Entscheidungsstichwort (Thema)
Feststellungslast und Sachverhaltsaufklärung bei vGA
Leitsatz (NV)
- Die objektive Feststellungslast für die Voraussetzungen einer vGA obliegt grundsätzlich dem FA (ständige Rechtsprechung). Spricht der festgestellte Sachverhalt dafür, dass die Tatbestandsvoraussetzungen einer vGA erfüllt sind, kann es allerdings Sache des Steuerpflichtigen sein, den dadurch gesetzten Anschein zu widerlegen. Es gelten die allgemeinen Grundsätze zur Beweisrisikoverteilung. Erst wenn auch entsprechende Aufklärungsversuche des FG gescheitert sind, dürfen daraus aber dem Steuerpflichtigen nachteilige Schlüsse gezogen werden.
- Der Verzicht auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung bedeutet nicht, dass das Gericht von der gebotenen Sachverhaltsermittlung und Beweiserhebung absehen kann.
Normenkette
KStG § 8 Abs. 3 S. 2; FGO §§ 76, 90 Abs. 2; AO 1977 § 90 Abs. 1
Tatbestand
I. Die Beteiligten streiten um die Behandlung von Sachzuwendungen und Mietzahlungen als verdeckte Gewinnausschüttungen (vGA), die vom Finanzamt nach Durchführung einer Außenprüfung angenommen werden.
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage gegen die Steuerbescheide des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamts ―FA―) durch Urteil des Einzelrichters im Einverständnis der Beteiligten ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet abgewiesen. Nach Ansicht des FG war die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), eine GmbH, ihrer Mitwirkungsverpflichtung zur Aufklärung der von ihr behaupteten Sachverhalte nicht nachgekommen. Aus Gründen der Beweisnähe ("Sphärentheorie") sei sie gehalten gewesen, Zweifel, die für die Annahme von vGA sprächen, durch entsprechende, in ihren Kenntnisbereich fallende Auskünfte auszuräumen. Dazu sei sie vom FA auch aufgefordert worden. Wenn sie dieser Aufforderung nicht nachgekommen sei, gehe dies zwangsläufig zu ihren Lasten.
Mit ihrer Beschwerde rügt die Klägerin mangelnde Sachverhaltsaufklärung durch das FG.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist begründet. Sie führt wegen eines Verfahrensfehlers, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―), zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 116 Abs. 6 FGO).
1. Das FG ist seiner Pflicht zur Aufklärung des Sachverhaltes (§ 76 FGO) nicht nachgekommen. Es hat sich bei seiner Entscheidung auf die vom FA geltend gemachten Aufklärungsdefizite während der durchgeführten Außenprüfung und des anschließenden Verwaltungsverfahrens zurückgezogen und durch Urteil zu Lasten der Klägerin entschieden, ohne den Sachverhalt von sich aus aufzuklären und die Klägerin zur Erfüllung ihrer Mitwirkungspflichten (§ 90 Abs. 1 der Abgabenordnung ―AO 1977―) anzuhalten. Der Verzicht auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung (§ 90 Abs. 2 FGO) bedeutet nicht, dass das Gericht von der gebotenen Sachverhaltsermittlung und Beweiserhebung absehen kann (vgl. z.B. Bundesfinanzhof ―BFH―, Urteil vom 29. September 1992 VII R 76/90, BFH/NV 1994, 269, 273 f.).
2. Für eine solche weitere Sachverhaltsaufklärung bestand auch Anlass. Denn die objektive Feststellungslast dafür, ob die Voraussetzungen einer vGA (§ 8 Abs. 3 Satz 2 des Körperschaftsteuergesetzes ―KStG―) vorliegen, obliegt grundsätzlich dem FA (vgl. Senatsurteile vom 16. März 1967 I 261/63, BFHE 89, 208, BStBl III 1967, 626; vom 20. März 1974 I R 197/72, BFHE 112, 153, BStBl II 1974, 430; vom 16. Februar 1977 I R 94/75, BFHE 122, 48, BStBl II 1977, 568; vom 13. Juli 1994 I R 43/94, BFH/NV 1995, 548; vom 9. August 2000 I R 82/99, GmbH-Rundschau ―GmbHR― 2001, 208). Das betrifft sowohl das Vorliegen einer Vermögensminderung (verhinderten Vermögensmehrung) als auch die Frage nach der Veranlassung dieser Vermögensminderung (verhinderten Vermögensmehrung) durch das Gesellschaftsverhältnis. Spricht der festgestellte Sachverhalt dafür, dass diese Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind, kann es allerdings Sache des Steuerpflichtigen sein, den dadurch gesetzten Anschein zu widerlegen. Es gelten die allgemeinen Grundsätze zur Beweisrisikoverteilung (vgl. Senatsurteil vom 17. Oktober 2001 I R 103/00, Internationales Steuerrecht ―IStR― 2001, 745, 748).
Im Streitfall ist die Klägerin den Beweis der Richtigkeit ihrer Darstellung der in Rede stehenden Sachverhalte bislang zwar schuldig geblieben. Das FG hätte dem angesichts des kontradiktorischen Prozessvorbringens beider Beteiligten jedoch von sich aus nachgehen müssen. Der Sachverhalt war noch nicht hinreichend aufgeklärt. Erst wenn Aufklärungsversuche des FG gescheitert wären, hätten daraus für die Klägerin nachteilige Schlüsse gezogen werden dürfen.
3. Ein ordnungsgemäßes Verfahren lässt sich sonach nur dadurch erreichen, dass die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an das FG zurückverwiesen wird, damit dieses sich nunmehr um die erforderliche Sachaufklärung bemühen kann (§ 116 Abs. 6 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 775511 |
BFH/NV 2002, 1179 |
DStRE 2002, 1072 |