Entscheidungsstichwort (Thema)

Geschäftsführerhaftung: Verhalten bei Liquiditätsschwierigkeiten

 

Leitsatz (NV)

1. Die Rechtsfragen, unter welchen Voraussetzungen in einer Krisensituation des Unternehmens (Liquiditätsengpaß) die Nichtabführung von Lohnsteuern durch den Geschäftsführer eine grob fahrlässige Pflichtverletzung darstellt und ob der Geschäftsführer darauf vertrauen darf, daß von seiten der Gesellschafter zur Deckung entstandener Lohnsteuerschulden Kapital zugeführt wird, sind nicht mehr klärungsbedürftig.

2. Keine Divergenz bei Abweichung von einem Urteil des Reichsfinanzhofs.

 

Normenkette

FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1-2; AO 1977 §§ 69, 34 Abs. 1

 

Tatbestand

Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war alleiniger Geschäftsführer einer GmbH, die ihrerseits Komplementärin einer GmbH & Co. KG (KG) war. Beide Gesellschaften sind inzwischen liquidiert.

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) nahm den Kläger wegen einbehaltener, aber nicht abgeführter Lohnsteuer und Nebenabgaben der KG für die Monate . . . als Haftungsschuldner in Anspruch. Die Klage des Klägers gegen den Haftungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung blieb erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) führte aus, der Kläger habe den Haftungstatbestand der §§ 69, 34 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) erfüllt, weil er als Geschäftsführer der GmbH nicht für die fristgerechte Abführung der Lohnsteuer gesorgt habe. Bei nicht ausreichenden Zahlungsmitteln hätten die Lohnzahlungen entsprechend gekürzt werden müssen. Der Kläger habe bei der ungekürzten Auszahlung der Löhne bewußt in Kauf genommen, daß möglicherweise keine Mittel zur Abführung der Lohnsteuer mehr zur Verfügung stehen würden. Am . . . sei sogar ein vorhandener Geldbetrag nicht zur Abführung der Lohnsteuer verwendet worden. Bei dieser Sachlage bestehe für den Senat kein Zweifel, daß der Kläger zumindest grob fahrlässig, wenn nicht sogar bedingt vorsätzlich, seine Geschäftsführerpflichten verletzt habe. Er könne sich auch nicht entlastend darauf berufen, er habe dem Gesellschafter B vertraut, der ihm immer wieder versichert habe, er werde die benötigten Gelder beschaffen. Auch der Einwand des Klägers, er sei zu Beginn seiner Geschäftsführertätigkeit über die wirtschaftliche Situation des Unternehmens getäuscht worden, greife nicht durch. Es habe dem Kläger jedenfalls Ende Mai bei Auszahlung der Löhne bekannt sein müssen, daß die Geldmittel zur Abführung der Lohnsteuer möglicherweise nicht ausreichten. Er habe gleichwohl das Haftungsrisiko in Kauf genommen.

Mit der Nichtzulassungsbeschwerde macht der Kläger geltend, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung. Es müsse im allgemeinen Interesse über die Frage entschieden werden, unter welchen Voraussetzungen in einer Krisensituation des Unternehmens (Liquiditätsengpaß) die Nichtabführung von Lohnsteuern durch den Geschäftsführer eine grob fahrlässige Pflichtverletzung darstelle. Insbesondere gehe es um die Frage, in welchem Umfang der Geschäftsführer darauf vertrauen dürfe, daß von seiten der Gesellschafter zur Deckung entstandener Lohnsteuerschulden Kapital zugeführt werde.

Darüber hinaus müsse die Revision auch zugelassen werden, weil die Vorentscheidung von dem Urteil des Reichsfinanzhofs (RFH) vom 11. Januar 1928 VI 606/27 (RFHE 22, 319) abweiche. Zumindest begründe die Abweichung von einer RFH-Entscheidung einen Fall von grundsätzlicher Bedeutung. Der RFH habe in dem genannten Urteil zum Maßstab der groben Fahrlässigkeit für die Lohnsteuerhaftung eines Geschäftsführers Stellung genommen, wenn dieser in der Krise des Unternehmens sich mit aller Kraft darum bemühe, das Unternehmen zu retten. Er habe anerkannt, daß in einer solchen für das Unternehmen lebensbedrohlichen Situation nicht die restlose Erfüllung aller dem Geschäftsführer auferlegten Pflichten verlangt werden könne, weil dies im Einzelfall, gerade wenn die große Linie zur Rettung des Unternehmens mit Nachdruck betrieben werde, über die menschlichen Kräfte eines Geschäftsführers hinausgehen könne. Auch er, der Kläger, habe - obwohl vollständig neu in dem Unternehmen - bis an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit versucht, das Unternehmen zu erhalten, gerade weil er eine Sanierungskonzeption gehabt habe und er aufgrund der Erfahrungen innerhalb der ersten Monate darauf habe vertrauen können, daß auch für den laufenden Bedarf genügend Mittel zur Verfügung gestellt würden.

 

Entscheidungsgründe

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht begründet. Die vom Kläger aufgeworfenen Rechtsfragen sind nicht von grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Ein Fall der Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) liegt nicht vor.

1. Einer Rechtssache ist grundsätzliche Bedeutung beizumessen, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das (abstrakte) Interesse der Gesamtheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Eine Rechtsfrage ist aber dann nicht mehr klärungsbedürftig, wenn sie bereits durch eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) geklärt worden ist und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung dieser Frage durch den BFH erforderlich machen (Klein/Ruban, Der Zugang zum Bundesfinanzhof, Rdnr. 47, 50). So liegt es im Falle der vom Kläger aufgeworfenen Rechtsfrage, unter welchen Voraussetzungen in einer Krisensituation des Unternehmens - Liquiditätsengpaß - die Nichtabführung der Lohnsteuer durch den verantwortlichen Geschäftsführer eine grob fahrlässige Pflichtverletzung darstellt.

Der Senat hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß ein Geschäftsführer, wenn die ihm zur Verfügung stehenden Mittel der Gesellschaft infolge eines Liquiditätsengpasses zur Zahlung der vollen vereinbarten Löhne (einschließlich Lohnsteueranteil) nicht ausreichen, die Löhne nur gekürzt als Vorschuß oder Teilbetrag auszahlen darf und aus den dann übrig bleibenden Mitteln die entsprechende Lohnsteuer an das FA abführen muß (vgl. Urteil vom 20. April 1982 VII R 96/79, BFHE 135, 416, BStBl II 1982, 521). Der Senat hat weiter entschieden, daß ein Geschäftsführer, der in einer angespannten finanziellen Lage der Gesellschaft die Lohnsteuer nicht fristgerecht - ggf. nach Kürzung der Löhne - an das FA abführt, weil er hofft oder darauf vertraut, er werde die Steuerrückstände später nach Behebung der Liquiditätsschwierigkeiten ausgleichen können, den Haftungstatbestand der §§ 69, 34 AO 1977 sogar vorsätzlich verwirklicht. Der Geschäftsführer ist in diesem Fall nach der Rechtsprechung des Senats das Haftungsrisiko bewußt eingegangen, so daß es nicht darauf ankommt, in welchem Umfang seine Sanierungserwartungen erfolgversprechend waren (vgl. Urteile vom 12. März 1985 VII R 22/84, BFH/NV 1987, 227, 229, und vom 21. Mai 1985 VII R 100/82, BFH/NV 1986, 126, 128).

Das FG hat ausgehend von dieser Rechtslage für den Streitfall eine zumindest grob fahrlässige Pflichtverletzung des Klägers bejaht. Es hat zutreffend ausgeführt, daß der Kläger, dem die angespannte finanzielle Lage der KG - wie er mit der Beschwerde einräumt - bekannt war, von dem Schuldvorwurf nicht dadurch entlastet wird, daß er darauf vertraut hat, der Gesellschafter B werde die nötigen Gelder zur Verfügung stellen. Die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage ist damit höchstrichterlich geklärt. Soweit sich der Kläger darüber hinaus auf die Besonderheiten des Streitfalles beruft (Bestellung zum Geschäftsführer erst am . . ., schutzwürdiges Vertrauen zumindest für den ersten Monat seiner Tätigkeit im Unternehmen), können diese besonderen Umstände eine über den konkreten Einzelfall hinausgehende Bedeutung der Rechtssache nicht begründen.

2. Die Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO ist nur gegeben, wenn das Urteil des FG von einer Entscheidung des BFH abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Eine Abweichung von einer Entscheidung des RFH - auf die sich der Kläger im Sreitfall beruft (RFHE 22, 319) - reicht zur Begründung der Beschwerde wegen Divergenz nicht aus (BFH-Beschluß vom 18. September 1970 III B 21/70, BFHE 100, 184, BStBl II 1971, 4). Die Abweichung von einer Entscheidung des RFH kann allerdings die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache begründen (Klein/Ruban, a. a. O., Rdnr. 70).

Die im Streitfall maßgeblichen Rechtsfragen, welche steuerlichen Pflichten der Geschäftsführer hinsichtlich der Lohnsteuer bei Liquiditätsschwierigkeiten der Gesellschaft zu beachten hat und ob er unter Umständen dadurch entschuldigt wird, daß er die rechtzeitige Abführung der Steuern im Vertrauen auf eine stärkere Liquiditätsverbesserung zurückstellt, sind durch die oben angeführte Rechtsprechung höchstrichterlich geklärt. Der Senat hat insoweit die ältere Rechtsprechung des RFH und des BFH konkretisiert und fortentwickelt. Das vom Kläger genannte Urteil des RFH nötigt deshalb nicht zu einer erneuten revisionsrichterlichen Überprüfung dieser Rechtsfragen.

Das Urteil des RFH unterscheidet sich vom Streitfall auch dadurch, daß dort über die schuldhafte Pflichtverletzung des gesetzlichen Vertreters einer Aktiengesellschaft im Fall der Nichteinbehaltung und Nichtabführung der Lohnsteuer zu entscheiden war, während der Kläger nach dem vom FG festgestellten Sachverhalt dafür haftbar gemacht worden ist, daß er die einbehaltene Lohnsteuer nicht an das FA abgeführt hat. Der RFH hat ferner betont, daß die Frage, unter welchen Umständen die Nichterledigung der steuerlichen Angelegenheiten als entschuldbar angenommen werden kann, nur nach den Verhältnissen des Einzelfalls beurteilt werden kann. Er hat im Urteilsfall unter dem Gesichtspunkt der Unzumutbarkeit eine Haftungsfreistellung des gesetzlichen Vertreters als denkbar angesehen (Zurückverweisung an das FG), wenn es sich um ein großes Unternehmen handelt und der Vertreter wegen einer durch außergewöhnliche Umstände bedingten Arbeitsbelastung an der Überwachung der Hilfspersonen, die mit der Lohnzahlung und dem Steuerabzug betraut waren, gehindert war.

Es kann dahinstehen, ob der BFH heute ebenso wie der RFH entscheiden würde. Jedenfalls liegen die besonderen Umstände, auf die der RFH seine Entscheidung abgestellt hat, im Streitfall nicht vor. Nach dem Sachverhalt der Vorentscheidung kann nicht davon ausgegangen werden, daß die Nichtabführung der Lohnsteuer - vom Kläger unbemerkt - auf das Verhalten von Hilfspersonen zurückzuführen ist. Vielmehr hat der Kläger selbst die rechtzeitige Abführung der einbehaltenen Lohnsteuer im Hinblick auf die Zahlungsschwierigkeiten der KG und im Vertrauen auf spätere Geldeingänge zurückgestellt. Die auf die Besonderheiten des dortigen Einzelfalls abgestellte Entscheidung des RFH rechtfertigt deshalb nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache im Streitfall.

 

Fundstellen

Haufe-Index 417329

BFH/NV 1991, 427

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