Leitsatz (amtlich)
1. Hat das FG ein Urteil verkündet und wird nach der Verkündung, aber vor Zustellung des Urteils das Konkursverfahren über das Vermögen des Steuerpflichtigen eröffnet, so kann das Urteil erst dann wirksam zugestellt werden, wenn der – gemäß § 155 FGO 1. V. m. § 240 ZPO unterbrochene – Rechtsstreit aufgenommen worden ist.
2. Für die Aufnahme des Rechtsstreits durch den Gemeinschuldner fehlt das Rechtsschutzbedürfnis.
Normenkette
FGO § 155; ZPO §§ 240, 249; KO § 3 Abs. 1, § 144 Abs. 1-2, § 145 Abs. 2, §§ 146, 164 Abs. 2
Tatbestand
Streitig ist im Rahmen der Einkommensteuer- und Umsatzsteuerveranlagungen für die Jahre 1971 und 1972, ob die Schätzungen wegen Nichtabgabe der Steuererklärungen zutreffend waren.
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war in den Streitjahren Steuerbevollmächtigter. Da er keine Steuererklärungen abgegeben hatte, schätzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das FA) den Umsatz und das Einkommen des Klägers und erließ auf dieser Grundlage Bescheide über die Einkommensteuer und Umsatzsteuer 1971 und 1972. Die Einsprüche gegen diese Bescheide wurden als unbegründet zurückgewiesen.
Mit seinen Klagen wendete sich der Kläger gegen die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen. Zu der mündlichen Verhandlung vor dem FG vom 31. März 1976 erschien der Kläger nicht. Das FG verkündete am Schluß der mündlichen Verhandlung Urteile, mit denen es die Klagen abwies.
Die Postsendung, mit der die Urteile dem Kläger zugestellt werden sollten, war adressiert an „Herrn Steuerbevollmächtigten in A”.
Laut Postzustellungsurkunde (PZU) hat der Postbedienstete den Kläger dort bei einem Zustellungsversuch am 22. Mai 1976 nicht angetroffen. Da die Zustellung auch weder an einen zur Familie gehörenden erwachsenen Hausgenossen noch an eine in der Familie dienende erwachsene Person noch an den Hauswirt ausführbar war, wurde die Postsendung laut PZU bei der Postanstalt A niedergelegt und eine schriftliche Mitteilung über die Niederlegung unter der obigen Anschrift des Empfängers abgegeben. Die Sendung wurde bei der Postanstalt nicht innerhalb von drei Monaten angefordert; deshalb wurde sie am 24. August 1976 an das FG zurückgesandt.
Der Kläger hat nach seinen Angaben nur bis zum 30. April 1976 in A gewohnt. Nach seinem Auszug aus dieser Wohnung hat er jemand damit beauftragt, einen Postnachsendungsantrag zu stellen; dieser Auftrag ist jedoch nicht ausgeführt worden.
Am 5. Mai 1977 wurde über das Vermögen des Klägers das Konkursverfahren eröffnet.
Nachdem der Kläger einen Prozeßbevollmächtigten bestellt und dieser dem FG mitgeteilt hatte, daß er den Kläger vertrete, stellte das FG die Urteile dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers zu; diesem ging die Postsendung mit den Urteilen laut PZU am 8. Juli 1977 zu.
Gegen die Urteile legte der Prozeßbevollmächtigte des Klägers in dessen Namen mit Schreiben vom 19. Juli 1977 – beim FG eingegangen am 27. Juli 1977 – Revision ein. Zur Begründung machte er „den Sachvortrag vor dem … FG zum Gegenstand des Verfahrens” und beantragte die Gewährung einer Frist zur weiteren Begründung der Revisionen. Vorsorglich beantragte er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
Entscheidungsgründe
Die Revisionen, die gemäß § 73 Abs. 1 FGO zur gemeinsamen Entscheidung verbunden werden, sind unzulässig.
1. Es kann davon ausgegangen werden, daß die eingelegten Rechtsbehelfe als Revisionen zu behandeln sind und eine Umdeutung in eine andere Rechtsbehelfsart nicht veranlaßt ist.
Revision ist der Rechtsbehelf, der gegen Urteile des FG gegeben ist (§ 115 Abs. 1 FGO). Voraussetzung für die Einlegung einer Revision ist, daß ein Urteil des FG bereits vorliegt. Das Urteil darf also nicht nur intern beschlossen, sondern es muß auch nach außen – durch Verkündung oder Zustellung (§ 104 FGO; Tipke/Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 8. Aufl., § 85 FGO Tz. 1) – wirksam kundgegeben sein.
Im Streitfall sind die FG-Urteile, gegen die sich die Rechtsbehelfe des Klägers richten, in dem Termin verkündet worden, in dem die mündliche Verhandlung vor dem FG stattgefunden hat. Im Zeitpunkt der Verkündung (31. März 1976) war das Konkursverfahren über das Vermögen des Klägers noch nicht eröffnet. Der Akt der Urteilsverkündung war sonach in seiner Wirksamkeit noch nicht von konkursrechtlichen Folgen (vgl. unten 2 b) beeinflußt. Auch sonst lagen keine Anhaltspunkte dafür vor, daß die Verkündung der Urteile nicht wirksam war.
2. Die Revisionsfrist hat bisher nicht zu laufen begonnen.
Nach § 120 Abs. 1 FGO ist die Revision bei dem FG innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils einzulegen. Die Frist für die Einlegung der Revision beginnt erst zu laufen, wenn eine wirksame Zustellung des FG-Urteils stattgefunden hat. An einer wirksamen Zustellung der Urteile hat es im Streitfall bisher jedoch gefehlt.
a) Der erste Zustellungsversuch am 22. Mai 1976 war unwirksam, weil er an einem unheilbaren Mangel litt.
Für die Zustellung durch Postbedienstete gelten nach § 53 Abs. 2 FGO i. V. m. § 3 Abs. 3 VwZG die Vorschriften der §§ 180 bis 186 und § 195 Abs. 2 ZPO. Danach ist die Ersatzzustellung durch Niederlegung des Schriftstücks bei der Postanstalt nur nach einem vergeblichen Zustellungsversuch in der Wohnung des Zustellungsadressaten zulässig (vgl. Urteil des BFH vom 17. Juli 1973 VIII R 104/72, BFHE 110, 174, BStBl II 1973, 877). Da der Kläger die in der Zustellungsurkunde bezeichnete Wohnung nach seinen eigenen glaubhaften Angaben im Zeitpunkt der Zustellung (22. Mai 1976) bereits aufgegeben hatte, konnte weder der Zustellungsversuch in dieser früheren Wohnung noch der hieran anschließende Versuch einer Ersatzzustellung durch Niederlegung der Sendung bei der Postanstalt wirksam sein (vgl. BFH-Urteil vom 26. November 1975 I R 157/73, BFHE 117, 344, BStBl II 1976, 137).
b) Auch der zweite Zustellungsversuch am 8. Juli 1977 an den vom Kläger bestellten Prozeßbevollmächtigten war unwirksam; denn inzwischen war das Konkursverfahren über das Vermögen des Klägers eröffnet worden mit der Folge, daß Zustellungen an die Klägerseite nicht mehr wirksam vorgenommen werden konnten.
Durch eine Konkurseröffnung werden die zu diesem Zeitpunkt anhängigen, die Konkursmasse (§ 1 Abs. 1 KO) betreffenden Gerichtsverfahren unterbrochen (§ 240 ZPO; BFH-Urteil vom 10. Dezember 1975 II R 150/67, BFHE 118, 412, BStBl II 1976, 506). Unterbrochen werden insbesondere auch finanzgerichtliche Verfahren, wenn die dort im Streit befindlichen Steueransprüche im Konkurs die Eigenschaft von Konkursforderungen haben (vgl. Jaeger/Lent, Konkursordnung, Rdnr. 1 zu § 12). Das ist immer dann der Fall, wenn ein Steueranspruch zur Zeit der Konkurseröffnung bereits „begründet” war (§ 3 Abs. 1 KO), d. h. wenn der den Steueranspruch begründende Tatbestand bereits vor der Konkurseröffnung gegeben war (vgl. BFH-Urteile vom 27. November 1974 I R 185/73, BFHE 114, 164, BStBl II 1975, 208; vom 27. August 1975 II R 93/70, BFHE 117, 176, BStBl II 1976, 77). Derartige Forderungen lagen im Streitfall vor. Die den Gegenstand des Rechtsstreits bildenden Einkommensteuer- und Umsatzsteueransprüche für die Jahre 1971 und 1972 waren zur Zeit der Konkurseröffnung im Sinne des § 3 Abs. 1 KO bereits „begründet”.
Die Unterbrechung des gerichtlichen Verfahrens bewirkt, daß grundsätzlich alle während der Unterbrechung vom Gericht oder einem Prozeßbeteiligten in Ansehung der Hauptsache vorgenommenen Prozeßhandlungen unwirksam sind (§ 249 Abs. 2 ZPO; vgl. BFH-Beschluß vom 10. Juni 1970 III R 128/67, BFHE 99, 348, BStBl II 1970, 665). Deshalb sind auch Zustellungen, mit denen die Fristen zur Einlegung und zur Begründung der Revision (§ 120 Abs. 1 Satz 1 FGO) in Lauf gesetzt werden sollen, nach § 249 Abs. 2 ZPO ohne Wirkung.
3. Die Revisionen sind unzulässig, da dem Kläger an der Fortsetzung des Verfahrens das Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Er konnte deshalb das unterbrochene Verfahren nicht aufnehmen.
a) Mit der Eröffnung des Konkursverfahrens verliert der Gemeinschuldner die Befugnis, sein zur Konkursmasse gehörendes Vermögen zu verwalten und über dasselbe zu verfügen (§ 6 Abs. 1 KO). Das Verwaltungs- und Verfügungsrecht über die Konkursmasse steht dem Konkursverwalter zu (§ 6 Abs. 2 KO). Auch die verfahrensmäßige Geltendmachung von Steuerforderungen gegen den Gemeinschuldner sowie die Abwehr solcher Forderungen werden durch die Eröffnung des Konkursverfahrens beeinflußt. Steuerforderungen gegen den Gemeinschuldner, die zur Zeit der Konkurseröffnung begründet waren (§ 3 Abs. 1 KO), können nur nach Maßgabe der konkursrechtlichen Vorschriften geltend gemacht werden (§ 12, §§ 138 ff. KO); die bereits vor der Konkurseröffnung begründeten Steuerforderungen gewähren dem Steuergläubiger somit lediglich ein Recht zur Teilnahme am Konkursverfahren (BFH-Urteile I R 185/73 und II R 150/67). Die Steuerforderungen müssen wie andere Konkursforderungen zur Konkurstabelle angemeldet (§§ 138 ff. KO) und – falls sie im Prüfungstermin vom Konkursverwalter oder von anderen Gläubigern bestritten werden – außerhalb des Konkursverfahrens festgestellt werden (§ 146 Abs. 1 i. V. m. Abs. 5 KO). Ist wegen solcher Forderungen im Zeitpunkt der Eröffnung des Konkursverfahrens bereits ein finanzgerichtliches Verfahren anhängig, so wird dieser Rechtsstreit gemäß § 155 FGO i. V. m. § 240 ZPO zunächst unterbrochen. Die durch die Konkurseröffnung bewirkte Unterbrechung des Rechtsstreits dauert so lange fort, bis der Prozeß nach den für den Konkurs geltenden Vorschriften aufgenommen oder das Konkursverfahren aufgehoben wird.
b) Die Aufnahme eines wegen einer Steuerforderung anhängigen Rechtsstreits setzt zunächst allgemein voraus, daß die Forderung vom FA zur Konkurstabelle angemeldet (§§ 138 ff. KO) und entweder vom Konkursverwalter oder einem Gläubiger bestritten worden ist (Urteil des RFH vom 25. Oktober 1926 GrS 1/26 S, RFHE 19, 355, RStBl 1926, 337; BFH-Urteil II R 150/67). Wird die Forderung im Prüfungstermin weder vom Konkursverwalter noch von einem Konkursgläubiger bestritten, so gilt sie als konkursmäßig „festgestellt” (§ 144 Abs. 1 KO) mit der Folge, daß die Eintragung der festgestellten Forderung in die Tabelle gegenüber dem Konkursverwalter und den übrigen Konkursgläubigern wie ein rechtskräftiges Urteil wirkt (§ 145 Abs. 2 KO; vgl. hierzu Geist, Insolvenzen und Steuern, 2. Aufl., Rdnr. 79 S. 73 f.) und nach Aufhebung des Konkursverfahrens zur Vollstrekkung in das konkursfreie Vermögen des Gemeinschuldners berechtigt (§ 164 Abs. 2 KO). Hat dagegen der Konkursverwalter oder ein anderer Konkursgläubiger die vom FA angemeldete Forderung bestritten, so kann der Bestreitende den schon vor Konkurseröffnung eingeleiteten Steuerstreit aufnehmen und ihn (unter geändertem – auf Feststellung zur Konkurstabelle gerichteten – Antrag) mit Wirkung für und gegen die Konkursmasse fortsetzen (vgl. § 146 Abs. 3, 5 und 6 KO; BFH-Urteil II R 150/67).
Im Gegensatz hierzu hat der Gemeinschuldner die Möglichkeit zur Aufnahme des Verfahrens nicht. Sein Recht, die vom FA angemeldete Forderung im Prüfungstermin zu bestreiten (§ 144 Abs. 2 KO) hindert nicht, daß die Steuerforderung zur Konkurstabelle festgestellt wird. Sein Widerspruch hat lediglich die Wirkung, daß das FA nach Aufhebung des Konkursverfahrens nicht gemäß § 164 Abs. 2 KO aus der Eintragung in der Tabelle in sein konkursfreies Vermögen vollstrecken kann. Daraus folgt für die Fortführung eines wegen einer solchen Forderung anhängigen gerichtlichen Verfahrens: Hat der Gemeinschuldner der Feststellung der Forderung im Prüfungstermin widersprochen, dann hat die Fortsetzung des Verfahrens für ihn kein Interesse mehr. Denn die mit der Feststellung der Forderung für das Konkursverfahren verbundenen Wirkungen könnten mit der Verfolgung des anhängigen Gerichtsverfahrens ohnehin nicht mehr beseitigt werden (vgl. Beschluß des Reichsgerichts – RG – vom 16. September 1891 II 117/91, RGZ 28, 422); zur Abwendung der außerkonkurs mäßigen Vollstreckung aber genügt sein Widerspruch (Jaeger/Weber, Konkursordnung, 8. Aufl., Rdnr. 4 zu § 144). Dieser Sachlage entspricht es, daß das Gesetz (§ 144 Abs. 2 KO) für den Fall des Widerspruchs des Gemeinschuldners gegen die angemeldete Forderung vorsieht, daß ein Rechtsstreit zwar gegen den Gemeinschuldner, nicht aber durch diesen aufgenommen werden kann. – Hat der Gemeinschuldner dagegen seine Bestreitungsbefugnis nicht ausgeübt, so könnte er zwar an der Fortsetzung des finanzgerichtlichen Verfahrens ein Interesse haben, um durch eine erfolgreiche Abwehr des gegen ihn geltend gemachten Steueranspruchs der Möglichkeit einer Vollstreckung aus der Konkurstabelle (§ 164 Abs. 2 KO) nach Aufhebung des Konkursverfahrens zu begegnen. Einer Aufnahme durch ihn würde jedoch auch in diesem Fall das Rechtsschutzbedürfnis fehlen, weil er den denkbaren Erfolg eines solchen Verfahrens (nämlich Vermeidung einer Vollstreckung der Steuerforderung nach Beendigung des Konkurses) auf einfachere Weise durch Ausübung der Bestreitungsbefugnis (notfalls im Wege der Nachholung nach § 165 KO) erreichen kann.
Bei dieser Sachlage fehlt dem Kläger im Streitfall jedes denkbare Rechtsschutzbedürfnis, von sich aus das Verfahren aufzunehmen. Seine Revision ist daher unzulässig.
c) Anders als in dem Fall III R 128/67 kommt auch eine nachträgliche Genehmigung der Revision durch den Konkursverwalter nicht in Betracht. In dem Fall III R 128/67 hatte der (spätere) Gemeinschuldner auf Erstattung von Abgabebeträgen geklagt; er führte also einen sogenannten „Aktivprozeß”. Hier konnte der Konkursverwalter durch nachträgliche Genehmigung der vom Steuerpflichtigen eingelegten Revision das Verfahren anstelle des Gemeinschuldners fortsetzen, denn der Gemeinschuldner hatte seine Prozeßführungsbefugnis mit der Konkurseröffnung an den Konkursverwalter verloren. Eine gleichartige Verfahrenssituation gibt es jedoch nicht in den Fällen, in denen der (spätere) Gemeinschuldner zur Abwehr von Steuerforderungen ein finanzgerichtliches Verfahren betreibt.
Fundstellen
Haufe-Index 557337 |
BStBl II 1978, 165 |
BFHE 1978, 6 |