Entscheidungsstichwort (Thema)
Mehraufwendungen für glutenfreie Ernährung bei Zöliakie nicht als außergewöhnliche Belastung abziehbar
Leitsatz (NV)
- Mehraufwendungen für eine Diätverpflegung sind nach § 33 Abs. 2 Satz 3 EStG nicht als außergewöhnliche Belastung abziehbar. Diese Regelung ist selbst dann nicht verfassungswidrig, wenn die Diät an die Stelle medikamentöser Behandlung tritt. Diese Grundsätze gelten auch für Mehraufwendungen, die den Eltern für die glutenfreie Ernährung ihres an Zöliakie erkrankten Kindes entstehen.
- Der Kinderfreibetrag wird durch das abstrakte sächliche Existenzminimum bestimmt. Ein (individueller) Mehrbedarf für eine kostenaufwändige, krankheitsbedingte Ernährung fließt nach den Vorgaben des BVerfG nicht in die Bemessung des existenznotwendigen Mindestbedarfs ein.
- Wird grundsätzliche Bedeutung geltend gemacht, weil die Nichtberücksichtigung der Mehraufwendungen für die Diät des kranken Kindes gegen das in Art. 3 Abs. 3 GG normierte Benachteiligungsverbot verstoße, ist darzulegen, inwieweit ein solches, dem Kind zustehendes Abwehrrecht den Eltern einen Anspruch auf steuerliche Vergünstigungen einräumen kann.
Normenkette
BSHG § 23 Abs. 4 Nr. 2; EStG § 32 Abs. 6, § 33 Abs. 2 S. 3, Abs. 3; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1, § 116 Abs. 3 S. 3; GG Art. 3 Abs. 3
Verfahrensgang
Nachgehend
Gründe
Von der Darstellung des Sachverhalts wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) abgesehen.
Die Beschwerde ist unbegründet.
1. Soweit die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) mit der Nichtzulassungsbeschwerde ihren Hauptantrag weiterverfolgen, einen monatlichen Pauschbetrag von 130 DM für Verpflegungsmehrbedarf ihres an Zöliakie erkrankten Sohnes in Anlehnung an einen in dieser Höhe angeblich sozialhilferechtlich vorgesehenen Mehrbedarfszuschlag steuermindernd zu berücksichtigen, haben sie keine Zulassungsgründe vorgetragen.
2. Die Gründe, mit denen sie die Revisionszulassung wegen Nichtberücksichtigung der mit dem Hilfsantrag geltend gemachten tatsächlichen Mehraufwendungen für die glutenfreie Ernährung erreichen wollen, geben der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung. Die von den Klägern aufgeworfene Frage, ob Einkommen, das für ―zwingend existenzsichernde― Aufwendungen für eine krankheitsbedingt spezifische Ernährung (hier: glutenfreie Ernährung bei Zöliakie) eingesetzt wird, von Verfassungs wegen steuerfrei bleiben muss, ist nicht klärungsbedürftig.
a) Nach dem Urteil des Senats vom 27. September 1991 III R 15/91 (BFHE 165, 531, BStBl II 1992, 110) ist die Regelung in § 33 Abs. 2 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG), nach der Mehraufwendungen für Diätverpflegung nicht als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen sind, selbst dann nicht verfassungswidrig, wenn die Diät an die Stelle medikamentöser Behandlung tritt. Das Finanzgericht (FG) hat die Rechtsgrundsätze dieses Urteils auf den Streitfall übertragen, da die Zöliakieerkrankung mit den in der Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) genannten Erkrankungen (Zuckerkrankheit, multiple Sklerose, Neurodermitis) insoweit vergleichbar sei, als die Erkrankten in allen Fällen auf eine besondere Ernährung angewiesen seien.
aa) Mit dem Einwand, diese Feststellung berücksichtige nicht die besonderen Probleme, die sich bei lebenslangen Aufwendungen für eine glutenfreie Ernährung bei Zöliakie ergäben, weil bei anderen Erkrankungen immer auch andere Behandlungsmöglichkeiten bestünden, zeigen die Kläger keine klärungsbedürftige Rechtsfrage auf, sondern widersprechen der Sachverhaltswürdigung des FG. Dies vermag die Zulassung der Revision nach ständiger Rechtsprechung nicht zu rechtfertigen (BFH-Beschlüsse vom 14. Oktober 1992 III B 16/92, BFH/NV 1993, 546, und vom 19. September 1994 VIII B 110/93, BFH/NV 1995, 243). Zwar soll mit den neu gefassten Zulassungsgründen seit 1. Januar 2001 eine Revision auch dann ermöglicht werden, wenn dem FG bei der Auslegung und Anwendung des Rechts schwerwiegende Fehler unterlaufen sind, die geeignet sind, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen (z.B. BFH-Beschluss vom 14. Februar 2002 VII B 141/01, BFH/NV 2002, 798). Ein derart schwerwiegender Fehler haftet der Entscheidung des FG nicht an. Es ist vielmehr eine mögliche, den Denkgesetzen nicht widersprechende Wertung, dass ein (steuer)rechtlich relevanter Unterschied zwischen einer spezifischen Ernährung zur Behandlung der Zöliakie und einer Diäternährung bei anderen Krankheiten, etwa Neurodermitis, nicht besteht und die glutenfreie Ernährung eine Diät i.S. des § 33 Abs. 2 Satz 3 EStG ist.
bb) Die Ausführungen der Kläger zu der Frage, ob und wann außergewöhnliche Belastungen um die zumutbare Eigenbelastung nach § 33 Abs. 3 EStG gekürzt werden dürfen, solange dem Steuerpflichtigen ein verfügbares Einkommen verbleibt, das über dem sozialhilferechtlichen Regelsatz für das Existenzminimum liegt, sind unerheblich, da die Abzugsmöglichkeit für Diätaufwendungen grundsätzlich ausgeschlossen ist.
b) Es ist auch nicht klärungsbedürftig, ob der Gesetzgeber die für eine spezifische Ernährung erforderlichen Mittel besteuern darf.
aa) Das Bundesverfassungsgericht ―BVerfG― (Kammerbeschluss vom 29. Oktober 1987 1 BvR 672/87, Steuerrechtsprechung in Karteiform ―StRK― Einkommensteuergesetz 1975 All. R. 39, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung ―HFR― 1989, 152) und der Senat (in BFHE 165, 531, BStBl II 1992, 110) haben den Wegfall der Pauschbeträge für Diätverpflegung durch das Einkommensteuerreformgesetz 1974 verfassungsrechtlich nicht beanstandet.
bb) Klärungsbedarf besteht auch nicht zu der Frage, ob § 32 Abs. 6 EStG verfassungswidrig ist, weil er eine Erhöhung des Kinderfreibetrages nicht vorsieht, wenn unausweichliche Mehraufwendungen für die Ernährung des Kindes dessen Existenzminimum erhöhen.
Der BFH hat in Konkretisierung der Entscheidungen des BVerfG zu § 32 Abs. 6 EStG i.d.F. des Steuersenkungsgesetzes 1986/1988 vom 10. November 1998 2 BvL 42/93, 2 BvR 1220/93 und 2 BvR 1852, 1853/97 (BVerfGE 99, 246, 268 und 273, BStBl II 1999, 174, 193 und 194) entschieden, dass individueller Sonderbedarf bei der Ermittlung des Existenzminimums des Kindes nicht zu berücksichtigen sei (Beschluss vom 5. Februar 2002 VI B 165/99, BFH/NV 2002, 781). Nach den grundlegenden Ausführungen des BVerfG in BVerfGE 99, 246, BStBl II 1999, 174 (unter C.I.3.) müssen die von Verfassungs wegen zu berücksichtigenden existenzsichernden Aufwendungen nach dem tatsächlichen Bedarf ―realitätsgerecht― bemessen werden. Mindestens das, was der Gesetzgeber dem Bedürftigen zur Befriedigung seines existenznotwendigen Bedarfs aus öffentlichen Mitteln zur Verfügung stellt, müsse er auch dem Einkommensbezieher von dessen Erwerbsbezügen belassen.
Die verfassungsrechtlich vorgegebene Maßgröße des sozialhilferechtlich anerkannten existenznotwendigen Mindestbedarfs errechnet sich danach auf der Grundlage des Bundessozialhilfegesetzes BSHG in folgenden Positionen: Regelsatz gemäß § 22 Abs. 3 BSHG, Leistungen für Unterkunft und Heizung gemäß § 3 Abs. 1 und 2 der Regelsatzverordnung, Einmalbeihilfen für zusätzlichen Grundbedarf, der nicht durch laufende Leistungen gedeckt ist, und Mehrbedarf zur Berücksichtigung der durch die Erwerbstätigkeit bedingten erhöhten privaten Bedürfnisse gemäß § 23 Abs. 4 Nr. 1 BSHG, der mit Wirkung vom 27. Juni 1993 entfallen ist.
Diese Positionen dürften zwar typisiert werden, seien dabei aber so zu bemessen, dass die Abzugsbeträge in allen Fällen den existenznotwendigen Bedarf abdeckten, kein Steuerpflichtiger also infolge einer Besteuerung seines Einkommens darauf verwiesen werde, seinen existenznotwendigen Bedarf durch Inanspruchnahme von Staatsleistungen zu sichern.
Nach diesen Ausführungen wird der Kinderfreibetrag durch das abstrakte sächliche Existenzminimum eines Kindes bestimmt. Ein (individueller) Mehrbedarf für eine kostenaufwendige, krankheitsbedingte Ernährung gemäß § 23 Abs. 4 Nr. 2 BSHG i.d.F. bis 26. Juni 1993 (= § 23 Abs. 4 BSHG i.d.F. des Art. 7 Nr. 8 des Gesetzes zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms vom 23. Juni 1993, BGBl I 1993, 944) fließt dagegen nach den Vorgaben des BVerfG nicht in die Bemessung des existenznotwendigen Mindesbedarfs ein.
c) Die Kläger behaupten weiter die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, weil die steuerliche Nichtberücksichtigung der Aufwendungen für Diäternährung gegen das in Art. 3 Abs. 3 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) verankerte Benachteiligungsverbot Behinderter, zu denen auch chronisch Kranke zählten, verstoße. Insoweit ist die Beschwerde unzulässig.
Nach ständiger Rechtsprechung des BFH führt die bloße Behauptung, eine Norm sei verfassungswidrig, nicht zur Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung, sofern diese nicht offenkundig ist (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 10. Juli 2000 XI B 27/00, BFH/NV 2001, 34, und vom 18. August 1992 VII B 227/91, BFH/NV 1993, 312). Wird die Verfassungswidrigkeit einer Norm geltend gemacht, muss der Beschwerdeführer in der Beschwerdeschrift den behaupteten Verfassungsverstoß darlegen (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO). Erforderlich ist demnach eine substantiierte, an den Vorgaben des GG sowie der dazu ergangenen Rechtsprechung des BVerfG orientierte rechtliche Auseinandersetzung (vgl. BFH-Beschlüsse vom 3. April 2001 VI B 224/99, BFH/NV 2001, 1138; vom 26. September 2002, VII B 270/01, BFH/NV 2003, 480).
aa) Der durch das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 27. Oktober 1994 (BGBl I 1994, 3146) mit Wirkung vom 15. November 1994 neu in das GG eingefügte Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG verbietet die Benachteiligung Behinderter. Dadurch wird ein subjektives Recht behinderter Menschen normiert. Die Kläger haben nicht dargelegt, wie dieses ―ihrem behinderten Sohn zustehende― Abwehrrecht ihnen, den Eltern, ein Recht auf steuerliche Berücksichtigung von Aufwendungen einräumen kann. Die Kläger sind nicht Träger dieses Grundrechts (BFH-Urteil vom 15. Oktober 1999 VI R 182/98, BFHE 189, 457, BStBl II 2000, 79; Starck in v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, 4. Aufl., Art. 3 Abs. 3 Rn. 383; vgl. im Übrigen BVerfG-Beschluss vom 19. Januar 1999 1 BvR 2161/94, BVerfGE 99, 341).
bb) Die Kläger haben sich auch nicht dazu geäußert, dass das Verbot der Benachteiligung wegen einer Behinderung in Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG nach Wortlaut, Systematik und Zweck den Behinderten nur ein subjektives Abwehrrecht gegen Benachteiligungen, aber keinen Anspruch auf bestimmte Vergünstigungen im Vergleich zu Nichtbehinderten einräumte (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Oktober 1997 1 BvR 9/97 BVerfGE 96, 288, Neue Juristische Wochenschrift ―NJW― 1998, 131, 132; Bundessozialgericht ―BSG―, Urteil vom 13. Mai 1998 B 14 EG 3/97 R, SozR 3-7833 § 6 Nr. 16, NJW Entscheidungsdienst - Familien- und Erbrecht 1999, 71 bis 72). Nach der Rechtsprechung des BSG ist das Verbot der Benachteiligung wegen einer Behinderung auch nicht geeignet, originäre Leistungsansprüche im Sozialrecht zu begründen (BSG, Urteil vom 20. Februar 2002 B 11 AL 60/01 R, SozR 3-5765 § 9 Nr. 2). Angesichts dieser Rechtsprechung genügt der Vortrag, dass die Vorgaben des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG für den Steuergesetzgeber nicht ohne weiteres durch den Wortlaut der Vorschrift zu beantworten seien, nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO an die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung.
Fundstellen
Haufe-Index 1075937 |
BFH/NV 2004, 187 |