Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Aussetzung der Vollziehung
Leitsatz (NV)
Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Verwaltungsakts sind zu bejahen, wenn bei der überschlägigen Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts im Aussetzungsverfahren neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Umstände zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken.
Normenkette
FGO § 69 Abs. 2-3; VGFGEntlG Art. 3 § 7 Abs. 1
Tatbestand
Die Antragsteller sind Eheleute, die zur Einkommensteuer zusammen veranlagt werden. Der Antragsteller war seit 1974 arbeitslos. 1977 begann er einen Handel mit gebrauchten Kfz, gab diesen Betrieb aber bereits 1979 mangels Rentabilität wieder auf. Die Antragstellerin war als Hausfrau tätig.
In der Zeit von März 1973 bis Februar 1979 war die Antragstellerin für kürzere oder längere Zeit Eigentümerin mehrerer Immobilienobjekte. Angekauft wurden in der Regel unbebaute Grundstücke, die mit einem Einfamilien- oder Zweifamilienhaus bebaut wurden. Die Objekte wurden von der Antragstellerin und ihrer Familie für eine gewisse Zeit selbst bewohnt und bei sich bietender Gelegenheit veräußert.
Nach einer Betriebsprüfung änderte der Antragsgegner (das Finanzamt - FA -) die Einkommensteuerbescheide 1975 und 1976 und erließ für 1979 einen erstmaligen Einkommensteuerbescheid. Er ist der Auffassung, daß es sich bei den Grundstücksgeschäften um eine gewerbliche Tätigkeit handelt. Die Antragsteller sind der Auffassung, daß das FA die Ergebnisse der Betriebsprüfung nicht hätte verwerten dürfen, weil die Prüfungsanordnung nur die Jahre 1976 bis 1978 umfaßt hätte. Unabhängig davon seien die Grundstücksgeschäfte nicht als gewerbliche Betätigung zu werten.
Der Einspruch für die Streitjahre blieb erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage im wesentlichen ab. Es setzte lediglich die Einkommensteuer für 1976 herab, weil ein dem Veranlagungszeitraum 1975 zuzurechnender Gewinn aus der Veräußerung eines Grundstücks bei der Bemessung der Einkommensteuer für 1976 außer Betracht zu bleiben hätte. Das FG führt aus, dem FA sei nicht verwehrt gewesen, die Ergebnisse der Betriebsprüfung auszuwerten. Es sei zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, daß es sich bei den streitigen Einkünften um solche aus Gewerbebetrieb handele und nicht um sonstige Einkünfte aus Spekulationsgeschäften bzw. um einkommensteuerrechtlich irrelevante Einkünfte.
Mit der Revision rügen die Antragsteller Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Antragstellerin sei nicht gewerblich tätig gewesen. Sie habe keine aktiven Verkaufsmaßnahmen getroffen. Der Verkauf der Immobilienobjekte sei jeweils aus einer Notsituation heraus erfolgt. Die wiederholte Selbstnutzung der Objekte sei entgegen den Ausführungen des FG ein Indiz gegen eine langfristige Planung und gegen eine grundsätzliche Verkaufsabsicht. Die Antragstellerin habe sich mangels eigener Verkaufsaktivitäten nicht am wirtschaftlichen Verkehr beteiligt.
Die Antragsteller begehren Aussetzung der Vollziehung. Sie beantragen sinngemäß, die Vollziehung der Einkommensteuerbescheide 1976 und 1979 auszusetzen, soweit es sich um die strittigen Gewinnerhöhungen handelt.
Das FA beantragt, den Antrag abzulehnen. Es ist der Auffassung, daß an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verwaltungsakte keine ernstlichen Zweifel bestünden.
Entscheidungsgründe
Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ist zulässig und begründet.
1. Nach Art. 3 § 7 Abs. 1 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit ist die Anrufung eines Gerichts erst dann zulässig, wenn die Finanzbehörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung abgelehnt oder zu erkennen gegeben hat, daß sie ihn ablehnen werde. Diese Voraussetzung ist gegeben, denn das FA hat einen nach Erlaß des FG-Urteils gestellten Antrag der Antragsteller auf Aussetzung der Vollziehung abgelehnt.
2. Nach § 69 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) soll das Gericht der Hauptsache die Vollziehung aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder die Vollziehung unbillig ist. Ernstliche Zweifel sind zu bejahen, wenn bei der überschlägigen Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts im Aussetzungsverfahren neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Umstände zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182; vom 28. Mai 1986 I B 22/86, BFHE 146, 508, BStBl II 1986, 656).
Diese Voraussetzungen sind im Streitfall gegeben.
Das FG hat seine Entscheidung zwar sehr eingehend begründet und gewichtige Argumente für seine Auffassung angeführt. Demgegenüber haben die Antragsteller Ausführungen gemacht, die nicht von vornherein als unbeachtlich angesehen werden können. Sie haben näher ausgeführt, warum ihrer Auffassung nach die Immobiliengeschäfte der Antragstellerin nicht als gewerbliche Betätigung angesehen werden könnten und warum die Voraussetzungen des § 15 des Einkommensteuergesetzes im Streitfall nicht gegeben seien.
Die hierdurch aufgeworfenen Fragen sind im vorliegenden Verfahren, das nur eine summarische Prüfung gebietet, nicht abschließend zu beurteilen. Es genügt, daß sowohl für das eine als auch für das andere Ergebnis gewichtige Gründe sprechen und somit den Zweifeln an der Rechtmäßigkeit der Steuerbescheide das Merkmal der Ernstlichkeit nicht bestritten werden kann. Eine überwiegende Erfolgsaussicht des Rechtsmittels ist zur Aussetzung gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 FGO nicht zu fordern (BFH-Beschluß vom 24. Oktober 1967 II B 17/67, BFHE 90, 532, BStBl II 1968, 229, m. w. N.).
Fundstellen
Haufe-Index 416054 |
BFH/NV 1989, 445 |