Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsmittel nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung
Leitsatz (NV)
Die Revision ist - auch unter dem Gesichtspunkt der Meistbegünstigung - nicht statthaft, wenn das FG zu Recht durch Beschluß entschieden hat.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 1, § 128 Abs. 1, § 138 Abs. 1; BFHEntlG Art. 1 Nrn. 4-5
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erhob beim Finanzgericht (FG) Klage gegen den ihm erteilten Abrechnungsbescheid über die Einkommensteuer 1979, mit der er eine anderweitige Anrechnung der geleisteten Vorauszahlungen begehrte. Nachdem der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) den ebenfalls mit der Klage angefochtenen Einkommensteuerbescheid 1979 (getrennte Veranlagung) geändert hatte, erklärte der Kläger die Hauptsache in dem Abrechnungsverfahren für erledigt. Das FA schloß sich dieser Erledigungserklärung an.
Das FG legte daraufhin durch Beschluß vom 6. Dezember 1984 die Kosten des Verfahrens wegen Abrechnung dem Kläger auf. Es führte u.a. aus:
Durch die übereinstimmenden Erledigungserklärungen sei die Hauptsache im Verfahren wegen Abrechnung erledigt. Da aber der Kläger die Hauptsache für erledigt erklärt habe, obwohl das FA seinem Begehren nicht entsprochen hätte, habe er sein Klagebegehren fallengelassen. Dies stehe einer Rücknahme der Klage gleich. Ob die Absichtserklärung des FA, den Abrechnungsbescheid zu ändern (Schreiben vom 14. November 1984), eine Zusage enthalte, könne dahinstehen. Denn damit sei der Bescheid nicht - wie mit der Klage beantragt - geändert worden. Die Rechtsmittelbelehrung enthält den Hinweis, daß gegen den Beschluß ein Rechtsmittel nicht gegeben sei (Art. 1 Nr. 4 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs - BFHEntlG -).
Der Kläger hat mit am 22. September 1986 beim FG eingegangenem Schriftsatz gegen den ihm formlos bekanntgegebenen Beschluß des FG Revision eingelegt. Mit dieser rügt er, daß das FG seine Erledigungserklärung als Klagerücknahme gewertet habe. Er habe am 15. November 1984 die Erledigungserklärung abgegeben, weil das FA mit Schreiben vom 14. November 1984 seinem Klagebegehren entsprochen und ihm durch nachfolgende Umbuchung den vollen Betrag der Vorauszahlungen angerechnet habe. Spätestens sei der begehrte Verwaltungsakt am 15. November 1984 mündlich - nämlich telefonisch - erteilt worden. Nach § 138 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) hätten deshalb die Kosten dem FA auferlegt werden müssen. Das FG habe aber unter Annahme einer Klagerücknahme zu Unrecht die Kostenentscheidung nach § 138 Abs. 1 FGO getroffen.
Die Revision sei zulässig, weil die Wertung der Erledigungserklärung als Klagerücknahme, wie sie das FG vorgenommen habe, nicht in der Form eines isolierten Kostenbeschlusses habe ergehen dürfen. Nach der Rechtsauffassung des FG wäre der Streitgegenstand weiter anhängig geblieben. Das FG hätte deshalb durch Urteil feststellen müssen, daß die Erledigung nicht eingetreten, vielmehr eine Klagerücknahme erfolgt sei. Nach dem Prinzip der Meistbegünstigung sei somit das Rechtsmittel zulässig, das gegen die richtige Entscheidung (hier: Urteil) zulässig gewesen wäre.
Der Kläger beantragt, den Beschluß des FG aufzuheben und das Verfahren in der Hauptsache für erledigt zu erklären, hilfsweise die Sache zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist durch Beschluß zu verwerfen, weil sie unzulässig ist (§§ 124, 126 Abs. 1 FGO).
Nach § 115 Abs. 1 FGO i.V.m. Art. 1 Nr. 5 BFHEntlG ist die Revision - unter bestimmten weiteren Voraussetzungen - nur gegen Urteile des FG gegeben. Das Rechtsmittel des Klägers richtet sich gegen einen Beschluß des FG. Gegen Beschlüsse des FG ist, wie sich aus § 128 Abs. 1 FGO ergibt, allenfalls die Beschwerde, nicht dagegen die Revision als Rechtsmittel gegeben. Art. 1 Nr. 4 BFHEntlG schließt gegen Entscheidungen der FG in Streitigkeiten über Kosten sogar die Beschwerde als Rechtsmittel aus. Eine solche Entscheidung liegt im Streitfall vor. Denn das FG hat mit dem angefochtenen Beschluß - abgesehen von der verfahrensmäßigen Trennung von dem Klageverfahren wegen des Einkommensteuerbescheids 1979 (§ 73 Abs. 1 FGO) - eine isolierte Kostenentscheidung erlassen. Seine Rechtsmittelbelehrung, daß gegen den Beschluß gemäß Art. 1 Nr. 4 BFHEntlG ein Rechtsmittel nicht gegeben sei, ist demnach zutreffend.
Die Revision ist entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Meistbegünstigung (vgl. dazu Ruban in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., Tz. 4 Vor § 115) statthaft. Denn dies würde voraussetzen, daß das FG für seine Entscheidung eine falsche Form gewählt hat, hier also einen Beschluß erlassen hat, obwohl die Form des Urteils geboten gewesen wäre. In solchen Fällen der inkorrekten Entscheidung steht den Beteiligten nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung sowohl der Rechtsbehelf zu, der gegen die gewählte (falsche) Entscheidung zulässig wäre, als auch der Rechtsbehelf, der gegen die richtige Entscheidung zulässig gewesen wäre (vgl. Ruban in Gräber, a.a.O., Tz. 4 Vor § 115 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung). Das FG hat im Streitfall zu Recht durch Beschluß entschieden.
Wie auch der Kläger vorträgt, haben er und das FA übereinstimmend den Rechtsstreit über den Abrechnungsbescheid in der Hauptsache für erledigt erklärt. Dadurch trat die (formelle) Erledigung des Verfahrens ein, unabhängig davon, ob tatsächlich eine Erledigung der Hauptsache stattgefunden hat. Denn nach der auch für das finanzgerichtliche Verfahren geltenden Dispositionsmaxime ist es den Parteien überlassen, das Verfahren in Gang zu setzen, sein Ausmaß zu bestimmen und es auch zu beenden (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 15. Februar 1968 V B 46/67, BFHE 91, 514, BStBl II 1968, 413). Von dieser Rechtsfolge der Erledigungserklärungen ist auch das FG in dem angefochtenen Beschluß ausgegangen. Es hat, wie sich aus dem Tenor der Entscheidung ergibt, allein über die Kosten des Verfahrens entschieden und in den Gründen ausgeführt, daß durch die übereinstimmenden Erledigungserklärungen die Hauptsache im Verfahren wegen Abrechnung erledigt sei. Es bedarf folglich nicht mehr des von der Revision beantragten Ausspruchs der Erledigung. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens bei übereinstimmender Erledigungserklärung folgt aus § 138 Abs. 1 FGO (vgl. Ruban in Gräber, a.a.O., § 138 Tz. 1). Sie ist, wie die genannte Vorschrift ausdrücklich vorschreibt, durch Beschluß zu treffen.
Entgegen der Auffassung des Klägers ist das FG weder davon ausgegangen, daß die Streitsache weiter rechtshängig geblieben sei, noch hat es eine eigene Entscheidung zur Beendigung des Verfahrens durch Klagerücknahme getroffen. Seine Ausführungen, daß das FA dem Begehren des Klägers nicht entsprochen habe und dieser mit der Erledigungserklärung sein Klagebegehren fallengelassen habe, was ,,einer Rücknahme der Klage gleichstehe", hat lediglich Bedeutung als Begründung für die getroffene Kostenentscheidung, mit der dem Kläger die Verfahrenskosten auferlegt worden sind. Das FG wollte mit dieser Begründung zum Ausdruck bringen, daß sich die Kostenfolge nicht aus § 138 Abs. 2 FGO ergibt, wonach das FA die Kosten zu tragen hat, wenn sich der Rechtsstreit dadurch erledigt, daß dem Antrag des Steuerpflichtigen entsprochen wird. Diese tatsächliche und rechtliche Würdigung des FG mag - wenn man dem Revisionsvorbringen folgt - unzutreffend sein. Dies führt aber lediglich zur Fehlerhaftigkeit der getroffenen Kostenentscheidung, die nach Art. 1 Nr. 4 BFHEntlG nicht anfechtbar ist. Die Form der Entscheidung - Beschluß gemäß § 138 Abs. 1 FGO - wird dadurch nicht berührt, so daß die Revision nicht statthaft ist.
Daß das FG nur eine isolierte Kostenentscheidung hat treffen wollen, ergibt sich - neben dem Tenor des Beschlusses - auch aus der auf Art. 1 Nr. 4 BFHEntlG abgestellten Rechtsmittelbelehrung. Der Grundsatz der Meistbegünstigung könnte die Zulässigkeit der Revision selbst dann nicht begründen, wenn man auf die verfahrensrechtliche Entscheidung abstellen würde, die im Falle einer Klagerücknahme geboten wäre. Denn im Falle der Rücknahme der Klage hat das Gericht das Verfahren nach § 72 Abs. 2 Satz 2 FGO ebenfalls durch Beschluß einzustellen. Da unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Urteil ergehen konnte, ist die Revision des Klägers unzulässig. Der Senat kann folglich nicht überprüfen, ob die materiell-rechtlichen Einwendungen gegen die Vorentscheidung und die vom Kläger erhobene Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes) durchgreifen.
Fundstellen