Leitsatz (amtlich)
§ 150 FGO gilt nur für die Vollstreckung aus gerichtlichen Entscheidungen. Der Vollstreckungsschuldner kann daher nicht unter Berufung auf diese Bestimmung die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus Steuerbescheiden unmittelbar beim FG beantragen.
Normenkette
AO § 333; FGO § 150
Tatbestand
Die Beschwerdeführerin schuldet aufgrund bestandskräftiger Steuerbescheide an Einkommensteuer und Kirchensteuer einschließlich Säumniszuschlägen insgesamt 16 722 DM. Nachdem die Beschwerdeführerin mehrere Tilgungsvereinbarungen mit dem FA, wonach die Steuerschulden in monatlichen Teilbeträgen getilgt werden sollten, nicht eingehalten hatte, beantragte das FA beim Amtsgericht unter dem 1. März 1976, die Zwangsversteigerung des der Beschwerdeführerin gehörenden Grundstücks ... anzuordnen. Mit Beschluß vom 8. März 1976 entsprach das Amtsgericht diesem Antrag. Unter dem 22. März 1976 beantragte die Beschwerdeführerin beim FG Bremen, das FA durch gerichtlichen Beschluß "zur Zurücknahme des Antrags auf Zwangsversteigerung des Grundstücks ... zu veranlassen und ihr monatliche 200-Mark-Raten zur Tilgung ihrer Steuerschulden zu gewähren". Zuvor hatte sie unter dem 17. März 1976 beim Amtsgericht die einstweilige Einstellung des Zwangsversteigerungsverfahrens nach § 30 a des Zwangsversteigerungsgesetzes beantragt. Mit Schreiben vom 4. Mai 1976 an das Amtsgericht erklärte sich das FA mit der einstweiligen Einstellung des Zwangsversteigerungsverfahrens bis 31. August 1976 unter der Voraussetzung einverstanden, daß die entstandenen Gerichtskosten gezahlt würden.
Das FG wies den Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung mit Beschluß vom 3. Juni 1976 I 44/76 As (EFG 1976, 463) als unzulässig zurück. Es führte aus, die Beschwerdeführerin begehre im Ergebnis die vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung bei gleichzeitiger Gewährung einer ratenweisen Tilgung der bestehenden Steuerrückstände durch das Gericht. Zu einer solchen Einstellung der Zwangsvollstreckung sei das FG jedoch nicht befugt. Nach § 333 AO könne allein das FA als Vollstreckungsbehörde unter den dort genannten Voraussetzungen die angeordnete Zwangsvollstreckung einstweilen einstellen. Nur wenn das FA einen entsprechenden Antrag der Beschwerdeführerin ablehne und die gegen den Ablehnungsbescheid nach § 230 Abs. 1 AO zulässige Beschwerde ohne Erfolg bliebe, könnte das Gericht im Klageverfahren mit dem Antrag angerufen werden, das FA zu der beantragten einstweiligen Einstellung des Vollstreckungsverfahrens zu veranlassen. Die Befugnis des FG, die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung selbst anstelle des FA anzuordnen, ergebe sich auch nicht aus § 150 Satz 3 i. V. m. § 69 Abs. 3 der FGO (so Beschluß des FG Düsseldorf vom 16. Mai 1967 IV 895/67 A, EFG 1967, 578).
Hiergegen richtet sich die Beschwerde.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist nicht begründet.
Das FG hat zu Recht den Antrag für nicht zulässig erachtet. Nach § 333 AO kann das Finanzamt die Zwangsvollstreckung einstweilen einstellen, soweit sie im Einzelfall unbillig ist. Wortlaut und Sinn dieser Bestimmung sind eindeutig. Die Maßnahme ist dem FA vorbehalten. Das Gericht kann sich mit dieser Frage erst befassen, wenn das FA eine solche Maßnahme abgelehnt hat, die dagegen nach § 230 Abs. 1 AO eingelegte Beschwerde ohne Erfolg geblieben ist und der Betroffene Klage erhoben hat.
Etwas anderes kann auch nicht aus § 150 FGO entnommen werden. Diese Bestimmung gilt nur für die Vollstreckung aus gerichtlichen Entscheidungen (vgl. BFH-Beschluß vom 19. Juni 1974 VI B 27/74, BFHE 113, 1, BStBl II 1974, 640; Tipke/Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 7. Aufl., § 150 FGO Anm. 1; v. Wallis/List in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 1. bis 6. Aufl., § 150 FGO Anm. 3), die hier nicht in Betracht kommt. Der Wortlaut des § 150 FGO läßt das zwar nicht eindeutig erkennen. Seine systematische Stellung im Rahmen der FGO - einer Regelung des finanzgerichtlichen Verfahrens - macht das aber deutlich. Es erscheint ausgeschlossen, daß der Gesetzgeber der Finanzgerichtsordnung in diesem Rahmen eine Änderung oder Ergänzung der Vollstreckungsvorschriften der AO vornehmen wollte. Wäre das seine Absicht gewesen, so hätte er das zweifellos deutlicher zum Ausdruck gebracht. Auch die Regelung des § 150 Satz 3 FGO spricht für diese Auslegung. Danach gilt für die Vollstreckung § 69 FGO "sinngemäß". Da § 69 FGO unmittelbar Anwendung findet, wenn es sich um die Vollziehung von Verwaltungsakten handelt, kann die Anordnung der sinngemäßen Anwendung dieser Vorschrift nur dahin gedeutet werden, daß hier die Aussetzung der Vollziehung von gerichtlichen Entscheidungen (z. B. wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärte Entscheidungen) geregelt werden sollte, auf die § 69 FGO unmittelbar nicht zutrifft.
Auch die Entstehungsgeschichte des § 150 FGO bestätigt diese Auffassung. Die entsprechende Vorschrift in der ursprünglichen Regierungsvorlage galt ausdrücklich für die "Vollstreckung aus Entscheidungen der Finanzgerichte oder des Bundesfinanzhofs" (vgl. Bundestags-Drucksache IV/1446, § 146 des Entwurfs). Diese Vorschrift hat im Laufe der Beratungen in den Ausschüssen des Bundestags den jetzigen Wortlaut erhalten (vgl. Bundestags-Drucksache IV/3523). Die Neufassung ist in der Bundestags-Drucksache zu IV/3523 damit begründet worden, daß die Regierungsvorlage ergänzungsbedürftig gewesen und daher durch die erweiterte Regelung ersetzt worden sei. Die Motive der Neufassung lassen sich daraus freilich nicht eindeutig erkennen. Jedenfalls kann aber ausgeschlossen werden, daß der Gesetzgeber mit der Regelung des § 150 FGO eine Änderung der Regelung der Reichsabgabenordnung für die Vollstreckung - z. B. des § 333 AO - beabsichtigte; denn anderenfalls wäre es nicht verständlich, daß in der Begründung des Berichterstatters des Bundestags für die Änderung auf eine so weitgehende, in der FGO gar nicht angezeigte und dort auch nicht erwartete Änderung der Vorschriften der AO nicht hingewiesen worden ist.
Zu Unrecht beruft sich das FG Düsseldorf für seine gegenteilige Auffassung (vgl. Beschluß IV 895/76 A) auf die Rechtsprechung des BFH. Beide vom FG Düsseldorf zitierten Beschlüsse des BFH (vom 12. August 1966 IV B 5/66, BFHE 86, 544, BStBl III 1966, 596, und vom 24. Januar 1967 VII B 9/66, BFHE 88, 18, BStBl III 1967, 253) betreffen Fälle der Einstellung der Zwangsvollstrekkung aus rechtskräftigen finanzgerichtlichen Urteilen während eines Wiederaufnahmeverfahrens, also zweifellos Anwendungsfälle des § 150 FGO.
Fundstellen
Haufe-Index 72025 |
BStBl II 1977, 49 |
BFHE 1977, 162 |