Entscheidungsstichwort (Thema)
Prozeßkostenhilfe in Erlaßsachen
Leitsatz (NV)
Die Ablehnung eines Erlasses wegen Unbilligkeit aus persönlichen Gründen ist nicht ermessensfehlerhaft, wenn die Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nach den gegenwärtigen Einkommensverhältnissen des Steuerschuldners nicht durchsetzbar sind, diesem aber beim Tod seiner vermögenden Mutter zumindest ein Pflichtteilsanspruch zustehen wird. Einer Verpflichtungsklage auf Billigkeitserlaß fehlt in einem solchen Fall die hinreichende Erfolgsaussicht i. S. des Prozeßkostenhilferechts.
Normenkette
AO 1977 § 227 Abs. 1; FGO § 142; ZPO § 114
Tatbestand
Der Vater des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) betrieb eine Einzelfirma und war Mitunternehmer an einer . . .gesellschaft mbH & Co. KG, an der auch die Ehefrau, die Tochter und der Sohn (Kläger) beteiligt waren. Zum Privatvermögen des Vaters gehörte ein Einfamilienhaus.
Als der Vater 1972 starb, schlug seine Ehefrau die Erbschaft aus. Der Kläger und seine Schwester nahmen die Erbschaft an. 1973 veräußerten sie die GmbH & Co. KG. Den Einzelbetrieb führten sie bis zur Veräußerung der zum Betriebsvermögen gehörenden aktiven Werte (Erbbaurechte) im Jahre 1974 fort. Der Kläger war außerdem vom 1. Mai 1971 bis zum 10. Mai 1975 Eigentümer eines landwirtschaftlichen Betriebs. Die Schwester starb am 11. März 1977. Über den Nachlaß wurde ein Konkursverfahren eröffnet.
Für den Veranlagungszeitraum 1974 wurde die Einkommensteuer des Klägers durch Einkommensteuerbescheid vom 28. August 1979 entsprechend seiner Einkommensteuererklärung auf . . . DM festgesetzt. Der Kläger beantragte, die Abschlußzahlungen (Einkommensteuer: . . . DM, Ergänzungsabgabe: . . . DM; Stabilitätszuschlag: . . . DM) aus Billigkeitsgründen zu erlassen.
Zur Begründung brachte er im wesentlichen vor, die Steuerschulden seien durch die Veräußerung der Erbbaurechte entstanden. Die ererbte Firma sei bereits am Todestag des Vaters überschuldet gewesen. Praktisch alle verwertbaren Vermögensgegenstände hätten als Kreditsicherheiten gedient.
Unter dem Druck der Darlehensgläubiger (Grundpfandgläubiger) hätten die Vermögensgegenstände veräußert werden müssen. Die bei der Veräußerung insgesamt erzielten Erlöse hätten nicht ausgereicht, um sämtliche Schulden des Erblassers und den Verlust des Betriebs abzudecken. Nach der Abwicklung habe die Überschuldung noch . . . DM betragen. Hierbei handle es sich um Forderungen seiner Mutter an den Betrieb, die aufgrund eines Pachtverhältnisses und aufgrund von Darlehen entstanden seien. Seinen überschuldeten landwirtschaftlichen Betrieb habe er ebenfalls veräußern müssen, weil die Banken, die gleichzeitig Grundpfandrechtsgläubiger der Betriebsgrundstücke gewesen seien, Zahlungsausgleich verlangt hätten. Nach Abzug der Verbindlichkeiten habe sich ein Überschuß von 136 126 DM ergeben, den er im wesentlichen zu einer neuen Existenzgründung als . . . verwendet habe. Das Einfamilienhausgrundstück sei mit einer Grundschuld zugunsten der Mutter in Höhe von 200 000 DM belastet gewesen. Aus der Veräußerung des Grundstücks sei ihm ein Betrag von 45 000 DM verblieben, den er für private Zwecke ausgegeben habe. Aus den dargelegten Gründen sei er nach seinen derzeitigen bescheidenen Einkommensteuerverhältnissen nicht in der Lage, die festgesetzten Steuern jemals zu tilgen.
Der Beklagte (das Finanzamt - FA - ) sowie die Oberfinanzdirektion (OFD) lehnten den Erlaß wegen Erlaßunwürdigkeit ab. Der Kläger habe aus der Liquidation der Firma und des landwirtschaftlichen Betriebs sowohl die Gläubiger seines Vaters als auch seine Gläubiger befriedigt und sich zudem eine neue Existenz aufgebaut. Allein zur Bezahlung der Steuerschulden hätten ihm keine Mittel zur Verfügung gestanden. Dieses Verhalten verletze die Interessen der Allgemeinheit, da hierbei die Steuerschulden in unvereinbarem Ausmaß gegenüber den übrigen Schulden vernachlässigt worden seien. Im übrigen dürfe nicht außer acht gelassen werden, daß dem Kläger - als derzeit einzigem bekannten Erben - aus dem Vermögen seiner Mutter einmal Mittel zufließen dürften, aus denen die Steuerschulden ohne Mühe bezahlt werden könnten. Zumindest in Höhe des Pflichtteilsrechts bestehe eine Anwartschaft, der wirtschaftlich betrachtet ein erheblicher Wert beizumessen sei. Der Verkehrswert der der Mutter gehörenden Grundstücke betrage mindestens . . . DM.
Für seine Klage gegen die ablehnende Verfügung des FA und die Beschwerdeentscheidung der OFD begehrte der Kläger Prozeßkostenhilfe (PKH). Zur Erfolgsaussicht der Klage machte er geltend, die in der Beschwerdeentscheidung getroffene Feststellung, er habe die Gläubiger bevorzugt befriedigt, sei nicht gerechtfertigt. Außerdem sei zu berücksichtigen, daß die Steuerschulden noch nicht festgesetzt gewesen seien, als er den größten Teil seiner Verbindlichkeiten getilgt habe.
Das Finanzgericht (FG) lehnte den Antrag auf PKH ab. Es führte aus, der Kläger sei zwar bedürftig, jedoch biete die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Zwar sei zweifelhaft, ob der Kläger erlaßunwürdig sei. Denn es sei nicht erkennbar, wie er angesichts der dinglichen Sicherung der Verbindlichkeiten die Nachlaßschulden auf andere Weise als durch Veräußerung der Grundstücke usw. hätte begleichen können. Aufgrund der dinglichen Sicherheiten hätte auch eine Ausschlagung der Erbschaft durch den Kläger oder die Anmeldung zum Konkurs nicht zu einer Befriedigung aller Gläubiger geführt. Ob der Kläger im Hinblick auf die geschuldeten Steuern die Überschüsse aus der Veräußerung des landwirtschaftlichen Betriebs und des Einfamilienhauses in voller Höhe zur Gründung einer neuen Existenz hätte verwenden dürfen, könne dahinstehen. Ausschlaggebend sei, daß der Kläger derzeit als nichterlaßbedürftig anzusehen sei, weil ihm aus dem Vermögen seiner Mutter einmal Mittel zufließen dürften, aus denen er die Steuerschulden ohne Mühe zahlen könne. Die dem Kläger jedenfalls in Höhe des Pflichtteils verbleibende Anwartschaft rechtfertige es, ihn nicht als in jeder Hinsicht vermögenslos anzusehen.
Mit der Beschwerde trägt der Kläger vor, er könne nur dann als nicht vermögenslos angesehen werden, wenn die Erbenstellung oder das Pflichtteilsrecht bereits vor dem Erbfall einen Vermögenswert in Form eines Anwartschaftsrechts darstelle. Nach herrschender Meinung im Zivilrecht habe der künftige gesetzliche und testamentarische Erbe aber kein Anwartschaftsrecht, sondern nur eine jederzeit entziehbare, tatsächliche Anwartschaft auf das Erbe ohne gesicherte Rechtsstellung. Entgegen der Annahme des FG erbe er auch nicht das gesamte Vermögen der Mutter, da sie ihn von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen habe. Sie sei bereit, zum Nachweis dieser Tatsache ihr Testament vorzulegen. Der Pflichtteilsanspruch werde nach überwiegender Ansicht im Zivilrecht ebenfalls nicht als Anwartschaftsrecht beurteilt. Zu Unrecht sei das FG - unabhängig vom Bestehen eines Anwartschaftsrechts - davon ausgegangen, der künftig entstehende Pflichtteilsanspruch sei so hoch, daß davon nach dem Erbfall seine Steuerschulden getilgt werden könnten. Denn das Vermögen seiner Mutter betrage nicht . . . DM - wie das FA behauptet habe -, sondern nur . . . DM. Auch lasse die Mutter bereits jetzt zu Lebzeiten ihren Enkelkindern einen Teil des Vermögens zukommen. Im übrigen seien neben ihm noch die beiden Kinder seiner verstorbenen Schwester gesetzliche Erben der Mutter, so daß sein Pflichtteil nur 1/4 des Nachlasses betrage. Darüber hinaus habe die Mutter gegen ihn - als Inhaber der ehemaligen Einzelfirma - laut Bilanz für das Kalenderjahr 1974 eine Forderung in Höhe von . . . DM. In dieser Höhe könnten die Erben der Mutter mit dem Pflichtteilsanspruch aufrechnen.
Der Kläger beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses PKH für die beabsichtigte Rechtsverfolgung zu bewilligen.
Das FA beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unbegründet.
Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozeßführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 142 der Finanzgerichtsordnung - FGO - i. V. m. § 114 der Zivilprozeßordnung - ZPO -). Zu Recht hat das FG mangels hinreichender Erfolgsaussicht der Klage den Antrag auf PKH abgelehnt.
Die Finanzbehörden können Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis erlassen, wenn deren Einziehung im Einzelfall - aus sachlichen oder persönlichen Gründen - unbillig wäre (§ 227 Abs. 1 der Abgabenordnung - AO 1977 -). Als Ermessensentscheidung kann die Ablehnung eines Erlaßantrags im finanzgerichtlichen Verfahren gemäß § 102 FGO nur daraufhin überprüft werden, ob die Finanzbehörden die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht haben (z. B. Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603). Die von der OFD bestätigte Entscheidung des FA, wegen des künftigen Pflichtteilsanspruchs des Klägers dessen Abgabenschulden nicht zu erlassen, läßt keinen Ermessensfehler erkennen.
Eine - im Streitfall allein in Betracht kommende - Unbilligkeit aus persönlichen Gründen ist anzunehmen, wenn die Steuererhebung die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Steuerpflichtigen vernichten oder ernstlich gefährden würde. Das setzt voraus, daß sich die Billigkeitsmaßnahme auf die wirtschaftliche Existenz des Steuerpflichtigen konkret auswirken kann (Beschluß des erkennenden Senats vom 24. Oktober 1988 X B 54/88, BFH / NV 1989, 285). Daran fehlt es hier. Nach den Ausführungen in der Beschwerdeentscheidung ist der Kläger bei seinen gegenwärtigen Einkommensverhältnissen außerstande, die Rückstände zu tilgen. Das FA kann daher - unabhängig von einer Billigkeitsentscheidung - seine Steueransprüche nicht durchsetzen. Ein Erlaß wäre somit nicht mit einem wirtschaftlichen Vorteil für den Kläger verbunden.
Außerdem ist zu berücksichtigen, daß dem Kläger beim Tod seiner vermögenden Mutter zumindest ein Pflichtteilsanspruch zustehen wird, bei dessen Verwirklichung er die Steuerschulden ganz oder teilweise bezahlen könnte. Wie hoch das Vermögen der Mutter und der sich ergebende Pflichtteilsanspruch im einzelnen sein wird, ist für die Erlaßentscheidung unerheblich. Ebensowenig kommt es darauf an, ob der künftige Pflichtteilsanspruch als Anwartschaftsrecht in bürgerlich-rechtlichem Sinne zu beurteilen ist. Denn das FA und die OFD haben jedenfalls nicht die ihnen eingeräumten Grenzen des Ermessens überschritten, wenn sie die Möglichkeit eines künftigen Vermögens des Klägers bei ihrer Entscheidung über den Erlaß berücksichtigt haben.
Eine solche Entscheidung widerspricht auch nicht dem Verhältnismäßigkeitsprinzip. Wie das FG zutreffend ausgeführt hat, kann zwar eine zinslose Stundung der Steuerforderung, Gewährung von Ratenzahlungen oder die einstweilige Einstellung der Vollstreckung geboten sein. Zu einem Erlaß und damit einem endgültigen Verzicht auf die Steuerforderung waren die Finanzbehörden jedoch zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung nicht verpflichtet. Das allgemeine Interesse an einer gleichmäßigen Besteuerung und an einer Einziehung der festgesetzten Abgaben geht im Streitfall dem Interesse des Klägers vor, sich sein weiteres - insbesondere berufliches - Leben ohne die hohe Steuerforderung einzurichten und ggf. das Erbe seiner Mutter ungeschmälert genießen zu können.
Fundstellen
Haufe-Index 416530 |
BFH/NV 1990, 213 |