Entscheidungsstichwort (Thema)
Lohnsteuerklassen III/V für eingetragene Lebenspartner im Wege der AdV
Leitsatz (NV)
An der Richtigkeit der Rechtsauffassung des Senats, dass die Beschränkung des Rechts auf Wahl der Zusammenveranlagung auf Ehegatten verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden und die Einreihung in die Lohnsteuerklasse III auf Steuerpflichtige beschränkt ist, auf die das Splitting-Verfahren anzuwenden ist, bestehen ernstliche Zweifel, die es rechtfertigen, die Lohnsteuerklassen eingetragener Lebenspartner im Wege der Aufhebung der Vollziehung vorläufig von I durch III und V zu ersetzen. Das öffentliche Interesse steht einer AdV nicht entgegen.
Normenkette
EStG §§ 38b, 39, 52b Abs. 3; FGO § 69 Abs. 3; GG Art. 3 Abs. 1
Verfahrensgang
FG München (Beschluss vom 14.02.2012; Aktenzeichen 8 V 3343/11) |
Tatbestand
Rz. 1
I. Die Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) begründeten im Jahr 2002 eine eingetragene Lebenspartnerschaft. Sie sind unbeschränkt einkommensteuerpflichtig und leben nicht dauernd getrennt.
Rz. 2
Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) lehnte ihren im Herbst des Jahres 2011 gestellten Antrag ab, die auf ihren Lohnsteuerkarten eingetragenen Lohnsteuerklassen für den Antragsteller zu 1. von I in III und für den Antragsteller zu 2. von I in V zu ändern. Die Antragsteller legten daraufhin Einspruch ein. Die von ihnen beantragte Aussetzung der Vollziehung (AdV) lehnte das FA ab.
Rz. 3
Das Finanzgericht (FG) wies den Aussetzungsantrag, für das Jahr 2012 die Steuerklasse des Antragstellers zu 1. von I in III und die Steuerklasse des Antragstellers zu 2. von I in V zu ändern, als unbegründet zurück, da es an einem besonderen berechtigten Interesse an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes fehle. Irreparable Nachteile drohten nicht, da es sich beim Lohnsteuerabzugsverfahren um ein dem eigentlichen Veranlagungsverfahren vorgelagertes "Vorauszahlungsverfahren" handele. Ob die Einkommensteuer nach dem für Ehegatten geltenden Splittingtarif berechnet werden könne, sei --ohne Bindung an das Lohnsteuerabzugsverfahren-- endgültig erst im Veranlagungsverfahren zu entscheiden. Dem Aussetzungsinteresse sei auch nicht deshalb Vorrang vor den öffentlichen Interessen einzuräumen, weil das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eine ähnliche Vorschrift im Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz (ErbStG) für verfassungswidrig erkannt habe.
Rz. 4
Zur Begründung ihrer vom FG zugelassenen Beschwerde tragen die Antragsteller vor, ihr Anspruch sei bereits aufgrund der Anwendung einfachen Gesetzesrechts begründet. Das FG habe verkannt, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Einstufung in die Lohnsteuerklasse I nicht vorlägen, da sie --die Antragsteller-- nicht ledig seien. Streitig sei mithin nicht, ob bei ihrer Einreihung in eine Lohnsteuerklasse eine Analogie zu bilden sei, sondern welche: zu Ledigen oder zu Ehepaaren. Letzteres treffe aufgrund der umfassenden Wirtschafts- und Verantwortungsgemeinschaft zu. Ihr Anspruch ergebe sich zudem aus Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes; die verfassungsrechtliche Beurteilung sei durch die BVerfG-Beschlüsse vom 7. Juli 2009 1 BvR 1164/07 (BVerfGE 124, 199) und vom 21. Juli 2010 1 BvR 611/07, 1 BvR 2464/07 (BVerfGE 126, 400) geklärt.
Rz. 5
Das FA beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Rz. 6
II. Die Beschwerde ist begründet, den Antragstellern ist die begehrte AdV durch Beschluss zu gewähren (§ 132 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Rz. 7
1. Der Antrag auf AdV (§ 69 Abs. 3 FGO) ist statthaft.
Rz. 8
a) Im finanzgerichtlichen Verfahren ist vorläufiger Rechtsschutz entweder durch die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes nach § 69 FGO oder durch eine einstweilige Anordnung nach § 114 FGO zu gewähren. Die Abgrenzung der beiden Rechtsschutzmöglichkeiten richtet sich danach, welche Klage in einem Hauptsacheverfahren zu erheben wäre. Ist die zutreffende Klageart die Anfechtungsklage, wird vorläufiger Rechtsschutz durch die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung gewährt, bei Verpflichtungsklagen ist eine einstweilige Anordnung (§ 114 FGO) zu beantragen (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsbeschluss vom 23. April 2012 III B 183/11, BFH/NV 2012, 1173).
Rz. 9
b) Um eine Änderung der Lohnsteuerklassen (§ 38b des Einkommensteuergesetzes --EStG--) durchzusetzen --hier von I zu III bzw. V--, müsste eine Anfechtungsklage erhoben werden (Blümich/Thürmer, § 39 EStG Rz 22; Fissenewert in Herrmann/ Heuer/Raupach, § 39 EStG Rz 5; Schmidt/Krüger, EStG, 31. Aufl., § 39 Rz 10; Frotscher in Frotscher, EStG, Freiburg 2011, § 39 Rz 28; Barein in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 39 Rz 58; Trzaskalik, in: Kirchhof/ Söhn/Mellinghoff, EStG, § 39 Rz A 39; Büchele, Deutsches Steuerrecht 1983, 435; a.A. noch Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 21. Januar 1983 VI B 98/82, juris; FG Düsseldorf, Urteile vom 27. Oktober 2011 14 K 1890/11 E, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2012, 746, und 14 K 2269/11 L, EFG 2012, 1401).
Rz. 10
Dementsprechend ist vorläufiger Rechtsschutz im Wege der AdV zu gewähren. Bei der Lohnsteuerkarte --bzw. einer bis zur erstmaligen Anwendung der elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmale (ELStAM) ausgestellten Bescheinigung für den Lohnsteuerabzug (§ 52b Abs. 3 EStG)-- handelt es sich um einen vollziehbaren Verwaltungsakt, da die auf ihr vorgenommenen Eintragungen die Grundlage für den Lohnsteuerabzug bilden. Durch den vorläufigen Rechtsschutz im Wege der AdV wird deshalb ein möglicherweise überhöhter Lohnsteuerabzug unterbunden (vgl. hierzu Trzaskalik, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 39 Rz A 39 und A 43).
Rz. 11
c) Die Gewährung der AdV nimmt das Ergebnis des schwebenden Verfahrens in der Hauptsache nicht in unzulässiger Weise (Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 69 FGO Rz 354) vorweg, da durch eine nur vorläufige Eintragung keine Entscheidung in der Sache selbst getroffen wird (BFH-Beschlüsse vom 24. Februar 1987 IX B 106/86, BFHE 148, 533, BStBl II 1987, 344; vom 29. April 1992 VI B 152/91, BFHE 167, 152, BStBl II 1992, 752; vom 11. Dezember 2012 III B 89/12).
Rz. 12
2. An der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Ablehnung auf Änderung der Steuerklasse für das Jahr 2012 i.S. von § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO bestehen ernstliche Zweifel.
Rz. 13
a) Ernstliche Zweifel liegen vor, wenn neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschluss vom 11. Juni 2003 IX B 16/03, BFHE 202, 53, BStBl II 2003, 663).
Rz. 14
b) Der Senat hält an seiner Auffassung fest, dass die Beschränkung des Rechts auf Wahl der Zusammenveranlagung auf Ehegatten verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist (Senatsbeschluss vom 5. März 2012 III B 6/12, BFH/NV 2012, 1144, Rz 13).
Rz. 15
Dies ist auf die Einreihung in Lohnsteuerklassen zu übertragen. Obwohl die Rechte und Pflichten eingetragener Lebenspartner denen von Eheleuten nachgebildet sind, verbietet sich daher die von den Antragstellern vertretene Gleichbehandlung im Hinblick auf § 38b Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Buchst. a EStG. Denn die Einreihung in die Lohnsteuerklasse III sollte ersichtlich auf Steuerpflichtige beschränkt bleiben, auf die nach § 32a Abs. 5 oder Abs. 6 EStG das Splitting-Verfahren anzuwenden ist. Eingetragene Lebenspartner sind demzufolge in entsprechender Anwendung des § 38b Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Buchst. a EStG wie Ledige in die Lohnsteuerklasse I einzureihen (Senatsurteil vom 19. Oktober 2006 III R 29/06, BFH/NV 2007, 663).
Rz. 16
c) An der Richtigkeit der Rechtsauffassung des Senats bestehen jedoch wegen der beim BVerfG anhängigen Verfassungsbeschwerden 2 BvR 909/06, 2 BvR 1981/06 und 2 BvR 288/07 sowie den BVerfG-Beschlüssen in BVerfGE 126, 400 (betr. Ungleichbehandlung von Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft im ErbStG) und vom 18. Juli 2012 1 BvL 16/11 (BGBl I 2012, 1770, betr. Grunderwerbsteuer) ernstliche Zweifel i.S. des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO. Deshalb hat der Senat in einem Verfahren gegen einen Einkommensteuerbescheid, durch den ein Steuerpflichtiger entgegen seinem Antrag nicht zusammen mit seinem eingetragenen Lebenspartner, sondern einzeln zur Einkommensteuer veranlagt worden ist, vorläufigen Rechtsschutz gewährt (Senatsbeschluss in BFH/NV 2012, 1144). Gegen die Ablehnung der Änderung der Steuerklasse eines eingetragenen Lebenspartners ist daher ebenfalls vorläufiger Rechtsschutz zu gewähren.
Rz. 17
3. Das öffentliche Interesse steht einer AdV nicht entgegen.
Rz. 18
a) Ein Antrag auf AdV, der mit ernstlichen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit einer dem angefochtenen Steuerbescheid zugrunde liegenden Gesetzesvorschrift begründet wird, ist abzulehnen, wenn nach den Umständen des Einzelfalles dem Interesse des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nicht der Vorrang vor dem öffentlichen Interesse am Vollzug des Gesetzes zukommt (vgl. BFH-Beschluss vom 1. April 2010 II B 168/09, BFHE 228, 149, BStBl II 2010, 558). Die individuellen Interessen des Steuerpflichtigen und das öffentliche Interesse sind gegeneinander abzuwägen (vgl. BFH-Beschluss vom 25. August 2009 VI B 69/09, BFHE 226, 85, BStBl II 2009, 826), ohne dass es dabei ausschlaggebend auf die Schwere der Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der betroffenen Vorschrift ankommt (BFH-Beschluss in BFHE 228, 149, BStBl II 2010, 558).
Rz. 19
b) In seiner Entscheidung betreffend die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes im Hinblick auf die abgelehnte Zusammenveranlagung eingetragener Lebenspartner zur Einkommensteuer hat sich der Senat davon leiten lassen, dass das BVerfG in seinem zum Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht ergangenen Beschluss in BVerfGE 126, 400 die als verfassungswidrig beurteilten Regelungen mangels Gefährdung der geordneten Finanz- und Haushaltsplanung durch die rückwirkende Besserstellung eingetragener Lebenspartner in allen offenen Fällen für nicht mehr anwendbar erklärt hat, ohne dem Gesetzgeber eine Übergangsfrist zur Nachbesserung mit befristeter Fortgeltung einzuräumen, und eine hiervon abweichende Beurteilung der haushaltsrechtlichen Auswirkungen der Ungleichbehandlung im Bereich der Einkommensteuer nicht ersichtlich war (vgl. Senatsbeschluss in BFH/NV 2012, 1144, Rz 28).
Rz. 20
Das Interesse der Antragsteller an der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes im Lohnsteuerabzugsverfahren erscheint demgegenüber auch deshalb als gewichtig, weil die Verfassungsbeschwerdeverfahren 2 BvR 909/06, 2 BvR 1981/06 und 2 BvR 288/07 bereits seit mehr als sechs Jahren anhängig sind und eine AdV nach einer Einkommensteuerveranlagung auf die festgesetzte Steuer, vermindert um die anzurechnende Lohnsteuer, beschränkt ist (§ 361 Abs. 2 Satz 4 der Abgabenordnung, § 69 Abs. 2 Satz 8 FGO).
Rz. 21
c) Gegenstand der anhängigen Verfassungsbeschwerden ist die Verfassungsmäßigkeit der Ungleichbehandlung von eingetragenen Lebenspartnern und Ehegatten im Hinblick auf das Veranlagungswahlrecht der §§ 26, 26b EStG. Eine Entscheidung des BVerfG würde sich daher nicht auf die hier streitige Frage der Ungleichbehandlung von eingetragenen Lebenspartnern und Ehegatten durch die unterschiedliche Steuerklasseneinreihung in § 38b EStG auswirken. Im Falle einer Entscheidung zu Gunsten von eingetragenen Lebenspartnern durch das BVerfG wäre der Gesetzgeber aber aus Gründen der Folgerichtigkeit gehalten, für die Lohnsteuerklassen die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen.
Rz. 22
Auch wenn im Erfolgsfalle der beim BVerfG anhängigen Verfassungsbeschwerden eine, eine solche Entscheidung umsetzende Gleichstellung der eingetragenen Lebenspartner im Lohnsteuerabzugsverfahren durch Änderung des § 38b EStG allenfalls mit Wirkung für den dann laufenden Lohnzahlungszeitraum möglich ist, weil sich eine Änderung für bereits vergangene Lohnzahlungszeiträume rein tatsächlich nicht mehr auswirken kann, besteht kein Grund, die AdV für das Jahr 2012 aus Gründen des öffentlichen Interesses abzulehnen. Insoweit kommt es entscheidend darauf an, dass es sich bei dem Lohnsteuerabzugsverfahren zwar um ein rechtlich selbständiges Verfahren handelt, dieses jedoch gegenüber dem Veranlagungsverfahren nur ein vorläufiges Verfahren darstellt. Eine im Lohnsteuerabzugsverfahren zu viel erhobene und deshalb zu erstattende Lohnsteuer kann spätestens im Rahmen des Veranlagungsverfahrens angerechnet und ggf. ausgezahlt werden. Dass unter haushalterischen Gesichtspunkten der Durchführung des Lohnsteuerabzugs unter Zugrundelegung der Steuerklasse I der Vorrang vor dem Interesse des Antragstellers zu 1. an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes einzuräumen wäre, ist nicht ersichtlich.
Fundstellen
Haufe-Index 3590206 |
BFH/NV 2013, 549 |