Entscheidungsstichwort (Thema)
Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter
Leitsatz (NV)
Zur Rechtmäßigkeit, Verfassungsmäßigkeit und zum Verfahren der Übertragung des Rechtstreits auf den Einzelrichter, Bekanntgabe des Übertragungsbeschlusses.
Normenkette
GG Art. 101, 103 Abs. 1; FGO §§ 6, 116 Abs. 1 Nrn. 1, 5, § 119 Nrn. 1, 6, § 155; ZPO § 329 Abs. 2 S. 1
Tatbestand
I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurden im Streitjahr 1990 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Ihre Klage, die sich u.a. gegen die Beschränkung des Sonderausgabenabzugs für Vorsorgeaufwendungen und die Berücksichtigung einer zumutbaren Belastung gemäß § 33 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) richtete, wies das Finanzgericht (FG) durch Entscheidung des Einzelrichters ab.
Mit ihrer Revision rügen die Kläger Verletzung von Bundesrecht, insbesondere der Art. 101 und 103 des Grundgesetzes (GG), sowie der §§ 119 Nr. 1 und 6 und 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
Die Übertragung auf den Einzelrichter sei ohne Namensnennung und trotz der Unanfechtbarkeit des Übertragungsbeschlusses ohne Gewährung rechtlichen Gehörs erfolgt. Gegen § 6 FGO bestünden erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken. Ein Ermessen bei der Bestimmung des gesetzlichen Richters sei unzulässig und führe zur nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des erkennenden Gerichts (§ 119 Nr. 1 FGO). Der Übertragungsbeschluß sei ihnen, den Klägern, auch nicht bekanntgegeben worden.
Zudem enthielten die Entscheidungsgründe der Vorentscheidung keine Ausführungen zur Frage der (ohne vorherige Gewährung rechtlichen Gehörs) erfolgten Beauftragung des Einzelrichters. Daher sei auch § 119 Nr. 6 FGO verletzt.
Die Revision sei somit nach § 116 Abs. 1 Nr. 1 und 5 FGO zulässig.
Vorsorglich rügen die Kläger die Besetzung des für die Entscheidung über die Revision zuständigen Senats des Bundesfinanzhofs (BFH). Das Verfahren sei bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) über entsprechende Verfassungsbeschwerden zu Art. 101 GG i.V.m. § 21g Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes auszusetzen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt) tritt der Revision entgegen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unzulässig und daher durch Beschluß zu verwerfen (§§ 124 Abs. 1, 126 Abs. 1 FGO).
Die Revision ist nicht zugelassen worden. Der Fall einer zulassungsfreien Revision nach § 116 Abs. 1 FGO, insbesondere § 116 Abs. 1 Nr. 1 und 5 FGO, liegt nicht vor.
Dem Vortrag der Kläger ist nicht zu entnehmen, daß das FG bei der Vorentscheidung nicht vorschriftsmäßig besetzt war (§ 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO). Es war berechtigt, den Rechtsstreit einem seiner Mitglieder als Einzelrichter zu übertragen (§ 6 Abs. 1 FGO). Der BFH hat wiederholt entschieden, daß gegen § 6 FGO keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen (vgl. zuletzt BFH-Beschlüsse vom 27. März 1998 X B 161/96, BFH/NV 1998, 1487, und X R 105/96, BFH/NV 1998, 1488; eine entsprechende Verfassungsbeschwerde wurde mit Beschluß des BVerfG vom 15. August 1997 2 BvR 1272/97 nicht zur Entscheidung angenommen). Eine namentliche Benennung des Einzelrichters ist nicht erforderlich (BFH-Beschluß vom 16. Dezember 1997 IX R 22/95, BFH/NV 1998, 720). Der Einzelrichter ist aus dem senatsinternen Mitwirkungsplan zu ersehen. Eine vorherige Anhörung der Beteiligten ist in § 6 Abs. 1 FGO ―anders als in § 6 Abs. 3 FGO― nicht vorgesehen. Im übrigen könnte ihre Unterlassung nicht die zulassungsfreie Revision gemäß § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO eröffnen (BFH-Beschluß in BFH/NV 1998, 1488). Die Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter ist den Klägern mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung vom 8. Juli 1996 auch bekanntgegeben worden. Dies genügt den Anforderungen an eine formlose Mitteilung (§ 155 FGO i.V.m. § 329 Abs. 2 Satz 1 der Zivilprozeßordnung), die in jeder geeigneten Form erfolgen kann (vgl. dazu Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozeßordnung, 57. Aufl., § 329 Anm. 28, m.w.N.). Eine förmliche Zustellung des Übertragungsbeschlusses ist nicht erforderlich (§ 53 Abs. 1 FGO; vgl. BFH-Beschluß vom 10. August 1994 II R 29/94, BFHE 175, 16, BStBl II 1994, 862).
Mängel der Begründung der Vorentscheidung (§ 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO) sind nicht erkennbar. Ausführungen zur Übertragung der Sache auf den Einzelrichter sind nicht Teil der Vorentscheidung, sondern des Übertragungsbeschlusses, der als unanfechtbar (§ 6 Abs. 4 Satz 1 FGO) nicht begründet zu werden braucht (§ 113 Abs. 2 FGO).
Das FG war aus den von ihm angegebenen Gründen auch nicht veranlaßt, das Verfahren gemäß § 74 FGO auszusetzen.
Die Besetzung des erkennenden Senats folgt dem Geschäftsverteilungsplan des BFH für 1999 in Verbindung mit dem senatsinternen Geschäftsverteilungsplan für 1999 vom 11. Dezember 1998. Sie entspricht den Vorgaben des BVerfG-Beschlusses vom 8. April 1997 1 PBvU 1/95 (BVerfGE 95, 322, BStBl II 1997, 672). Mit diesem Beschluß ist der Antrag der Kläger auf Aussetzung des Verfahrens gemäß § 74 FGO gegenstandslos geworden.
Fundstellen