Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Richterablehnung für das Abhilfeverfahren nach § 130 Abs. 1 FGO
Leitsatz (NV)
Für eine Beschwerde gegen die Zurückweisung eines Gesuchs auf Ablehnung von Richtern, die gemäß § 130 Abs. 1 FGO an einem Nichtabhilfebeschluß über eine Beschwerde mitgewirkt haben, besteht kein Rechtsschutzbedürfnis, wenn mit dem Ablehnungsgesuch nur deren Mitwirkung an der nach § 130 Abs. 1 FGO zu treffenden Entscheidung verhindert werden soll.
Normenkette
FGO §§ 51, 130 Abs. 1; ZPO § 42ff
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Beschwerdeführer 1 (Kläger) hat mit Schriftsatz vom 22. Juni 1991 Untätigkeitsklage gemäß § 46 der Finanzgerichtsordnung (FGO) erhoben. Über die Klage ist noch nicht entschieden.
Mit Beschluß vom 14. November 1991 aufgrund der mündlichen Verhandlung wies das Finanzgericht (FG) den Prozeßbevollmächtigten (Beschwerdeführer 2) des Klägers zurück. An der Entscheidung wirkten als Berufsrichter der Vorsitzende Richter am FG A und die Richter am FG B und C mit. Der Beschluß wurde dem Prozeßbevollmächtigten am 23. Dezember 1991 zugestellt. Gegen die Entscheidung erhob dieser mit Schriftsatz vom 27. November 1991 im Namen des Klägers und zugleich im eigenen Namen Beschwerde, die unter dem Az. X B 12/92 beim erkennenden Senat anhängig war, und der der Senat mit Beschluß vom heutigen Tage stattgegeben hat. Mit Schriftsatz vom 28. November 1991 lehnten die Beschwerdeführer unter Hinweis auf dieses Beschwerdeverfahren die Richter am FG A, B und C wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Die Begründung des Befangenheitsgesuchs sollte umgehend, spätestens bis zum 15. Dezember 1991 nachgereicht werden. Nachdem eine entsprechende Begründung beim FG nicht eingegangen war, verwarf das FG mit Beschluß vom 18. Dezember 1991 das Ablehnungsgesuch insgesamt als unzulässig. Eine dienstliche Äußerung der abgelehnten Richter hielt es nicht für erforderlich. An der Entscheidung wirkten die Richter A, B und C mit.
Das FG vertrat die Auffassung, es könne offenbleiben, ob das Ablehnungsgesuch deshalb unzulässig sei, weil es nicht begründet worden sei oder weil der Prozeßbevollmächtigte, nachdem er mit Beschluß vom 14. November 1991 für das Klageverfahren zurückgewiesen worden sei, nicht mehr für den Kläger tätig werden könne. Ein Ablehnungsrecht in eigener Person stehe dem Prozeßbevollmächtigten nicht zu.
Mit Beschluß vom selben Tag in derselben Besetzung half das FG den Beschwerden gegen den Zurückweisungsbeschluß nicht ab.
Gegen die Verwerfung des Ablehnungsgesuchs richtet sich die vorliegende Beschwerde. Die Beschwerdeführer tragen erstmals vor, Umstände und Inhalt der Entscheidung über die Zurückweisung des Prozeßbevollmächtigten für das Klageverfahren, Handlungen und Äußerungen zu Beginn der mündlichen Verhandlung und das Verhalten der abgelehnten Richter in anderen Verfahren, in denen zwar nicht der Kläger selbst beteiligt gewesen, in denen jedoch der Prozeßbevollmächtigte aufgetreten sei, rechtfertigten die Besorgnis, die abgelehnten Richter würden nicht unvoreingenommen entscheiden.
In der Beschwerdeschrift vom 7. Februar 1992 lehnten die Beschwerdeführer auch für diese Nichtabhilfeentscheidung die Richter am FG A, B und C sowie den Richter am FG D, der offenbar im Falle des Ausscheidens eines der drei abgelehnten Richter an dessen Stelle treten mußte, für die Nichtabhilfeentscheidung wegen Besorgnis der Befangenheit ab.
Das FG hat durch den Vorsitzenden Richter am FG A und die Richter am FG B und C der Beschwerde nicht abgeholfen.
Entscheidungsgründe
I. Der Senat kann über die Beschwerde entscheiden, obwohl in bezug auf die Nichtabhilfeentscheidung des FG gegen die Richter, die daran mitgewirkt haben, ein Ablehnungsgesuch gestellt worden war.
Der Beschluß des FG über die Nichtabhilfe der Beschwerde ist ungeachtet dieses Ablehnungsgesuchs wirksam.
Grundsätzlich sind allerdings Entscheidungen der FG, an denen ein Richter mitgewirkt hat, der zu Recht abgelehnt worden ist, entweder mit einem Rechtsmittel beim Bundesfinanzhofs - BFH - (vgl. §§ 116 Abs. 1 Nr. 2, 119 Nr. 2 FGO) oder mit einem Nichtigkeitsantrag beim FG selbst (vgl. § 134 FGO i.V.m. § 579 Abs. 1 Nr. 3 der Zivilprozeßordnung - ZPO -) angreifbar. Dies gilt jedoch nicht für Beschlüsse, mit denen einer Beschwerde nicht abgeholfen wird.
a) Ein solcher Beschluß ist nicht selbständig anfechtbar. Gegen die Entschließung des FG, der Beschwerde nicht abzuhelfen, ist eine besondere Beschwerde nicht gegeben (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 26. April 1972 II B 31/72, BFHE 105, 333, BStBl II 1972, 575; vom 30. März 1976 VII B 105/75, BFHE 119, 122, BStBl II 1976, 595, und vom 8. Mai 1992 III B 163/92, BFHE 162, 299, BStBl II 1992, 675). Hat das FG, wie im Streitfall, der Beschwerde nicht abgeholfen, wird das Beschwerdeverfahren durch den BFH weitergeführt. Der Nichtabhilfebeschluß des FG wäre hier deshalb selbst dann durch den BFH nicht aufhebbar, wenn das Ablehnungsgesuch gegen die Richter, die den Beschluß gefaßt haben, berechtigt wäre.
b) Auch ein Nichtigkeitsantrag beim FG nach § 134 FGO i.V.m. § 579 ZPO scheidet aus, denn die Nichtabhilfeentscheidung beendet kein Verfahren, sondern führt zur Weiterführung des Verfahrens über die Beschwerde vor dem BFH.
Wird die Beschwerde zurückgenommen, erwächst nicht die Nichtabhilfeentscheidung in Rechtskraft, sondern behält der angefochtene Beschluß seine Wirkung. Nur Entscheidungen, die zu einer rechtskräftigen Verfahrensbeendigung führen, können mit einem Nichtigkeitsantrag angegriffen werden (vgl. z.B. Gräber, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl. 1987, § 134 Rz. 2, m.w.N.).
c) Ebenso ist im Rahmen der Begründetheitsprüfung der vorliegenden Beschwerde auf die Frage, ob im Streitfall die Ablehnung der Richter in bezug auf das Abhilfeverfahren berechtigt war, nicht einzugehen. Handlungen des Richters vor Anbringung eines Ablehnungsgesuchs bleiben - auch wenn das Ablehnungsgesuch Erfolg hat - wirksam (vgl. § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 47 ZPO; z.B. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 51 FGO Rz. 13). Selbst wenn der Kläger in der Beschwerdeschrift Gründe vorgetragen hätte, die die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigten, wäre dies für vorausgegangene Entscheidungen ohne Bedeutung. Im Rahmen des vorliegenden Beschwerdeverfahrens können deshalb nur solche Ablehnungsgründe von Bedeutung sein, die zeitlich vor der angegriffenen Entscheidung (hier dem angefochtenen Beschluß vom 18. Dezember 1991 über die Verwerfung des Befangenheitsgesuchs) angebracht worden sind.
II. Die Beschwerde ist unzulässig.
Wie jede Rechtsverfolgung vor dem Gericht setzt auch das Beschwerdeverfahren vor dem BFH ein Rechtsschutzbedürfnis voraus (BFH-Beschluß vom 28. Juni 1990 X B 183/88, BFH/NV 1991, 325). Daran fehlt es hier.
Mit der Beschwerde wenden sich die Beschwerdeführer gegen die Ablehnung des Befangenheitsgesuchs, mit dem die bezeichneten Richter für die Mitwirkung an dem Beschluß über die etwaige Abhilfe ihrer Beschwerde im Verfahren X B 12/92 (Zurückweisung des Prozeßbevollmächtigten) ausgeschlossen werden sollen. Für eine Beschwerde gegen die Zurückweisung eines Gesuchs auf Ablehnung von Richtern, die gemäß § 130 Abs. 1 FGO an einem Nichtabhilfebeschluß über eine Beschwerde mitgewirkt haben, besteht kein Rechtsschutzbedürfnis, wenn mit dem Ablehnungsgesuch nur deren Mitwirkung an der nach § 130 Abs. 1 FGO zu treffenden Entscheidung verhindert werden sollte.
1. Die Beschwerdeführer haben die bezeichneten Richter ausdrücklich für das Beschwerdeverfahren gegen den Beschluß des FG über die Zurückweisung des Prozeßbevollmächtigten für das Klageverfahren wegen Einkommensteuer 1989 (Beschluß vom 14. November 1991 - BFH-Az. X B 12/92), mithin für ein selbständiges Zwischenverfahren, abgelehnt. Für dieses Zwischenverfahren ist die Instanz jedenfalls mit der Nichtabhilfeentscheidung des FG beendet worden. Die Beschwerde gegen die Verwerfung des Ablehnungsgesuchs ist danach eingelegt worden.
a) Einer Beschwerde gegen die Zurückweisung eines in einem Zwischenverfahren angebrachten Ablehnungsgesuchs fehlt nicht bereits deshalb das Rechtsschutzinteresse, weil für dieses Verfahren jedenfalls durch die Nichtabhilfeentscheidung des FG die Instanz abgeschlossen ist; denn für die Frage, ob die Instanz abgeschlossen ist, ist grundsätzlich entscheidend, ob das Gericht, d.h. die Richter, auf die sich das Ablehnungsgesuch bezieht, noch mit der Sache befaßt sind (z.B. BFH-Beschlüsse vom15. April 1985 VIII S 19/81, BFH/NV 1986, 342; vom 28. Januar 1986 VII B 118/85, BFH/NV 1986, 415, m.w.N.; Ziemer/Haarmann/Lohse/Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Tz. 6550, m.w.N.). Solange die Entscheidung im Hauptsacheverfahren noch nicht erlassen ist (vgl. BFH-Beschlüsse vom 20. März 1980 I B 23/80, BFHE 130, 20, BStBl II 1980, 335, und in BFH/NV 1986, 415), ist die Instanz deshalb grundsätzlich nicht beendet.
Beschränkt sich das Ablehnungsgesuch ausdrücklich auf das Beschwerdeverfahren und ergibt sich auch aus der Begründung des Gesuchs nicht, daß die abgelehnten Richter nicht nur für die im Beschwerdeverfahren noch zu treffende Abhilfeentscheidung nach § 130 Abs. 1 FGO, sondern von jeder weiteren Entscheidung in der Sache ausgeschlossen werden sollen, ist allein entscheidend, ob für das Beschwerdeverfahren die Instanz abgeschlossen ist, denn es liegt allein in der Hand eines Beteiligten, ob er einen ihm bekannten Ablehnungsgrund geltend machen will (vgl. § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 43 ZPO).
b) Nach der Entscheidung des Großen Senats des BFH besteht für das finanzgerichtliche Verfahren grundsätzlich ein Rechtschutzinteresse für das Beschwerdeverfahren gegen die Zurückweisung eines Gesuchs auf Ablehnung von Richtern auch nach Beendigung der Instanz (BFH-Beschluß vom 30. November 1981 GrS 1/80, BFHE 134, 525, BStBl II 1982, 217). Diese Entscheidung beruht auf der Überlegung, daß das Beschwerdeverfahren nach Beendigung der Instanz dazu dient, in einem selbständigen Zwischenverfahren die für eine Verfahrensrüge i.S. des § 116 Abs. 1 Nr. 2 FGO erhebliche Frage zu klären, ob an der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, der mit Erfolg abgelehnt worden ist. Ein Rechtsschutzinteresse für ein Beschwerdeverfahren gegen die Zurückweisung eines Ablehnungsgesuchs setzt deshalb voraus, daß die im Beschwerdeverfahren durchgesetzte Ablehnung der Richter in ein Rechtsmittelverfahren (aa) oder ein Nichtigkeitsverfahren (bb) über die Entscheidung eingebracht werden kann, an der die abgelehnten Richter mitgewirkt haben (BFH-Beschluß in BFHE 167, 299, BStBl II 1992, 675). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht gegeben, da die Richter ausdrücklich nur für die Entscheidung über die Abhilfe der Beschwerde gegen den Zurückweisungsbeschluß vom 14. November 1991 abgelehnt worden sind.
aa) Die Ablehnung der Richter, beschränkt auf ein Abhilfeverfahren nach § 130 Abs. 1 FGO, kann nicht in ein vom ursprünglichen Beschwerdeverfahren gesondertes Rechtsmittelverfahren eingebracht werden, denn gegen die Entschließung des FG, der Beschwerde nicht abzuhelfen, ist - wie unter 1. a) ausgeführt - eine besondere Beschwerde nicht gegeben.
Auf die ursprüngliche Entscheidung des FG, gegen die sich die Beschwerde richtet - hier die Beschwerde gegen den Zurückweisungsbeschluß vom 14. November 1991 -, hätte jedoch auch die erfolgreiche Ablehnung der Richter für die nach § 130 Abs. 1 FGO zu treffende Entscheidung keine Auswirkung, denn Handlungen des Richters vor Ablehnung sind und bleiben wirksam (vgl. § 51 FGO i.V.m. § 47 ZPO; z.B. Tipke/Kruse, a.a.O., § 51 FGO Rz. 13).
Die erfolgreiche Ablehnung eines Richters für die Nichtabhilfeentscheidung in einem Beschwerdeverfahren kann deshalb unter keinen denkbaren Umständen auf die mit der Beschwerde angefochtene Entscheidung selbst zurückwirken.
bb) Die im Beschwerdeverfahren durchgesetzte, auf die Nichtabhilfeentscheidung beschränkte Ablehnung kann - wie unter 1. b) ausgeführt - auch nicht nach § 134 FGO i.V.m. § 579 Abs. 1 Ziff.3 ZPO mit einer Nichtigkeitsklage oder einem Nichtigkeitsantrag geltend gemacht werden.
c) Das Befangenheitsgesuch der Beschwerdeführer bezieht sich ausdrücklich auf das Beschwerdeverfahren gegen den Zurückweisungsbeschluß vom 14. November 1991. Anhaltspunkte dafür, daß die bezeichneten Richter nicht nur für die Abhilfeentscheidung nach § 130 Abs. 1 FGO ausgeschlossen sein sollen, ergeben sich auch nicht aus der Begründung des Befangenheitsgesuchs, denn die Beschwerdeführer haben das Gesuch nicht begründet.
Soweit die Beschwerdeführer erstmals im Beschwerdeverfahren Umstände für die Befangenheit der abgelehnten Richter vortragen, sind diese Gründe unbeachtlich. Mit der Beschwerde gegen den einen Befangenheitsantrag ablehnenden Beschluß des FG können keine neuen Ablehnungsgründe geltend gemacht werden (vgl. BFH-Beschluß vom 24. Juli 1990 X B 115/89, BFH/NV 1991, 253). Zwar können im Beschwerdeverfahren neue Tatsachen und Beweismittel vorgebracht werden (§ 155 FGO i.V.m. § 570 ZPO), jedoch nur im Rahmen des Verfahrensgegenstandes der angefochtenen Entscheidung. Gegenstand der Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch nach § 51 FGO i.V.m. § 45 Abs. 1 ZPO sind jedoch nur die Gründe, die in dem Ablehnungsgesuch dem FG gegenüber geltend gemacht worden sind. Aus dem nicht begründeten Ablehnungsgesuch ergibt sich jedoch lediglich, daß die Richter (nur) für die Abhilfeentscheidung nach § 130 Abs. 1 FGO abgelehnt werden sollen.
Da es, wie ausgeführt, kein selbständiges Rechtsmittel- oder Wiederaufnahmeverfahren gegen den Nichtabhilfebeschluß gibt, bleibt für ein auf die Nichtabhilfeentscheidung beschränktes Zwischenverfahren über die Richterablehnung kein Raum.
Fundstellen
Haufe-Index 418882 |
BFH/NV 1994, 31 |