Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiederaufnahme eines ausgesetzten Klageverfahrens
Leitsatz (NV)
Ist ein finanzgerichtliches Klageverfahren bis zur Entscheidung eines anderen Verfahrens ausgesetzt, so findet die Aussetzung mit der Entscheidung des anderen Verfahrens ihr Ende, ohne daß es einer weiteren Entscheidung des FG bedarf. Erläßt das FG in einem solchen Fall gleichwohl einen förmlichen Beschluß, das Klageverfahren wiederaufzunehmen, hat dieser nur deklaratorische Bedeutung, weil hierdurch keine (neue) Regelung getroffen wird. Er bedarf deshalb keiner Begründung. Eine gegen diesen Beschluß eingelegte Beschwerde ist gemäß § 128 Abs. 1 FGO statthaft, weil der Kläger durch diesen formell beschwert ist.
Normenkette
FGO §§ 74, 128 Abs. 1
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) hat gegen eine Vermögensteuerfestsetzung des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt ―FA―) auf den 1. Januar 1993 vom 6. Februar 1997 Klage erhoben und unter Hinweis auf den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 22. Juni 1995 2 BvL 37/91 (BStBl II 1995, 655) geltend gemacht, das Vermögensteuergesetz (VStG) dürfe ab dem 1. Januar 1997 nicht mehr angewendet werden.
Das Finanzgericht (FG) hat ―mit Einverständnis der Beteiligten― das Verfahren bis zur Entscheidung des BVerfG im Verfahren 1 BvR 1831/97 nach § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ausgesetzt. Nachdem das BVerfG in dem Verfahren 1 BvR 1831/97 entschieden hatte (vgl. Beschluß vom 30. März 1998, Der Betrieb 1998, 862), beschloß das FG am 14. Mai 1998, das Klageverfahren unter neuem Aktenzeichen wiederaufzunehmen und fortzuführen. Der Beschluß enthält keine Begründung.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Klägers. Mit dieser macht er geltend, die Entscheidung des BVerfG im Verfahren 1 BvR 1831/97 sei lediglich in einem Verfahren betreffend vorläufigen Rechtsschutz, demnach in einem summarischen Verfahren ergangen. Es müßten erst noch die Entscheidungen in den vor dem Bundesfinanzhof (BFH) noch anhängigen Verfahren II R 104/97, II R 4/98 und II R 102/97 abgewartet werden.
Der Kläger beantragt, das Verfahren bis zu den BFH-Entscheidungen zu den genannten Aktenzeichen auszusetzen.
Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
Nach § 74 FGO kann das Gericht, wenn die Entscheidung ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, daß die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits auszusetzen sei. Diese Voraussetzungen hat das FG zutreffend im Hinblick auf das seinerzeit vor dem BVerfG noch anhängige Verfahren 1 BvR 1831/97 als gegeben angesehen. Denn es handelte sich um ein Musterverfahren, welches die Verfassungsmäßigkeit einer im Streitfall entscheidungserheblichen gesetzlichen Regelung zum Gegenstand hatte und insoweit für das vorliegende Steuerrechtsverhältnis vorgreiflich i.S. des § 74 FGO war (vgl. Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 74 Rdnr. 12).
Ist ein finanzgerichtliches Klageverfahren ―wie im Streitfall― bis zur Entscheidung eines anderen Verfahrens ausgesetzt, so findet die Aussetzung mit der Entscheidung des anderen Verfahrens ihr Ende, ohne daß es einer weiteren FG-Entscheidung bedarf (BFH-Urteil vom 27. September 1990 I R 143/87, BFHE 162, 208, BStBl II 1991, 101, unter Hinweis auf das Urteil des Bundesgerichtshofs ―BGH― vom 24. Januar 1989 XI ZR 75/88, BGHZ 106, 295, Neue Juristische Wochenschrift 1989, 1729; Zöller/Greger, Zivilprozeßordnung, 21. Aufl., § 148 Rdnr. 8).
Die Aussetzung des Klageverfahrens war demnach bereits mit der Entscheidung des BVerfG im Verfahren 1 BvR 1831/97 beendet. Dem mit der Beschwerde angefochtenen Beschluß des FG über die Aufnahme des Verfahrens vom 14. Mai 1998 kommt deshalb lediglich deklaratorische Bedeutung zu.
Die Beschwerde ist gleichwohl gemäß § 128 Abs. 1 FGO statthaft. Sie ist auch nicht mangels eines Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Denn aus der Sicht des Klägers liegt eine förmliche Gerichtsentscheidung vor, die seinem Begehren um eine weitere Aussetzung des Klageverfahrens entgegensteht und ihn soweit formell beschwert (vgl. auch BFH-Beschlüsse vom 28. März 1990 II B 163/89, BFHE 159, 486, BStBl II 1990, 503; vom 6. April 1992 IV B 167/91, BFH/NV 1992, 681, und vom 7. Juli 1995 III B 8/95, BFH/NV 1996, 149, 150).
2. Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet.
a) Soweit der angefochtene Beschluß des FG vom 14. Mai 1998 keine Begründung enthält, ist dies kein Grund für eine Aufhebung der Entscheidung. Zwar gelten für Beschlüsse, mit denen ausgesetzte Verfahren wiederaufgenommen werden, hinsichtlich Inhalt und Umfang der erforderlichen Begründung die für die Begründung von Urteilen entwickelten Grundsätze entsprechend (BFH-Beschlüsse vom 1. Juni 1988 X B 41/88, BFHE 153, 310, BStBl II 1988, 838; vom 30. Mai 1994 X B 186/93, BFH/NV 1995, 59, 60). Dies gilt aber für solche Beschlüsse nicht, bei denen kein Erläuterungsbedarf besteht, weil sie keine (neue) inhaltliche Regelung treffen, sondern lediglich eine bereits früher getroffene Entscheidung wiederholen und deshalb nur deklaratorische Bedeutung haben.
b) Das FG hatte das Klageverfahren bis zur Entscheidung des BVerfG im Verfahren 1 BvR 1831/97 ausgesetzt. Da das BVerfG am 30. März 1998 in dem Verfahren 1 BvR 1831/97 endgültig entschieden hat, hat die angeordnete Aussetzung des Verfahrens ―ohne daß es eines Antrags der Beteiligten bedurft hätte― ihr Ende gefunden.
Gründe, die die weitere Aussetzung des Verfahrens rechtfertigen könnten, hat der Kläger nicht geltend gemacht. Mit dem Beschluß vom 30. März 1998 in dem Verfahren 1 BvR 1831/97 hat das BVerfG klargestellt, daß auch nach dem 31. Dezember 1996 das VStG auf alle bis zu diesem Zeitpunkt verwirklichten Tatbestände weiterhin anwendbar ist. Es ist nicht erkennbar, inwiefern dieser Rechtsaussage ―wie der Kläger meint― insofern nur eine eingeschränkte Bedeutung zukommen soll, weil es sich bei dem Ausgangsverfahren für die Verfassungsbeschwerde lediglich um ein Verfahren betreffend vorläufigen Rechtsschutzes gehandelt hat.
Auch die vor dem BFH anhängig gewesenen Verfahren II R 104/97, II R 4/98 und II R 102/97 rechtfertigen keine weitere Aussetzung des Verfahrens. Abgesehen davon, daß diese Verfahren mittlerweile alle abgeschlossen worden sind (II R 104/97: Urteil vom 24. Juni 1998, BFHE 185, 510, BStBl II 1998, 632; II R 4/98 und II R 102/97 jeweils durch Rücknahme der Revision), ist bereits mit dem BFH-Urteil vom 30. Juli 1997 II R 9/95 (BFHE 183, 235, BStBl II 1997, 635) höchstrichterlich entschieden worden, daß das VStG auch über den 31. Dezember 1996 hinaus auf alle bis zu diesem Zeitpunkt verwirklichten Tatbestände anzuwenden ist. Darüber hinausgehende Bedeutung konnte den seinerzeit noch anhängigen Verfahren II R 104/97, II R 4/98 und II R 102/97 im Sinne von Musterverfahren somit nicht mehr zukommen.
Fundstellen
Haufe-Index 170981 |
BFH/NV 1999, 1225 |