Leitsatz (amtlich)
1. Eine mißbräuchliche Ablehnung von Richtern bleibt unbeachtet; der Senat entscheidet in der normalen Besetzung, also gegebenenfalls unter Einschluß der abgelehnten Richter.
2. Gegen die Entscheidung des Vorsitzenden des Senats eines FG über die Berichtigung (§ 107 FGO) oder Ergänzung (§ 109 FGO) einer einstweiligen Anordnung (§ 114 Abs. 1 und 2 FGO) ist die Anrufung des Gerichts (§ 114 Abs. 2 Satz 4 FGO), nicht aber die Beschwerde an den BFH (§ 128 FGO) gegeben.
Normenkette
FGO § 51 Abs. 1, §§ 107, 109, 114 Abs. 1-2; ZPO § 42
Tatbestand
Der Vorsitzende des damals zuständigen VI. Senats des FG hat dem Antragsteller und Beschwerdeführer durch Beschluß vom 13. November 1969 im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 114 Abs. 1 und 2 FGO einen auf der Lohnsteuerkarte 1969 für den Monat Dezember einzutragenden Werbungskostenpauschbetrag von 450 DM gewährt. Mit Postkarte vom 21. Januar 1970 begehrte der Antragsteller eine Berichtigung des Beschlusses, da dieser keine Kostenentscheidung enthalte; er war der Auffassung, daß es sich nicht um einen Antrag nach § 109 FGO, sondern um einen Berichtigungsantrag nach § 107 FGO handele. Der Vorsitzende des inzwischen neu gebildeten VIII. Senats des FG, auf den die Zuständigkeit für die Entscheidung aller Lohnsteuersachen des FA übergegangen war, lehnte den Antrag ab, weil es sich nicht um einen Berichtigungsantrag nach § 107 FGO, sondern um einen Ergänzungsantrag nach § 109 FGO handele, der Antragsteller aber ausdrücklich erklärt habe, daß er einen Antrag nach § 109 FGO nicht stelle. Ein Antrag nach § 109 FGO wäre zudem verspätet gewesen. Auch ein Antrag auf Ergänzung des Beschlusses vom 13. November 1969 bezüglich der Kostenentscheidung im gewöhnlichen Rechtsmittelverfahren durch Anrufung des Gerichts nach § 114 Abs. 2 Satz 2 FGO könne in dem Berichtigungsantrag nach § 107 FGO nicht gesehen werden, weil der Antragsteller die zweiwöchige Anrufungsfrist ebenfalls versäumt habe.
Der Beschluß des Vorsitzenden enthält die Rechtsmittelbelehrung, daß gemäß § 128 Abs. 1 FGO die Beschwerde an den BFH zulässig ist. Mit der auf einer Postkarte eingelegten Beschwerde trägt der Antragsteller vor, das Gericht sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen. Nicht der Vorsitzende, sondern alle Berufsrichter des Senats hätten zu entscheiden gehabt. Auch eine Kostenentscheidung könne nach § 107 FGO nachgeholt werden (vgl. Entscheidung des BVerwG VIII C 159/59 vom 23. Dezember 1959, DÖV 1960, 236). Denn nach dem Inhalt der Entscheidung sei es klar gewesen, daß und wie die Kostenentscheidung hätte erfolgen müssen. Das ergebe sich auch aus einem späteren Beschluß des FG (weiteres unleserlich). Der Vorsitzende des VIII. Senats des FG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
Die Entscheidung über die Beschwerde liegt beim VI. Senat.
Mit Postkarte vom 5. November 1970 lehnte der Antragsteller die Richter X, Y und Z, die dem VI. Senat angehören, wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Er begründete die Ablehnung mit dem Verhalten der abgelehnten Richter in der Beschwerdesache VI B 6/70, in der sie einfach die Behauptungen der Gegenseite übernommen hätten, ohne ihm rechtliches Gehör zu gewähren. (In dieser Sache hatte das FG den Erlaß einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Der Antragsteller hatte seine Beschwerde hiergegen, nachdem das FA ihm einen Freibetrag auf der Lohnsteuerkarte eingetragen hatte, in der Hauptsache für erledigt erklärt. Der Senat legte eine Erklärung des FA, nach der die Voraussetzungen für die Gewährung des beantragten Werbungskostenpauschbetrags auch für 1970 (9 Monate) erfüllt seien, ebenfalls als Erledigungserklärung aus und stellte in seinem das Verfahren abschließenden Beschluß vom 26. Juni 1970 fest, daß die Hauptsache erledigt ist. Die Erklärung des FA wurde dem Antragsteller zuvor nicht zur Gegenäußerung zugeleitet. In dem Beschluß legte der Senat dem Antragsteller die gesamten Verfahrenskosten auf, weil die Eintragung im normalen Eintragungsverfahren, nicht im Verfahren der einstweiligen Anordnung vorgenommen worden war - was eine Kostenentscheidung nicht nach § 138 Abs. 2, sondern nach § 138 Abs. 1 FGO rechtfertigte - und weil der Senat die Voraussetzungen für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung nicht als erfüllt ansah). Außerdem stützte der Antragsteller die Ablehnung darauf, daß sein Antrag vom 15. August 1970 in der Sache VI B 6/70 offensichtlich ignoriert werde. (Es handelt sich um eine "Gegenvorstellung" gegen den vorerwähnten Beschluß vom 26. Juni 1970).
Der Senat entschied in einer Besetzung ohne die abgelehnten Richter nach deren Anhörung mit Beschluß vom 25. Januar 1971, daß das Ablehnungsgesuch betreffend den Richter Y als unzulässig zurückgewiesen und die Ablehnungsgesuche betreffend die Richter X und Z abgelehnt würden. Der Richter Y wirke bei der Entscheidung der Sache nach der Geschäftsverteilung nicht mit. Aus der Sachbehandlung in dem FaII VI B 6/70 könnten keine Anhaltspunkte für eine Befangenheit abgeleitet werden. Die auf die Sachbehandlung in der Sache VI B 63/70 gestützte Ablehnung sei nicht schlüssig begründet. (In dieser Sache hatte der Antragsteller gegen die Ablehnung der Befangenheitserklärung von Richtern des FG Beschwerde eingelegt und diese Beschwerde, nachdem er zuvor auch Richter des Senats abgelehnt hatte, zurückgenommen). An der Entscheidung haben die Richter A, B und C mitgewirkt.
Mit Postkarte vom 13. Februar 1971 lehnte der Antragsteller die Richter X, Z, A, B und C wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Er stützte die Ablehnung auf die Nichtbearbeitung seiner Gegenvorstellung vom 15. August 1970 in der Sache VI B 6/70. Darauf sei bereits sein Ablehnungsantrag vom 5. November 1970 gestützt gewesen, wie der Beschluß des Senats richtig ausführe. Der Beschluß setze sich dann aber nur mit einer angeblich von ihm behaupteten "Ignorierung der Ablehnungsgesuche in VI B 63/70" auseinander. Einen derartigen - abwegigen - Ablehnungsgrund habe er nicht geltend gemacht. Er sei ihm vom BFH zu Unrecht unterschoben worden. Da die Ignorierung seines Antrags in VI B 6/70 nicht behandelt sei, könne sie erneut als Ablehnungsgrund vorgebracht werden.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Beschwerde ist unzulässig.
Den erneuten Ablehnungsantrag läßt der Senat als mißbräuchlich unbeachtet. Er entscheidet daher über die Beschwerde in der normalen, d.h. nach dem Geschäftsverteilungsplan vorgesehenen, Besetzung einschließlich der abgelehnten Richter X und C.
Wie der Senat bereits in seinem Beschluß vom 25. Januar 1971 ausgeführt hat, gelten nach § 51 Abs. 1 FGO für die Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen die §§ 41 bis 49 ZPO und § 70 Abs. 1 AO sinngemäß. Die Vorschriften über die Ablehnung von Gerichtspersonen betreffen aber nur die ernstgemeinte und ernst zu nehmende Ablehnung. Das Gesetz will, indem es das Ablehnungsrecht in weitem Umfange gewährt, eine unparteiische Rechtspflege möglichst sichern; es setzt aber als selbstverständlich voraus, daß nicht absichtlich Mißbrauch damit getrieben wird, vielmehr ernstlich Umstände angeführt und glaubhaft gemacht werden, die objektiv die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen. Es ist nicht Sinn der Institution der Ablehnung, den Beteiligten die Möglichkeit zu gewähren, nach ihrem Belieben sich die Richter auszusuchen oder gar unter der Form der Ablehnung die Entscheidung absichtlich zu verschleppen (Entscheidung des RG III 53/90 vom 23. Juni 1899, RGZ 44, 402; Entscheidung des RG in Strafsachen 2393/97 vom 8. Oktober 1897, RGSt 30, 273; RG-Entscheidung VII B 13/35 vom 19. August 1935, NJW 1935, 2894; Beschluß des BFH VII R 42/66 vom 2. März 1967, BFH 88, 194, BStBl III 1967, 320). So hat auch das BVerfG in seinem Beschluß 2 BvR 36/60 vom 22. Februar 1960 (BVerfGE 11, 1 [5]) eine Richterablehnung als mißbräuchlich angesehen, weil der vorgebrachte Ablehnungsgrund "evident abwegig" sei. In dem Beschluß 2 BvR 473/60 vom 2. November 1960 (BVerfGE 11, 343 [348]) hat es ebenfalls einen Mißbrauch angenommen und darauf hingewiesen, daß der Beschwerdeführer immer wieder ohne ausreichende Gründe Richter abgelehnt habe und sämtliche Ablehnungsgesuche zurückgewiesen worden seien. Es hat ausgeführt, diese Vorgänge wie auch die Tatsache, daß der Beschwerdeführer gegen Richter, die ihm nachteilige Entscheidungen gefällt haben, Dienstaufsichtsbeschwerde oder Anzeige wegen Rechtsbeugung angebracht hat, zeigten, daß der Beschwerdeführer das Ablehnungsrecht mißbrauche. Auch im vorliegenden Fall mißbraucht der Antragsteller das Ablehnungsrecht. Ihm ist bereits in dem Beschluß des Senats vom 25. Januar 1971 klargelegt worden, daß aus der Sachbehandlung in der Sache VI B 6/70 kein Ablehnungsgrund hergeleitet werden könne.
Bei dem nach seinem Vorbringen in der Sache VI B 6/70 nicht behandelten Antrag vom 15. August 1970 handelt es sich um eine "Gegenvorstellung" gegen den Beschluß des Senats vom 26. Juni 1970, mit dem er die Erledigung der Hauptsache festgestellt und über die Kosten entschieden hatte. Der Antragsteller hatte ausgeführt, daß er Verfassungsbeschwerde erheben werde, wenn nicht bis zum 30. August Abhilfe geschaffen sei. Die Feststellung der Erledigung beruhte außer auf einer Erklärung des FA auf der ausdrücklichen Erklärung des Antragstellers, das FA habe "den in diesem Verfahren geltend gemachten Pauschbetrag heute freiwillig gewährt" und er erkläre "die Hauptsache daher für erledigt ...". Mit der "Gegenvorstellung" wandte sich der Antragsteller somit gegen seine eigene, vom Senat lediglich übernommene ausdrückliche Erklärung. In welchen Fällen nach Zustellung eines Beschlusses des BFH eine "Gegenvorstellung" überhaupt beachtlich sein könnte, braucht der Senat in diesem Verfahren nicht zu entscheiden. Es bedeutet aber einen evident abwegigen Ablehnungsgrund, wenn der Antragsteller Richter des Senats nur deshalb ablehnt, weil sie auf eine derartige "Gegenvorstellung" hin bisher nicht den auf seiner eigenen Erklärung beruhenden und dieser Erklärung Rechnung tragenden Beschluß geändert oder aufgehoben haben. Dem Senat ist zudem aus anderen bei ihm anhängigen Verfahren (VI B 52/71 sowie die bereits erwähnten Sachen VI B 6/70 und VI B 63/70) bekannt, daß der Antragsteller jeden Richter, der bei einer ihm ungünstigen Entscheidung des FG oder des BFH mitwirkt, ablehnt. So ist es auch im vorliegenden Fall geschehen. Bei dieser Sachlage war das erneute Ablehnungsgesuch als mißbräuchlich unbeachtet zu lassen.
Nach § 128 Abs. 1 FGO ist gegen Entscheidungen des FG, die nicht Urteile oder Vorbescheide sind, und gegen Entscheidungen des Vorsitzenden dieses Gerichts die Beschwerde an den BFH nur gegeben, soweit nicht in der FGO etwas anderes bestimmt ist. Eine solche andere Bestimmung enthält § 114 Abs. 2 Satz 4 FGO, nach dem gegen die in dringenden Fällen nach § 114 Abs. 2 Satz 3 FGO zulässige Entscheidung des Vorsitzenden über einen Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe das Gericht angerufen werden kann. Diese Vorschrift bezieht sich ihrem Wortlaut nach zwar unmittelbar lediglich auf die Entscheidung über den Erlaß einer einstweiligen Anordnung selbst. Gegenstand der Entscheidung ist im vorliegenden Fall nicht die einstweilige Anordnung als solche, sondern deren Berichtigung nach § 107 FGO oder Ergänzung nach § 109 FGO. Die nach diesen Vorschriften zu treffenden Entscheidungen sind aber lediglich Nebenentscheidungen, die zu einer Hauptentscheidung ergehen, und diese Hauptentscheidung ist im vorliegenden Fall die Entscheidung über die einstweilige Anordnung. Es erscheint deshalb geboten, auch auf sie die für die Hauptentscheidung selbst geltende Vorschrift des § 114 Abs. 2 Satz 4 FGO anzuwenden. Wenn schon in bezug auf die Hauptentscheidung nicht der BFH, sondern zunächst das FG angerufen werden kann, so muß das erst recht hinsichtlich der Nebenentscheidung gelten.
Der Antragsteller konnte daher gegen die Ablehnung der von ihm begehrten Berichtigung durch den Vorsitzenden des VIII. Senats des FG nach § 114 Abs. 2 Satz 4 FGO nur das FG als solches anrufen. Die Beschwerde nach § 128 Abs. 1 FGO ist im einstweiligen Anordnungsverfahren allenfalls gegen die Entscheidung des FG, nicht aber gegen die Entscheidung des Vorsitzenden eines Senats des FG gegeben.
Bei dieser Rechtslage konnte es der Senat dahingestellt lassen, ob die Beschwerde nicht auch nach § 128 Abs. 3 FGO deshalb unzulässig war, weil es sich lediglich um eine Kostenentscheidung handelt und der Streitwert von 50 DM offensichtlich nicht überschritten wird.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens waren nach § 135 Abs. 1 FGO dem Antragsteller aufzuerlegen. Der Senat hielt es jedoch für geboten, von der Erhebung von Gerichtskosten abzusehen. Der Beschluß des Vorsitzenden des VIII. Senats des FG enthält die Rechtsmittelbelehrung, daß die Beschwerde an den BFH gegeben sei. Diese Rechtsmittelbelehrung ist wie ausgeführt unrichtig. Es liegt deshalb eine unrichtige Sachbehandlung seitens des FG im Sinne des § 7 GKG (§ 140 Abs. 1 FGO) vor. Es kann davon ausgegangen werden, daß der Antragsteller, wenn die Rechtsmittelbelehrung richtig gewesen wäre, von der Einlegung der Beschwerde abgesehen hätte.
Fundstellen
Haufe-Index 69652 |
BStBl II 1972, 570 |
BFHE 1972, 316 |