Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Beschlagnahme nach § 76 Abs. 3 AO 1977 durch ein Zollfahndungsamt
Leitsatz (NV)
1. Eine Aufhebung der Vollziehung der Beschlagnahme von Waren zur Geltendmachung der Sachhaftung kommt grundsätzlich nicht in Betracht.
2. Die Unwirksamkeit einer durch ein Zollfahndungsamt erfolgten Beschlagnahme (1.) kann nicht damit begründet werden, daß das Zollfahndungsamt nicht sachlich zuständig sei, eine solche Maßnahme zu treffen.
Normenkette
AO 1977 § 76 Abs. 1-4; FGO § 69 Abs. 3
Tatbestand
Die Antragstellerin kaufte von ausländischen Lieferern insgesamt 144 000 Flaschen Weinbrand, der im gemeinschaftlichen Versandverfahren aus den Niederlanden eingeführt, der Bestimmungszollstelle jedoch nicht gestellt und ohne Entrichtung der Eingangsabgaben von den Lieferern, die versichert hatten, ,,sämtliche fiskalische Abgaben" für die Waren seien entrichtet, an die Antragstellerin geliefert wurde. Das Zollfahndungsamt - ZFA - belegte die von der Antragstellerin unter verlängertem Eigentumsvorbehalt weiterveräußerten Waren bei den Abnehmern der Antragstellerin - großen Verbrauchermärkten - im Oktober 1985 gemäß § 76 Abs. 3 der Abgabenordnung (AO 1977) mit Beschlag. Über die dagegen von der Antragstellerin erhobene Klage ist noch nicht entschieden.
Dem Antrag der Antragstellerin auf Aufhebung der Vollziehung der Beschlagnahmen gab das Finanzgericht (FG) unter Bezugnahme auf das (nicht rechtskräftige) Urteil des FG Hamburg vom 22. August 1985 IV 115/83 H (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1986, 51) mit der Maßgabe einer Sicherheitsleistung in Höhe von 1 032 999,65 DM durch die Antragstellerin statt. Gegen diese Entscheidung wendeten sich beide Parteien mit der vom FG zugelassenen Beschwerde.
Die Antragstellerin führte aus, wenn - wie im Streitfalle - feststehe, daß die Beschlagnahme mangels sachlicher Zuständigkeit des ZFA rechtswidrig war, so könne eine Sicherheitsleistung nicht in Betracht kommen. Das FG habe überdies ungeprüft gelassen, ob von der Anordnung einer Sicherheitsleistung wegen Gefährdung ihrer - der Antragstellerin - Existenz und wegen verspäteter Inanspruchnahme des Hauptverpflichteten und des Bürgen hätte abgesehen werden müssen.
Das ZFA machte geltend, unter die Ermittlungsbefugnisse der Zollfahndung falle - wie nach früherem Recht - auch das Beschlagnahmerecht nach § 76 Abs. 3 AO 1977. Im übrigen sei zweifelhaft, ob diese Beschlagnahme ein vollziehbarer Verwaltungsakt sei. Mit einer die Entscheidung im Hauptverfahren vorwegnehmenden Aufhebung der Vollziehung entfalle das Verfügungsverbot; die Sicherheitsleistung biete keine Möglichkeit, die Entrichtung der Abgaben zu erzwingen, da gegen die Antragstellerin kein Anspruch aus einem Steuerschuldverhältnis bestehe.
Nach Erlöschen der Steuerschuld infolge Zahlung der Eingangsabgaben durch den Bürgen erklärten beide Parteien die Hauptsache für erledigt. Sie beantragen jeweils, die Kosten des Verfahrens der Gegenseite aufzuerlegen.
Entscheidungsgründe
Über die - selbständigen - Beschwerden wird gemeinsam entschieden (§ 73 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Die Parteien haben jeweils ,,das Verfahren" für erledigt erklärt. Diese Erklärungen sind auf beide Beschwerdeverfahren zu beziehen.
Nachdem beide Beschwerdeverfahren in der Hauptsache erledigt sind (vgl. auch § 76 Abs. 4 Satz 1 AO 1977), ist nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes über die Kosten zu entscheiden (§ 138 Abs. 1 FGO). Nach Ansicht des Senats entspricht es billigem Ermessen, die Kosten beider Verfahren der Antragstellerin aufzuerlegen. Unter Berücksichtigung des Sach- und Streitstandes ergibt sich bei der hier veranlaßten nur summarischen Prüfung (vgl. Gräber, Finanzgerichtsordnung, 1977, § 138 Anm. 7), daß die Beschwerde der Antragstellerin erfolglos geblieben wäre, die des ZFA dagegen zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung des Antrags auf Aufhebung der Vollziehung geführt hätte. Abzuweisen gewesen wäre der Antrag, ohne daß es auf die Frage der sachlichen Zuständigkeit des ZFA zur Beschlagnahme nach § 76 Abs. 3 AO 1977 angekommen wäre, weil im Verfahren nach § 69 Abs. 3 FGO das Ergebnis des in der Hauptsache schwebenden Rechtsstreits nicht vorweggenommen werden darf.
Die bei den beschlagnahmten Waren entstandene Sachhaftung, aufgrund derer die Waren ohne Rücksicht auf die Rechte Dritter als Sicherheit für die darauf ruhenden (Einfuhr-)Steuern dienten (§ 76 Abs. 1 und 2 AO 1977), durfte ,,die Finanzbehörde", jedenfalls, nachdem die Steuern entstanden waren - hier nach § 57 Abs. 1 des Zollgesetzes i. V. m. den verbrauchsteuerrechtlichen Vorschriften -, durch Beschlagnahme nach § 76 Abs. 3 AO 1977 geltend machen. Die Aufhebung der Vollziehung eines solchen Verwaltungsakts würde, wenn sie überhaupt begrifflich in Betracht käme, vollendete Tatsachen schaffen, das von der Antragstellerin im Verfahren über die Hauptsache erstrebte Ergebnis unzulässig vorwegnehmen (Senat, Beschluß vom 22. Juli 1980 VII B 3/80, BFHE 131, 15, BStBl II 1980, 592; vgl. auch Beschluß vom 16. November 1977 VII S 1/77, BFHE 123, 427, 430, BStBl II 1978, 69) und die durch Sachhaftung begründete Sicherheit ein für allemal erlöschen lassen (§ 76 Abs. 4 Satz 2 AO 1977). Eine Sicherheitsleistung (§ 241 AO 1977), wie sie die Vorinstanz vorgesehen hatte, ist kein Surrogat der Sachhaftung. Sie geht mangels einer zu sichernden Forderung gegen die Antragstellerin ins Leere.
Ein Ausnahmefall, der die Vorwegnahme der endgültigen Regelung im Verfahren der Vollziehungsaufhebung möglicherweise rechtfertigen könnte, läßt sich nicht, wie die Antragstellerin meint, damit begründen, daß der Steuerschuldner oder der persönlich Haftende (hier: der Hauptverpflichtete des Versandverfahrens) oder dessen Bürge vorrangig in Anspruch zu nehmen sei.
Eine solche Annahme widerspricht dem Sicherungszweck der Sachhaftung, die auf die Rechte Dritter keine Rücksicht nimmt (§ 76 Abs. 1 AO 1977).
Mit dem Sicherungszweck unvereinbar ist auch das Verlangen, daß auf die Geltendmachung der Sachhaftung gerade dann verzichtet werde, wenn es um die Sicherung von Abgaben in beträchtlicher Höhe geht, die nur - zu Lasten Dritter - durch Beschlagnahmen in entsprechendem Umfang erreicht werden kann.
Schließlich kann auch der Umstand, daß ein ZFA möglicherweise sachlich nicht zuständig ist, Waren nach § 76 Abs. 3 AO 1977 zu beschlagnahmen (so FG Hamburg in EFG 1986, 51; Tipke / Kruse, Abgabenordnung - Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 76 AO 1977 Tz. 5), zu keinem der Antragstellerin günstigen Ergebnis führen. Auch wenn von einem Mangel der sachlichen Zuständgkeit auszugehen wäre - der Senat braucht hierüber im vorliegenden Falle nicht zu entscheiden -, so wäre der Mangel nicht offenkundig, würde die sachliche Unzuständigkeit nicht zur Nichtigkeit der Beschlagnahmeverfügungen führen, sondern nur deren Rechtswidrigkeit begründen (vgl. Klein / Orlopp, Abgabenordnung, 3. Aufl., 1986, § 125 Anm. 2; Tipke / Kruse, a. a. O., § 125 AO 1977 Tz. 4), worüber im Verfahren über die Hauptsache zu befinden wäre. Selbst bei Rechtswidrigkeit der Beschlagnahme bleibt ihre die Sachhaftung verstärkende Wirkung bis zur Aufhebung bestehen; umgekehrt entfällt mit der Aufhebung der Beschlagnahme auch die Sachhaftung. Die in Geltendmachung der Sachhaftung erfolgten Beschlagnahmen durch das ZFA, eine dem jedenfalls sachlich zuständigen Hauptzollamt (HZA) gleichgestellte örtliche Bundesfinanzbehörde (§ 1 Nr. 4 des Finanzverwaltungsgesetzes), kann mithin nicht anders beurteilt werden als die Beschlagnahme durch ein HZA. Deren Vollziehung kann aber - wie ausgeführt - im Verfahren nach § 69 Abs. 3 FGO grundsätzlich nicht aufgehoben werden.
Fundstellen
Haufe-Index 414870 |
BFH/NV 1987, 485 |