Entscheidungsstichwort (Thema)
Erneute Beschwerde gegen FG-Beschluß nach BFHEntscheidung; Vertretungszwang vor BFH auch für beschwerdeführenden Zeugen; Wiedereinsetzung bei Mißverständnis einer Rechtsmittelbelehrung
Leitsatz (NV)
1. Auch ein BFH-Beschluß, mit dem ein Rechtsmittel als unzulässig verworfen wird, ist der Rechtskraft insoweit fähig, als er eine selbständige endgültige Entscheidung enthält.
2. Gegen den FG-Beschluß, mit dem einem im Verhandlungstermin vor dem FG ausgebliebenen Zeugen ein Ordnungsgeld auferlegt wird, kann Beschwerde nur durch einen Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer als Bevollmächtigten eingelegt werden.
3. Wer wegen Mißverständnisses einer Rechtsmittelbelehrung die rechtzeitige Einlegung der Beschwerde durch eine postulationsfähige Person versäumt, kann keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erhalten.
Normenkette
FGO § 54 Abs. 2, § 55 Abs. 2, § 56 Abs. 1, §§ 82, 110, 129 Abs. 1; ZPO § 380 Abs. 3; BFHEntlG Art. 1 Nr. 1
Tatbestand
Das Finanzgericht (FG) hatte dem Beschwerdeführer mit Beschluß vom 29. April 1986 die Kosten auferlegt, die in einem beim FG geführten Verfahren wegen seines Nichterscheinens als Zeuge im Termin zur mündlichen Verhandlung und Beweisaufnahme entstanden sind. Außerdem hat es dem Beschwerdeführer ein Ordnungsgeld und für den Fall, daß es nicht beigetrieben werden kann, eine Ordnungshaft von drei Tagen auferlegt. Dem Beschluß, der dem Beschwerdeführer am 7. Juni 1986 zugestellt wurde, ist folgende Rechtsmittelbelehrung beigefügt:,,Rechtsmittelbelehrung:*
Gegen den Beschluß steht dem Zeugen die Beschwerde zu. Sie ist innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe der Entscheidung beim Finanzgericht Düsseldorf schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist beim Bundesfinanzhof in München eingeht. Über die Beschwerde entscheidet der Bundesfinanzhof, sofern ihr das beschließende Gericht nicht abhilft.
Vor dem Bundesfinanzhof muß sich jeder Beteiligte durch einen Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer als Bevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für die Einlegung der Beschwerde. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können sich auch durch Beamte oder Angestellte, welche die Befähigung zum Richteramt besitzen, vertreten lassen.
Anschrift:
Finanzgericht Düsseldorf, Grafenberger Allee 125, 4000 Düsseldorf 1
* unter Berücksichtigung des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs vom 8. Juli 1975, BGBl I 1975, 1861; BStBl I 1975, 932, i. V. mit dem Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs vom 4. August 1980, BGBl I 1980, 1147, BStBl I 1980, 462."
Der Senat hat die zunächst gegen diesen Beschluß eingelegte Beschwerde - die Beschwerdeschrift ist undatiert und mit dem Eingangsstempel des FG vom 27. Juni 1986 versehen - mit Beschluß vom 16. September 1986 (Aktenzeichen IX B 102/86) als unzulässig verworfen, weil der Beschwerdeführer nicht i. S. von Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) vom 8. Juli 1975 (BGBl I, 1861, BStBl I, 932), zuletzt geändert durch das Gesetz zur Beschleunigung verwaltungsgerichtlicher und finanzgerichtlicher Verfahren vom 4. Juli 1985 (BGBl I, 1274, BStBl I, 496), vertreten war.
Mit Schriftsatz vom 10. Oktober 1986, der am 24. Oktober 1986 beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangen ist, begehrt der nunmehr i. S. von Art. 1 Nr. 1 BFHEntlG vertretene Beschwerdeführer, ihm bezüglich der Versäumung der Frist zur Einlegung der Beschwerde gegen den Beschluß des FG vom 29. April 1986 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Gleichzeitig erhob er erneut Beschwerde gegen den bezeichneten Beschluß des FG und beantragt nun, dieser Beschwerde durch Aufhebung des angefochtenen Beschlusses stattzugeben.
Der Beschwerdeführer trägt vor, die Rechtsmittelbelehrung, die dem angefochtenen Beschluß beigelegen habe, lasse nicht erkennen, daß schon die Einlegung des Rechtsmittels durch eine i. S. von Art. 1 Nr. 1 BFHEntlG zur Vertretung befugte Person hätte erfolgen müssen. Dem zweiten Absatz der Rechtsmittelbelehrung könne bei verständiger Würdigung nur entnommen werden, daß eine i. S. von Art. 1 Nr. 1 BFHEntlG befugte Person die Beschwerde einlegen muß, wenn sie direkt an den BFH gerichtet ist und nicht wie im Streitfall den Weg über das FG genommen hat. Daß die Weitergabe der Beschwerde durch das FG an den BFH die zunächst wirksame Einlegung wirkungslos mache, sofern nicht eine i. S. von Art. 1 Nr. 1 BFHEntlG zur Vertretung befugte Person tätig wird, lasse sich der Rechtsmittelbelehrung selbst bei größter Mühe nicht entnehmen und gehe auch nicht aus dem Text des BFHEntlG hervor. Wie sich aus der beigefügten eidesstattlichen Versicherung ergebe, habe er die Beschwerdeschrift am 20. Juni 1986 in Gegenwart eines Zeugen in den Nachtbriefkasten des FG eingeworfen. Sie gelte damit als rechtzeitig eingelegt. Die Beschwerde sei auch sachlich begründet. Er habe am 28. April 1986 einen Unfall erlitten, weswegen er am Folgetag wegen starker Schmerzen im Bereich der rechten Rippenpartie das Bett habe hüten müssen.
Das FG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unzulässig.
1. Da der Beschwerdeführer in dieser Sache nach der Entscheidung des Senats über die ursprünglich eingelegte Beschwerde erneut Beschwerde eingelegt hat, konsumiert die erste Beschwerde nicht die neuerlich eingelegte Beschwerde (vgl. für einen Fall der erneuten Revisionseinlegung, wenn über die bereits eingelegte Revision noch nicht entschieden ist, BFH-Beschlüsse vom 23. März 1979 VI R 5/79, BFHE 127, 5, BStBl II 1979, 296; vom 19. Juli 1984 IX R 16/81, BFHE 141, 467, BStBl II 1984, 833).
2. Der Beschwerde steht auch nicht die Rechtskraft des Senatsbeschlusses vom 16. September 1986 IX B 102/86 entgegen.
Beschlüsse sind der Rechtskraft fähig, soweit sie eine selbständige endgültige Entscheidung enthalten (vgl. mit weiteren Nachweisen Hübschmann / Hepp / Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 110 FGO Anm. 29). Dies gilt auch für solche Entscheidungen, die im Beschlußwege ein Rechtsmittel als unzulässig verwerfen. Allerdings umfaßt die Rechtskraft in diesem Fall nur den zur Begründung angeführten Unzulässigkeitsgrund (vgl. dazu BFH-Beschluß vom 14. September 1967 V S 9/67, BFHE 89, 332, BStBl III 1967, 615). Im Fall des Senatsbeschlusses vom 16. September 1986 IX B 102/86 war dies die fehlende Postulationsfähigkeit des Beschwerdeführers. Dieser Grund ist im vorliegenden Verfahren nicht einschlägig.
3. Die am 24. Oktober 1986 beim BFH eingegangene Beschwerde ist unzulässig, weil die Beschwerdefrist nicht eingehalten worden ist.
Die Zweiwochenfrist des § 129 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gilt auch bei sinngemäßer Anwendung zivilprozessualer Beschwerdevorschriften, hier § 82 FGO i. V. m. § 380 Abs. 3 der Zivilprozeßordnung (ZPO), wenn die Beschwerde nach Zivilprozeßrecht nicht befristet ist (BFH-Beschluß vom 12. Juni 1969 V B 6/69, BFHE 96, 17, BStBl II 1969, 526). Diese am 23. Juni 1986 endende Frist (§ 129 Abs. 1, § 54 Abs. 2 FGO i. V. m. § 222 Abs. 2 ZPO), nicht die Jahresfrist des § 55 Abs. 2 FGO hatte der Beschwerdeführer zu beachten; denn die Rechtsmittelbelehrung ist nicht unrichtig erteilt worden.
Der Beschwerdeführer ist vom FG über den Vertretungszwang vor dem BFH mit dem Wortlaut des Art. 1 Nr. 1 BFHEntG - beschränkt auf die Beschwerde - belehrt worden. Die Rechtsmittelbelehrung kann entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers nicht so verstanden werden, daß der Vertretungszwang nur gilt, wenn die Beschwerde beim BFH erhoben wird. Bei dieser Auslegung wäre Satz 2 des Absatzes 2 der Rechtsmittelbelehrung ohne Bedeutung, weil bereits nach Satz 1 dieses Absatzes Vertretungszwang vor dem BFH besteht. Insbesondere ergibt sich aber aus Wortsinn und Zusammenhang der beiden Absätze, daß der Vertretungszwang bereits für die Einlegung der Beschwerde beim FG besteht. Gemäß Absatz 1 der Rechtsmittelbelehrung ist die Beschwerde beim FG - nicht beim BFH (der Eingang beim BFH wirkt fristwahrend) - einzulegen. ,,Dies gilt auch für die Einlegung der Beschwerde" in Absatz 2 kann sich dann aber nur auf diese in Absatz 1 geregelte Einlegung beziehen.
Gründe, die eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist rechtfertigen könnten, liegen nicht vor. Das behauptete Mißverständnis der Rechtsmittelbelehrung begründet keine unverschuldete Verhinderung an der rechtzeitigen Einlegung der Beschwerde (§ 56 Abs. 1 FGO; vgl. BFH-Beschluß vom 7. Februar 1977 IV B 62/76, BFHE 121, 171, BStBl II 1977, 291).
4. Da der Senat die am 27. Juni 1986 eingegangene Beschwerde durch Beschluß vom 16. September 1986 IX B 102/86 als unzulässig verworfen hat, kommt eine Prüfung, ob diese Beschwerde fristgemäß eingelegt wurde, nicht mehr in Betracht.
Fundstellen
Haufe-Index 415235 |
BFH/NV 1988, 180 |