Entscheidungsstichwort (Thema)
Gewährung von Akteneinsicht; Rechtsmittel gegen die Entscheidung des FG
Leitsatz (NV)
1. Gegen die Entscheidung des FG über den Antrag auf Akteneinsicht ist die Beschwerde zulässig.
2. Auch bei Vertretung durch einen Rechtsanwalt können die Akten grundsätzlich nur in der Geschäftsstelle des Gerichts eingesehen werden. Arbeitsbelastung und bessere Arbeitsbedingungen sind keine Gründe, die ausnahmsweise die Überlassung der Akten in die Kanzlei des Rechtsanwalts rechtfertigen.
Normenkette
FGO § 78
Verfahrensgang
Tatbestand
Im Verfahren vor dem Finanzgericht (FG) beantragte der Prozeßbevollmächtigte des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger), ihm die Gerichtsakten zur kurzfristigen Einsicht in seine Kanzlei zu übersenden. Eine sachgerechte Einsicht sei in den Räumen des FG oder des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt - FA -) nicht gewährleistet und angesichts der Arbeitsbelastung des Bevollmächtigten unzumutbar. Den Antrag wies der Vorsitzende des Spruchkörpers des FG zurück.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Klägers, der das FG nicht abgeholfen hat. Der Kläger ist der Auffassung, die Arbeitsüberlastung des Prozeßbevollmächtigten rechtfertige die Annahme eines ,,Sonderfalles", vergleichbar einer Körperbehinderung.
Der Kläger beantragt sinngemäß, die angefochtene Verfügung aufzuheben und das FG anzuweisen, die Gerichtsakten seinem Prozeßbevollmächtigten in dessen Kanzlei zu überlassen.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
Entscheidungen des FG über die Art und Weise der Gewährung von Akteneinsicht sind keine mit Beschwerde nicht anfechtbaren prozeßleitenden Verfügungen im Sinne des § 128 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Entscheidung des FG über den Antrag eines Prozeßbevollmächtigten auf Überlassung der Akten in seine Kanzlei unterliegt deshalb der Beschwerde (§ 128 Abs. 1 FGO; vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 24. März 1981 VII B 64/80, BFHE 133, 8, BStBl II 1981, 475; vom 29. April 1987 VIII B 4/87, BFH / NV 1987, 796; vom 23. September 1985 VI B 11/85, BFH /NV 1987, 374).
2. Die Beschwerde ist unbegründet.
Nach § 78 Abs. 1 FGO können die Beteiligten die Gerichtsakten und die dem Gericht vorgelegten Akten einsehen und sich durch die Geschäftsstelle auf ihre Kosten Ausfertigungen, Auszüge, Abschriften erteilen lassen. Eine dem § 100 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) entsprechende Vorschrift, daß nach dem Ermessen des Vorsitzenden die Akten dem bevollmächtigten Rechtsanwalt zur Mitnahme in seine Wohnung oder in seine Geschäftsräume übergeben werden können, fehlt in der FGO. Die Regelung ist vom Gesetzgeber bewußt nicht aufgenommen worden (vgl. ausführl. BFH-Beschlüsse vom 29. September 1967 III B 31/67, BFHE 90, 312, BStBl II 1968, 82; vom 10. August 1978 IV B 20/77, BFHE 126, 1, BStBl II 1978, 677, und in BFHE 133, 8, BStBl II 1981, 475). Deshalb kann die Herausgabe der Gerichtsakten in die Wohnung oder die Geschäftsräume auch im Falle der Vertretung durch einen Rechtsanwalt stets nur die Ausnahme von der Regel sein, daß die Akten grundsätzlich nur in der Geschäftsstelle des Gerichts eingesehen werden dürfen. Dies ist auch unter Berücksichtigung von Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 26. August 1981 2 BvR 637/81, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1982, 77).
Die Entscheidung darüber, ob die Akten einem Rechtsanwalt ausnahmsweise in seine Kanzlei überlassen werden können, ist eine Ermessensentscheidung des FG (BFHE 133, 8, BStBl II 1981, 475; BFH /NV 1987, 796, m. w. N.), bei deren Prüfung der Senat nicht den Beschränkungen des § 102 FGO unterliegt; denn diese Vorschrift gilt nur für Ermessensentscheidungen der Verwaltung.
Die vom Prozeßbevollmächtigten des Klägers vorgetragenen Gründe rechtfertigen keine Ausnahme von der Regel des § 78 FGO.
Der Prozeßbevollmächtigte begründet seinen Antrag, die Akten in seiner Kanzlei und nicht, wie vom FG angeboten, bei einem nahegelegenen Gericht oder FA einsehen zu dürfen, damit, daß eine sachgerechte Bearbeitung nur in der Kanzlei möglich, eine andere Form der Akteneinsicht unökonomisch und zeitaufwendig sowie angesichts der Arbeitsbelastung unzumutbar sei. Dies gilt aber grundsätzlich für jeden, der Akteneinsicht begehrt. Würde man einen solchen Grund für die Überlassung der Akten in die Kanzlei anerkennen, so würde das vom Gesetzgeber gewollte Regel-Ausnahme-Verhältnis in sein Gegenteil verkehrt werden (BFHE 133, 8, BStBl II 1981, 475; BFH / NV 1987, 796). Nichts anderes gilt für den Einwand, nur in der Kanzlei seien die technischen Voraussetzungen für eine sachgerechte Bearbeitung gewährleistet. Soweit der Prozeßbevollmächtigte für die Anfertigung der Klagebegründung Kopien von bei den Akten befindlichen Unterlagen benötigt, sieht § 78 Abs. 1 FGO ausdrücklich vor, daß er sich diese von der Geschäftsstelle des FG erteilen lassen kann.
Fundstellen
Haufe-Index 416213 |
BFH/NV 1989, 645 |