Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Aussetzung der Vollziehung des GewSt-Zerlegungsbescheids wegen Nichtberücksichtigung sog. Gewerbesteueroasen
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Zerlegungsbescheid für Zwecke der Gewerbesteuer-Vorauszahlung steht gemäß § 164 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 184 Abs. 1 Satz 3, § 185 AO 1977 kraft Gesetzes unter Vorbehalt der Nachprüfung.
2. Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, dass der Gewerbesteuerpflichtige durch einen möglichen gesetzlichen Verstoß gegen die verfassungsrechtlich gewährleistete kommunale Selbstverwaltung und das gemeindliche Hebesatzrecht nicht beschwert ist. Ihm fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, um die Rechte der betroffenen Gemeinde durchzusetzen.
3. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel daran, dass der Gesetzgeber berechtigt ist, im Laufe des Erhebungszeitraumes bis zum Entstehen des Steueranspruchs die gesetzlichen Grundlagen zu verändern. Der Gesetzgeber konnte deshalb rückwirkend für das Kalenderjahr 2003 den Zerlegungsmaßstab des § 28 GewStG 2002 zu Lasten solcher Gemeinden verändern, deren Hebesatz 200 v.H. unterschreitet.
Normenkette
GewStG 2002 §§ 16, 18, 19 Abs. 3 S. 3, § 28 Abs. 2 S. 1 Nr. 4, § 36 Abs. 1; StVergAbG; AO 1977 § 164 Abs. 1 S. 2, Abs. 2, § 184 Abs. 1 S. 3, § 185; GG Art. 20 Abs. 3, Art. 28 Abs. 2 S. 3, Art. 106 Abs. 6 S. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin), eine GmbH, hat ihren Sitz in der Gemeinde E. Eine weitere Betriebsstätte befindet sich in N, einer Gemeinde, die keine Gewerbesteuer-Hebesätze festgesetzt hat und die keine Gewerbesteuer erhebt.
Am 11. September 2003 erließ der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) einen Bescheid über die Zerlegung des Gewerbesteuermessbetrages 2003 für Zwecke der Vorauszahlungen. In diesem Bescheid wurde auf Grundlage der Summe der Arbeitslöhne der Antragstellerin der Gewerbesteuermessbetrag auf die beiden Gemeinden aufgeteilt. Auf die Gemeinde E entfiel ein Zerlegungsanteil von 2 450 €, auf die Gemeinde N ein Anteil von 46 550 €.
Am 1. Oktober 2003 erließ das FA einen geänderten Bescheid über die Zerlegung des Gewerbesteuermessbetrages 2003 für Zwecke der Vorauszahlungen, durch den der Gemeinde E der Gewerbesteuermessbetrag vollen Umfanges zugeteilt wurde. Grund hierfür war die Änderung des § 28 Abs. 2 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG 2002) durch das Gesetz zum Abbau von Steuervergünstigungen und Ausnahmeregelungen (StVergAbG) vom 16. Mai 2003 (BGBl I 2003, 660, BStBl I 2003, 321). Gemäß § 28 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 GewStG 2002 in der vorgenannten Fassung sind Gemeinden, in denen der Hebesatz 200 v.H. unterschreitet, bei der Zerlegung nicht zu berücksichtigen.
Über den dagegen gerichteten Einspruch ist noch nicht entschieden.
Den zugleich gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung lehnte das FA ab, weshalb die Antragstellerin nach zwischenzeitlicher Zahlung der festgesetzten Gewerbesteuer-Vorauszahlung 2003 einen entsprechenden Antrag auf Aufhebung der Vollziehung des geänderten Zerlegungsbescheides beim Finanzgericht (FG) stellte. Auch dieser Antrag blieb ohne Erfolg.
Dagegen richtet sich die vom FG zugelassene Beschwerde der Antragstellerin.
Sie beantragt sinngemäß, den FG-Beschluss aufzuheben und die Vollziehung des angefochtenen Bescheides bis einen Monat nach Zustellung der Einspruchsentscheidung in Höhe eines auf die Gemeinde E entfallenden Zerlegungsanteils von 46 550 € aufzuheben.
Das FA ist dem entgegengetreten. Es beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unbegründet.
Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 und 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) soll das Gericht der Hauptsache auf Antrag die Vollziehung eines angefochtenen und bereits vollzogenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise aufheben, wenn ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestehen. Derartige Zweifel sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Steuerbescheids neben für seine Rechtmäßigkeit sprechende Umstände gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Bundesfinanzhof ―BFH―, Beschlüsse vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182; vom 19. März 1998 VIII B 85/95, BFH/NV 1998, 969). Solche Zweifel sind im Streitfall nach der in diesem Verfahren gebotenen und ausreichenden summarischen Prüfung nicht gegeben.
1. Zwischen den Beteiligten steht vorbehaltlich der von der Antragstellerin geltend gemachten verfahrens- und verfassungsrechtlichen Einwendungen außer Streit, dass der angefochtene Zerlegungsbescheid für Zwecke der Vorauszahlung 2003 vom 1. Oktober 2003 in der Sache nicht zu beanstanden ist. Da die Gemeinde N für den streitgegenständlichen Erhebungszeitraum keinen Gewerbesteuer-Hebesatz festgesetzt hat und keine Gewerbesteuer erhebt, durfte sie nach Maßgabe des § 28 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 GewStG 2002 bei der Zerlegung des für die Antragstellerin ermittelten Gewerbesteuermessbetrages nicht berücksichtigt werden.
2. An der Änderung des vorangegangenen Zerlegungsbescheides vom 11. September 2003 war das FA aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht gehindert.
Nach § 19 Abs. 3 Satz 3 GewStG 2002 kann das FA bis zum Ende des 15. auf den Erhebungszeitraum (vgl. § 14 Satz 2 GewStG 2002) folgenden Kalendermonats für Zwecke der Gewerbesteuer-Vorauszahlungen den Steuermessbetrag (§ 14 Satz 1 GewStG 2002; § 184 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung ―AO 1977―) festsetzen, der sich voraussichtlich ergeben wird. Sind mehrere Gemeinden hebeberechtigt und liegt deshalb ein Zerlegungsfall gemäß § 28 GewStG 2002 vor, steht es im Ermessen des FA, für Zwecke der Gewerbesteuer-Vorauszahlung einen entsprechenden Zerlegungsbescheid (vgl. § 188 AO 1977) zu erteilen. Sowohl der Steuermessbescheid als auch der Zerlegungsbescheid für Zwecke der Gewerbesteuer-Vorauszahlung stellen kraft Gesetzes Festsetzungen unter Vorbehalt der Nachprüfung dar (§ 164 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 184 Abs. 1 Satz 3, § 185 AO 1977; vgl. Hofmeister in Blümich, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, § 19 GewStG Rz. 18; Niedersächsisches FG, Beschluss vom 31. Juli 1980 VI 141/80 V, Entscheidungen der Finanzgerichte 1981, 35). Die Regelungslage ist insoweit entgegen der Auffassung der Antragstellerin eindeutig und gibt keinen Anlass zu Zweifeln. Das FA konnte deswegen im Streitfall den ursprünglichen Zerlegungsbescheid vom 11. September 2003 gemäß § 164 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 ändern.
3. Die gegen die Neuregelung des § 28 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 GewStG 2002 gerichteten verfassungsrechtlichen Einwände sind nach summarischer Prüfung ebenfalls ungerechtfertigt.
a) Soweit die Antragstellerin rügt, § 28 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 GewStG 2002 verstoße gegen die verfassungsrechtlich gewährleistete kommunale Selbstverwaltung und hierbei insbesondere gegen das gemeindliche Hebesatzrecht (vgl. Art. 28 Abs. 2 Satz 3, Art. 106 Abs. 6 Satz 2 des Grundgesetzes ―GG―; vgl. dazu z.B. Walz/Süß, Deutsches Steuerrecht ―DStR― 2003, 1637; Otting, Der Betrieb ―DB― 2004, 1222; Hofmeister in Blümich, a.a.O., § 28 GewStG Rz. 19a), fehlt ihr das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis, um die Rechte der betroffenen Gemeinde N durchzusetzen. Die Antragstellerin ist nicht Adressatin und Schutzobjekt jener durch die Verfassung gewährleisteten Rechte. Ohnehin wird die Gemeinde N, wie das FG zutreffend ausführt, durch die Neuregelung schon deshalb nicht belastet, weil sie keinen Hebesatz festgesetzt und auf die Gewerbesteuer als Einnahmequelle verzichtet hat. Die Zuweisung des Gewerbeertrages der Antragstellerin auf die Gemeinde N wirkte sich für diese also schon bislang nicht aus. Ihr wird durch die gesetzliche Neuregelung auch nicht die Festsetzung eines obligatorischen Mindesthebesatzes abverlangt. Auswirkungen könnten sich für sie infolge der Neuregelung deshalb nur dadurch ergeben, dass die betreffenden Unternehmen aus dem Gemeindegebiet wegziehen oder zumindest Funktionen verlagern, weil ihnen die Aufrechterhaltung einer Betriebsstätte dort keinen (gewerbe-)steuerlichen Vorteil mehr bietet. Derartige denkbare (faktische) Fernwirkungen einer gesetzlichen Regelung für einen Dritten ―die Gemeinde― in Gestalt einer veränderten Ansiedlungspolitik von Unternehmen stellen aber keine Rechtsverletzung dar, die von der Antragstellerin als Steuerpflichtige im Hauptverfahren mittels Anfechtung des Zerlegungsbescheides durchgesetzt werden könnte. Nicht sie, sondern allenfalls die Gemeinde N wird hierdurch beschwert (s. auch Otting, DB 2004, 1222, 1225, zu den verfassungsprozessrechtlichen Abwehrmöglichkeiten der Gemeinden gegen die Neuregelungen des Hebesatzrechts). Die Antragstellerin kann aus diesem Grunde folglich nicht die Aufhebung der Vollziehung des angefochtenen Zerlegungsbescheides beanspruchen.
b) Die summarische Prüfung der Rechtslage ergibt, dass das FG zu Recht auch keinen Verstoß gegen das Rechtsstaats- und Vertrauensschutzgebot des Art. 20 Abs. 3 GG angenommen hat. Zwar ist die Neuregelung des § 28 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 i.V.m. § 36 GewStG 2002 erst am 16. Mai 2003 rückwirkend für das gesamte Kalenderjahr 2003 und damit für den hiermit übereinstimmenden Erhebungszeitraum der Antragstellerin eingeführt worden. Dem Gesetzgeber ist es nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. z.B. Beschluss vom 3. Dezember 1997 2 BvR 882/97, BVerfGE 97, 67, m.w.N.) sowie des BFH (vgl. z.B. Senatsurteile vom 22. Oktober 1998 I R 35/97, BFHE 187, 440, BStBl II 1999, 171; vom 16. Mai 2001 I R 102/00, BFHE 195, 344, BStBl II 2001, 710; BFH-Urteil vom 25. Juni 1992 IV R 9/92, BFHE 167, 551, BStBl II 1992, 702) aber grundsätzlich unbenommen, im Laufe einer Besteuerungsperiode bis zum Entstehen des Steueranspruchs die gesetzlichen Grundlagen zu verändern. Das betrifft auch die Gewerbesteuer, die gemäß § 18 GewStG 2002 erst mit Ablauf des Erhebungszeitraums entsteht, für den sie festgesetzt wird (vgl. insoweit bezogen auf § 28 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 i.V.m. § 36 Abs. 1 GewStG 2002, abgrenzend auch Walz/Süß, DStR 2003, 1637, 1640). Der Steuerpflichtige kann während des laufenden Erhebungszeitraumes grundsätzlich nicht darauf vertrauen, dass es uneingeschränkt bei den bisherigen kommunalen Hebesätzen verbleiben wird (s. BFH-Urteil vom 29. August 1969 VI R 318/67, BFHE 97, 78, BStBl II 1970, 20). Das erweist sich auch an dem ―im Streitfall allerdings nicht einschlägigen― § 16 Abs. 3 Satz 1 GewStG 2002, wonach der Beschluss der Gemeinde über die Festsetzung oder Änderung des Hebesatzes bis zum 30. Juni eines Kalenderjahres mit Wirkung vom Beginn dieses Kalenderjahres zu fassen ist. Das StVergAbG wurde am 20. Mai 2003 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht, so dass der Zeitrahmen bis zum 30. Juni nicht überschritten worden ist.
Fundstellen
Haufe-Index 1237984 |
BFH/NV 2004, 1573 |
BStBl II 2005, 143 |
BStBl II 2005, 144 |
BFHE 206, 453 |
BB 2004, 2286 |
DB 2004, 2405 |
DStRE 2004, 1320 |
DStZ 2004, 738 |
HFR 2004, 1218 |