Entscheidungsstichwort (Thema)
Schlafender Richter; Anforderungen an den Nachweis der Hingabe und der Entgegennahme eines Darlehens
Leitsatz (NV)
1. Schläft ein Richter während der mündlichen Verhandlung und folgt er den wesentlichen Vorgängen nicht, so ist das Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt.
2. Dass ein Richter schläft oder in anderer Weise "abwesend" ist, kann im Allgemeinen erst dann angenommen werden, wenn sichere Anzeichen für das Schlafen wie beispielsweise tiefes, hörbares und gleichmäßiges Atmen oder gar Schnarchen oder Anzeichen von fehlender Orientierung gerügt werden.
3. Hat der Beschwerdeführer ein solches Verhalten nicht beschrieben und offenkundig auch keinen Anlass gesehen, den Vorsitzenden auf die eingeschränkte Beteiligung des nach seiner Behauptung von Beginn der Verhandlung an schlafenden Richters aufmerksam zu machen, ist der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht schlüssig gerügt.
4. Bei Zweifeln an der Hingabe eines Darlehens muss der angebliche Darlehensgeber spätestens in der mündlichen Verhandlung Nachweise über den tatsächlichen Zahlungsweg vorlegen, selbst wenn das Gericht lediglich Nachweise über den bis dahin vom Kläger behaupteten Zahlungsweg verlangt hat.
5. Hat ein Steuerpflichtiger zwischen seinen Geschäften als Einzelgewerbetreibender und als Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH nicht unterschieden, muss aus dem Empfang eines Darlehensbetrages nicht die Stellung als Darlehensnehmer gefolgert werden.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 116 Abs. 3 S. 3, § 119 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
Niedersächsisches FG (Urteil vom 19.08.2008; Aktenzeichen 8 K 77/07) |
Gründe
Die Beschwerde des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) hat keinen Erfolg. Sein Vorbringen, das angefochtene Urteil des Finanzgerichts (FG) leide an Verfahrensfehlern i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) geht fehl.
1. Der Kläger rügt, das FG sei nicht vorschriftsmäßig i.S. von § 119 Abs. 1 Nr. 1 FGO besetzt gewesen, weil davon auszugehen sei, dass ein ehrenamtlicher Richter von der gesamten Verhandlung nichts mitbekommen habe. Bereits zu Beginn der Verhandlung sei dieser Richter in tiefen Schlaf gefallen gewesen. Er habe bereits zu Anfang der mündlichen Verhandlung während des gesamten Sachvortrags geschlafen, sei allerdings erwacht, als der Prozessbevollmächtigte mit etwas lauterer Stimme dazu Stellung genommen und sich ein Gespräch entwickelt habe, um bereits nach wenigen Minuten erneut zu "ent"schlafen. Der Vorgang des Einschlafens habe sich laufend jeweils für die Dauer von ca. fünf bis zehn Minuten wiederholt, während der Zustand des Wachseins jeweils weniger als fünf Minuten angedauert habe. Dem Richter sei der Kopf auf die Brust gefallen, er sei körperlich auch zusammengesackt, habe sich nach dem Aufwachen ruckartig aufgerichtet, schamhaft mit ausdruckslosem verschlafenen Gesicht geradeaus geblickt, ohne sich mit dem Kopf dem Geschehen zuzuwenden.
Diese Rüge rechtfertigt im Streitfall die Zulassung der Revision nicht.
Ein Gericht ist nicht vorschriftsmäßig besetzt, wenn ein Richter während der mündlichen Verhandlung schläft und deshalb wesentlichen Vorgängen nicht folgt (vgl. z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 4. August 1967 VI R 198/66, BFHE 89, 183, BStBl III 1967, 558). Obwohl der Kläger Merkmale des Verhaltens des Richters beschrieben hat, die den Schluss ermöglichen können, der Richter habe geschlafen, ist der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht gegeben. Im Allgemeinen kann erst dann davon ausgegangen werden, dass ein Richter schläft oder in anderer Weise "abwesend" ist, wenn andere sichere Anzeichen --als die vom Kläger genannten-- hinzukommen, wie beispielsweise tiefes, hörbares und gleichmäßiges Atmen oder gar Schnarchen oder Anzeichen von fehlender Orientierung (BFH-Beschluss vom 17. Mai 1999 VIII R 17/99, BFH/NV 1999, 1491, m.w.N. aus der Rechtsprechung). Weder hat der Kläger solches Verhalten des nach seinem Vorbringen schlafenden Richters beschrieben noch hat er offenkundig Anlass gesehen, den Vorsitzenden auf die nach seiner Auffassung von Beginn der Verhandlung an eingeschränkte Beteiligung des ehrenamtlichen Richters an der Verhandlung aufmerksam zu machen (vgl. dazu BFH-Urteile in BFHE 89, 183, BStBl III 1967, 558, und vom 5. Dezember 1985 IV R 114/85, BFH/NV 1986, 468). Auch der Vertreter des Finanzamts (FA) und eine im Sitzungssaal anwesende Finanzbeamtin haben nach der Stellungnahme des FA nicht bemerkt, dass einer der ehrenamtlichen Richter geschlafen habe.
2. Der Kläger rügt eine ungerechtfertigte Ablehnung der Vertagung der mündlichen Verhandlung, die er beantragt habe, um Unterlagen beibringen zu können, mit denen er den Zahlungsweg und den Empfänger des von ihm einem Dritten gewährten Darlehens nachweisen könne. Damit habe das FG seinen Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes verletzt. Die Rüge greift aus zwei Gründen nicht durch.
a) Sie entspricht nicht den gesetzlichen Anforderungen. Der Kläger hat keinen erheblichen Grund für die Vertagung schlüssig dargelegt. Dazu hätte er angeben müssen, dass er oder sein Bevollmächtigter ohne Verschulden an einer sachdienlichen Vorbereitung der mündlichen Verhandlung gehindert gewesen seien (BFH-Beschluss vom 13. August 1996 V B 7/96, BFH/NV 1997, 188). Daran fehlt es im Streitfall.
Durch die Aufforderung nach § 79b Abs. 2 FGO vom 2. Juli 2008 der Berichterstatterin beim FG waren dem Kläger die Zweifel des FG an der Hingabe des Darlehens bekannt. Unabhängig davon, dass in der Aufforderung konkret lediglich Nachweise über den bis dahin vom Kläger behaupteten Zahlungsweg verlangt wurden, musste der Kläger sich aufgefordert wissen, dem FG spätestens in der mündlichen Verhandlung Nachweise über den tatsächlichen Zahlungsweg vorzulegen. Sein Unvermögen, diese Aufforderung zu erfüllen, beruht auf einer unzureichenden Vorbereitung und Mitwirkung im Verfahren. Es stellt keinen erheblichen Grund für die beantragte Vertagung der mündlichen Verhandlung dar. Die Ablehnung der Vertagung war daher berechtigt, und zwar unabhängig davon, ob sie auch auf § 79b Abs. 3 FGO gestützt werden konnte.
b) Auf eine --wie im Streitfall behauptete-- lediglich punktuelle Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör kann die Zulassung der Revision nur gestützt werden, wenn das angefochtene Urteil auf dem behaupteten Verfahrensfehler beruht, wobei der materiell-rechtliche Standpunkt des FG zugrunde zu legen ist (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 79). Danach hätte das FG die Hingabe des Darlehens für den vom Kläger benannten Zeugen auch dann als nicht nachgewiesen erachtet, wenn der Kläger durch Unterlagen hätte belegen können, dass dem Zeugen der Darlehensbetrag über das genannte Finanzinstitut zugeflossen wäre. Aufgrund der Aussage des Zeugen hat das FG zutreffend gefolgert, dass der Zeuge zwischen seinen Geschäften als Einzelgewerbetreibender und als Gesellschafter einer GmbH nicht unterschieden habe. Aus dem angestrebten Nachweis, er sei Empfänger des Darlehensbetrages gewesen, hätte somit nach Auffassung des FG nicht zwingend geschlossen werden müssen, er sei auch der Darlehensnehmer gewesen. Das Darlehen hätte nach Auffassung des FG ebenso gut für die GmbH bestimmt sein und auf einer anderen als der vom Kläger behaupteten Rechtsgrundlage beruhen können.
3. Entgegen der Ansicht des Klägers kann die Ablehnung des Vertagungsantrags nicht unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung der dem FG obliegenden Sachaufklärungspflicht nach § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO beurteilt werden.
4. Soweit der Kläger rügt, das FG habe die Grundlage der Beweiswürdigung verkannt, macht der Kläger in der Sache einen materiell-rechtlichen Fehler geltend (Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 82). Daran ändert die Überlegung des Klägers nichts, das FG habe seiner Beweiswürdigung "einen nicht beweiserheblichen Sachverhalt zugrunde gelegt". Der Kläger verkennt bei seinem Vorbringen die Bedeutung des Beweisbeschlusses. Wenn der Zeuge "zu der Frage der Darlehenshingabe des Klägers an ihn gehört werden" sollte, ist damit entgegen der Ansicht des Klägers auch die Frage gestellt, auf welche Weise der Zeuge zu dem Darlehensbetrag gekommen ist. Ein materiell-rechtlicher Fehler rechtfertigt im Allgemeinen nicht die Zulassung der Revision (Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 24). Anhaltspunkte für einen Ausnahmefall hat der Kläger nicht vorgetragen; sie sind auch nicht ersichtlich.
Fundstellen