung des GmbH-Kontos überwies das FA Anfang 1992 aufgrund eines buchungstechnischen Fehlers ein nicht vorhandenes Umsatzsteuer-Guthaben 1988 in Höhe von … DM an die GmbH.
Nachdem der Konkursverwalter der GmbH dem Rückforderungsbegehren des FA die Masseunzulänglichkeit entgegengehalten hatte, erließ das FA einen auf §§ 69, 34 der Abgabenordnung (AO 1977) gestützten Haftungsbescheid gegen den Kläger.
Die dagegen nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) als unbegründet ab. Das FA habe infolge der irrtümlichen Überweisung einen Erstattungsanspruch gemäß § 37 Abs. 2 AO 1977 gegen die GmbH. Wegen der Nichterfüllung des Erstattungsanspruches sei dem Kläger eine grob fahrlässige Pflichtverletzung vorzuwerfen. Der Kläger hätte als gewissenhafter Geschäftsführer dafür Sorge tragen müssen, dass der Betrag jederzeit von der GmbH hätte zurückgezahlt werden können. Das dem Kläger anzulastende grob fahrlässige Verschulden liege darin, dass er die offensichtlich irrtümlich überwiesenen Beträge für den allgemeinen Geschäfts- und Zahlungsverkehr der GmbH verbraucht und sich damit der Möglichkeiten begeben habe, die Summe jederzeit innerhalb der fünfjährigen Zahlungsverjährung an das FA zurückzuzahlen. Der Rückzahlungsanspruch sei auch nicht verjährt. Ein etwaiges Mitverschulden des FA rechtfertige angesichts der dem Kläger zur Last gelegten groben Fahrlässigkeit eine Reduzierung der Haftungssumme nicht.
Seine Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision stützt der Kläger ―in mehrfacher Hinsicht― auf die grundsätzliche Bedeutung der Sache sowie auf Verfahrensfehler.
Der Kläger ist während des Beschwerdeverfahrens verstorben.
Entscheidungsgründe
II. 1. Der Senat ist durch das Ableben des Klägers während des Beschwerdeverfahrens nicht an einer Entscheidung über die Beschwerde gehindert. Das ergibt sich aus § 155 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 239 Abs. 1, § 246 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 27. April 1993 VIII R 27/92, BFH/NV 1994, 159, m.w.N.). Diese Vorschriften gelten auch im Beschwerdeverfahren (vgl. BFH-Beschluss vom 20. August 1999 V B 52/99, BFH/NV 2000, 212; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., Vor § 74 Rz. 2).
2. Die Beschwerde, deren Zulässigkeit noch nach den Maßstäben der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung der FGO (FGO a.F.) zu beurteilen ist, hat keinen Erfolg. Dabei kann der Senat offen lassen, ob der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der von ihm aufgeworfenen Rechtsfrage sowie den Verfahrensfehler hinreichend i.S. des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO a.F. dargelegt hat. Denn den aufgeworfenen Rechtsfragen kommt eine grundsätzliche Bedeutung nicht zu, ebenso wenig liegt der gerügte Verfahrensfehler vor.
3. Der Frage, "ob im Fall des Vorliegens einer umsatzsteuerlichen Organschaft im Schweigen des Geschäftsführers der Organgesellschaft auf ein ihm unterbreitetes Verrechnungsangebot eines Umsatzsteuer-Guthabens auf Verbindlichkeiten des Organträgers durch das FA eine konkludente Zustimmung mit diesem erblickt werden kann", kommt keine grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO a.F. zu. Denn ob eine Verrechnungsabrede zustande gekommen ist, ist lediglich eine Frage des konkreten Einzelfalls. Dadurch wird keine über den vorliegenden Einzelfall hinausgehende Frage von grundsätzlicher Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO a.F. aufgeworfen. Das FG hat das Zustandekommen der Verrechnungsabrede aufgrund des aus den Akten zu entnehmenden Schriftverkehrs sowie des Verhaltens des Klägers bejaht. Hierin liegt im Wesentlichen eine tatsächliche Würdigung. Mit seiner Beschwerdebegründung, wonach das Schweigen des Klägers nicht der GmbH zugerechnet werden könne und mithin eine Verrechnungsabrede nicht zustande gekommen sei, rügt der Kläger daher der Sache nach nur Fehler bei der Würdigung der Tatsachen durch das FG. Die Tatsachenwürdigung des FG wäre überdies gemäß § 118 Abs. 2 FGO in einem Revisionsverfahren ohnehin unangreifbar. Ebenso wenig lässt sich die grundsätzliche Bedeutung daraus ableiten, dass der BFH einen vergleichbaren Einzelfall bisher noch nicht entschieden hat.
4. Der Frage, "ob ein GmbH-Geschäftsführer seine ihm obliegenden Pflichten grob fahrlässig dadurch verletzt, dass er nach ―unterstellt― erkannter Rechtsgrundlosigkeit einer Erstattung diesen Betrag im laufenden Geschäftsverkehr der GmbH einsetzt und nicht für den Fall der Rückforderung bis zum Ablauf der Zahlungsverjährung vom Gesellschaftsvermögen separiert", kommt ebenfalls keine grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO a.F. zu. Denn ob das Verhalten des Klägers die Annahme einer die Haftung begründenden Pflichtverletzung rechtfertigt, hat keine über den vorliegenden Einzelfall hinausgehende grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO a.F. Es ist ―anders als der Kläger meint― nicht ersichtlich, inwieweit die Beantwortung der von dem Kläger aufgeworfenen Rechtsfrage Maßstäbe im Hinblick auf den haftungsrelevanten Pflichtenumfang eines GmbH-Geschäftsführers setzen könnte oder darüber hinaus dem Verfahren die Bedeutung eines Musterprozesses zukommen könnte. So hat das FG die Pflichtverletzung deshalb angenommen, weil der Kläger den Betrag verbraucht und sich daher der Möglichkeit der Rückzahlung begeben hatte, obwohl er angesichts der Höhe der Zahlung das Vorliegen einer irrtümlichen Fehlüberweisung hätte erkennen können. Hierin liegt im Wesentlichen eine tatsächliche Würdigung eines lediglich einen Einzelfall betreffenden Sachverhaltes, die einer Grundsatzrevision, wie unter 3. ausgeführt, nicht zugänglich ist. Im Ergebnis rügt der Kläger mit seiner Beschwerde auch insoweit lediglich die fehlerhafte Anwendung des materiellen Rechts. Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache folgt ebenso wenig aus dem Umstand, dass eine vergleichbare Sachverhaltskonstellation vom BFH noch nicht entschieden wurde. Denn allein aus dieser Tatsache kann die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung einer Rechtssache nicht abgeleitet werden.
5. Der Frage, "ob ein haftungsrelevanter Pflichtenverstoß des Geschäftsführers auch in dem Fall vorliegt, wenn die GmbH einige Zeit vor der Geltendmachung des Erstattungsanspruchs durch das FA Konkursantrag gestellt hat", kommt ebenfalls keine grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO a.F. zu. Tatsächlich geht es dem Kläger, wie sich der weiteren Begründung entnehmen lässt, nicht um die grundsätzliche Klärung des Vorliegens einer Pflichtverletzung, sondern um die Frage, inwieweit eine derartige Pflichtverletzung für den Eintritt des Schadens kausal ist. Dass eine Haftung nach den §§ 34, 69 AO 1977 nur dann in Betracht kommt, wenn zwischen der Pflichtverletzung und dem Steuerausfall als dem auszugleichenden Schaden ein adäquater Kausalzusammenhang besteht, ist bereits höchstrichterlich geklärt (vgl. u.a. Senatsurteile vom 17. November 1992 VII R 13/92, BFHE 170, 295, BStBl II 1993, 471, und vom 25. April 1995 VII R 99-100/94, BFH/NV 1996, 97). Es rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht, dass die dem Kläger zur Last gelegte Pflichtverletzung für den eingetretenen Schaden nicht kausal gewesen sein mag, da das Erstattungsbegehren erst nach der Konkursantragsstellung gegenüber der GmbH geltend gemacht worden ist. Damit rügt der Kläger nur fehlerhafte Rechtsanwendung des FG, die ―selbst wenn sie vorliegen sollte― die Zulassung einer Revision jedenfalls nach § 115 Abs. 2 FGO a.F. nicht rechtfertigt. Gleiches gilt für die Behauptung, das FG habe die Kausalität überhaupt nicht geprüft. Denn auch insoweit wäre das Urteil nur materiell fehlerhaft. Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache kann daraus nicht abgeleitet werden.
6. Schließlich liegt der von dem Kläger gerügte Verfahrensmangel gemäß § 96 Abs. 1 FGO nicht vor. Es ist nicht ersichtlich, dass das FG bei seiner Entscheidung das Datum der Konkurseröffnung nicht zur Kenntnis genommen und insoweit den Akteninhalt unberücksichtigt gelassen hat. So hat das FG in dem Tatbestand der Entscheidung ausdrücklich auf das Konkursverfahren der GmbH Bezug genommen, soweit es ausführt, dass der Konkursverwalter der GmbH dem Rückforderungsbegehren die Masseunzulänglichkeit entgegengehalten hatte. Auch angesichts der ausdrücklichen Erwähnung des Zeitpunktes des Konkurses in der Einspruchsentscheidung vom 1. Juli 1997 ist nicht ersichtlich, warum das FG diesen Sachverhalt nicht zur Kenntnis genommen haben sollte. Im Übrigen ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Gericht von ihm entgegengenommenes Vorbringen bei seiner Entscheidung berücksichtigt. Soweit geltend gemacht wird, dass dies im Einzelfall nicht geschehen ist, sind dafür konkrete Anhaltspunkte zu benennen (vgl. u.a. BFH-Beschluss vom 19. November 1998 VII B 127/98, BFH/NV 1999, 673). In Wirklichkeit macht der Kläger mit seinem diesbezüglichen Vorbringen lediglich geltend, das FG hätte den Akteninhalt anders, nämlich in seinem Sinne, würdigen müssen. In der nach Auffassung des Beteiligten unzutreffenden oder völlig unterbliebenen rechtlichen Würdigung tatsächlichen Vorbringens ist aber grundsätzlich kein Verfahrensfehler zu sehen (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Anm. 27 ff.).
Fundstellen
Haufe-Index 673066 |
BFH/NV 2002, 506 |