Entscheidungsstichwort (Thema)
Verzicht auf mündliche Verhandlung; Sachaufklärungsrüge
Leitsatz (NV)
1. Auch in der Erklärung des Einverständnisses mit einer "schriftlichen Entscheidung des Gerichts" oder mit einer "Entscheidung im schriftlichen Verfahren" ist ein Verzicht auf mündliche Verhandlung i.S.d. § 90 Abs. 2 FGO zu sehen.
2. Ein Verzicht auf mündliche Verhandlung ist als Prozesshandlung nicht wegen Irrtums (auch über die Tragweite des Verzichts) anfechtbar und auch nicht frei widerrufbar; es kann daher auch nur ausnahmsweise widerrufen werden, wenn sich die Prozesslage nach Abgabe der Einverständniserklärung wesentlich geändert hat.
3. Bei einer Sachaufklärungsrüge kommt es auf den - möglicherweise auf einer anderen Tatsachen- und Beweiswürdigung basierenden - maßgebenden materiell-rechtlichen Standpunkt des FG an. Mit dem Einwand einer (vermeintlich) unzutreffenden Sachverhalts- und Beweiswürdigung und damit der Unrichtigkeit des FG-Urteils, also materiell-rechtlichen Fehlern, kann indes die Zulassung der Revision nicht erreicht werden.
Normenkette
FGO § 76 Abs. 1, § 90 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, § 115 Abs. 2 Nr. 3; EigZulG § 4 S. 2
Verfahrensgang
FG Münster (Urteil vom 28.04.2011; Aktenzeichen 12 K 1193/10 EZ) |
Gründe
Rz. 1
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die von der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) geltend gemachten Zulassungsgründe (Verfahrensmängel) sind nicht gegeben.
Rz. 2
1. Nach § 90 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) entscheidet das Gericht im Urteilsverfahren auf Grund mündlicher Verhandlung. Mit Einverständnis der Beteiligten kann es ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 90 Abs. 2 FGO). Im Streitfall durfte das Finanzgericht (FG) ohne mündliche Verhandlung, also im schriftlichen Verfahren, entscheiden, weil wirksame Verzichts-Erklärungen der Beteiligten --neben den Einverständnis-Erklärungen mit einer Entscheidung des Berichterstatters als Einzelrichter (§ 79a Abs. 3, 4 FGO)-- vorlagen. Nach Ladung zur mündlichen Verhandlung haben sowohl der Beklagte und Beschwerdegegner ("… verzichte ich auf mündliche Verhandlung") wie auch die Klägerin ("Auch ich bin mit einer schriftlichen Entscheidung des Gerichts einverstanden.") den Verzicht auf mündliche Verhandlung dem FG gegenüber erklärt.
Rz. 3
Zwar hat die Klägerin ihren Verzicht auf mündliche Verhandlung widerrufen. Indes ist ein solcher Verzicht als Prozesshandlung nicht wegen Irrtums (auch über die Tragweite des Verzichts) anfechtbar und auch nicht frei widerrufbar (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 31. August 2010 VIII R 36/08, BFHE 231, 1, BStBl II 2011, 126; BFH-Beschluss vom 10. März 2011 VI B 147/10, BFHE 232, 322, BStBl II 2011, 556); er kann daher auch nur ausnahmsweise widerrufen werden, wenn sich die Prozesslage nach Abgabe der Einverständniserklärung wesentlich geändert hat (z.B. BFH-Beschlüsse vom 4. Mai 2011 IX S 2/11 --PKH--, BFH/NV 2011, 1383; vom 22. Oktober 2003 I B 39/03, BFH/NV 2004, 350, m.w.N.). Eine solche wesentliche Änderung liegt im Streitfall jedoch nicht vor.
Rz. 4
2. Soweit die Klägerin mit der "unzutreffenden Sachverhaltsdarstellung" eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO) als (verzichtbaren) Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) durch Unterlassen einer Amtsermittlung (zu den Darlegungsanforderungen vgl. BFH-Beschlüsse vom 28. Juli 2004 IX B 136/03, BFH/NV 2005, 43; vom 6. September 2006 VIII B 187/05, BFH/NV 2007, 74) rügt, berücksichtigt sie bei ihren --auf einer anderen Tatsachen- und Beweiswürdigung basierenden-- Ausführungen nicht den maßgebenden materiell-rechtlichen Standpunkt des FG (vgl. BFH-Beschlüsse vom 25. Februar 2005 III B 13/04, BFH/NV 2005, 1065; vom 14. Oktober 2009 IX B 105/09, BFH/NV 2010, 443, unter 2. b). Zudem kann mit dem Einwand einer (vermeintlich) unzutreffenden Sachverhalts- und Beweiswürdigung und damit der Unrichtigkeit des FG-Urteils, also materiell-rechtlichen Fehlern, die Zulassung der Revision nicht erreicht werden (vgl. BFH-Beschlüsse vom 7. Oktober 2010 IX B 83/10, BFH/NV 2011, 61; vom 19. Mai 2010 IX B 198/09, BFH/NV 2010, 1647).
Rz. 5
3. Im Übrigen ist "unentgeltlich" i.S. des § 4 Satz 2 des Eigenheimzulagengesetzes nur eine Wohnungsüberlassung, für die keinerlei Entgelt gezahlt wird; eine Gegenleistung gleich welcher Art und Höhe ist förderungsschädlich. Ob eine Gegenleistung vorliegt, richtet sich nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Gegebenheiten und obliegt im Wege der Würdigung der Umstände des Einzelfalls dem FG als Tatsacheninstanz (BFH-Urteile vom 31. Juli 2001 IX R 9/99, BFHE 196, 481, BStBl II 2002, 77; vom 14. November 2007 IX R 32/07, BFH/NV 2008, 531; BFH-Beschluss vom 11. Juli 2007 IX B 94/07, BFH/NV 2007, 2081).
Fundstellen
Haufe-Index 2841610 |
BFH/NV 2012, 245 |