Entscheidungsstichwort (Thema)
Ordnungsgeld gegen nicht erschienenen Zeugen
Leitsatz (NV)
Der Umstand, daß die Vertragsparteien den vom FG als Zeugen geladenen Notar (noch) nicht von seiner Verschwiegenheitspflicht gemäß § 102 Abs. 3 AO 1977 entbunden haben, befreit ihn nicht von seiner Pflicht, im Beweisaufnahmetermin zu erscheinen. Daß das FG in der mündlichen Verhandlung in Übereinstimmung mit den Beteiligten auf die Vernehmung des nicht erschienenen Zeugen verzichtet hat und aufgrund der Vernehmung der übrigen Zeugen das Klageverfahren durch Urteil abschließen konnte, steht der Festsetzung eines Ordnungsgeldes gegen den ausgebliebenen Zeugen nicht entgegen. Bei der Festlegung der Höhe des Ordnungsgeldes ist jedoch zu berücksichtigen, daß durch das Ausbleiben des Zeugen für das FG und die übrigen Beteiligten kein zusätzlicher Zeitaufwand entstanden ist.
Normenkette
FGO §§ 82, 102 Abs. 3; ZPO § 380 Abs. 1, § 381 Abs. 1, § 386
Verfahrensgang
Tatbestand
Das Finanzgericht (FG) hatte in dem Rechtsstreit der Klägerin gegen das beklagte Finanzamt (FA) wegen Schenkungsteuer mit Verfügung des Vorsitzenden Richters des zuständigen Senats vom 7. Juli 1992 den Beschwerdeführer X, Notar und Rechtsanwalt (Beschwerdeführer), zu der auf den 21. August 1992 anberaumten Beweisaufnahme als Zeugen geladen. Nach der am 14. Juli 1992 mit Postzustellungsurkunde bekanntgegebenen Ladung sollte der Beschwerdeführer zu den tatsächlichen Umständen vernommen werden, die zum Abschluß des von ihm notariell beurkundeten Treuhandvertrags vom 15. September 1988 geführt haben. Der Beschwerdeführer bat mit dem am 24. Juli 1992 beim FG eingegangenen Schreiben vom 22. Juli 1992 um eine schriftliche Entbindungserklärung der am Treuhandvertrag Beteiligten, d.h. der Klägerin sowie ihres Bruders. Sobald die Entbindungserklärung vorliege, werde er um Genehmigung bitten, seine Aussage schriftlich machen zu können.
Zum Beweisaufnahmetermin am 21. August 1992 erschien der Beschwerdeführer ohne Angabe von Entschuldigungsgründen nicht. Die Vertragsparteien des vom Beschwerdeführer beurkundeten Treuhandvertrags waren bereit, den Beschwerdeführer von seiner Schweigepflicht zu entbinden. Während einer Unterbrechung des Beweisaufnahmetermins erhielt der Vorsitzende Richter des FG-Senats aufgrund fernmündlicher Rückfrage von dem Beschwerdeführer die Auskunft, er sei, nachdem er keine schriftlichen Entbindungserklärungen der Vertragspartner erhalten habe, davon ausgegangen, daß sein Erscheinen zum Termin am 21. August 1992 nicht erforderlich und geboten sei.
Das FG setzte gegen den Beschwerdeführer mit Beschluß vom 21. August 1992 ein Ordnungsgeld in Höhe von 700 DM, ersatzweise eine Ordnungshaft von zwei Tagen fest. Das FG begründet seine Entscheidung im wesentlichen damit, daß der Beschwerdeführer ordnungsgemäß als Zeuge geladen worden sei und sein Ausbleiben nicht genügend entschuldigt habe. Der Vorsitzende Richter des FG-Senats habe aufgrund des Schreibens des Beschwerdeführers vom 22. Juli 1992 vergeblich versucht, den Beschwerdeführer fernmündlich zu erreichen und schließlich der Sekretärin des Beschwerdeführers die Erklärung hinterlassen, daß dieser auf jeden Fall zur mündlichen Verhandlung und zur Beweisaufnahme zu erscheinen habe. Der Festsetzung des Ordnungsgeldes stehe auch nicht entgegen, daß der Senat in Übereinstimmung mit den Beteiligten auf seine Zeugenvernehmung verzichtet habe. Die Höhe des festgesetzten Ordnungsgeldes begründet das FG im wesentlichen mit den geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen des Beschwerdeführers, dem Fehlen stichhaltiger Gründe für das Ausbleiben sowie dem Umstand, daß von dem Beschwerdeführer, der als Rechtsanwalt und Notar ein Organ der Rechtspflege sei, in besonderem Maße verlangt werden müsse, daß er seinen Verpflichtungen gegenüber einem Gericht nachkomme. Es komme hinzu, daß eine Prozeßlage hätte entstehen können, die eine Zeugenaussage unvermeidlich gemacht hätte. Daß er dies billigend in Kauf genommen habe und dadurch für die anderen sechs Zeugen durch eine nochmalige Ladung ein höherer Aufwand hätte entstehen können, habe der Senat zusätzlich berücksichtigt und deshalb einen schwerwiegenden Fall des unentschuldigten Ausbleibens angenommen.
Der Beschwerdeführer macht mit seiner Beschwerde geltend, daß er als Rechtsanwalt und Notar nach § 102 Abs. 1 Nr. 3d der Abgabenordnung (AO 1977) ein Auskunftsverweigerungsrecht über alles habe, was ihm in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt und Notar anvertraut worden sei, wenn er nicht gemäß § 102 Abs. 3 AO 1977 von der Verpflichtung zur Verschwiegenheit entbunden werde. Da er aber vor dem 21. August 1992 von keiner Seite über das Vorliegen einer solchen Entbindungserklärung in Kenntnis gesetzt worden sei, habe er davon ausgehen können, daß für ihn keine Verpflichtung bestanden habe, zur Beweisaufnahme zu erscheinen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist teilweise begründet. Sie führt zur Herabsetzung des gegen den Beschwerdeführer festgesetzten Ordnungsgeldes und der ersatzweise auferlegten Ordnungshaft.
1. Nach § 82 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 380 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung (ZPO) war das FG zur Festsetzung eines Ordnungsgeldes und der ersatzweisen Ordnungshaft befugt. Das FG hatte den Beschwerdeführer ordnungsgemäß als Zeugen geladen (§ 377 Abs. 2 ZPO).
Die Festsetzung eines Ordnungsgeldes, die dazu dient, den Verstoß gegen eine Ordnungsvorschrift des Prozeßrechts zu ahnden, ist bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen zwingend; dabei kann der Wegfall der Beweiserheblichkeit oder der Notwendigkeit der Beweiserhebung aufgrund des im Streitfall zum Schluß der Beweisaufnahme erklärten Verzichts auf das Beweismittel grundsätzlich nicht berücksichtigt werden (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 1. Juni 1988 X B 41/88, BFHE 153, 310, BStBl II 1988, 838 m.w.N.). Die Festsetzung eines Ordnungsgeldes entfällt gemäß § 381 Abs. 1 ZPO nur dann, wenn der Zeuge glaubhaft macht, daß ihm die Ladung nicht rechtzeitig zugegangen ist oder wenn sein Ausbleiben genügend entschuldigt ist oder nachträglich entschuldigt wird.
Der Beschwerdeführer hat sein Ausbleiben weder vor dem Termin zur Beweisaufnahme noch nachträglich ausreichend entschuldigt. Die von ihm vorgetragenen Umstände sind nicht geeignet, sein Ausbleiben als nicht pflichtwidrig erscheinen zu lassen.
Ein Auskunftsverweigerungsrecht, das den Beschwerdeführer gemäß § 386 ZPO von der Pflicht zum Erscheinen in dem Beweisaufnahmetermin hätte befreien können (vgl. BFH-Beschluß vom 13. April 1988 V B 158/87, BFH/NV 1989, 82), stand dem Beschwerdeführer nicht zu. Denn die Vertragsparteien des vom Beschwerdeführer beurkundeten Vertrags haben den Beschwerdeführer von seiner Verschwiegenheitspflicht als Notar befreit. Dies hatte der Vorsitzende des FG-Senats der Sekretärin des Beschwerdeführers fernmündlich mitgeteilt. Selbst wenn diese Mitteilung an den Beschwerdeführer nicht weitergeleitet worden sein sollte und der Beschwerdeführer - wie er mit seiner Beschwerde geltend macht - von keiner Seite von dem Vorliegen einer Entbindungserklärung in Kenntnis gesetzt worden sein sollte, so konnte er doch nicht ohne Rückfrage darauf vertrauen, daß die Vertragsparteien ihn nicht von seiner Verschwiegenheitspflicht gemäß § 102 Abs. 3 AO 1977 entbinden würden. Ebensowenig konnte er sich darauf verlassen, daß seinem mit Schreiben vom 22. Juli 1992 gestellten Antrag entsprochen werde, eine Aussage nach Vorlage einer Entbindungserklärung schriftlich machen zu können. Dem Beschwerdeführer war als Notar und Rechtsanwalt bekannt, daß die Ladung zum Beweisaufnahmetermin am 21. August 1992 weitergalt, solange keine anders lautende Mitteilung des Gerichts vorlag. Denn daß ein Zeuge noch keine Aussagegenehmigung hat, befreit ihn nicht von seiner Pflicht zu erscheinen (vgl. Damrau in Münchener Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 1992, § 380 Rdnr. 4). Die vorgedruckten Erläuterungen zur Ladung enthielten außerdem den Hinweis, daß sich eine - notfalls fernmündliche - Rückfrage empfiehlt, falls der geladene Zeuge auf seine Mitteilung, nicht erscheinen zu können, keinen Bescheid erhält.
2. Entgegen der Auffassung des FG liegt jedoch kein Fall eines schweren Verstoßes vor, der es rechtfertigen würde, die Höhe des Ordnungsgeldes dem oberen Bereich des zwischen 5 DM und 1000 DM liegenden Rahmens zu entnehmen (siehe Art. 6 Abs. 1 des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch vom 2. März 1974, BGBl I 1974, 469). Das Gericht hat die Höhe des Ordnungsgeldes innerhalb dieses Rahmens nach pflichtgemäßem Ermessen zu bestimmen. Maßgebend sind dabei insbesondere die Bedeutung der Rechtssache und der Aussage für die Entscheidung sowie die Schwere der Pflichtverletzung und die wirtschaftlichen Verhältnisse des Zeugen (vgl. BFH in BFHE 153, 310, BStBl II 1988, 838 m.w.N.).
Im Streitfall ist zu beachten, daß das FG in der mündlichen Verhandlung vom 21. August 1992 in Übereinstimmung mit den Verfahrensbeteiligten auf die Zeugenvernehmung des Beschwerdeführers verzichtet hat und aufgrund der Vernehmung der übrigen Zeugen das Klageverfahren mit Urteil abschließen konnte. Zwar steht dieser Umstand der Festsetzung des Ordnungsgeldes grundsätzlich nicht entgegen (siehe BFH in BFHE 153, 310, BStBl II 1988, 838); bei der Festlegung der Höhe des Ordnungsgeldes ist jedoch zu berücksichtigen, daß durch das Ausbleiben des Beschwerdeführers weder für das FG noch für die übrigen Beteiligten (z.B. wegen des Erfordernisses der Anberaumung eines neuen Beweisaufnahmetermins) ein zusätzlicher Zeitaufwand entstand. Zugunsten des Beschwerdeführers ist ferner zu berücksichtigen, daß er nach Zustellung der Ladung als Zeuge mit Schreiben vom 22. Juli 1992 das FG auf die Notwendigkeit einer Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht hingewiesen und darum gebeten hat, seine Aussage schriftlich machen zu können. Zwar konnte der Beschwerdeführer - wie oben unter 1. dargelegt - daraus nicht auf die fehlende Notwendigkeit schließen, im Beweisaufnahmetermin zu erscheinen. Doch läßt dieses Verhalten erkennen, daß der Beschwerdeführer sich seinen Pflichten als Zeuge bei der Aufklärung des umstrittenen Sachverhalts nicht grundsätzlich verweigern wollte. Andererseits ist das Verschulden des Beschwerdeführers auch nicht so gering einzuschätzen, daß in entsprechender Anwendung des § 153 der Strafprozeßordnung (StPO), § 47 Abs. 2 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) vom 2. Januar 1975 (BGBl I 1975, 80) von einer Ordnungsmaßnahme abzusehen ist. Der Senat hält deshalb ein Ordnungsgeld von 350 DM, ersatzweise ein Tag Ordnungshaft, für angemessen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 FGO. Soweit der Beschwerdeführer obsiegt hat, fallen die Kosten in sinngemäßer Anwendung des § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 467 StPO der Staatskasse zur Last (vgl. BFH-Beschluß vom 10. Januar 1986 IX B 5/85, BFHE 145, 314, BStBl II 1986, 270).
Fundstellen