Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung eines Verwaltungsaktes; keine Aufhebung der Zinsfestsetzung durch Streichung des ihr Bestehen bleiben anordnenden Zusatzes
Leitsatz (NV)
Die handschriftliche Streichung des in einem geänderten Einkommensteuerbescheid ausgedruckten Satzes “Die bisherige Zinsfestsetzung bleibt bestehen” enthält keine Anordnung, dass die Zinsfestsetzung aufgehoben wird. Sie bringt lediglich zum Ausdruck, dass darüber keine Aussage getroffen wird.
Normenkette
BGB § 133; FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1-2, § 116 Abs. 3 S. 3
Verfahrensgang
FG Berlin (Urteil vom 23.09.2005; Aktenzeichen 3 K 3145/05) |
Tatbestand
I. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) sind zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Eheleute. Der Kläger machte für eine journalistische Tätigkeit Verluste aus selbständiger Arbeit geltend, die der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) in den Einkommensteuerbescheiden für die Jahre 1997 bis 2001 (Streitjahre) vom 13. April 2004 nicht berücksichtigte.
In diesen Bescheiden wurden Zinsen zur Einkommensteuer nach § 233a der Abgabenordnung (AO 1977) von insgesamt 1 111 € festgesetzt.
Während des Einspruchsverfahrens gegen die Einkommensteuerfestsetzungen erließ des FA am 15. November 2004 auf Antrag der Kläger nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 geänderte Bescheide für die Jahre 1997 bis 2001, die hinsichtlich der Einkünfte aus selbständiger Arbeit vorläufig ergingen, weil die Einkunftserzielungsabsicht noch nicht abschließend beurteilt werden könne. Die Einkommensteuerfestsetzungen blieben der Höhe nach unverändert. In den Bescheiden war jeweils der unter der Überschrift "Festsetzung" ausgedruckte Satz "Die bisherige Zinsfestsetzung bleibt bestehen" von Hand durchgestrichen.
Da die Kläger die fälligen Zinsen nicht bezahlten, erhielten sie am 6. Dezember 2004 eine Mahnung. Daraufhin machten sie geltend, sie hätten wegen der handschriftlichen Streichung des die Zinsfestsetzung betreffenden Satzes davon ausgehen können, dass die Zinsfestsetzungen nicht bestehen geblieben seien. Bei der Auslegung komme es darauf an, wie der Steuerpflichtige den materiellen Gehalt der Bescheide unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen könne. Im Zweifel sei das den Steuerpflichtigen weniger belastende Auslegungsergebnis vorzuziehen. Folge das FA dieser Auffassung nicht, werde ein Abrechnungsbescheid beantragt.
Das FA ging davon aus, dass hinsichtlich der Zinsen in den Bescheiden vom 15. November 2004 keine Regelung erfolgt sei und lehnte die Erteilung eines Abrechnungsbescheides ab. Dagegen erhoben die Kläger nach erfolglosem Einspruchsverfahren Klage. Außerdem erhoben sie die dem vorliegenden Verfahren zugrunde liegende Feststellungsklage, mit der sie die Feststellung beantragten, dass die Festsetzungen betreffend Zinsen zur Einkommensteuer 1997 bis 2001 vom 13. April 2004 aufgrund der Bescheide vom 15. November 2004 nicht mehr beständen.
Das Finanzgericht (FG) sah die Klage als zulässig an, weil sich die Kläger gegen die ihrer Auffassung nach unzutreffende Auffassung des FA, nach der die Zinsfestsetzungen weiter beständen, nicht gemäß § 41 Abs. 2 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) vorrangig durch Gestaltungs- oder Leistungsklage wenden könnten; es wies sie jedoch als unbegründet ab. Die Bescheide vom 15. November 2004 enthielten keine Regelungen, die die zuvor erfolgten Zinsfestsetzungen aufgehoben oder in ihrem Bestand verändert hätten. Die Streichung eines Satzes führe bei objektiver Auslegung zu dem Aussagegehalt, dass das Gestrichene nicht als Inhalt der Erklärung oder des Bescheides gelten solle. Ohne Hinzutreten besonderer Umstände ermögliche eine Streichung dagegen nicht die Auslegung, dass das Gegenteil des Gestrichenen erklärt oder geregelt werde, vorliegend mithin die Zinsen nicht mehr hätten festgesetzt bleiben sollen. Nach Treu und Glauben entgegenstehende Gesichtspunkte seien nicht ersichtlich. Die Kläger hätten gewusst, dass die Einkommensteuerbescheide lediglich durch die Aufnahme der Vorläufigkeit hinsichtlich der Einkünfte des Klägers aus selbständiger Arbeit geändert worden seien, so dass kein Anlass zur Änderung der Zinsfestsetzung bestanden habe.
Ihre dagegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde stützen die Kläger auf § 115 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 FGO. FG und FA verkennten, wie die Kläger den Sachverhalt hätten verstehen müssen, und verstießen gegen die ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) in vergleichbaren Fällen (u.a. BFH-Beschluss vom 28. Juni 2005 X R 54/04, BFH/NV 2005, 1749, m.w.N.), nach der es nicht darauf ankomme, was die Finanzbehörde gemeint habe, sondern vielmehr, wie der Adressat nach den ihm bekannten Umständen den materiellen Gehalt der Erklärung unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte. Unklarheiten gingen zu Lasten der Behörde, wobei im Zweifel das den Steuerpflichtigen weniger belastende Auslegungsergebnis vorzuziehen sei. In den Bescheiden vom 15. November 2004 werde kein Bezug auf die Bescheide vom 13. April 2004 genommen, so dass die Kläger davon hätten ausgehen müssen, dass die Bescheide gemäß "§ 124 Abs. 1 Satz 2 AO i.V.m. § 124 AEAO" mit dem Inhalt wirksam würden, mit dem sie bekannt gegeben wurden. Zum einen sei auf allen Einkommensteuerbescheiden vom 15. November 2004 das Bestehenbleiben der Zinsfestsetzung ausdrücklich gestrichen worden; zum anderen beinhalteten diese Bescheide keine Zinsfestsetzungen.
Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist, wenn nicht unzulässig, jedenfalls unbegründet.
1. Die Beschwerde ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).
a) Die Kläger haben eine ihrer Auffassung nach klärungsbedürftige Rechtsfrage nicht vorgetragen. Die Beschwerde enthält dazu auch keine Ausführungen.
b) Sollten die Kläger die Frage für klärungsbedürftig halten, ob die handschriftliche Streichung des in den geänderten Einkommensteuerbescheiden ausgedruckten Satzes "Die bisherige Zinsfestsetzung bleibt bestehen" als Aufhebung der in zuvor ergangenen Bescheiden getroffenen Zinsfestsetzungen zu verstehen ist, fehlt es --selbst wenn man von einer den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügenden Darlegung ausgeht-- jedenfalls an der Klärungsbedürftigkeit. Denn die Rechtsfrage ist offensichtlich so zu beantworten, wie es das FG getan hat; die Rechtslage ist also eindeutig (vgl. dazu Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 28, m.w.N.).
Der Streichung des Satzes "Die bisherige Zinsfestsetzung bleibt bestehen" enthält offensichtlich keine Anordnung, dass die Zinsfestsetzung aufgehoben wird; sie bringt lediglich zum Ausdruck, dass darüber (jetzt) keine Aussage getroffen wird. Zwar mag es sein, dass die Kläger als Ursache für die Streichung eine Aufhebung der Zinsfestsetzung vermutet haben; das rechtfertigt es jedoch nicht, in der Streichung selbst bereits eine Regelung über die Zinsfestsetzung zu sehen.
2. Die Zulassung der Revision ist auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 115 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alternative FGO).
a) Zur Darlegung einer Divergenz wäre es erforderlich gewesen, abstrakte Rechtssätze aus dem angefochtenen Urteil des FG einerseits und den Urteilen andererseits, von dem die Vorinstanz abgewichen sein soll, herauszuarbeiten und einander gegenüberzustellen, so dass die behauptete Abweichung erkennbar geworden wäre (Senatsbeschluss vom 7. September 2005 IV B 67/04, BFH/NV 2006, 234, m.w.N.).
b) Daran fehlt es.
aa) Zwar gibt die Beschwerdebegründung die rechtlichen Ausführungen in dem BFH-Beschluss in BFH/NV 2005, 1749 zutreffend wieder, nach der für die Auslegung eines Verwaltungsaktes nicht entscheidend ist, was die Finanzbehörde gemeint hat, sondern vielmehr, wie der Adressat nach den ihm bekannten Umständen den materiellen Gehalt der Erklärung unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte. Unklarheiten gehen danach zu Lasten der Behörde, wobei im Zweifel das den Steuerpflichtigen weniger belastende Auslegungsergebnis vorzuziehen ist.
bb) Einen davon abweichenden Rechtssatz der vorinstanzlichen Entscheidung enthält die Beschwerdeschrift jedoch nicht; er lässt sich dem angefochtenen Urteil auch nicht entnehmen. Denn das FG ist davon ausgegangen, dass die Bescheide vom 15. November 2004 gar keine Erklärung zur Zinsfestsetzung enthielten, weil der ursprünglich aufgenommene Text handschriftlich gestrichen worden war. Eine auslegungsfähige Regelung in Gestalt einer Erklärung zur Zinsfestsetzung lag somit nach Auffassung des FG nicht vor. Das FG ist daher von einem anderen Sachverhalt ausgegangen als der BFH in BFH/NV 2005, 1749. Eine Divergenz liegt damit nicht vor.
3. Im Wesentlichen wenden sich die Kläger im Stil einer Revisionsbegründung gegen die materielle Richtigkeit der Vorentscheidung und gegen die vom FG vorgenommene Einzelfallwürdigung. Das reicht jedoch zur ordnungsmäßigen Darlegung eines Revisionszulassungsgrundes nicht aus (vgl. u.a. Senatsbeschluss in BFH/NV 2006, 234).
Fundstellen
Haufe-Index 1642120 |
BFH/NV 2007, 243 |