Entscheidungsstichwort (Thema)
Aussetzung des Verfahrens über Einkommensteuer bei Streit darüber, ob FA von vorheriger gesonderter Gewinnfeststellung absehen durfte; Fall von geringer Bedeutung
Leitsatz (NV)
1. Das FG handelt ermessensgerecht, wenn es das Klageverfahren betreffend einen Einkommensteuerbescheid aussetzt, weil zweifelhaft ist, ob einkommensteuerpflichtige Einkünfte vorliegen, ob diese mehreren Personen zuzurechnen sind und Art, Höhe und Zurechnung dieser Einkünfte strittig sind.
2. Zu den Voraussetzungen, unter denen wegen ,,geringer Bedeutung" von einer einheitlichen und gesonderten Feststellung der Einkünfte gemäß § 180 Abs. 3 Nr. 2 AO 1977 abgesehen werden kann.
Normenkette
AO 1977 § 179 Abs. 1, § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, Abs. 3 Nr. 2, § 121 Abs. 2 Nr. 2; FGO §§ 74, 1
Tatbestand
Die Klägerin und Beschwerdegegnerin (Klägerin) ist Eigentümerin des von ihren Eltern ererbten Hofes X. (rd. 57 ha). Bereits vor dem Erbfall war der Hof pachtweise von den Klägern und Beschwerdegegnern (Kläger) bewirtschaftet worden, wobei der Kläger als Pächter auftrat. Dieser hatte seinerseits in den Jahren 1971 und 1974 rd. 2,2 ha zu Eigentum erworben. Neben den Eigentumsflächen wurden hinzugepachtete Flächen bewirtschaftet. Zum 1. November 1975 wurde der gesamte Hof X. an den Schwiegersohn verpachtet. Als Verpächter trat der Kläger auf. Die Kläger führen den Betrieb seither als land- und forstwirtschaftliches Betriebsvermögen weiter.
Mit notariell beurkundetem Vertrag vom 8. Juli 1976 kaufte der Kläger Grünland sowie aufstehende Wohn- und Wirtschaftsgebäude in der Gemarkung Y. (Gesamtgröße von rd. 21 ha). Der Grundbesitz war bis zum 31. März 1977 verpachtet. Der Kläger beantragte Befreiung von der Zahlung der Grunderwerbsteuer und der Eintragungskosten des Grundbuchamtes, weil er ,,zusammen mit seiner Ehefrau, der Klägerin, Eigentümer des Hofes X" sei, dessen Aufstockung der Erwerb diene. Nach Ablauf der Fremdpacht am 31. März 1977 bewirtschaftete der Schwiegersohn der Kläger den Hof in Y. Ein schriftlicher Pachtvertrag über diese Flächen liegt nicht vor. Die Hofstelle selbst (7 500 qm) verkaufte der Kläger mit Vertrag vom 28. Juni 1977 für 57 000 DM.
Am 22. Dezember 1980 schlossen der Kläger, seine Tochter und sein Schwiegersohn einen Überlassungsvertrag, wonach der Kläger seiner Tochter und seinem Schwiegersohn in Gütergemeinschaft den Hof in Y. verkaufte. Dabei war vereinbart, daß die Besitzübergabe am 1. Juli 1980 erfolgt sei. Einnahmen aus dem Hof in Y. erklärten die Kläger nicht.
Anläßlich einer Außenprüfung (1982) beanstandete der Betriebsprüfer dies, weil der Hof in Y. nach seiner Ansicht zum Betriebsvermögen des land- und forstwirtschaftlichen Betriebes der Kläger gehört habe und Betriebsvermögen gewesen sei. Die Übertragung des Hofes stelle mithin eine Entnahme dar. Ausgehend von einem Buchwert von 335 581 DM ergäbe sich bei einem Entnahmewert von 599 705 DM ein Entnahmegewinn von 264 124 DM. Dieser gehöre zum laufenden Gewinn des Wirtschaftsjahres 1980/81. Der Einspruch blieb erfolglos.
Mit der Klage tragen die Kläger vor, der Hof in Y. sei Privatvermögen des Klägers gewesen. Die Ehefrau sei aufgrund der Eigentumsverhältnisse Alleinunternehmerin einer Land- und Forstwirtschaft gewesen. Bei dem Hof in Y. habe es sich nicht um einen eigenständig lebensfähigen Teil eines Gesamtbetriebes gehandelt. Die Kläger beantragen, unter Änderung des Einkommensteuerbescheides 1980 in Gestalt der Einspruchsentscheidung die Einkommensteuer auf null DM festzusetzen.
Das Finanzgericht (FG) hat das Klageverfahren gemäß § 74 FGO ausgesetzt und seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet: Gemäß § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO 1977 seien die einkommensteuerpflichtigen Einkünfte gesondert festzustellen, wenn an den Einkünften mehrere Personen beteiligt seien und die Einkünfte diesen Personen steuerlich zuzurechnen seien. Das gelte nach Abs. 3 Nr. 2 der Vorschrift dann nicht, wenn es sich um einen Fall von geringer Bedeutung handle, insbesondere, weil die Höhe des festgestellten Betrages und die Aufteilung feststünde. Die Annahme des Beklagten und Beschwerdeführers (Finanzamt - FA -), eine gesonderte Feststellung der Einkünfte sei entbehrlich, weil es sich um einen Fall von geringer Bedeutung handle, treffe nicht zu.
Mit der Beschwerde macht das FA geltend: Es handle sich um einen Fall von geringer Bedeutung i.S. von § 180 Abs. 3 Nr. 2 AO 1977 in der ab 1. Januar 1987 gültigen Fassung (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 4. Juli 1985 IV R 136/83, BFHE 144, 141, BStBl II 1985, 576). Die Kläger hätten sich ausweislich der ab 1976 eingereichten Einkommensteuererklärungen als Mitunternehmer eingestuft. Damit übereinstimmend habe es, das FA, in den vor den Streitjahren liegenden Veranlagungszeiträumen die Einkünfte nicht gesondert und einheitlich festgestellt. Durch die ursprünglichen Veranlagungsbescheide als auch durch die nach der Außenprüfung ergangenen Änderungsbescheide sowie die Einspruchsentscheidung habe es definitiv zu erkennen gegeben, daß kein Feststellungsverfahren mehr durchgeführt werden solle. Ein entsprechender Hinweis sei entbehrlich gewesen (§ 121 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977).
Die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen sei ausgeschlossen. Entgegen der Auffassung des FG könne in den Fällen geringer Bedeutung die Entscheidung darüber, ob überhaupt eine Mitunternehmerschaft zwischen Ehegatten bestehe und ob und ggf. welcher Ehegatte Alleinunternehmer sei, bei der Einkommensteuerveranlagung getroffen werden (BFH-Urteil vom 26, November 1987 IV R 22/86, BFHE 152, 13, BStBl II 1988, 238).
Das FA beantragt sinngemäß, den Beschluß des FG aufzuheben.
Die Kläger sind der Auffassung des FA entgegengetreten.
Das FG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unbegründet.
Die Entscheidung des FG, das Verfahren in der Einkommensteuersache 1980 der beiden Kläger bis zum Abschluß der gesonderten und einheitlichen Feststellung der Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft 1980 auszusetzen, ist rechtsfehlerfrei.
1. Gemäß § 74 FGO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, daß die Verhandlung bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen ist. Es handelt sich um eine Ermessensentscheidung des Gerichts (BFH-Beschluß vom 12. Oktober 1988 VIII B 117/87, BFH/NV 1989, 446).
Allerdings ist in der Rechtsprechung anerkannt, daß das Gericht das Verfahren gemäß § 74 FGO regelmäßig aussetzen muß (vgl. z. B. BFH-Urteile vom 26. Juli 1983 VIII R 28/79, BFHE 139, 335, BStBl II 1984, 290; vom 12. November 1985 IX R 85/82, BFHE 145, 308, BStBl II 1986, 239; vom 5. Juni 1986 IV R 243/84, BFH/NV 1987, 549, und vom 9. November 1988 I R 191/84, BFHE 155, 154, BStBl II 1989, 343 sowie vom 19. April 1989 X R 3/86, BFHE 156, 383, BStBl II 1989, 596), wenn das FA bei Erlaß eines Einkommensteuerbescheides zu Unrecht annimmt, eine gesonderte Gewinnfeststellung gemäß § 179 Abs. 1 und § 180 Abs. 1 AO 1977 sei nicht erforderlich oder eine nach Sachlage dem Gewinnfeststellungsverfahren zugeordnete Frage müsse durch den Einkommensteuerbescheid endgültig entschieden werden und über diese, dem Gewinnfeststellungsverfahren zugeordnete Frage im Verfahren über den Einkommensteuerbescheid gestritten wird (z. B. Urteil des erkennenden Senates vom 5. Juni 1986 in BFH/NV 1987, 549). Ein entsprechender Verfahrensfehler berührt die Grundordnung des Verfahrens (BFH-Urteil in BFHE 145, 308, BStBl II 1986, 239).
Eine Aussetzung des Verfahrens ist jedoch dann nicht erforderlich (vgl. BFH-Urteil vom 29. März 1979 VIII R 152/76, nicht veröffentlicht - NV -), wenn es sich um einen Fall von geringer Bedeutung (§ 180 Abs. 3 Nr. 2 AO 1977 - früher Nr. 1 - ) handelt und das FA von einem Feststellungsverfahren nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO 1977 absehen durfte (vgl. das vom FA herangezogene BFH-Urteil in BFHE 152, 13, BStBl II 1988, 238 und Urteil des erkennenden Senates vom 1. Juni 1989 IV R 54/87, NV; zum Erlaß des - neuerdings in § 180 Abs. 3 Satz 3 AO 1977 in der Fassung des Steuerbereinigungsgesetzes 1986 vom 19. Dezember 1985 (BGBl I 1985, 2436, BStBl I 1985, 735) vorgesehenen - Negativbescheids den BFH-Beschluß vom 12. Juli 1988 IX B 28/88, BFH/NV 1989, 87).
2. Anhaltspunkte dafür, daß das FG von seinem Ermessen einen fehlerhaften Gebrauch gemacht hätte, liegen indes nicht vor. Denn das FG muß das Verfahren betreffend einen Einkommensteuerbescheid auch dann bis zum Erlaß eines positiven oder negativen Feststellungsbescheides aussetzen, wenn zweifelhaft ist, ob überhaupt einkommensteuerpflichtige Einkünfte vorliegen, ob diese mehreren Personen zuzurechnen sind und Art, Höhe und Zurechnung dieser Einkünfte - wie hier - strittig sind (BFH-Urteil in BFHE 145, 308, BStBl II 1986, 239 und BFH-Beschluß in BFH/NV 1989, 87). Auf diese Zweifel hatte das FG entscheidend abgestellt und ausgeführt, daß die Mitunternehmerschaft selbst, als auch die Höhe des Veräußerungsgewinns sowie die Zurechnung desselben höchst streitig sei.
Aus diesen Gründen liegt entgegen der Auffassung des FA auch kein Fall von geringer Bedeutung vor. Daß für frühere Veranlagungszeiträume gesonderte Feststellungen unterblieben sind, ist nicht erheblich. Nach der Rechtsprechung des BFH (vgl. Urteile in BFHE 144, 141, BStBl II 1985, 576, und vom 1. Juni 1989 IV R 54/87) ist ein Fall von geringer Bedeutung anzunehmen, wenn die Einkünfte leicht zu ermitteln und nach einfachem Schlüssel auf die Beteiligten zu verteilen sind und die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen bei den Beteiligten gering oder nahezu ausgeschlossen ist.
Davon ist das FG indes im Streitfall wegen der besonderen Verhältnisse gerade des Streitjahres zu Recht nicht ausgegangen. Zwar mag es zutreffen, daß wegen der Zusammenveranlagung der Kläger die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen wenig wahrscheinlich ist. Aber allein die Tatsache, daß die behauptete Mitunternehmerschaft nur aus zusammenzuveranlagenden Ehegatten besteht, rechtfertigt die Annahme eines Falls von geringer Bedeutung noch nicht (BFH-Beschlüsse vom 23. Juni 1971 I B 16/71, BFHE 103, 24, BStBl II 1971, 730, und vom 29. April 1971 I R 167/83, BFH/NV 1987, 629). Zudem geht es im Streitfall - anders als im Urteil des erkennenden Senates in BFHE 144, 141, BStBl II 1985, 576 - bei den land- und forstwirtschaftlich genutzten Flächen nicht um gemeinschaftliches Vermögen der Kläger (§ 1416 Abs. 1 BGB), sondern um einen Hof, den allein der Kläger erworben hatte, so daß die Zurechnung der Gewinne, hier des strittigen Entnahmegewinnes, problematisch ist. Die Beteiligten streiten außerdem darüber, ob zwischen den beiden Klägern eine Mitunternehmerschaft dadurch begründet worden war (vgl. BFH-Urteil vom 14. August 1986 IV R 248/84, BFHE 147, 438, BStBl II 1987, 17), daß beide Kläger ihre land- und forstwirtschaftlichen Grundstücke, ohne daß diese allerdings Gesellschaftsvermögen geworden wären, zur Erreichung eines wirtschaftlichen Erfolges eingesetzt und auch gemeinsam bewirtschaftet hätten.
Dafür spricht u.a. die Tatsache, daß der Kläger die Hofstelle und das Grünland in der Gemarkung Y. (rd. 21 ha) in der erklärten Absicht erworben hatte, nach Ablauf der Verpachtung den offenbar nahegelegenen Hof in X. aufzustocken (BFH-Urteil vom 7. März 1985 IV R 98/82, BFH/NV 1985, 29), so daß die Einkünfte aus dem Hof in Y den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft zuzurechnen wären. Das Urteil des erkennenden Senates vom 20. April 1989 IV R 95/87 (BFHE 157, 365, BStBl II 1989, 863) stünde dem nicht entgegen.
Nicht ersichtlich ist, daß der Kläger seine Absicht aufgegeben hätte oder aber die Änderung der Zweckbestimmung dem FA mitgeteilt hätte. Der Streitfall unterscheidet sich weiter auch dadurch von dem Sachverhalt im BFH-Urteil in BFHE 144, 141, BStBl II 1985, 576, daß die Kläger in den Einkommensteuererklärungen zwar Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft für den Hof in X. angegeben, aber Einnahmen aus dem vom Kläger allein erworbenen Hof in Y. außer Ansatz gelassen hatten.
Wenn danach die land- und forstwirtschaftlich genutzten Grundstücke Betriebsvermögen geworden sind, muß der Erwerber einen erzielten Veräußerungs- oder Entnahmegewinn als Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft versteuern. Zu prüfen bleibt allerdings, ob insoweit der Kläger und die Klägerin sich gemeinsam dadurch als landwirtschaftliche Unternehmer betätigt haben, daß sie ihren Schwiegersohn den erworbenen Hof in Y. für sich hätten bewirtschaften lassen (BFH-Urteil vom 2. Februar 1989 IV R 96/87, BFHE 156, 163, BStBl II 1989, 504). Doch selbst wenn hier ein Pachtverhältnis mit dem Schwiegersohn betreffend die land- und forstwirtschaftlich genutzten Flächen des Hofes in Y. steuerrechtlich zu beachten wäre, würde das an der ursprünglichen Betriebsvermögenseigenschaft des erworbenen Grünlandes und auch der aufstehenden Gebäude nichts ändern (BFH-Urteil in BFH/NV 1985, 29).
Fundstellen
Haufe-Index 416698 |
BFH/NV 1990, 485 |