Entscheidungsstichwort (Thema)
Außerordentliche Beschwerde wegen greifbarer Gesetzwidrigkeit künftig nicht mehr statthaft?
Leitsatz (NV)
- Schon nach bisheriger Rechtsprechung des BFH konnte eine außerordentliche Beschwerde wegen greifbarer Gesetzwidrigkeit nicht auf die Verletzung des rechtlichen Gehörs gestützt werden. Statt dessen kam nur eine Gegenvorstellung beim Ausgangsgericht in Betracht.
- Es bleibt unentschieden, ob seit Einfügung des § 321a in die ZPO die außerordentliche Beschwerde wegen greifbarer Gesetzwidrigkeit im Finanzprozess ebenso wie im Zivil- und allgemeinen Verwaltungsprozess generell unstatthaft ist.
- Ein enges Verwandtschaftsverhältnis zwischen dem Prozessbevollmächtigten eines Beteiligten und einem Richter kann die Besorgnis der Befangenheit begründen.
Normenkette
FGO § 51 Abs. 1, §§ 128, 155; ZPO § 41 Nr. 3, § 321a
Nachgehend
Tatbestand
I. Der nach dem Mitwirkungsplan des Senats in der Sache IV B 108/02 zuständige Richter X hat angezeigt, der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) sei sein Vetter. Dieser Umstand könne die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit begründen. Der Vorsitzende hat diese Anzeige des Richters den Beteiligten zur Stellungnahme übersandt (s. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts ―BVerfG― vom 8. Juni 1993 1 BvR 878/90, BVerfGE 89, 28). Der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin hat daraufhin bestätigt, dass sein Vater und der Vater des Richters Brüder gewesen seien. Schon aus optischen Gründen sei es besser, wenn dem Selbstablehnungsgesuch stattgegeben würde. Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) hat keine Stellungnahme abgegeben.
Entscheidungsgründe
X ist im Streitfall nicht nach § 51 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 41 Nr. 3 der Zivilprozeßordnung (ZPO) von der Ausübung des Richteramts ausgeschlossen. Denn es besteht kein Verwandtschaftsverhältnis zu einem der Verfahrensbeteiligten. Die Verwandtschaft mit einem Verfahrensbevollmächtigten führt nicht zur Ausschließung vom Richteramt (Hartmann in Baumbach/ Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozeßordnung, 60. Aufl. 2002, § 41 Rz. 11).
Es liegt jedoch ein Grund vor, der die Ablehnung des Richters wegen Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen würde. Nach Auffassung des Senats ist ein Verwandtschaftsverhältnis i.S. des § 41 Nr. 3 ZPO zu einem Verfahrensbevollmächtigten geeignet, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu begründen. Insoweit kommt es nicht darauf an, ob der Richter sich selbst für befangen hält. Unmaßgeblich ist auch, ob der Senat der Überzeugung ist, der betroffene Richter werde sich nicht beeinflussen lassen. Entscheidend ist ausschließlich, ob ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (vgl. etwa Beschluss des BVerfG vom 24. April 1996 2 BvR 1639/94, Neue Juristische Wochenschrift ―NJW― 1996, 2022, m.w.N.). Dass solche Zweifel bestehen können, wird im Streitfall durch die Äußerung des Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin bestätigt, dem Selbstablehnungsgesuch solle schon aus optischen Gründen stattgegeben werden. Ob tatsächlich eine Befangenheit des Richters vorliegt, ist nicht entscheidend (Senatsbeschluss vom 14. Dezember 1999 IV B 112/98, BFH/NV 2000, 738).
Der Senat entscheidet danach in der Besetzung mit dem geschäftsplanmäßigen Vertreter des X.
Fundstellen
BFH/NV 2003, 73 |
AO-StB 2003, 8 |