Leitsatz (amtlich)
Wird dem Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung (§ 114 FGO) nur teilweise stattgegeben, so steht sowohl dem Antragsteller als auch dem Antragsgegner das Recht zu, mündliche Verhandlung zu beantragen. Eine Beschwerde ist in diesem Fall nicht zulässig.
Normenkette
FGO § 114 Abs. 4
Tatbestand
Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) hat in den Jahren 1966 bis 1971 Grundstücke erworben, bebaut und weiterveräußert. Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) sah diese Tätigkeit als gewerblich an und erließ gegen den Antragsteller Einkommensteuer-, Umsatzsteuer- und Gewerbesteuermeßbescheide für die Jahre 1970 und 1971. Gegen diese Bescheide erhob der Antragsteller nach erfolglosem Einspruchsverfahren Klage. Über die Klage ist bisher nicht entschieden worden.
Der Antragsteller beantragte außerdem, die Vollziehung der Einkommensteuerbescheide 1970 und 1971 auszusetzen. Diesem Antrag entsprach die Oberfinanzdirektion (OFD) im Beschwerdeverfahren nur zum Teil. Hinsichtlich eines weiteren Teils des strittigen Steuerbetrages wurde die Vollziehung durch Urteil des Finanzgerichts (FG) vom 15. Februar 1977 ausgesetzt. Gegen das FG-Urteil legte der Antragsteller Revision ein mit dem Ziel, eine noch weitergehende Aussetzung der Vollziehung zu erreichen. Über die Revision ist bisher nicht entschieden worden.
Am 5. April 1977 beantragte das FA, über das Vermögen des Antragstellers das Konkursverfahren zu eröffnen.
Der Antragsteller stellte daraufhin beim FG mit Schriftsatz vom 11. Mai 1977 den Antrag, das FA im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens zurückzunehmen und ohne Forderung einer Sicherheitsleistung dem FA zu untersagen, weitere die Existenz des Antragstellers bedrohende Vollstreckungsmaßnahmen zu ergreifen, solange über die in der Aussetzungssache eingelegte Revision noch nicht entschieden ist.
Das FG gab dem Antrag teilweise statt. Mit Beschluß vom 23. August 1977 verpflichtete es das FA, den am 5. April 1977 gestellten Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens zurückzunehmen und wegen gewisser Steuerrückstände (Einkommensteuer 1971, Ergänzungsabgabe 1970 und 1971, Umsatzsteuer 1968 bis 1970, Stabilitätszuschlag 1974 und die hierauf jeweils entfallenden Säumniszuschläge) keinen neuen Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens zu stellen, falls der Antragsteller bis zum 26. September 1977 eine Bürgschaftserklärung (§ 244 Abs. 2 der Abgabenordnung - AO 1977 -) für diese Abgabenrückstände beibringe. Das FA sei auch dann zur Zurücknahme des Antrags auf Konkurseröffnung verpflichtet, wenn der Antragsteller bis zum 26. September 1977 auf die rückständigen Abgaben 250 000 DM zahle. Einen neuen Antrag auf Konkurseröffnung dürfe das FA in diesem Fall nicht stellen, wenn der Antragsteller auf die verbleibenden Rückstände fristgerecht die - vom FG im einzelnen festgelegten - Ratenzahlungen leiste. Den weitergehenden Antrag des Antragstellers lehnte das FG ab. Der Beschluß des FG enthält eine Rechtsbehelfsbelehrung, nach der dem Antragsteller gegen die einstweilige Anordnung kein Rechtsbehelf zusteht. Der Beschluß des FG wurde dem Prozeßbevollmächtigten des Antragstellers laut Empfangsbekenntnis gemäß § 5 Abs. 2 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) am 1. September 1977 zugestellt.
Mit Schriftsatz vom 26. September 1977 - beim FG eingegangen am 30. September 1977 - legte der Antragsteller durch seinen Prozeßbevollmächtigten Beschwerde ein. Er wendet sich gegen die teilweise Ablehnung seines Antrags auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung. Zur Begründung führt er aus, die Steuern, deretwegen das FA gegen ihn vorgehe, seien - wie er im einzelnen darlegt - nicht richtig festgesetzt worden.
Er beantragt,
1. die Beschwerde zuzulassen,
2. den Beschluß des FG aufzuheben und das FA anzuweisen, den Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens unverzüglich und ersatzlos zurückzunehmen und keinen neuen Konkursantrag zu stellen und andere existenzgefährdende Vollstreckungsmaßnahmen einzuleiten, wenn er - der Antragsteller - spätestens innerhalb eines Monats nach Bekanntwerden der Beschwerdeentscheidung eine Sicherheit in Höhe von 250 000 DM beschaffe und Ratenzahlungen in Höhe von monatlich mindestens 5 000 DM, höchstens aber 10 000 DM leiste, bis der Betrag von 157 429 DM erreicht sei.
Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Es hält das Rechtsmittel der Beschwerde für unstatthaft. Die Beschwerde sei darüber hinaus auch wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, denn der Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens sei bereits mit Verfügung vom 27. September 1977 zurückgenommen und wegen der Zahlungsrückstände seien Ratenzahlungen vereinbart worden. Schließlich sei die Beschwerde auch unbegründet.
Das FG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unzulässig.
1. Gesetzliche Grundlage für die Rechtsbehelfsmöglichkeiten im Falle des Erlasses einer einstweiligen Anordnung ist die Vorschrift des § 114 Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Hiernach kann gegen die einstweilige Anordnung Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt werden. Wegen des hierbei einzuschlagenden Verfahrens ist auf die Vorschriften der §§ 924 und 925 der Zivilprozeßordnung (ZPO) verwiesen (§ 114 Abs. 4 Satz 2 FGO).
Der Antrag auf mündliche Verhandlung ist der einzige Rechtsbehelf gegen den Beschluß, durch den eine einstweilige Anordnung erlassen worden ist; andere Rechtsbehelfsmöglichkeiten, insbesondere die Beschwerde, werden hierdurch verdrängt (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 8. Dezember 1972 VI B 39/72, BFHE 107, 492, BStBl II 1973, 245; Oberverwaltungsgericht Koblenz, Beschluß vom 8. Februar 1971 - 1 B 4/71 -, Neue Juristische Wochenschrift 1971 S. 1766 - NJW 1971, 1766 -; zu der gleichlautenden Vorschrift des § 123 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -; Finkelnburg, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, RdNr. 154 S. 68). Selbst wenn die einstweilige Anordnung schon aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen sein sollte, kann nur eine (nochmalige) mündliche Verhandlung beantragt werden (BFH-Beschluß VI B 39/72).
Die Regelung des § 114 Abs. 4 FGO hat vor allem Bedeutung für den von der einstweiligen Anordnung betroffenen Antragsgegner (regelmäßig also das FA). Der Antragsgegner kann durch den Antrag auf mündliche Verhandlung die Überprüfung der vom Gericht erlassenen einstweiligen Anordnung veranlassen. Er kann damit erreichen, daß die einstweilige Anordnung aufgehoben, geändert oder zumindest nur gegen Sicherheitsleistung bestätigt wird (vgl. § 114 Abs. 4 Satz 2 FGO i. V. m. § 925 Abs. 2 ZPO).
Der Umstand, daß der Antrag auf mündliche Verhandlung in erster Linie für den Antragsgegner gedacht ist, schließt indessen nicht aus, daß auch der Antragsteller - jedenfalls unter gewissen Voraussetzungen - mündliche Verhandlung gegen den Erlaß der einstweiligen Anordnung beantragen kann. Regelmäßig wird ihm hierfür zwar das Interesse fehlen. Denn wenn seinem Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung in vollem Umfang stattgegeben wurde, wird er es bei dieser Entscheidung belassen wollen. Wurde seinem Antrag jedoch nur teilweise entsprochen, so besteht für ihn ein Bedürfnis nach Überprüfung der Anordnung in gleicher Weise wie für den Antragsgegner, der durch den Erlaß dieser Anordnung beschwert wird. Es erscheint sinnvoll, daß über die möglicherweise von beiden Seiten gegen die Anordnung erhobenen Einwendungen in einem Verfahren im Rahmen einer mündlichen Verhandlung von demselben Gericht entschieden wird. Der Wortlaut des § 114 Abs. 1 Satz 1 FGO steht einer solchen Auslegung nicht entgegen. Aber auch Sinn und Zweck der Vorschrift schließen den Antrag auf mündliche Verhandlung durch den Antragsteller nicht aus (wie hier Redeker/v. Oertzen, Kommentar zur Verwaltungsgerichtsordnung, 5. Aufl., § 123 Anm. 26; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 36. Aufl., § 924 Anm. 5). Zwar wird im Schrifttum die Auffassung vertreten, daß der - dem Antrag auf mündliche Verhandlung im Zivilprozeßrecht entsprechende - Rechtsbehelf des Widerspruchs (§ 924 ZPO) nur dem Antragsgegner - dort "Schuldner" genannt - zustehe (vgl. Stein/Jonas/Pohle, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 19. Aufl., § 924 III; Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, a. a. O., § 924 Anm. 2 C). Diese Auffassung läßt sich aber nicht auf das finanzgerichtliche Verfahren übertragen. Denn die Entscheidung der Frage, wer im finanzgerichtlichen Verfahren antragsbefugt ist, ist nicht § 924 ZPO, sondern § 114 Abs. 4 Satz 1 FGO zu entnehmen. Die in § 114 Abs. 4 Satz 2 FGO in Bezug genommenen Vorschriften der §§ 924 und 925 ZPO betreffen lediglich das - auf den Antrag auf mündliche Verhandlung folgende - weitere Verfahren (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 27. Juni 1968 VIII C 52.68, BVerwGE 30, 91, Oberverwaltungsgericht Koblenz, a. a. O.).
2. Denkbar wäre, daß dem Antragsteller im Anordnungsverfahren nach § 114 FGO als Rechtsbehelf neben dem Antrag auf mündliche Verhandlung oder anstelle dieses Antrags auch das Recht der Beschwerde zusteht. Ein solches Recht hat er jedenfalls dann, wenn sein Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung vollständig abgelehnt wird (§ 128 Abs. 1 FGO; BFH-Beschlüsse vom 18. November 1966 III B 18/66, BFHE 87, 335 [338], BStBl III 1967, 142; vom 24. April 1967 VI B 3/66, BFHE 88, 231, BStBl III 1967, 343). Ob er aber auch dann beschwerdebefugt ist, wenn sein Antrag teilweise Erfolg hatte (und zum Erlaß einer einstweiligen Anordnung führte), im übrigen aber abgelehnt wurde, mußte bisher als zweifelhaft angesehen werden. Im Schrifttum ist die Beschwerdebefugnis für diese Fälle - wenn auch ohne nähere Begründung - zwar bejaht worden (vgl. Tipke/Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 8. Aufl., § 114 FGO Tz. 17; Kühn/Kutter/Hofmann, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 114 FGO Tz. 5). Der Senat vermag sich dieser Auffassung indessen nicht anzuschließen. Sie hätte zur Folge, daß gegebenenfalls zwei Instanzen zur selben Zeit mit derselben Sache befaßt wären. Würde nämlich im Falle der teilweisen Ablehnung des Antrags der Antragsteller nach § 128 Abs. 1 FGO Beschwerde einlegen können, während der Antragsgegner (das FA) wegen des Erlasses der einstweiligen Anordnung mündliche Verhandlung beantragen könnte, so müßten sowohl der BFH als Beschwerdegericht über die Beschwerde als auch das FG als das für die Erledigung des Anordnungsersuchens zuständige "Gericht der Hauptsache" (§ 114 Abs. 2 Satz 1 FGO) nach Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung über das Begehren des Antragsgegners entscheiden. Da nicht angenommen werden kann, daß das Gesetz zwei Zuständigkeiten in derselben Sache vorsehen wollte, kann nach Auffassung des Senats in Fällen einer teilweisen Ablehnung des Anordnungsantrags als Rechtsbehelf für beide Beteiligte nur der Antrag auf mündliche Verhandlung gegeben sein.
Der erkennende Senat weicht mit seiner Rechtsauffassung nicht von der Entscheidung eines anderen Senats oder des Großen Senats ab. Zu der Frage, welcher Rechtsbehelf im Falle einer teilweisen Ablehnung des Anordnungsgesuchs gegeben ist, hat bisher noch kein anderer Senat des BFH entschieden. Die bisherigen Entscheidungen zu diesem Fragenbereich beschränkten sich auf die Fälle, in denen der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung in vollem Umfang abgelehnt wurde (vgl. BFH-Beschlüsse VI B 3/66 und VI B 39/72).
Da die Beschwerde im Streitfall unzulässig war und das Rechtsbehelfsbegehren des Antragstellers schon aus diesem Grunde keinen Erfolg haben konnte, kam es auf die Frage, ob für sein Begehren ein Rechtsschutzbedürfnis bestand, nicht an.
Fundstellen
Haufe-Index 72554 |
BStBl II 1978, 461 |
BFHE 1979, 120 |