Leitsatz (amtlich)
1. Ein Antrag an das FG auf Aussetzung der Vollziehung nach Art. 3 § 7 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 VGFGEntlG ist - unbeschadet der weiteren Möglichkeiten des Art. 3 § 7 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 2 bis 4 VGFGEntlG - nur zulässig, wenn die Finanzbehörde vor der Anrufung des FG entweder einen entsprechenden Antrag ganz oder zum Teil abgelehnt oder wenn sie zu erkennen gegeben hat, daß sie die Vollziehung nicht aussetzen werde. Diese Tatbestandsmerkmale des VGFGEntlG sind Zugangsvoraussetzungen und nicht Sachentscheidungsvoraussetzungen.
2. Eine Finanzbehörde, die erkennen läßt, daß sie den Einspruch abzuweisen gedenkt oder die ihn abweist, gibt damit nicht zugleich auch zu erkennen, daß sie die Vollziehung des angefochtenen Bescheides nicht aussetzen werde.
Normenkette
VGFGEntlG Art. 3 § 7 Abs. 1 Sätze 1, 2 Nr. 1; FGO § 46 Abs. 1
Tatbestand
Streitig ist, ob das Finanzgericht (FG) einen Antrag nach § 69 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zutreffend als unzulässig zurückgewiesen hat.
Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin), eine Kommanditgesellschaft, hat gegen den einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellungsbescheid 1976 vom 12. Dezember 1978 Einspruch eingelegt, über den der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) durch Einspruchsentscheidung vom 10. Juli 1979 abschlägig entschieden hat. Die Klage ist beim FG anhängig.
Mit Schreiben vom 4. April 1979 hatte das für einen der vier Komplementäre der Antragstellerin zuständige Wohnsitz-FA R dem auch diesen Komplementär vertretenden Prozeßbevollmächtigten der Antragstellerin mitgeteilt, daß es eine bis dahin gewährte Aussetzung der Vollziehung für Teilbeträge der Einkommensteuer 1976 widerrufe, weil das Betriebs-FA - also der Antragsgegner - die Auffassung vertreten habe, der Einspruch gegen den Gewinnfeststellungsbescheid 1976 werde keinen Erfolg haben. In ähnlichem Sinne äußerte sich auch das für einen anderen Komplementär zuständige Wohnsitz-FA S.
Am 10. April 1979 begehrte die Antragstellerin beim FG die Aussetzung der Vollziehung des vorbezeichneten Gewinnfeststellungsbescheides. Das FG wies den Antrag als unzulässig zurück mit der Begründung, das FA habe weder, wie es Art. 3 § 7 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (VGFGEntlG) vom 31. März 1978 (BGBl I, 446, BStBl I 1978, 174) verlange, einen Antrag nach § 69 Abs. 2 FGO ganz oder zum Teil abgelehnt noch, wie es Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 der genannten Vorschrift voraussetze, zu erkennen gegeben, daß es die Vollziehung nicht aussetzen werde.
Mit ihrer vom FG zugelassenen Beschwerde begehrt die Antragstellerin Aufhebung der Vorentscheidung und Aussetzung des Gewinnfeststellungsbescheides 1976 in Höhe eines Gewinns von 131 239 DM.
Zur Begründung trägt sie im wesentlichen vor, sie habe vor Anrufung des FG von der die Aussetzung der Vollziehung ablehnenden Einstellung des FA durch das Wohnsitz-FA R Kenntnis erhalten. Sie habe davon ausgehen müssen, das FA werde einer Aussetzung der Vollziehung des Gewinnfeststellungsbescheides nicht zustimmen, wenn es schon das Wohnsitz-FA veranlaßt habe, die einem Mitgesellschafter gewährte teilweise Aussetzung der Vollziehung des Einkommensteuerbescheides zu widerrufen. Auch das mit seiner eigenen Verwaltungspraxis vertraute FA habe keinen Zweifel daran gehabt, daß aus seiner bekanntgewordenen Einschätzung des Rechtsbehelfserfolges erkennbar gewesen sei, es würde einer Aussetzung der Vollziehung nicht zugestimmt haben. Daher habe es auch die Anrufung des FG nicht als unzulässig betrachtet.
Das FA beantragt, die Beschwerde abzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unbegründet.
In Art. 5 Abs. 2 VGFGEntlG ist vorgeschrieben, daß sich die Zulässigkeit eines Antrages gemäß § 69 Abs. 3 FGO nach Art. 3 § 7 VGFGEntlG richtet, wenn der angefochtene Verwaltungsakt - wie im Entscheidungsfall der Gewinnfeststellungsbescheid 1976 - nach inkrafttreten des Gesetzes bekanntgegeben worden ist.
1. Gemäß Art. 3 § 7 Abs. 1 Satz 1 VGFGEntlG ist ein Antrag an das FG nach § 69 Abs. 3 FGO nur zulässig, wenn die Finanzbehörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Diese Voraussetzungen waren im Entscheidungsfall bis zur Antragstellung an das FG nicht erfüllt.
2. Ohne eine ablehnende Entscheidung der Finanzbehörde ist die Anrufung des FG gemäß Art. 3 § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VGFGEntlG - der im Entscheidungsfall allein in Frage kommenden Alternative - dann zulässig, wenn die Finanzbehörde zu erkennen gegeben hat, daß sie die Vollziehung nicht aussetzen werde.
Die Vorinstanz hat zutreffend entschieden, daß die der Antragstellerin vor Anrufung des FG bekanntgewordene Rechtsauffassung des FA, wonach der Einspruch voraussichtlich als unbegründet zurückgewiesen werde, keine ablehnende Äußerung im Sinne der Nr. 1 darstellt. Abgesehen davon, daß sich im Streitfall das Betriebs-FA als die zuständige Finanzbehörde gegenüber der Antragstellerin nicht unmittelbar geäußert hatte, gibt eine Finanzbehörde, die erkennen läßt, daß sie den Einspruch abzuweisen gedenkt oder die ihn abweist, damit nicht zugleich auch zu erkennen, daß sie die Vollziehung nicht aussetzen werde. Hiervon geht auch das Gesetz aus. Nach dem Regierungsentwurf hätte die Vorschrift nur vor Erhebung der Anfechtungsklage eingreifen sollen (Bundestags-Drucksache 8/842, Art. 3 § 7; ähnlich auch der Bundesrat, Drucksache 276/77 zu Art. 3 § 7). Auf Initiative des Rechtsausschusses und des Finanzausschusses (Bundestags-Drucksache 8/1530 zu Art. 3 § 7; vgl. auch Haarmann, Deutsche Steuer-Zeitung, Ausgabe A, 1978 S. 203, 204 unter C, 2) gilt nunmehr die Vorschrift auch dann, wenn ein Aussetzungsantrag zusammen mit der Klageerhebung oder danach, also zu einem Zeitpunkt gestellt wird, in dem die Finanzbehörde bereits in der Hauptsache ablehnend entschieden hat. Im Interesse der Entlastung der FG verweist das Gesetz den Betroffenen auch in diesen Fällen zunächst an die Finanzbehörde.
3. Der unzulässige Aussetzungsantrag ist auch nicht etwa dadurch zulässig geworden, daß das FA vor dem FG beantragt hatte, den Aussetzungsantrag als unbegründet abzuweisen, oder in der Beschwerdeinstanz hilfsweise zu erkennen gegeben hat, daß dem Aussetzungsantrag auch sachlich nicht zu entsprechen sei. Das Vorliegen des Tatbestandsmerkmals des Art. 3 § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VGFGEntlG ist eine Voraussetzung für den Zugang zum FG und nicht etwa eine Sachentscheidungsvoraussetzung, die erst bei Ergehen der finanzgerichtlichen Entscheidung vorliegen muß. Die Rechtslage zu Art. 3 § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VGFGEntlG ist nicht vergleichbar mit der des § 46 Abs. 1 FGO. Zu der letztgenannten Vorschrift steht die höchstrichterliche Rechtsprechung auf dem Standpunkt, daß eine vor Ablauf der Sechsmonatsfrist erhobene und damit unzulässige Klage mit Ablauf dieser Frist in die Zulässigkeit hineinwächst (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 13. Oktober 1977 V R 57/74, BFHE 124, 2, BStBl II 1978, 154, mit weiteren Nachweisen). Der Zweck der Frist des § 46 Abs. 1 FGO besteht darin, der Finanzbehörde mindestens eine Zeitspanne von sechs Monaten für ihre Entscheidung zu gewähren. Hier ist es gerechtfertigt, den Fristablauf als Sachentscheidungsvoraussetzung zu behandeln und die vor Ablauf der Frist erhobene und damit unzulässige Klage in die Zulässigkeit hineinwachsen zu lassen, wenn die Finanzbehörde bis zum Fristablauf noch immer nicht entschieden hat. Im Gegensatz hierzu will aber gerade die Vorschrift des Art. 3 § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VGFGEntlG im Interesse der Entlastung der FG den Zugang zu ihnen unterbinden, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen nicht erfüllt sind. Gerade der Umstand, daß der Zugang zu den FG erschwert werden soll, zwingt dazu, die Vorschrift des Art. 3 § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VGFGEntlG als besondere Zugangsvoraussetzung und nicht als Sachentscheidungsvoraussetzung auszulegen. Dies hat zur Folge, daß der Antrag nur zulässig ist, wenn die Finanzbehörde bereits im Zeitpunkt der Anrufung des FG zu erkennen gegeben hat, daß sie einen Aussetzungsantrag ablehnen werde. Dieses Erfordernis kann nicht nachgeholt werden. Eine andere Auslegung der Vorschrift würde die Gesetzesbestimmung nahezu gegenstandslos machen, denn an dem bisherigen Zustand hätte sich nichts Grundlegendes geändert. Dies kann nicht der Wille des Gesetzgebers gewesen sein.
Der Senat ist sich bewußt, daß in Fällen wie dem vorliegenden durch die ablehnende Äußerung des FA im Gerichtsverfahren nunmehr die Voraussetzungen für eine unmittelbare Anrufung des FG gegeben sind und daß sich das FG ggf. mit diesem erneuten Aussetzungsantrag - nunmehr allerdings in materieller Hinsicht - befassen muß. Dies rechtfertigt aber - soll die Vorschrift einen Sinn erhalten - nicht eine andere als die vorbezeichnete Auslegung des Art. 3 § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VGFGEntlG.
Fundstellen
Haufe-Index 73278 |
BStBl II 1980, 49 |
BFHE 1980, 8 |