Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an die Sorgfaltspflichten zur Fristwahrung
Leitsatz (NV)
1. Die Fristverstäumnis ist nicht unverschuldet i.S. des § 56 Abs. 1 FGO, wenn die gebotene und nach den Umständen zumutbare Sorgfalt außer acht gelassen wurde. Auch einfache Fahrlässigkeit schließt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus.
2. Wird das HZA durch einen zum Richteramt befähigten Beamten der OFD als Bevollmächtigten vertreten, so ist dessen schuldhaftes Handeln dem HZA wie eigenes Verschulden zuzurechnen.
3. Zur Begründung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
Normenkette
FGO § 56 Abs. 1-2, § 120 Abs. 1, §§ 124, 126 Abs. 1, § 155; ZPO § 85 Abs. 2
Tatbestand
Der Beklagte und Revisionskläger (das Hauptzollamt - HZA -) forderte von der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) Eingangsabgaben nach mit der Begründung, daß der auf Grund eines Erlaubnisscheins ursprünglich unter der Codenummer 1701 710 90 des Gemeinsamen Zolltarifs - GZT - angemeldete und abgefertigte Rohzucker tatsächlich der Codenummer 1701 990 90 GZT zuzuordnen sei.
Der Einspruch der Klägerin blieb erfolglos. Der Klage gab das Finanzgericht (FG) statt. Es hob den Nachforderungsbescheid und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung mit der Begründung auf, daß die Nacherhebung der Eingangsabgaben nach Art. 5 Abs. 1 1. Alternative Verordnung (EWG) Nr. 1697/79 des Rates vom 24. Juli 1979 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 1979 Nr. L 197/1) unzulässig sei. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des HZA ließ das FG die Revision zu.
Das HZA legte gegen das Urteil des FG Revision ein. Der Beschluß des FG über die Zulassung der Revision war dem HZA am 16. Februar ... zugestellt worden. Die Revisionsschrift ging beim FG am 26. März... ein; sie war ausweislich des auf dem Briefumschlag angebrachten Freistempels der Oberfinanzdirektion (OFD) am 16. März ... abgesandt worden. Mit dem ebenfalls am 26. März ... eingegangenen Schriftsatz vom 22. März ... beantragte das HZA, ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Zur Begründung führte es aus: Die ursprünglich richtig adressierte Sendung sei von der Absendestelle der OFD eigenmächtig umadressiert worden. Trotz der falschen Adresse hätte die Bundespost die Sendung nicht mit dem Vermerk unbekannt verzogen zurückschicken dürfen, sondern sie dem FG über dessen Postfach zustellen müssen. Das FG sei eine so bekannte Einrichtung, daß eine Nichtzustellung selbst bei unrichtiger Anschrift nicht voraussehbar gewesen sei. Das Verschulden sei dem Absender daher nicht zurechenbar.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist als unzulässig zu verwerfen (§§ 124, 126 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -), weil sie nicht innerhalb der durch § 120 Abs. 1 FGO vorgeschriebenen Frist eingelegt worden ist und dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht stattgegeben werden kann.
Bei Versäumung der Revisionsfrist ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn der Revisionskläger ohne Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten (§ 56 FGO). Verschuldet ist die Versäumung, wenn die gebotene und nach den Umständen zumutbare Sorgfalt außer acht gelassen wurde. Jedes Verschulden - also auch eine einfache Fahrlässigkeit - schließt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus. Wird wie im Streitfall das HZA durch einen zum Richteramt befähigten Beamten der OFD als Bevollmächtigten vertreten, so ist dessen schuldhaftes Handeln dem HZA wie eigenes Verschulden zuzurechnen (§ 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung).
Ausweislich des aus dem Freistempel der OFD auf dem Briefumschlag ersichtlichen Datums (16. März ...) ist der Brief mit der Revisionsschrift erst so spät zur Post gebracht worden, daß er dem FG von der Post selbst bei richtiger Adressierung nicht mehr in der vorgeschriebenen Frist bis zum 16. März ... hätte zugestellt werden können. Für die verspätete Aufgabe zur Post trägt der Bevollmächtigte des HZA keinerlei Entschuldigungsgründe vor, so daß solche im vorliegenden Fall auch nicht berücksichtigt werden können (§ 56 Abs. 2 Satz 2 FGO). Die vorgetragenen Entschuldigungsgründe liegen neben der Sache, weil die falsche Adressierung der Sendung nicht ursächlich für die verspätete Einlegung der Revision war.
Fundstellen
Haufe-Index 418055 |
BFH/NV 1994, 553 |