Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsätzliche Bedeutung bei behaupteter Verfassungswidrigkeit
Leitsatz (NV)
1. Der Zulässigkeit einer auf grundsätzliche Bedeutung gestützten Nichtzulassungsbeschwerde steht nicht entgegen, daß die grundsätzliche Bedeutung allein auf die behauptete Verfassungswidrigkeit einer Steuerrechtsnorm gestützt wird.
2. Wird die grundsätzliche Bedeutung auf einen Verstoß gegen das Grundgesetz gestützt, so ergibt sich die grundsätzliche Bedeutung nicht bereits aus der behaupteten Verfassungswidrigkeit. Von grundsätzlicher Bedeutung ist vielmehr die Rechtsfrage, aus der sich die Verfassungswidrigkeit ergeben soll; ihre Klärungsbedürftigkeit ist in der Beschwerdeschrift auszuführen.
3. Zur Geltendmachung des Verfahrensmangels der Nichtbeachtung oder fehlerhaften Anwendung von Verfahrensvorschriften durch das FG.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1, 3, Abs. 3 S. 3; UStG 1973 § 27 Abs. 15, § 30 Abs. 2; StÄndG 1973 Art. 6
Verfahrensgang
Tatbestand
Vor dem Finanzgericht (FG) war die Anwendung von § 30 Abs. 2 i. V. m. § 27 Abs. 15 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1973 in der Fassung des Art. 6 des Steueränderungsgesetzes 1973 vom 26. Juni 1973 - StÄndG 1973 - (BGBl I 1973, 676, BStBl I 1973, 545) streitig.
Das FG bejahte die Selbstverbrauchsteuerpflicht für die Errichtung einer Lagerhalle, für die am 29. Mai 1973 der Antrag auf Baugenehmigung gestellt worden war und die im Dezember 1974 fertiggestellt wurde. Es sah hierin - unter Heranziehung des Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 27. März 1981 V R 97/77 (BFHE 133, 106, BStBl II 1981, 595) - keine Verletzung von Verfassungsrecht. Die Besteuerung von Investitionsvorgängen, die in die Zeit ab 9. Mai 1973 bis 28. Juni 1973 und damit in die Zeit vor dem Inkrafttreten des hierfür maßgebenden StÄndG 1973 am 29. Juni 1973 fielen, verstoße nicht gegen das Grundgesetz (GG).
Des weiteren verneinte das FG, daß die angefochtenen Umsatzsteuerbescheide deshalb rechtswidrig seien, weil ihrem Erlaß § 173 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) entgegenstehe, denn das Verhalten der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) erfülle den Tatbestand der Steuerhinterziehung.
Die Revision gegen das Urteil des FG ist nicht zugelassen worden. Mit der hiergegen erhobenen Beschwerde rügt die Klägerin, daß das Urteil auf einem Verfahrensmangel beruhe, weil das FG den Sachverhalt hinsichtlich der vorsätzlichen Steuerhinterziehung nicht genügend aufgeklärt habe. Des weiteren macht die Klägerin grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend; die Heranziehung zur Selbstverbrauchsteuer aufgrund von Investitionsentscheidungen, die vor dem Inkrafttreten des maßgebenden Gesetzes lägen, sei als echte Rückwirkung eines Steuergesetzes verfassungswidrig. Der Steuerbürger dürfe darauf vertrauen, daß eine Steuer, die dieselbe Bezeichnung trage wie in den Vorjahren, auch die ,,vertrauten" Steuermerkmale eines Steuertatbestandes für die Anknüpfung der Steuerpflicht verwende. Soweit das Steuergesetz über diese Merkmale hinausgehe, ohne daß im Zeitpunkt der Ankündigung bereits diese Abweichung von den ,,vertrauten" Merkmalen bekanntgegeben werde, werde der Vertrauensrahmen gesprengt. Der Steuerbürger sei in seinen Rechten verletzt. Dies habe das FG nicht erkannt.
Die Klägerin beantragt, die Revision zuzulassen.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig; das Vorbringen der Klägerin erfüllt nicht die Mindestanforderungen an die gesetzlich vorgeschriebene Begründung. Nach § 115 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann die Nichtzulassung der Revision selbständig durch Beschwerde innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils angefochten werden. Zulassungsgründe sind auch im Beschwerdeverfahren die in § 115 Abs. 2 FGO angeführten Gründe. Dementsprechend muß in der Beschwerdeschrift bzw. in einem innerhalb der Beschwerdefrist gesondert eingereichten Schriftsatz die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden (§ 115 Abs. 3 Satz 3 FGO). Wird diesen - formellen - Anforderungen nicht genügt, so ist es dem Gericht grundsätzlich verwehrt, auf die Frage der Begründetheit der Nichtzulassungsbeschwerde einzugehen (vgl. BFH- Beschluß vom 18. Januar 1968 V B 45/67, BFHE 90, 369, BStBl II 1968, 98).
a) Soweit die Klägerin die Nichtzulassungsbeschwerde auf einen Verfahrensmangel stützt, fehlt es an der ,,Bezeichnung" des Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 i. V. m. Abs. 3 Satz 3 FGO). Diese Bezeichnung verlangt eine genaue Angabe der Tatsachen, die den gerügten Mangel ergeben. Die von der Klägerin erhobene Rüge mangelnder Sachaufklärung hätte eine substantiierte Darlegung etwa übergangener Beweisanträge oder von Angaben dazu erfordert, daß sich die Aufklärungsbedürftigkeit eines vorgetragenen Sachverhalts dem FG habe aufdrängen müssen (vgl. u. a. BFH-Urteil vom 5. November 1968 II R 118/67, BFHE 94, 116, BStBl II 1969, 84).
Dem genügen die Ausführungen in der Beschwerdeschrift nicht. Sie beschränken sich auf die Behauptung, daß der Sachverhalt für die Annahme einer vorsätzlichen Steuerhinterziehung nichts ,,hergebe", daß die Steuerhinterziehung in keiner Weise bewiesen sei und daß die Erkenntnisse des FG nicht den Sachverhaltsermittlungen entsprächen. Damit macht die Klägerin geltend, daß die Entscheidung des FG auf falschen Sachverhaltsfeststellungen beruhe, legt aber nicht dar, daß diese Sachverhaltsfeststellungen auf der Nichtbeachtung oder der fehlerhaften Anwendung von Verfahrensvorschriften beruhen; insbesondere ist nicht dargelegt, welche Gründe das FG zu einer weiteren Sachverhaltsaufklärung hätten veranlassen müssen.
b) Soweit die Nichtzulassungsbeschwerde auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. Abs. 3 Satz 3 FGO) gestützt wird, steht ihrer Zulässigkeit zwar nicht entgegen, daß die grundsätzliche Bedeutung allein auf die behauptete Verfassungswidrigkeit des § 30 Abs. 2 i. V. m. § 27 Abs. 15 UStG 1973 in der Fassung des Art. 6 StÄndG 1973 gestützt wird; der Senat schließt sich insoweit den Ausführungen des BFH im Beschluß vom 4. Februar 1987 III B 151/86 (BFHE 148, 530, BStBl II 1987, 339) an.
Die Beschwerdeschrift genügt jedoch nicht den Anforderungen an die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache. Hierzu sind substantiierte und konkrete Angaben darüber erforderlich, aus welchen Gründen die erstrebte Revisionsentscheidung der Rechtsklarheit, der Rechtseinheitlichkeit und / oder der Rechtsentwicklung dienen kann (BFH-Beschlüsse vom 30. März 1983 I B 9/83, BFHE 138, 152, BStBl II 1983, 479, und vom 27. Juni 1985 I B 27/85, BFHE 144, 137, BStBl II 1985, 625). Das bedeutet, daß der Beschwerdeführer konkret darauf eingehen muß, inwieweit die Rechtsfrage im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig ist und ggf. in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Rechtsfrage umstritten ist (Beschluß des Bundessozialgerichts vom 2. März 1976 12/11 BA 116/73, Monatsschrift für Deutsches Recht 1976, 611).
Dies gilt auch, wenn die grundsätzliche Bedeutung auf einen Verstoß gegen das GG gestützt wird (vgl. Beschluß in BFHE 148, 530, BStBl II 1987, 339). Dabei ergibt sich die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht bereits aus der behaupteten Verfassungswidrigkeit, denn dies ist nicht die im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde entscheidende Rechtsfrage. Mit der Behauptung der Verfassungswidrigkeit des Steuergesetzes wird lediglich geltend gemacht, daß die Entscheidung des FG, welches die Verfassungswidrigkeit verneint hat, falsch sei. Die Notwendigkeit der Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung bezieht sich vielmehr auf die Rechtsfrage, aus der sich die Verfassungswidrigkeit ergeben soll. Ihre Klärungsbedürftigkeit ist in der Beschwerdeschrift auszuführen. Im Streitfall ist dies die Frage, unter welchen Bedingungen die Rückwirkung eines Steuergesetzes vorliegt und ob eine derartige Rückwirkung von Verfassungs wegen hinzunehmen ist oder nicht. Die Frage, ob § 30 i. V. m. § 25 Abs. 15 UStG in der Fassung des Art. 6 StÄndG 1973 eine verfassungswidrige Rückwirkung zukommt, ist dagegen die Folge der Beantwortung jener Frage und betrifft die Anwendung eines Rechtssatzes auf den Einzelfall, die nicht Gegenstand der Entscheidung über die Zulassung der Revision ist.
Hierauf beschränken sich aber die Ausführungen der Klägerin, da sie geltend macht, daß die genannten Normen wegen Rückwirkung verfassungswidrig seien. Soweit die Klägerin ausführt, eine unzulässige Rückwirkung liege deshalb vor, weil der durch das StÄndG 1973 eingeführte Steuertatbestand nicht die vertrauten Tatbestandsmerkmale des § 30 UStG in der früher geltenden Fassung enthalten habe, hat sie nicht dargelegt, ob und inwieweit diese Frage im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig sei.
Darauf, ob die Frage der Rückwirkung im Streitfall angesichts des Urteils in BFHE 133, 118, BStBl II 1981, 595 noch klärungsbedürftig wäre, braucht der Senat nicht einzugehen.
Fundstellen